Weidensonntag in Russland
© Oksana Fedotova
Der Sonntag vor dem russischen Osterfest ist Palmsonntag. Wir haben zwar keine Palmen, dafür aber Weiden, und der Palmsonntag heißt in Russland schon seit langer Zeit Weidensonntag.
Weiden
© Oksana Fedotova, 16. April 2006
Die Weide symbolisiert in der russischen Volkskultur Gesundheit, Lebenskraft und Fruchtbarkeit, vielleicht weil es der erste Baum ist, der nach dem langen russischen Winter aufwacht.
Mit Weidenzweigen sind die Kirchen an diesem Tag geschmückt, die Weidenzweige werden auch in der Mette geweiht.
Die junge Weide, besonders diejenige, die am Weidensonntag in der Kirche geweiht wurde, schützt im Volksglauben vor bösen Geistern (diese magische Eigenschaft wurde der Weide schon in vorchristlicher Zeit zugeschrieben), Krankheiten, während die alte Weide als das Versteck der Teufel, Wassergeister (die Weiden wachsen an Gewässern) gilt. Man legte darum in Bauernhäusern früher die geweihten Weidenzweige hinter die Ikonen, wo sie bis zum nächsten Weidensonntag lagen und das Haus und seine Bewohner schützten.
Die Weide wurde auch als Schutz gegen Donner, Gewitter und Sturm benutzt.
Man glaubte, dass gegen Wind geworfene Weidenzweige den Sturm bändigen können. Man warf die Weidenzweige auch auf die Felder, damit sie die Saat behüteten.
Weiden
© Oksana Fedotova, 16. April 2006
Als magisches Heilmittel ist die Weide schon lange bekannt. Man gürtete sich bei Feldarbeiten gegen Rückenschmerzen mit Weidenzweigen um. Das kranke Vieh wurde mit Weide beräuchert. Die zu Pulver geriebene Weide diente als Heilmittel gegen Wunden. Die Weide legte man auch ins Wasser, in dem man kranke Kinder gebadet hat.
Ein kranker Mensch konnte seine Krankheit einer Weide übergeben: er gürtete sich zuerst mit Stroh um, ging dann heimlich zu einer jungen Weide und band seinen Strohgürtel um den Steig. Der Baum trocknete ein, die Krankheit ging weg.
In der slawischen Folklore und im Volksglauben hat die Weide mit Zauber zu tun. Es gibt Erzählungen über eine Zauberpfeife, die aus einer Weide gemacht werden kann, die im tiefen Wald wächst. Mit Hilfe von dieser Pfeife kann man einen traurigen Menschen aufheitern, einen Menschen tanzen lassen, der nie vorher getanzt hat, einen Dieb entlarven usw.
Weidenkätzchen
© Oksana Fedotova, 16. April 2006
In einigen Regionen Russlands schluckte man auch die Weidenkätzchen, um sich vor Krankheiten zu schützen.
Weidenkätzchen in Archangelsk, Russland
© Oksana Fedotova, 16. April 2006
Mit Weidenzweigen schlug man am Weidensonntag auch die Familienglieder, besonders die Kinder, und man sprach dabei: „Rote Weide, schlag bis Tränen kommen, sei gesund!“ oder „Sei groß wie die Weide, gesund wie das Wasser und reich wie die Erde!“ Der Sinn dieses Brauchs bestand darin, dass der Mensch Kraft, Gesundheit und Schönheit von dem blühenden Baum bekommt. Dieser Brauch lebt immer noch, ich habe es als Kind auch ein paar Male erlebt. Die Bauern in Dörfern schlugen auch das Vieh mit Weidenzweigen, damit es gesund bleibt.
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