Der Tuifl.

Da um Klausen und Brixen herum ist eine böse Gegend, in der der böse Feind gar viele Macht hat. Als vor alter, alter Zeit der heilige Bischof Kassian ins porphyrumwandete Eisacktal gezogen kam, hatte dort der Schwarze noch alle Macht, — heute haben sie zum Unterschied die Schwarzen. —

Ja, der heilige Kassian fand hier noch lauter verstockte Heiden vor, die sich nicht bekehren lassen wollten, obwohl er ihre Götzenbilder umwarf. Ja, die Götzenpriester setzten den Heiligen sogar in Gefangenschaft. Er entkam ihnen jedoch und sprang von Säben in drei Sprüngen in's Tal. Ein Fußtritt des Heiligen in einem Steine ist noch heute sichtbar. Trotzdem aber das Christentum endlich obsiegte, behielt der Teufel gar viele Macht, und er stellte deshalb fast an jedes Wegkreuz, an jedes Brückenjoch, an jeden alten Turm, an jeden Markstein einen seiner Geister hin, der die Leute erschreckte, peinigte oder gar tötete. Deshalb zogen die guten, braunen Kapuziner, welche das Bannen so prächtig verstanden, in die Stadt. Sie konnten aber nicht bloß das Geisterbannen, sondern auch das Schatzbannen, wie der heute noch im Kloster befindliche „spanische Schatz" der Königin Anna beweist. Doch auf diese Art von Bannen hat sich die Kirche von jeher verstanden, wir wollen also vom Geisterbannen erzählen. Da hatten die Kapuziner viele Arbeit.

Beim Kreuze zwischen Kolman und Klausen raste in den Quatemberzeiten ein mit zwei wilden Rossen bespannter Wagen durch die Nacht. Wehe dem, der sich vor dem unheimlichen Gespann nicht auf den Boden warf, — der wurde am Morgen gewiß erwürgt aufgefunden. Heute ist das Teufelsfuhrwerk von den guten Patres gebannt. Auch die Berchtl, welche den Vorübergehenden Hackeln in die Kniescheiben warf, die dann ein ganzes Jahr nicht mehr herauszubringen waren, macht heute die Straße nicht mehr unsicher.

Dem bösen, wilden Mann, der auf und auf voll Haaren war, schien man gar nicht beikommen zu können. O, wie viel Herdenvieh hat der geraubt und gefressen und wie viele Hirten, die ihm wehren wollten, jämmerlich geprügelt! Da fragte man den Guardian der Kapuziner, einen weisen Mann, und dieser gab den Rat, man solle den Brunnen, aus dessen Trog der Wilde wie das liebe Vieh trank, mit Branntwein füllen. Hu, wie gierig der Wilde das brennende Getränk soff und wie er mit seiner großen rauhen Zunge noch den Trog ausschleckte!... Aber der Branntwein war stärker als der Riese, und dieser verbrannte, daß man es lange noch im Tale roch.

Auch die Zauberer, Hapschlüssel und Lauterfresser erreichte endlich ihr Schicksal, nachdem sie lange genug in der Gegend ihr Unwesen getrieben hatten.

Man ersieht also, eine wie große Macht der Teufel noch in diesen sonst so frommen Gegenden besaß, aber auch, mit wie viel Gnade die guten Kapuziner ausgerüstet waren.

Da setzte sich der Teufel auf einen Stein — man sieht heute noch den Hintern und ein Stück Schweif in den Felsen schwarz eingebrannt — und dachte darüber nach, wie er den Klausnern beikommen könnte. Plötzlich rief er „Heureka" — ein griechisches Wort, das er von einem gottlosen Philosophen, der schon das zweite Jahrtausend bei ihm in der Hölle schmorte, gelernt hatte — griff mit der kralligen Pratze in das borstige Stirnbüschel zwischen den Bockshörnern und fuhr mit schrecklichem Gestank durch die Luft davon. Die Häuserin Philomene, eine gottgefällige Person, die übrigens der Teufel gern mitgenommen hätte, wenn er gekonnt hätte, hat ihn gesehen.

Der Teufel sandte nun keine Waldweg-, See-, Turm- und Brückengeister, sondern ganz andere, immer unsichtbare Geister, die viel böser waren. Solche waren zum Beispiel: der Geizteufel, der Zornteufel, der Spielteufel, der Unzuchtsteufel - ein ganz böser, meinte der Herr Pfarrer — der Trinkteufel, der Putzteufel, der Freßteufel und noch viele andere.

