Ostern in Russland, Teil 1
© Oksana Fedotova

Ostern ist das wichtigste Fest der orthodoxen Kirche, man nennt den Ostersonntag im Volk „Zar der Tage“ oder „Fest der Feste“.

Ostern in Russland © Oksana Fedotova

Osterei auf einem Birkenzweig, Ausstellungssaal des Plotnikowa-Hauses, Archangelsk
© Oksana Fedotova, April 2006


Alle christlichen Völker Russlands bereiteten sich feierlich auf den heiligen Tag vor. Nach einem alten Volksglauben wandert Jesus Christus zu Ostern auf der Erde und kommt zu den Menschen in Gestalt eines Wanderers oder eines Bettlers, um das menschliche Erbarmen zu prüfen. Darum hat man zu Ostern immer viel Festessen zubereitet, damit jeder Mensch, der ins Haus kommt, etwas bekommt. Besonders sorgte man sich früher an Ostertagen für die Kranken und Armen.

Die Menschen glaubten auch, dass die guten Taten, die für andere Menschen, besonders für arme und unglückliche, gemacht werden, helfen die Sünden zu tilgen. Viele sammelten darum Geld, um Schuldner aus dem Gefängnis loszukaufen. Die wohlhabenden Leute schickten das Almosen den Häftlingen in die Gefängnisse. Die Bäckereien bekamen Aufträge von Spendern, tausende von Brötchen für arme Menschen zu backen.

Die letzte Woche vor Ostern heißt in Russland die Große Woche. Während dieser Woche bis Ostersonntag sollen die Gläubigen besonders streng fasten.

Der Donnerstag der vorösterlichen Woche wurde im Volk der Grosse oder Saubere Donnerstag (Чистый четверг) genannt.

Alle Bräuche dieses Tages waren mit dem Wunsch verbunden, sich und das Haus von Winterschmutz und dem Bösen zu säubern, den Krankheiten und dem Unglück zu begegnen.

Nach einem alten Brauch sollte man an diesem Tag noch vor Sonnenaufgang aufstehen und sich auf die Arbeit machen – die Häuser wurden sorgfältig aufgeräumt und mit bunten Teppichen, Gardinen und Handtüchern geschmückt.

An diesem Tag wurden die Ostereier gefärbt und Osterkuchen gebacken. Dazu zählen vor allem die Osterkuchen Kulitsch (Кулич) und Pascha (Пасха – “Ostern” auf Russisch).

Unabhängig vom Wetter gingen die Menschen zum Fluss und tauchten ins Wasser, auch wenn es immer noch Eis am Fluss gab. Die Berührung mit dem Wasser sollte ihnen Gesundheit und Kraft bringen. Die Banja (das russische Dorfbad) war auch eine traditionelle Prozedur an diesem Tag, und auch unbedingt vor Sonnenaufgang.

In den Dörfern wurde am Sauberen Donnerstag das so genannte “Donnerstagssalz” zubereitet – dazu wurde einfaches Salz in einen Lappen eingewickelt, im Ofen gebacken und dann als Heilmittel für Menschen und Vieh gebraucht.

Ein gutes Heilmittel war auch die Donnerstagskerze. Als eine solche konnte aber nur diejenige Kerze gelten, die beim Lesen wenigstens 3 Auszügen brannte (In der Kirche werden am Donnerstag 12 Auszüge aus 12 Evangelien gelesen). Die Donnerstagskerze legte man einem sterbenden Menschen in die Hand und stellte vor der Ikone bei einer komplizierten Entbindung. Ein besonderes Glück hatte einer, der mit dieser Kerze den Weg von der Kirche bis zu seinem Haus machen konnte, ohne sie zu löschen. 

Viele dieser Bräuche werden auch im heutigen Leben aufbewahrt, die Menschen gehen heute in die Kirche, räumen ihre Wohnungen auf, färben Ostereier, backen Osterkuchen und baden.

Volksglauben und Bauernregeln dieses Tages
:

Wenn man am sauberen Donnerstag das Haus sauber gemacht hat, wird es auch im Jahr im Haus sauber sein.
Wer am Grossen Donnerstag schnell und leicht aufsteht, wird auch im ganzen Jahr früh aufstehen.
Wenn es an diesem Tag kalt ist, werden die nächsten 7 Wochen auch kalt, dasselbe gilt für den Regen.
Wie das Wetter am Sauberen Donnerstag ist, so wird auch das Wetter am Himmelfahrtstag sein.
Im Zentralen Russland und im Norden sammelte man während der Großen Woche in Dörfern Wacholderzweige, verbrannte sie und beräucherte damit das Innere des Hauses, den Viehstall, die Scheune. Man glaubte, der Wacholderrauch schützt die Menschen und Tiere vor bösen Geistern und Krankheiten.

Das Osterfest ist ohne Ostereier nicht vorstellbar (vielleicht soll man auch gleich sagen, dass wir keinen Osterhasen haben, der die Ostereier bringt und versteckt). Die slawischen Völker, die sich taufen ließen, assoziierten das Ei mit Fruchtbarkeit der Erde, mit dem Frühlingswiederaufleben der Natur.

