ZEHN DEKA EXTRAWURST, BITTE
Geschichten vom Messen und Wägen


© Harald Hartmann

"Zehn Deka Extrawurst, bitte" oder "Geben sie mir drei Meter von diesem Stoff". Jeder von uns verwendet Maß- oder Gewichtsangaben mehrmals täglich. Wir verwenden im Haushalt für jeden Zweck Messgeräte und nehmen selbstverständlich an, dass ein Kilometer, ein Kilogramm oder eine Sekunde überall das gleiche ist, egal, ob in Wien oder Rom, in Tokyo oder in Santiago. Die Einheiten, die wir verwenden haben sich bei uns so verinnerlicht, dass niemand mehr nachdenkt, woher diese Maße kommen, wie sie entstanden sind, und wie sie überwacht und überprüft werden.

Messgeraete im Haushalt; Harald Hartmann

Messgeräte im Haushalt
© Harald Hartmann, Juni 2010

Das war nicht immer so. Bis vor etwa 250 Jahren galten für Maße und Gewichte, die „greifbaren“ Einheiten, lokale Vorschriften. Die dritte wesentliche Größe, das Maß der Zeit nahm im Laufe der Geschichte eine eigene Entwicklung. Doch davon später.

Länge und Menge

Die "Normgrößen" für Maße und Mengen wurden von der jeweiligen Landesherrschaft festgelegt. Ab dem Mittelalter war es üblich, diese Größe öffentlich aufzustellen und der Allgemeinheit zugänglich zu machen, damit einerseits jeder überprüfen konnte, ob er auch das richtige Maß erhalten hatte und andererseits auch die Händler ihre eigenen Maße danach vergleichen konnten. Einige solcher Maße sind heute noch erhalten. Besonders erwähnenswert sind die beiden Ellenmaße, die aus der Zeit um 1450 stammen und die ältesten noch vorhandenen Maßstäbe Österreichs sind. Die kürzere der beiden Maße, die „Tuchelle“ war mit 0,776 m bis zur Einführung des metrischen Systems in Österreich als Längenmaß gültig.

Ellen am Stephansdom; Harald Hartmann

Ellen am Stephansdom in Wien
© Harald Hartmann, Juli 2008

Die zweite Grundeinheit der Länge war die Klafter. Sie wurde von der Armspanne eines erwachsenen Mannes abgeleitet und betrug in Österreich 1,8965 m

Liesganigsche Klafter; Harald Hartmann

Von P. Josef Liesganig SJ hergestelltes Klafternormal aus dem Jahr 1760
Aufgetragen sind die Wiener Klafter und die Pariser Toise
© Harald Hartmann, Juni 2010

Konnten Längen anhand eines Maßstabes einfach abgelesen werden, so konnte man Mengen auf zweierlei Art messen. Die eine Methode ist die Wägung, hier wird das Gewicht (genauer die Masse) des zu messenden Guts festgestellt, die zweite war die Messung des Volumens mittels eines Hohlmaßes.

Getreide war die wichtigste Abgabe, die von den Bauern der Herrschaft zu entrichten war. Für die Beauftragten der Herrschaft war es viel einfacher, das Zehent mit Hohlmaßen, den Metzen aufschütten zu lassen, als dieses „umständlich“ abzuwägen.

So steht etwa in den alten Rechten der Lehner zu Weinzierl bei Krems (Bestätigungsurkunde von Albrecht II. vom 25. März 1340):

„Si sollen auch auf denselben lehen haben ain rechten metzen und sol den der ambtman inhaben und leichen wer damit verkaufen will und messen hinz ainen halben muth und nicht mehr. wil aber ainer den andern icht getraid leichen, der mag das mit dem selben metzen gemessen wenig oder vil, on gevert. weer aber mehr verkaufen wolt den ainen halben muth, der sol nach del Statmetzen [Anm.: von Krems] senden. möcht er den nicht gehaben, so sol er mit des ambtman metzen messen und sol der stat it recht geben, und sollen des unentgolten sein".

Als zweites Beispiel sei die "Abschrift des bannbuechs so im 1401 aufgericht." erwähnt. Hier steht:

"Item, wir melden daß wir in unserm markt [Anm: Piesting, NÖ] sollen haben metzen emer gewicht und alle maaß als in der Neustatt [Anm.: Wiener Neustadt].
Item, daß die Bäcker ganz und gar bachen sollen in der maß alß in der Neustatt. thut er das nicht, so soll der richter das brodt nehmen und senten auf das hauß oder geben armen leuten."

