Drei beliebte Mädchenspiele

Angeregt durch Al. Czelechowskis Aufsatz „Das bäuerliche Kinderspiel" (Heft 1, S. 43), macht uns Herr Opperer auf zwei Kinderspiele aufmerksam, die, wenigstens im Unterlande, auch auf dem Lande bekannt sind und hauptsächlich, von Mädchen gespielt werden, nämlich das "Farbenraten" und das "Brückenspiel".

Beim Farbenraten wählt jedes der beteiligten Kinder eine Farbe oder es werden ihnen von einem „Einsager", gewöhnlich einem älteren oder führenden Kinde, ihre Farben zugewiesen. Dabei kommt es, weil man mit den einfachen Farben sein Auslangen nicht finden würde und um das Raten zu erschweren, darauf an, die einzelnen Farben möglichst abzustufen und genau zu bezeichnen, z. B. Grasgrün, Salatgrün, Himmelblau, Blitzblau, Veilchenblau, Vergißmeinnichtblau, Maikäferbraun, Kästenbraun, Blutrot, Rosenrot, Feuerrot, Goldgelb, Ganslgelb, Katzgrau, Taubengrau, Mausgrau usw. Zwei Kinder machen Engel und Teufel. Auf ein Zeichen der Spielführerin tritt der Engel in den Kreis. Engel (mit recht hoher Stimme): Ging, ging, ging! Sp.: Wer ist draust? E.: Der Engel mit'n goldenen Stab. Sp.: Was mecht er? E.: A Farb. Sp.: Was für oane? Ist nun die von dem Engel genannte Farbe vertreten, so folgt das betreffende Kind dem Engel "ins Paradies"; ist die Farbe nicht vorhanden, muß er leer abtreten und dem Teufel Platz machen. Dieser meldet sich (mit möglichst tiefer Stimme): Gong, gong, gong! Sp.: Wer ist draust? T.: Da Tuifl mit da langen Nasn, tuets Fuia aufblasn. Sp.: Was mecht er? T.: A Farb. Sp.: Was für oane? — Errät er eine vorhandene Farbe, so muß das betreffende Kind mit dem Teufel "in die Hölle" gehen; sonst muß er allein abtreten. Nun tritt wieder der Engel auf und so geht der Wechsel zwischen Engel und Teufel fort, bis alle Farben erraten und alle Kinder im Paradies oder in der Hölle sind. Ist die Spielgesellschaft gemischt, so macht den Engel in der Regel ein Mädchen, den Teufel ein Bub.

An manchen Orten wird das gleiche Spiel mit Vögel- statt Farbennamen gespielt.

Das Brückenspiel, auch "goldene Brücke", "englische Brücke", "faule Brücke", "Steinerbruggn" genannt, geht so vor sich: Zwei Spieler stellen sich einander gegenüber auf und reichen sich die Hände. Sie sind die Brückenpfeiler, welche verschiedene Namen führen: Sonne und Mond, Himmel und Hölle, Engel und Teufel, König und Kaiser, Apfel und Birne, Nudel und Knödel, Zwetschke und Weintraube, Schaumrolle und Indianerkrapfen u. dgl. Die anderen Kinder reihen sich hintereinander, jedes sich am Kleide des Vordermanns festhaltend oder die Hände auf dessen Schultern legend. Wenn sie sich der Brücke nähern, fragt einer von den Pfeilern: (In Mühlau: „Wo kommt ihr her?" Antwort: „Vom schwarzen Meer". „Warum seid ihr so schwarz?" „Weil wir keine Seife haben".) „Was wollet ihr?" „Über die goldene Brücke fahren." „Sie ist zerbrochen." „Wir wollen sie aufbauen." „Mit was?" „Mit Silber, Gold und Edelstein." (In Wörgl: „Was gebt's her dafür?" „Den hintersten Soldaten, wenn's d'n derwischt, mögsen habn.") Nun heben die beiden Pfeiler die Arme hoch, um den Zug durchzulassen, und singen dabei: „So fahrt hinein, so fahrt hinein, der letzte soll gefangen sein." Der letzte des Zuges wird durch Senken der Arme abgeschnitten und hat nun die Wahl, sich für einen der beiden Pfeiler zu entscheiden, hinter den er sich stellt. Sind alle Kinder gefangen, dann bilden die zwei Gruppen je eine Kette und machen eine Kraftprobe nach Art des Tauziehens. Welcher Teil nachgibt oder ausläßt, hat verloren. Daran schließt sich meist noch das Abwägen der Kinder. Diese legen sich einzeln auf die Arme der zwei Brückenpfeiler; die dabei lachen, sind Teufel, die ernst bleiben, Engel.