Ostern in Russland © Oksana Fedotova

Komposition "Beginn". Ausstellungssaal des Plotnikowa-Hauses, Archangelsk
© Oksana Fedotova, April 2006


Der Brauch, zu Ostern die gefärbten und geschmückten Eier zu verschenken, ist wirklich uralt. Eier als Symbole des erneuten Lebens werden in verschiedene Farben gefärbt, mit  verschiedensten Motiven bemalt.

Der Brauch, die Eier zu färben, ist zu uns aus den heidnischen Zeiten gekommen. Die Auferstehung Christi fiel auf die Tage des Frühlingsfestes, wenn die Menschen die Sonne als Symbol der Lebenserneuerung nach dem langen Winter preisten. Darum wurden die Eier ursprünglich nur in rote  („jariy“) Farbe gefärbt, denn diese Farbe identifizierte man mit der Sonne („Jarila“ – Sonne in der slawischen Mythologie).

Mit der Zeit entwickelte man viele Methoden, wie man die Eier färben, bemalen oder auch anders schmücken kann. Die Eier wurden z.B. früher in nördlichen Dörfern oft mit bunten Wollfäden umgewickelt und so gekocht, um bunte Farben zu erreichen.

Es gab auch besondere Bezeichnungen für gefärbte (крашенки vom Wort красить – “färben“) und bemalte (писанки – abgeleitet von расписывать – „mit Muster verzieren“) Eier. Traditionelle Farbe der Ostereier bleibt aber rot, dafür werden die Hühnereier mit Zwiebelschale gefärbt. 

Für besonders faule Menschen sind heute verschiedenste Aufkleber und auch seit ein paar Jahren in Archangelsk beliebte Thermo-Aufkleber im Verkauf:

Ostern in Russland © Oksana Fedotova

Ostereier, mit Zwiebelschale gefärbt und Thermo-Aufkleber verziert.
© Oksana Fedotova, April 2006

Es gibt aber mehrere verschiedene Legenden, die den Brauch des Eierfärbens und des Eierschenkens zu erklären versuchen.

Eine Legende sagt, dieser Brauch entstand dank dem Gespräch von Maria Magdalena mit dem römischen Kaiser Tiberius. Sie gab ihm ein Ei und rief: „Christus ist auferstanden!“ Der Kaiser zweifelte daran, dass ein Sterblicher von den Toten auferstehen kann. „Es ist genau so unmöglich, als wenn dieses weiße Ei jetzt rot würde!“ Im nächsten Augenblick wurde das Ei rot.

Eine mehr rationale Erklärung: Früher durfte man während der 40-tägigen Fasten keine Eier essen. Die Hühner aber wollten das nicht akzeptieren und legten ihre Eier ruhig weiter. Diese Eier musste man irgendwie aufbewahren, darum wurden sie gekocht. Und um rohe und gekochte Eier später nicht zu verwechseln, legte man ins Wasser beim Kochen verschiedene Pflanzen und so wurden die Eier gefärbt.

Nach einer anderen Version wird dieser Brauch mit dem Namen des römischen Kaisers Mark Aurel (121-180 u. Z.) verbunden. An dem Tage, wo er geboren wurde, hat ein Huhn seiner Mutter ein Ei mit roten Flecken gelegt, und das wurde als Vorzeichen der Geburt des zukünftigen Kaisers interpretiert. Seit 224 wurde es bei den Römern zu einem Brauch, einander als Geschenke die gefärbten Eier zu geben. Die Christen haben diesen Brauch aufgenommen, ihm aber einen anderen Sinn unterlegt: rote Farbe hat eine besondere Kraft, gilt als Symbol für  Blut und Leiden Christi.

Auf der alten Vorstellung, dass das Ei ein Symbol für das erneute Leben ist, beruhen bei verschiedenen Völkern viele Bräuche. In Russland z.B. wurde in manchen Gegenden ein Ei in das Fundament gelegt, damit die Arbeit den Bauarbeitern gut gelingt und das Glück die künftigen Hausbewohner nie verlässt.

Dem geweihten Ei wurden wirklich die magischen Eigenschaften zugeschrieben. Die Menschen glaubten, dass ein Osterei im Privatleben helfen kann. Es konnte auch dabei helfen, das vermisste Vieh im Wald zu finden oder einen Brand zu löschen.

Ostern in Russland © Oksana Fedotova

Alte Osterkarte, Anfang des 20.Jh .  Ausstellungssaal des Plotnikowa-Hauses, Archangelsk
© Oksana Fedotova, April 2006

Der Ostergottesdienst wird durch eine besondere Feierlichkeit gekennzeichnet.
Die Geistlichen ziehen ihre beste Kleidung an, alle Lichter werden angezündet, alles in der Kirche funkelt. Das macht einen starken Unterschied zum Stand der Kirche während der 40 Tage Fasten, in der Zeit werden der Altar und alle Fenster in der Kirche mit schwarzen Gardinen zugedeckt als Symbol der Trauer.