Die Folge war, dass Maßeinheiten mit dem gleichen Namen ganz verschiedene Mengen bezeichneten.
War zum Beispiel ein Metzen in Kottes (NÖ) nach heutigem Maß die Menge von 48,5 Litern, so enthielt der Kremser Metzen 89,412 Liter, also fast das Doppelte!

Steinmetzen von Kottes; Harald Hartmann

Der Steinmetzen von Kottes, Niederösterreich
© Harald Hartmann, Oktober 2008

Warenmengen, die sich durch Zählen und Messen nicht ermitteln ließen, wurden und werden gewogen. Die Waage eines der ältesten Messinstrumente der Menschheit. Sie ist nicht nur das Symbol des Handels, sie steht auch für Gerechtigkeit, Gleichheit und Unparteilichkeit. Vielleicht liegt die Faszination dieses im Grunde sehr einfachen Instruments darin, dass die Kraft, auf deren Prinzip die Waage beruht, die Massenanziehung, bis heute nicht erklärt werden kann. Auch die heutige Masseneinheit, das Kilogramm ist die einzige Grundeinheit, die nicht auf Naturkonstanten zurückgeführt werden kann. Ein Kilogramm ist heute noch definiert als die Masse des Kilogrammnormals (Urkilogramm) in Paris.

Die älteste nachweisbare Waage stammt aus dem fünften vorchristlichen Jahrtausend aus Ägypten. Eine Stange, an deren Enden Waagschalen gebunden waren, wurde symmetrisch-mittig aufgehängt. Im Laufe der Jahrtausende wurden die Waagenkonstruktionen verfeinert. Die Römer erfanden die ungleichschenkelige Waage, bei der unter Zuhilfenahme des Hebelgesetzes die Masse des Wäggeguts bestimmt werden konnte. Das Grundprinzip der Balkenwaage als Vergleichsinstrument zwischen Messgut und bekannten Massen (den „Gewichten“) hat sich jedoch bis in die neueste Zeit nicht geändert.

Zehentwaage vom Kreuttal; Harald Hartmann

Zehentwaage aus dem Kreuttal,
heute im Museum Hermann Bauch, Kronberg, Niederösterreich
© Harald Hartmann, Juni 2010

Ein bemerkenswertes Exemplar einer solchen Balkenwaage hat sich im niederösterreichischen Weinviertel bis heute erhalten. Es handelt sich um die Zehentwaage aus dem Kreuttal und ist das einzige in Österreich erhaltene Exemplar. Die gut drei Meter hohe Waage ist heute noch verwendungsfähig und hat eine Genauigkeit von weniger als 10 Gramm (vom Autor überprüft).

„Diese Waage spricht das Recht
für den Herrn und für den Knecht
für den Bürger und den Baur
Gott gieb selber lange Daur“

Seit dem Mittelalter galt als Einheit das Pfund. Es wurde von Karl dem Große festgesetzt und betrug 0,4065 kg (pondus caroli). Das Pfund verbreitete sich als Gewichtseinheit in ganz Europa, sein Wert war aber von Stadt zu Stadt verschieden. In Wien hatte ein Pfund bis ins 19. Jhdt. stets den Wert von 0,561 kg. Erst kurz vor der Einführung des metrischen Systems wurde es mit genau 0,560 kg festgesetzt, um die Umstellung zu vereinfachen.

Erst im 18. Jahrhundert wurde unter Maria Theresia in Österreich eine Vereinheitlichung der Maße und Gewichte angestrebt (Maß- und Gewichtsregulierung, Patent vom 14.7.1756). Die Elle zum Beispiel wurde mit der Wiener Tuchelle vom Wiener Stephansdom definiert, als Einheit für den Metzen (das Hohlmaß für Getreide) galt der Stockerauer Metzen.
Das Zimentierungspatent vom 22. August 1777 kann als Beginn des Eichwesens in Österreich angesehen werden.

"Wegen Einführung einer gleichen Maaß und Gewichts, und wegen Hindanhaltung aller Verkürzungen des Publikums wurde verordnet:1. alle, welche nach dem Maasse oder Gewichte kaufen oder verkaufen, oder einen Arbeitslohn darnach einnehmen, oder bezahlen, bloß allein zimentierte Waagen, Gewichte, und Maasse zu gebrauchen, umso mehr verbunden sein sollen, als auch alle k. Ämter und Kassen diesem Gesetze sich unterziehen müssen
....
Die Zimentierung wird in der Stadt Wien und den vor den Linien nahe gelegenen Orten auch für iene, die sanft anher kommen wollen, von dem Zimentierungshauptamte besorgt werden..."

