Schutzengeltränen.

Diese Geschichte spielte damals — Aber halt! Da muß ich zuerst noch einmal recht tief Atem schöpfen, denn diese in der Einleitung unterzubringende Zeitbestimmung wird gar langwierig und schwierig, und zwar um so schwieriger, als in der Einleitung mehr erzählt werden soll als in der Geschichte selber.

Also, das war damals, als auf den hohen Almen die Gentianen blühten, eine Woche, nachdem der alte Habakuk, dessen Vorfahren vor Jahrtausenden in Aegypten Ziegel schupften, durch's Tal gezogen war — das war damals, als die Wilderer und die Forstgehilfen einander nicht leiden mochten und sich tratzten, wo sie nur konnten, doch war es aber noch einige Jahre vor der denkwürdigen, seltsamen Weihnachtsbescherung, von der wir noch erzählen werden, und das war damals, als der heilige Schutzengel Tränen weinte und die schwarze Moid noch ledig war.

Daß die schwarze Moid noch ledig war, muß gesagt werden und hat seine historische Bedeutung, denn die Moid war dabei und spielte die Intrigantenrolle — und daß sie nicht mehr ledig ist, da kann ich nicht dafür, denn sonst wäre ja eben ich nicht mehr ledig und frei.

Daß der heilige Schutzengel damals geweint hat, kann haarscharf bewiesen werden, und zwar durch die Schutzengeltränen und durch die schwarze Moid, welche, nachdem alles geschehen war, was in dieser Geschichte erzählt werden soll, die Schutzengeltränen in dem Hohlmaße eines Liters auf den Gasthaustisch vor die Dürstenden hinstellte.

Die Schutzengeltränen hinwiederum hängen sehr eng mit Gentianen auf den hohen Almen zusammen — denn es war echter Enzeler, was man also hieß.

Um die Flasche herum saßen die Bauernburschen und der Forstgehilfe. Erstere fanden an dem Enzeler besonders zu loben, daß er echt war, und vor allem, daß er nichts kostete — wenigstens für sie nichts kostete.

Weniger einverstanden mit dieser Kostenlosigkeit schien der Forstgehilfe zu sein, welcher mit bitterbösem Gesichte am Tische saß. Die Bauernburschen trugen zumeist graue Hüte auf dem Kopfe, welche wieder mit dem alten Juden Habakuk, der vor einer Woche durchs Tal gezogen war, in nahem Zusammenhange stehen. Die Bauernburschen hatten die Hüte am Kopfe, weil das Hutaufhängen dazumal im Zillertaler Wirtshaus noch nicht Brauch war, der Forstgehilfe trug keinen grauen Hut am Kopfe — nicht weil er viel gebildeter sein wollte als die anderen, — sondern weil — nun ja, warum, das werden wir bald hören.

Nun hätten wir also auch die Förster und Wilderer, die einander nicht leiden mögen, glücklich beieinander, und ich muß nur noch von der Weihnachtsbescherung erzählen, um den Beweis für obige Behauptung zu führen.

Vorerst muß ich aber noch sagen, daß auch der Erzherzog Johann in dieser Geschichte eine Rolle spielt. Er mußte nämlich seinen Namen hergeben für das Gasthaus an der Zillertalerstraße in Finsing, allwo all das geschehen ist.

Also es war im Juni, wenn die Gentianen [Enziane] blühen, in Finsing im Zillertal.

Aber mitten aus dem Juni heraus muß ich Euch noch in die Endtage des alten Jahres führen um einen früher behaupteten Satz zu beweisen.

Tiefschneeiger Christfriede lag in dem mitternächtigen Tale — die Sterne des Himmels mühten sich, einen weitverzweigten Weihnachtsbaum mit unsichtbaren Aesten und sichtbaren Lichtern an den dunklen Himmelsgrund hinzuzeichnen. Die Kirchenglocken hatten die heilige Kinderkunde emporgetragen zu den schwarzen Wäldern, die aus dem Schneegrunde dunkelten, zu den Felsen, wo sie einen Widerhall fanden. Auch zum Forsthause droben im Hochwald war der Ruf der Glocken, welcher verkündete, daß die Liebe zur Welt gekommen sei, gedrungen, hatte aber niemanden mehr angetroffen, weil der Förster und seine Gehilfen, wie die talzu führenden Schrittspuren im Waldschnee erraten ließen, schon in die Kirche zur Mitternachtmesse gegangen waren.