Dieses Spiel ist mit verschiedenen Abweichungen über ganz Deutschland und darüber hinaus verbreitet, muß also uralten Ursprunges sein. Es sind schon gelehrte Abhandlungen darüber geschrieben und mythologische oder frühgeschichtliche Deutungen versucht worden. Einerseits vermutete man hinter der „goldenen Brücke" die altgermanische Himmelsbrücke, anderseits erblickte man darin eine symbolisierende Erinnerung an einstige Menschenopfer. In England lautet nämlich der Spruch beim Fallen der Arme Zum Abschneiden des letzten Mitspielers: „Hier kommt ein Messer, um abzuschlagen des letzten, allerletzten Menschen Kopf."

Eine interessante Modernisierung des Brückenspieles ist aus München berichtet. Dort wird es unter dem Namen „Fahre-Zug-Spiel" so aufgeführt, daß die zwei durchlassenden Kinder nicht eine Brücke, sondern einen Bahnhof, und die übrigen Kinder einen Eisenbahnzug vorstellen, der in den Bahnhof einfährt unter dem Spruche: „Fahre, Zug! Fahre, Zug! Der letzte muß bezahlen."

Während bei den genannten zwei Spielen gerne auch Knaben mittun, ist das "Tempelhupfen" wohl ein reines Mädchenspiel. Wer hätte nicht schon einmal auf einem der Plätze, wo Kinder zu spielen pflegen, eine Figur in den Boden geritzt gesehen, die einem Rundbogenfenster mit sechs oder acht quadratischen Teilen gleicht. Sie dient dem „Tempelhupfen". Das Spiel besteht darin, daß man ein flaches Steinchen oder einen Scherben nach gewissen Regeln möglichst schnell durch alle Felder der Zeichnung bringt. Zuerst wird das Steinchen der Reihe nach in eines der eckigen Felder geworfen und, auf einem Fuße hüpfend, „hapselnd", zu erreichen und weiter zu schieben versucht, wobei weder Steinchen noch Fuß einen Trennungsstrich, noch auch der zweite Fuß den Boden berühren darf. Nur im „Himmel", das ist das rundbogige Feld, darf man rasten, d. h. auf beiden Beinen stehen. Eine weitere Stufe des Spieles ist das Durchschreiten sämtlicher Felder, wobei das Steinchen auf dem Scheitel, auf einer Achsel, auf der Oberseite eines Fußes u. dgl. liegt und nicht herabfallen darf. Schließlich ist die Zeichnung mit geschlossenen Augen zu durchschreiten. Wer alle diese Aufgaben am glattesten erledigt, der hat den Himmel gewonnen oder „das Reich gekriegt", wie ich in Häusern (Ampaß) sagen hörte. Auch dieses Spiel ist von den Alpen bis an die norddeutsche Wasserkante bekannt, wo es „Hinkspiel" oder „Hinkepink" heißt, wogegen es in Baden „Hopsiglock", in Elsaß „Kirchenfensterli" genannt wird. Bei uns in Tirol ist es mehr ein Spiel der städtischen Jugend, aber, namentlich in der Umgebung von Innsbruck, auch in den Dörfern anzutreffen. Sw.

Quelle: Rudolf Sinwel, Drei beliebte Mädchenspiele, in: Tiroler Heimatblätter, 12. Jahrgang, Heft 11, 1934, S. 442 - 443.