Kornmass Retz; © Harald Hartmann

Kornmaß für 1/4 Metzen(oben gefüllt) und 1/8 Metzen (unten gefüllt)
Der Boden befindet sich auf Höhe des mittleren Reifens. Die Randreifen mussten bündig abschließen
und vernagelt sein, um Missbrauch auszuschließen. Zimentierungsstempel aus dem Jahr 1843
Windmühle Retz, Niederösterreich - © Harald Hartmann, Mai 2010

Das in Wien ansässige "Zimentierungshauptamt" kann also als erster Vorläufer des Nationalen Metrologie-Instituts im Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen als nationale Eichbehörde angesehen werden.
Die wirkliche Umwälzung im Messwesen fand in Österreich im Jahr 1871 statt. Am 23. Juli wurde das Gesetz erlassen "womit eine neue Maß- und Gewichtsordnung festgestellt wird":

"Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrathes finde ich anzuordnen, wie folgt:
Artikel I
Die Grundlage des gesetzlichen Maßes ist das Meter.
Das Meter ist die Einheit des Längenmaßes; aus demselben werden die Einheiten des Flächen- und Körpermaßes abgeleitet.
Das Kilogramm, gleich dem Gewichte eines Kubikdecimeters destillirten Wassers im luftleeren Raume bei der Temperatur von + 4 Grad des hunderttheiligen Thermometers, bildet die Einheit des Gewichtes.
Die Untertheilungen der Maß- und Gewichtseinheiten, sowie deren Vielfache, werden nach dem decadischen Systeme gebildet.
Artikel II
Als Urmaß gilt jener Glasstab, welcher sich im Besitze der k. k. Regierung befindet, und in der Achse seiner sphärischen Enden gemessen, bei der Temperatur des schmelzenden Eises gleich 999.99764 Millimeter des in dem französischen Staatsarchive zu Paris aufbewahrten Metre prototype befunden worden ist.
Als Urgewicht gilt das im Besitze der k. k. Regierung befindliche Kilogramm aus Bergkristall, welches im luftleeren Raume gleich 999997.8 Milligramm des in dem französischen Staatsarchive zu Paris aufbewahrten Kilogramme prototype befunden worden ist.“

Meterprototyp aus Glas; Harald Hartmann

Gläsernes Meterprototyp, von der Hamburger Optikerfirma Johann Georg Rapsold (gegr. 1800) hergestellt
und vom Münchner Physiker Carl August Steinheil (1801-1870) mit dem Pariser Prototypen verglichen.
Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, Wien
© Harald Hartmann, Juni 2010

Kilogrammnormal aus Bleikristall; Dr. Michael Matus

Das Original des Kilogramm-Prototypen aus Bergkristall ist verschollen.
Das abgebildete Kilogramm-Normal im Besitz des Bundesamts für Eich- und Vermessungswesen, Wien
wurde ebenfalls aus Bergkristall von Hermann Stern aus Oberstein a. d. Nahe 1873 hergestellt.
© Dr. Michael Matus, Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, Februar 2009

Ein Meilenstein für die internationale Durchsetzung des metrischen Systems war der 18. Mai 1875:
Österreich unterzeichnet mit 17 weiteren Ländern die Meterkonvention, ein Abkommen, das die Ausbreitung des metrischen Systems fördern sollte. Die 18 Gründungsmitglieder waren Argentinien, Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Italien, Norwegen, Österreich-Ungarn, Peru, Portugal, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei, USA u. Venezuela.
Dabei wurde auch das Internationale Maß- und Gewichtsbüro (BIPM) und deren Generalkonferenz für Maß und Gewicht (CGPM) gegründet. Diese beiden Institutionen sind bis heute für die Standardisierung des internationalen Einheitensystems SI (Système international d’unités) zuständig.