Der Gottesdienst beginnt um etwa halb 12 am Abend vor Ostersonntag und dauert bis drei Uhr morgens. Die Besonderheit der orthodoxen Kirchen besteht darin, dass es da nur sehr wenige oder überhaupt keine Sitzplätze gibt. Die Gläubigen müssen sich also viel Mühe geben, um das mehrstündige Stehen durchzuhalten, aber trotzdem sind alle Kirchen in der Osternacht voll.

Gegen Mitternacht geht der Geistliche mit den Gläubigen im Kreuzgang um die Kirche, viele halten angezündete Kerzen in der Hand und daher sieht die Prozession sehr feierlich aus. Das Evangelium, die Flaggen und die Ikone der Auferstehung Christi werden auch in diesem Gang mitgeführt. Danach wird der Gottesdienst in der Kirche fortgesetzt.

Die Ostereier und Osterkuchen werden auch gesegnet.

Am Ende der Liturgie wird Artos (griech. für “Brot”) geweiht, der dann im Laufe der Hellen Woche zusammen mit der Ikone der Auferstehung vor dem Altar liegt. Am Hellen Samstag (erster Samstag nach Ostern) wird der Artos zwischen den Gläubigen verteilt.

Die Zeit des Ostergottesdienstes galt früher als die gute Zeit für einige magische Handlungen. So gaben sich in der Osternacht die Diebe Mühe, um den Gläubigen etwas zu stehlen, um sich das ganze Jahr sicher zu fühlen. Die Jäger schossen beim Aufruf „Christus ist auferstanden!“ neben der Kirche in die Luft und glaubten dabei, dass sie nie das Ziel verfehlen. Die Fischer sagten bei denselben Worten vor sich hin: „Und ich habe den Fisch“, was ihnen volle Netze garantieren sollte. Es bestand im Volk folgende Meinung: weil Ostern das größte christliche Fest ist, freuen sich auch die obersten Mächte darüber und sind darum bereit, alle beliebigen Wünsche jedes Christlichen zu erfüllen. Die jungen Mädchen wandten sich also an den Gott mit der Bitte, ihnen gute Männer zu schicken.

Es war irgendwann eine große Sünde, den Ostergottesdienst zu verschlafen. Als Strafe wurden diese Menschen am nächsten Tag mit Wasser übergossen, die Synode musste 1721 sogar ein Gesetz erlassen, das verbot, „nach dem alten abergläubischen und schädlichen Brauch die Menschen mit Wasser zu übergießen, die bei der Frühmette nicht anwesend waren“. So ein Mensch riskierte aber, das ganze Jahr unglücklich zu sein.

Am Ostersonntag feiern die Menschen die Helle Auferstehung Christi, im Familienkreis und mit den Freunden. Alle Gläubigen begrüßen sich an diesem Tag mit den Worten „Christus ist auferstanden!“. Der andere muss antworten „Fürwahr, er ist auferstanden!“ Darauf folgt die Verschenkung der Ostereier und kleiner Ostergeschenke und Ostersouvenirs (Eier aus Holz, Stein, Schmuckkästchen in Form eines Eis usw.), was heute doch keine so verbreitete Erscheinung ist, wie es z.B. im 19.Jh der Fall war. Heute werden den Freunden und Verwandten hauptsächlich gefärbte Eier bei Osterbesuchen geschenkt.

Ostern in Russland © Oksana FedotovaOstern in Russland © Oksana Fedotova

Osterei – Souvenir aus Holz, mit Mesen-Muster verziert.
(entstand im Dorf Paloshelje am Ende des 19.Jh., Archangelsker Gebiet, zählt zu unseren bekanntesten nördlichen Mustern)
© Oksana Fedotova, April 2006

Der alte Brauch „Ostereierstoßen“ lebt auch immer noch, und ist in mehreren Ländern bekannt: zwei Spieler, jeder mit einem hartgekochten Ei in der Hand, versuchen beim Zusammenstoßen der Eier die Schale des anderen Eis zu zerbrechen. Derjenige siegt, dessen Ei unversehrt bleibt. 

Ostern in Russland © Oksana Fedotova

Ostern in Russland © Oksana Fedotova

Ostereier zum Verschenken, Ende des 19.-Anfang des 20.Jh.
Ausstellungssaal des Plotnikowa-Hauses, Archangelsk
© Oksana Fedotova, April 2006

weiter zu: OSTERN IN RUSSLAND, Teil 2

Zurück zur Übersicht: Volkskundliche Berichte aus Russland

Für Fragen und Vorschläge benutzen Sie ausschliesslich das Thema Russland in unserem Forum.
Вопросы и предложения принимаются только в теме Россия на нашем форуме.
Für kommerzielle Anfragen erreichen Sie Frau Fedotova nur über den Webmaster.

© Oksana Fedotova, 2006. Alle Texte und Bilder sind urheberrechtlich geschützt!
© Oksana Fedotova, 2006. Все тексты и фотографии защищены авторскими правами.