Ein Märchen von einem, der keine Märchen erzählen kann.
Drei Dinge gehören zu einem Märchen: Schönheit, Unschuld,
Vergangenheit.
Solche Märchen dichtet auch die Natur, und ich will versuchen, ihr
eines nachzuerzählen. Freilich habe ich den Kinderlaut nicht, mit
dem sie zu erzählen gewohnt ist ... Aber ich will es doch versuchen.
Mein Märchen heißt: Maria am Stein.
Es war einmal auf einem hohen Felsen, der über einen See ragt, ein
stolzes Schloß mitten im Walde . . . jetzt habe ich schon den Märchenton
verloren. Das Schloß steht noch auf dem Felsen am See im Walde ...
es ist das Schloß Stein, das ein Jahrtausend gesehen hat.
Aber das Schloß ist schweigsam, es erzählt. nicht viel aus
seinen ältesten Zeiten, nur von einem wundersamen Madonnenbilde,
das aus Spanien stammte, weiß es zu berichten.
Vor alten Zeiten beteten die Herren der Burg Stein zu einem holzgeschnitzten
Muttergottesbilde in der Schloßkapelle. Das ist so lange schon her,
daß die Namen der frommen Ritter niemand mehr weiß. Später
beteten die von Freundsberg, dann die von Ilsung, deren einer, Friedrich,
die Burg an den Freiherrn v. Schurs 1587 verkaufte. Nur eines wollte der
Ilsunger mitnehmen in die Kaufmannstadt Augsburg, und das war das kleine
Marienbild . . . Aber die Muttergottes liebt so manches schöne Plätzlein
dieser Erde, und Du hast gewiß oft schon gehört, daß
sie zurückkehrt auf wunderbare Weise zu dem Ort, den sie einmal erkoren.
Der hohe Felsen über dem waldumschlossenen See war ein solcher Platz
- in der Patrizierstadt, wo die Menschen so viel auf das Geld dachten,
gefiel es der Muttergottes nicht, ihr war der stille, kahle Stein im Inntale
lieber; d'rum verschwand sie aus der Augsburger Kapelle und war plötzlich
wieder an ihrem lieben Stein. Ein Bote brachte dem Ilsunger Herrn Kunde
von dem Wundersamlichen, so zu Stein geschehen. Der zu Augsburg aber ließ
das teure Bild neuerdings in die Lechstadt holen - aber, o Wunder, das
Bildnis hing wieder in der Schloßkapelle zu Stein. Der Muttergottes
muß man ihren Willen lassen, dachte sich der Ilsunger, sonst ist
kein Segen beim Werk, und also verblieb das Bild in Stein und die Burg
erhielt den Namen Maria am Stein oder
Mariastein. Bald zogen viele Bresthafte und Bekümmerte zu dem Wunderbilde
und wurden von ihren Leiden geheilt. Insbesondere Frauen, so in anderen
Umständen waren, schenkte Maria am Stein ihre Hilfe, wie so manche
Votivtafeln an den Wänden der Turmstiege und in der Kirche darstellen.
Aber davon will ich später noch erzählen .... ich aber bin schon
wieder aus dem Märchenton herausgekommen. Will's noch einmal versuchen,
denn Mariastein weiß uns aus alten Zeiten noch Anderes zu erzählen.
"Es war einmal" . . . aber es geht nicht so und ich muß
wieder anders anfangen, als das Märchen will. Ein kleines, auf einem
Felsen stehendes Türmchen, das man das Teufelstürmchen nennt,
und zwar - jetzt geht es! - horcht Kinder, es beginnt das Märchen:
Vor alten, alten Zeiten war in dem Turme ein Teufelchen. Nicht ein leibhaftiges,
sondern ein hölzernes, geschnitztes, das aber mit seinen Klauen,
seiner roten Zunge, feinen schrecklichen Augen, den gebogenen Hörnern
und dem zottigen Schweife nicht weniger fürchterlich aussah, als
der Gottseibeiuns in eigener Gestalt. Kinder, wenn Ihr das Teufelchen
gesehen hättet, da hättet Ihr Euch schön gefürchtet
und wär't wohl das ganze Jahr so brav gewesen, wie Ihr sonst nur
die letzten acht Tage vor Weihnachten seid. In denselben alten Zeiten
lebte im Tale auch eine Bäuerin, die recht böse, ungezogene
Kinder hatte. Deshalb machte sie eine Wallfahrt nach Mariastein, damit
die Muttergottes die Kinder wieder brav und folgsam mache. Dabei kam sie
auch in's Teufelstürmchen und sah das entsetzliche Teufelchen.
"Das nehm' ich mit, vor dem Klaubau werden sich die Kinder wohl fürchten",
dachte sich die Bäuerin und trug das Teufelchen unter dem Schurz
durch den Wald ab zum Fluß, an dessen Ufer eine Fähre stand
und ein Fährmann wartete. Der fragte sie, was sie denn unterm Fürtuch
trage. Da zeigte es ihm die Bäuerin und sagte ihm auch, warum sie
es mitgenommen habe. Aber der Fährmann wollte sie nun nicht überführen,
wenn sie den Teufel nicht wegtue, denn er wolle nicht den Teufel im Schiff
haben, weil das ein Unglück gäbe. Da keine Bitten halfen, warf
die Bäuerin das Teufelchen in den Fluß, der es schnell mit
sich forttrug. Der Fährmann brachte die Frau an's andere Ufer. Über
am nächsten Tage stand das Teufelchen im Turme auf seinem Platze,
und wenn es nicht selber fortgegangen ist, steht es noch dort.