Anmerkung: Die Begriffe „Masse“ und „Gewicht“ können in diesem Artikel aufgrund der historischen Betrachtung textlich nicht immer streng getrennt werden. Während die Masse eine unveränderliche Grundeigenschaft jeden Körpers ist, versteht man unter Gewicht eine Wechselwirkung, nämlich die Kraft, die von einem Körper auf einen anderen ausgeübt wird. Im heutigen Messwesen werden ausschließlich Massen verglichen (gewogen)

Die Zeit

Seit Urzeiten war die Zeit für die Menschen eine unbeschreibbare aber alles beherrschende Macht. Der helle Tag und die finstere Nacht bestimmen seit jeher das Leben der Menschen. Ein Tag, genauer, der mittlere Sonnentag ist das grundlegende, älteste Naturmaß der Menschheit. Bereits im Altertum wurden die Tagzeit und die Nachtzeit in je zwölf gleichlange Stunden geteilt. Die Länge dieser „Antiken Stunden“ oder „Temporalstunden“ änderte sich mit der Jahreszeit. Im Sommer waren die Nachtstunden länger als die Tagstunden, im Winter war es umgekehrt. Gezählt wurden die Stunden ab Sonnenaufgang. So war z.B. die die sechste Stunde die Mittagsstunde.

Meterprototyp aus Glas; Harald Hartmann

Eine der ältestenSonnenuhren Österreichs:
"Eine "kanonische" Sonnenuhr (mit ungleich langen Stunden)
an der romanischen Kirche von Schöngrabern, Niederösterreich.
© Harald Hartmann, September 2005

Die von den Römern geschaffene Einteilung des gesamten Tages in 24 Stunden verbreitete sich ab dem zweiten Jhdt. über ganz Europa. Die Astronomen arbeiteten jedoch bereits damals mit 12 gleich langen Stunden, die in je 60 Minuten zu 60 Sekunden geteilt wurden. Astronomische Forschung und wissenschaftliches Arbeiten wäre anders auch nicht möglich gewesen.

Im 14. Jhdt., mit dem zunehmenden Handels- und Reiseverkehr und dem Aufkommen von Räderuhren wurde es notwendig, den Tag in gleich lange Teile zu teilen. Der Zeitraum zwischen zwei unteren Meridiandurchgängen der Sonne, ein „Wahrer Sonnentag“ besteht aus zwei mal zwölf gleich langen Stunden.
Von einer Regelung in Zeitzonen war man bis ins Ende des 19.Jhdts. weit entfernt. 1837 wurde die erste Bahnlinie eröffnet und der Eisenbahnverkehr bekam immer größere Bedeutung. Dennoch ist es fast unglaublich, dass in einem so großen Staatsgebilde, wie der Österreichisch-Ungarischen Monarchie noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im bürgerlichen Leben die Ortszeit maßgeblich war. So lässt sich aus einer Kundmachung des Finanzministeriums vom 14. Jan. 1894 ersehen, dass bis dahin noch die (wahre) Ortszeit maßgeblich war.

Um 1870 gab es für den Eisenbahnverkehr für Deutschland noch 76 Zeitzonen, während es in Österreich-Ungarn „nur“ sechs waren (Lindauer, Münchner, Linzer, Prager, Lemberger und Budapester Zeit) diese Unterschiede mussten durch längere Aufenthalte in den Bahnhöfen ausgeglichen werden. Zur Verdeutlichung sei erwähnt, dass Lindau am 10. und Lemberg am 24. Längengrad liegt, was zu einer Zeitdifferenz von fast einer Stunde führt. Erst am 1. Oktober 1891 wurde im Eisenbahnwesen die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) eingeführt.

Meterprototyp aus Glas; Harald Hartmann

Unser Leben wird heute von Altlengbach bis Wellington von der Uhr beherrscht ...
© Harald Hartmann, September 2005

Heute gilt nach einigen nur messtechnisch und physikalisch interessanten Zwischenschritten als Zeiteinheit die Sekunde, definiert als "Dauer von 9 192 631 770 Schwingungen der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes des Cäsiumatoms-133 entspricht" und als Zeitbasis die "Universal Time Coordinated" (UTC). Sie ist in der Tageslänge der Erdrotation angepasst, wobei Schwankungen derselben durch Schaltsekunden angepasst werden.

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Quellen:
Universität Heidelberg: Deutsches Rechtswörterbuch-Kaiserl. Akademie d. Wissenschaften, NÖ Weisthümer, Bd. III, Wien, 1909
Karl Ulbrich, Hundert Jahre metrisches Maßsystem in Österreich, Wien, 1972
Sammlung aller k.k. Verordnungen und Gesetze vom Jahre 1740 bis 1780, Bd. VI, Wien 1786
Bundesgesetz vom 5. Juli 1950 über das Maß- und Eichwesen (Maß- und Eichgesetz - MEG), BGBl. Nr. 152/1950, i.d. 2010 g.F.
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