Aber diese Spuren im Schnee waren nicht die einzigen, sondern es zeigten sich auch solche, die zum Försterhause hinauf führten — und auch diese rührten von Förstergehilfen her. — Freilich von jenen unangenehmen, welche in ihrer Bescheidenheit keinen Gehalt verlangen und dafür doch dem Förster das Wild wegschießen . . . manchmal vor der Nase. Diese Gattung Förstergehilfen nennt man gemeiniglich Wilderer.

In Tausenden von Schneefunken blitzte allüberall das Wort „Friede sei auf Erden" in Höhen und Gründen . . . Die letzten, zitternden Klänge der Christglocken waren durch die Nacht gegangen. Aus der Kirche traten die Leute und suchten, das Winternachtsdunkel mit Windlaternen kärglich erhellend, durch den tiefen Schnee den Weg in ihre Heimstätten. Auch der Förster und seine Gehilfen stiegen wieder waldaufwärts.

Und als sie zum Jagdhause kamen, leuchtete ein wundersamer Schein durch den verschneiten Hochwald . . . Richtig war das Christkind mit seinen kleinen rosigen Füßchen durch den Schnee gestapft und hatte ein strahlendes Lichterbäumchen vor die Tür gestellt. Die kleinen Fußspuren des Kindleins sah man zwar nicht im Schnee, aber Daniel, der Forstgehilfe, erklärte ganz mit Recht, daß der, welcher über die Fluten des Genesaret geschritten sei, auch ohne einzusinken über Zillertaler Weihnachtsschnee wandeln könne.

Aber es waren noch große, tiefe Fußspuren da, die dem Förster Rupert gar nicht gefielen.

Wer hatte Wohl das Bäumlein gebracht und die Lichtlein angezündet? Vielleicht ein junges Zillertaler Dianl, das in einen Forstgehilfen verschossen war? Aber diese schmeichelhafte Deutung hielt nicht lange an; dafür wurde aber das Gesicht des Försters Rupert immer finsterer. Er sah nämlich, daß die bunten Kerzeln in gar seltsamen, wenn auch sehr sinnigen Haltern steckten. Die Leuchterchen waren nämlich Gamskrückeln.

„Jetzt können wir wieder lang nimmer in's Dorf gehen, ohne daß wir ein Schnaderhüpfel an den Kopf geschmissen kriegen", meinte der Förster brummig.

Hinter den Fichten, die ihre schneebelasteten Zweige tief zur Erde senkten, aber lachten der Hois und der Jörg, die beiden Wilderer, welche mit den Krückeln der den Jägern weggeschossenen Gemsen den Christbaum so verständnisvoll geziert hatten.

Das gehört aber alles noch nicht zu unserer Geschichte, das heißt, der Hois schon: sondern das geschah erst einige Jahre nachher und wurde nur angeführt, um zu zeigen, daß im Zillertal die Jäger und die Wilderer einander nicht mögen und sich tratzen, wo sie nur können.

Nun machen wir aus den Weihnachten wieder einen strahlenden Junitag, an dem der Himmel wie eine tiefdunkelblaue, große Gentianenglocke über das Tal sich neigt. Und alles leuchtet und sprüht, und vom Wald her kommt ein seltsames Klingen aus ineinander verwobenen Vogeltönen und der Brunnen schwätzt allerhand und spiegelt die Sonne und schwere Nelkendüfte sinken vom Solder des Hauses herab und eine Luft weht so hell und weich wie goldene Seide.

Davon aber merkten die Bauernburschen im Finsinger Gasthaus „zum Erzherzog Johann" nichts, die haben sich eine ganz andere Luft zubereitet, die besteht aus den Gerüchen der Käsknödel und des Krautes, das auf dem Mittagstisch gestanden war, aus den Düften des schwarzen Rolltabaks, aus der Alkoholatmosphäre der Gaststube.

Dem Bauerngrundsatz treu sind natürlich alle Fenster dicht verschlossen, daß ja keine frische Luft hereinkommt.

Die schwarze Moid ist im MiederleibI, weil heute so ein fauler Werktag oder ein halber Feiertag mit einem minderen Heiligen ist, und hat am Miederleibl ein brennrotes Nagele stecken, das der Jagdg'hilf Friedl gern für seinen, von dem erwähnten Habakuk gekauften grauen Hut haben möchte.

Das heißt, der Jagdg'hilf möcht noch allerhand von der schwarzen Moid, vor allem ein Bussel. Die Moid ist aber gar nicht herawärtsisch und hält's gar nicht mit den Jägern, sondern eher . . . mit den Gstanzelsängern, die den Forstg'hilfen mit Schnaderhüpfeln tratzen:

Der Seppl singt:

Dort ob'n auf der Heach,
Hat a Spielhahn gruglt,
Hab' i eahm ausfig'schossn
Is er aberkuglt.