So hatte das alte Tiroler Sprichwort wieder einmal Recht behalten:

Die Zeiten bleiben immer,
Die Leute werden schlimmer.

Nun in diesen schlimmen Zeiten, da aus dem welschen Süden die Kunde gekommen war, daß die schlimmen Leute sogar den heiligen Vater gefangen genommen hätten und dieser angekettet auf faulem Stroh schlafen müsse — in diesen bösen Zeiten vermochten es die Kapuziner nimmer, den Kampf mit all diesen Teufeln aufzunehmen — da mußten schon die Missionäre her.

Also kamen die Missionäre nach Klausen — es waren solche von der Gesellschaft Jesu, die fortwährend im Kampfe mit der höllischen Majestät standen und deshalb alle Schliche und Ränke des Teufels grad so gut kannten wie er — und predigten gar wunderbarlich in der Pfarrkirche, Das waren heiligmäßige Männer, aus denen sprach der heilige Geist selber mit einer Gewalt — die Neunerbauerngitsch war gar vollständig von Kopf gekommen und mußte nach Hall gebracht werden. Von den Bergdörfern herab und aus den Tälern heraus kamen die Bauern und vor allem die Bäuerinnen, um die Missionäre zu hören. Der Pater Ignatius, der konnte es am allerbesten! Dem Latzfonser Jörgele, dem ärmsten Teufel des ganzen Dorfes, der nichts sein eigen nannte als eine verfallene Hütte, die er mit einem Stück Kleinvieh bewohnte — und, halt, noch etwas — das war ja sein größter Schatz: die Hoffnung, daß es enten besser sein werde, dem liefen bei der Schilderung, wie schlecht es dem armen Papst in Rom gehe, die hellen Zacher über die braunen Wangen. Als er wieder über seinen Berg hinaufstieg, in der glühenden Sonnenhitze, die aus den Porphyrfelsen verdoppelte Glut sog, seufzte er bei jedem Schritte auf dem abgeschliffenen Steinpflaster des Weges: „Oh mei, und i' hab' alleweil glabt, i sei der Aermst'! Der größte Sünder bin i freilig! Wenn's dem Heiligsten aso geaht, warum soll's miar nit a' so geah'n? Mei, was nutz'n eahm denn dö Kreuzerln in Klingelbeutel? Dö Malefizraber, dö'n eing'sperrt hab'n, lass'n 'n g'wiß nit aus, wenn sie 's Leasgeld hab'n .... und lass'n 'n Hunger leid'n. Oeppes z' essen braucht er - der arme Papst, der arme Papst! Erlöse ihn, o Herr, erbarme Dich seiner, o Herr!" Und das waren seine Gedanken, als er in Latzfons in seine Keusche trat: „Heunt iß i' nix z' Mittag und opfer's 'n heiligen Vater au!"

Nicht ganz so dachten die Herren Missionäre, die beim Herrn Pfarrer zu Mittag saßen. Die Sonne lugte neugierig durch die Pelargonienstöcke und ließ die hellgelbe Ganselkruste erglänzen wie getrieben Gold. Auch mühte sie sich in den funkelnden Wein, der vor den Hochwürdigen stand, noch ihre Kraft hineinzulegen, sollte sie etwa im vorigen Sommer es bei den Klausener Trauben vergessen haben. Der Wein funkelte rubinen in den Gläsern.

Qui bene edit, bene dormit, qui bene dormit, non peccat. Diesem logischen und religions-philosophischen Grundsatze hatten die hochwürdigen Herren auch beim Abendessen gehuldigt, und die Häuserin Mena hatte alle ihre Kunst zusammengenommen und sagte sich von derselben befriedigt, während sie den Kochlöffel abschleckte: „Der Kaiser kannt's nit besser haben."

Und die Sonne schleuderte ihr Gold an die Dolomiten, daß es die stolzen Zacken kaum zu tragen vermochten, daß es die heraufziehende Nacht kaum zu löschen vermochte. Wohl griff sie mit kühlen, dunkeln Händen an die brennenden Zinken, aber diese leuchteten noch lange in den dunkeln Himmel empor, an dem die ersten Sterne kamen.