"Und die Kinder der Bäuerin? Sind die brav geworden?"
Oh weh', jetzt Hab' ich geglaubt, ich hab's diesmal getroffen und den
Kindern ein richtiges Märchen erzählt. Und jetzt ist's den Kindern
wieder nicht recht, weil ich das Wichtigste vergessen habe. Ja, die Kinder
müssen alles wissen .... ich
aber weiß wirklich nicht, ob die Kinder der Bäuerin brav geworden
sind.
Ja freilich, Kinder, viel braver als ihr! Ja, was meint Ihr denn, die
Muttergottes kann keine Kinder brav machen? Und wißt Ihr auch, warum
das Teufelchen fortschwimmen mußte? Nein? Nun, weil die Muttergottes
zum Kinderbravmachen keinen Teufel braucht, der ihr hilft. So, jetzt wißt
Ihr's, und werdet auch brav wie die Bauernkinder!
Es ist eine merkwürdige Äußerung der Volksseele, daß
sie an einer Stelle zwei
Sagen mit ganz demselben Aufbau bildet, die eine als Umkleidung des guten
und die andere als die des bösen
Prinzips zugleich, der ich vorläufig eine Deutung nicht geben kann.
Die Sagen über an dieselbe Stelle zurückkehrende Gnadenbilder
finden sich überhaupt häufig in Tirol. Ob ebensolche über
Ungnadenbilder auch Verbreitung haben,
oder obig erzählte eine Ausnahme bildet, ist mir unbekannt.
Um Gottes willen! .... Jetzt war' mir gar bald der Mythologe ausgekommen.
Das paßte noch schön zum Märchenerzählen! Heut' hab'
ich überhaupt kein Glück mit dem Märchenerzählen ....
aber ich will's noch einmal probieren, denn aus dem alten Gemäuer
raunt es mir noch allerhand zu, diesmal von einem Teufel, aber nicht mehr
von einem hölzernen, sondern von dem leibhaftigen, der uns nie in
seine feurigen Krallen kriegen soll.
Also horcht, Kinder:
Es war einmal - jetzt geht's wieder! - ein böser, böser Ritter,
der eine gute, fromme Mutter hatte. Dieser Ritter spielte, daß der
Tisch krachte, fluchte, daß die Wände zitterten, soff, so viel
nur in ihm Platz hatte, und fürchtete gar nichts, nicht einmal den
lieben Herrgott, den er fast vom Himmel herablästerte. Seine Mutter
sagte ihm freilich, daß seine Strafe schon einmal kommen werde und
des Gottes Mühlen langsam, aber sicher mahlen. Der Ritter aber lachte
sie einfach aus. Und es war in der Christnacht, da zogen von Nah und Fern
Lichtlein durch den Wald zur Kirche. Das waren die frommen Bauern der
Umgebung, die zur Weihnachtsmette zogen. Der Ritter aber soff und spielte
mit zwei Zechgenossen, als die Mutter vor zwölf Uhr eintrat und ihn
bat, in die Mitternachtmesse zu gehen. Aber da kam sie schön an,
da sauste die Faust auf den Eichentisch, daß die Becher klirrten
und die arme Frau erschrak und sich schnell entfernte. Auch den beiden
anderen Rittern war nicht wohl bei dem wüsten Treiben, beim gottlosen
Würfelspiel und dem schandbaren Trinken in so heiliger Stund', jedoch
sie getrauten sich nicht, eine Dreinrede zu tun, da sie den wilden Kämpen
schon kannten. Aber der Ritter hatte kein Glück mehr mit dem Würfelbecher;
um so mehr sprach er dem anderen Becher zu, und gerade als es zwölf
Uhr schlug, tat der Schloßherr einen unglücklichen Wurf, Von
Wut erfaßt, stieß er nun eine schreckliche Lästerung
über das Kind, das in der Kirche drüben in der Krippe lag, aus.
Da brach aber ein furchtbarer Sturm los, daß das ganze Schloß
zitterte und die Berge brüllten.
Das Fenster flog auf und herein schoß grimmig der böse Feind
und ergriff den Ritter und führte ihn durch die Luft mit sich. Wohin,
das wißt Ihr schon, Kinder. Am nächsten Tage sah man die ganze
Schloßmauer mit Blut bespritzt. Die beiden anderen Ritter hatten
aber genug gesehen und besserten sich.
Nun ist's aber auch genug, Kinder, für heut', nun heißt's nach
Hause geh'n.
Quelle: Anton Renk, Kraut und Ruebn. Kleine
Geschichten aus Tirol. Linz 1904, S. 13 - 20.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, September 2005.
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