Der Peregrin weiß ein anderes:

Bal mir koa Geld nit hamm,
Schieß'n mir an Gamsbock z'amm,
Schick'n 'n halt Innsbruck zue:
Geld und Schneid gnue.

Auch wegen der Moid muß der Forstg'hilf herhalten:

Bein Dianl ihren Fenstal,
Hat's an Eisplatt'n g'macht,
Bal der falsche Bue kimmt,
Daß er schlipft bei der Nacht.

Der schlimmste ist der Michei:

An Hirschfänger had a
Und a wunderschtene Büchs
Und a wunderschiens G'wand,
Aber treffen tuet a nix-----

Also flog das Schnaderhüpfel durch's Zimmer, nachdem die Karten schon ihre Pflicht getan hatten und auch der Würfelbecher schon zur Ruhe gekommen war. Die dicke Frau Wirtin hatte schon ein paar Lieder zur „Kitar" gesungen und die Unterhaltung drohte auszugehen.

„Laßt Du Dir das wirklich g'fall'n, daß Du nix triffst", meinte der Much, als die Moid in's Zimmer trat.

„Er werd's wohl müass'n — wenn's wahr ist", stänkerte der Rüepel. Und der Hois drauf: „Wenn i mein Huet aufwirf, Du triffst'n nit."

„Was triff i nit?"

„Mein Huet." —

„An Liter Schnaps gilt's . . . ."

„Ja, um an Liter Schnaps, den Oes sauft's, und i zahl', ist mei Huet, wenn er hin ist, nit foal."

„Aha, jez traut er sie nimmer, der Hois."

„Was, wer traut sie nit? . . . Hab' heut' schon mehr versoffen als den Huet: Soll der Huet a hin sein:

Und heut is da Kirchtag,
Versauf i's mei Geld,
Steig auffi in Himmel,
Schaug aber auf d' Welt!"

„Also gilt's?" fragt der Martal.

„Von mir aus scho" — schreit der Hois.

Der Jagdg'hilf Friedl will nicht recht anbeißen.

„Und die Moid gibt eahm's Nagele und a Bußl, wenn er 'n Hois sein Huet trifft", hetzt der Much.

„Und sust krieg's i", verlangt der Hois.

„Also gilt's — Hand her: Wenn der Friedl mein Huet trifft, zahl' i an Liter Schutzengeltränen und der Friedl kriegt von der Moid 's Nagele und a Bußl und umkehrt."

„O du mei lieber Gott,
Schick' mir an Nagelstock,
Der auf zwoa Füeßen steaht
Und mit mir schlafen geaht,"

Der Handschlag war gefallen, die Wette geschlossen. Die Burschen entschlossen sich schwer, die liebe dumpfe Wirtshausluft zu verlassen und in den strahlenden Tag zu treten. Der Hois aber hatte mit der Moid allerhand zu tuscheln ....

Draußen aber in der Wiese, wo die vielen Margariten hinter dem Hause blühten, stand eine hohe, schöne Gestalt. Die trug ein langes bis zu den Füßen, welche in goldenen Sandeln steckten, abwallendes Gewand, das so weiß war wie die Sternblätter der Margariten. Im Haar, das so goldig war wie das Herz der Margariten, trug sie eine Margarite — oder nein, das war ja ein Stern, ein wirklicher Stern, der funkelte und leuchtete sogar in dem sonnenblauen Junitag. Und von den Schultern flossen Flügel nieder, die waren ebenso goldig wie das Herz der Margariten.

Ihr wißt nun schon alle, wer das war — das war der Schutzengel selber — und Ihr begreift auch, daß er für die halbbesoffenen Bauernburschen unsichtbar war. Ihn sah nur ein blondes Kind, das in der Wiese saß und einer Margarite die Blätter auszupfte und ängstlich nach seiner Zukunft forschte mit den Worten: Himmel, Höll, Fegfeuer. O Du Unschuld, wenn Du so bleibst, wie Du bist: Himmel, Himmel, Himmel.

Aber später wirst Du diese Sternblume um ein anderes Wort befragen.

Dieses Kind also sah den Schutzengel über die Sternenwiese wandeln, ums Hauseck biegen und sich neben den Friedl stellen. Dieses Kind hat mir das alles gesagt, weil Kinder und Poeten immer gar gute Freunde sind.