„Heute ist Alpenglühen", sagte der Pfarrer und trat mit den Jesuiten ans Fenster.

„Es dauert nicht lange — dann kommt die Nacht, und die Menschen empfinden sie noch schwerer als gewöhnlich", antwortete ein Missionär. Und die Nacht kam und siegte. — Gut gegessen hatten die drei — gut geschlafen auch — aber wer wird denn bei einem solchen Höllenlärm schlafen können. Das ging ja in der Kirche zu, die Bänke krachten, und die schweren Leuchter schlugen auf den Boden und die Orgel wimmerte und Gläser klirrten und das ewige Licht warf einen so blutroten Schein. Zuerst hatte es die Häuserin gehört und war käseweiß in den Kittel geschloffen und wollte den Mesner wecken, doch der war auch schon aus den Federn. Beide eilten nun, so schnell es ging, zum Pfarrer. Die Häuserin stürzte in der Eile über ein Wasserschaff und warf es um. Beim Pfarrer hatten sie schon länger Arbeit mit Wecken, ebenso bei den Missionären. Diese schlugen schnell in ihren Bücheln die Exorzistenformeln auf und der Pfarrer schüttete ganz frischen Weichbronn in den Kupferkessel, den er dem Mesner gab, und hielt den Wedel kampfbereit in seiner Hand. Vorerst weckte aber der Mesner ein paar handfeste Burschen, und nun machte man sich im Scheine einer Laterne zur Kirchtür. Der Lärm in der Kirche war entsetzlich, als aber der Schlüssel im Schloß knarrte, verstummte er plötzlich.

Und als die Tür aufging, fuhren sie mit einem schrecklichen Schrei alle zurück, denn auf dem Altartische stand, von dem blutroten ewigen Lichte beleuchtet, der Leibhaftige selber.

Seine Augen funkelten fürchterlich, und dunkel lag der Schatten seiner Hörner auf dem Goldgrund des Altares.

Dem Pfarrer war der Weihwedel entfallen, die Missionäre hatten die Exorzismen verblättert, der Mesner badete sein Gesicht mit Weihwasser, die Häuserin war davongelaufen, weil die Großmutter immer erzählt hatte, daß die Widdumhäuserinnen von jeher das Leibbratl des Teufels gewesen seien. Die Burschen aber zitterten und bebten.

Der böse Feind aber funkelte noch immer auf seine sichere Beute herab. Dem Pfarrer fielen noch ein paar Meßgebeteln ein, aber die Jesuiten hatten ganz die Sprache verloren ... mit dem Beschwören war's aus ... sie drückten sich zur Tür hin.

Da sagte plötzlich ein fürwitziger junger Bursch:

„Was hat der Tuifel denn um an Hals?"

Nun wagte auch ein anderer hinzugehen, der wieder fragte: „Und was zwischen die Hoarn?"

Nun leuchtete der erste mit der Laterne — „An Strick hat er um an Hals."

„A Bock ist's", rief der zweite.

Der hatte schön Unheil angerichtet, Leuchter waren umgeworfen, Blumenstöcke lagen am Boden, die Glaswände eines Sarges, in dem ein heiliger Leib lag, waren eingedrückt. Und zwischen den Hörnern trug der Bock einen Pappendeckel, da stand darauf:

„Vir den Her Papst."

Der Latzfonser Jörgel hatte dem Papst seinen einzigen Bock gegeben, damit er auch was zu essen habe. Der Pfarrer fragte ihn, „warum er ihn denn nicht in den Widdum gebracht habe", und erhielt eine Antwort, die ihm nicht ganz recht war, nämlich: „Er möcht' g'wiß sein, daß der Papst den Bock kriegt." Der Pfarrer meinte freilich: „Bischt Du dumm, Jörgele."

Aber vielleicht hat der Jörgele doch recht gehabt.

Wir wenigstens wissen nicht, ob der Bock jetzt in den vatikanischen Gärten spazieren geht, noch weniger, ob etwa der heilige Vater ihn schon verspeist hat - eines aber wissen wir, daß der arme Jörgele keinen Bock mehr hat, wohl aber eine viel größere Hoffnung, daß es ihm enten besser geht.

Quelle: Anton Renk, Kraut und Ruebn. Kleine Geschichten aus Tirol. Linz 1904, S. 115 - 124
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, September 2005.
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