Aber warum denn neben den Friedl, geschossen wird ja auf den Hois?

Das werdet Ihr alles erfragen, der Schutzengel weiß schon, was er zu tun hat.

Der Friedl singt:

Und an Schuh anf'n Huet
Und an Juchaza drauf
Und von Dianl an Schmatz:
Dös riegelt 's Bluet auf.------

Der Friedl legt an. Jetzt wird sich's zeigen-----

***

Der Hut des Hois fiel wieder auf die Erde. Er war unzerschossen und der Schuß schien mit rauch- und knallosem Pulver abgegeben worden zu sein, denn niemand hatte ihn krachen gehört, blitzen oder rauchen gesehen.

Der Jagdgehilf Friedl hatte gar nicht geschossen.

Warum, das habe ich von dem unschuldigen Kinde in der Sternwiese gehört. Dieses hatte nämlich gesehen, wie, als der Jäger abdrücken wollte, der Schutzengel seine weiße Hand auf die des Jägers legte und diesen nicht losdrücken ließ.

So, nun wißt Ihr, warum der Schutzengel neben dem Jäger stand, denn hätte dieser geschossen, so hätte der Hois die Schrotkörner in den Augen gehabt. Der Hois war ein Viech, das wußten sie im ganzen Zillertal, der hatte es d'rauf abgesehen, daß der Friedl nicht schießen konnte, ohne ihn zu treffen. Er hatte den grauen Habakukshut

am Kopfe und warf -- oder mehr schob ihn eben drüber und hinter seinem Rucken hinab.

„Da ob'n auf der Heach,
Steaht der Jäger beim Stock,
Er traut si nit z' schieß'n
Hat die Büchs unterm Rock."

„Dös gilt nit. — Wenn i nit schieß'n kann, kann i a nit treff'n."

„Du hast die Wett' verloren, Du hast mein Huet nit troffen, Moid gib mir's Nagele und’s Bußl — für'n Friedl holst a Kapuzinerkraut, der soll's Schießen aufgeben und Kapuziner werd'n."

Der Friedl drauf:

„Tua nit a so singen,
Tua nit a so schrein.
Wenn mei Hosnsack größer war,
Schub i di ein."

***

Das kleine Kind in der Sternwiese hat mir erzählt, wie den Hois sein Schutzengel zurückgehalten hat — denn dem Friedl sein Schlagring hätt' gern blutige Fleck gehabt.

So ist also nicht einmal eine Rauferei draus worden, und wie die andern noch a bißl ummerstreiten, ist der Hois zu der Moid g'schlichen und hat ihr ins Ohr tuschelt. Der Schutzengel aber — hat das Kind gesagt — ist langsam über die Sternwiese in den Wald gegangen, weil man ihn nicht mehr brauchte.

„Also laßt's das G'streit — i werf' den Huet noch einmal hoch in die Luft, wie si's g'hört" — schreit der Hois — „der Friedl soll wirklich schieß'n und trifft er mein Huet no nit, nachher mueß er zahlen und i krieg's Nagele und's Bussel."

„Der G'scheidere gibt nach", meint der Martal dazu.

„Schad', jez werd's nix mit'n Raff'n", knurrte der Much.

Und die Moid schlüpft heimlich zum Hois und gibt ihm was.-------

Der Hut fliegt auf. — Pumm, Mit dreizehn Schrotlöchern liegt der Huet am Boden. Aber geschwind ist der Hois auf die schwarze Moid zu, pappt ihr ein Bussel auf und nimmt ihr's Nagele.

„So haltest Du Dein Wort?" schreit der betrogene Friedl. „Du Gauner, i hab' den Huet ja troffen."

„Na, na, Friedl, zahl' Du nur den Liter Schutzengeltränen, mein Toal hab' i schon. Gelt, ausg'macht war, Du mueßt mein Huet treffen?"

„Ja."

„Du hast aber nit meinen Huet troffen, weil i den Deinigen genommen hab'."

Wehmütig schaute der Jäger auf seinen dreizehnmal durchlöcherten Hut. Wehmütig sagte er „dreizehn ist halt a Unglückszahl und bei einem Juden soll man keine Hut kaufen." Wehmütig zahlte er den Liter Schutzengeltränen. — So und jetzt wären wir wieder am Anfang dieser Geschichte und wissen, warum der Forstgehilfe keinen Hut auf hat.

Quelle: Anton Renk, Kraut und Ruebn. Kleine Geschichten aus Tirol. Linz 1904, S. 127 - 175
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, September 2005.
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