III. Der Birnbaum auf dem Walserfelde
So weitreichend und inhaltsreich, daß ein eigenes Buch ihm gewidmet werden könnte, ist der Sagenkreis des Birnbaumes auf dem Walserfelde bei Salzburg*).
*) Sagen der Vorzeit oder ausführliche Veschreibung
von dem berühmten Salzburgischen Untersberg oder Wunderberg, Brixen
1782, S. 28, 38.
Söltl, J. M., Der Untersberg. Deutsche Bilder im Spiegel der Sage
und Geschichte. Augsburg 1862, 8°, 2 Bde.
Dr. Sepp, J., Nr. 256 der Augsburger Allgem. Ztg. 1872.
Dr. A. Silberstein, Augsburger Allgem. Ztg. 1872, Augsburger Allgem. Zeitg.
1875, Nr. 365.
Freisauff, Rudolf von, Der Birnbaum auf dem Walserfelde. Salzburg 1876,
42 S. Kl. 8°.
Lindlbauer, Johann, Der Birnbaum auf dem Walserfelde, Salzburg 1879, 35
S. Kl. 8°. Auf dem Umschlag der Birnbaum mit dem Untersberg, umgezeichnet
nach der Photogr. vom Jahre 1866, die nach im Salzburger Museum oberhalb
des Wurzelstockes des alten Baumes hängt und die in unserer Abb.
wiedergegeben erscheint. Großenteils wörtliche Wiedergabe der
Schrift Freisauffs vom Jahre 1876. (Lindlbauers Absicht war, für
seine aus dem Holze des berühmten Baumes geschnitzten Sachen Stimmung
zu machen, nachdem er für die Sammlung "wirklich seine Kräfte
übersteigende Opfer gebracht" usw. usw. Wie wenig Lindlbauers
betriebsame Spekulation glückte, lehrt die Tatsache, daß die
meisten Gegenstände in Privatbesitz übergegangen sind.)
Freisauff, R. von, Salzburger Volkssagen, Wien 1880. Als Titelbild Kaiser
Karl im Untersberg. Darüber verdorrter Birnbaum mit Untersberg im
Hintergrunde.
Dr. Sepp, J. Beilage Nr. 74 der Augsburger Allgem. Ztg., 15. März
1882.
Huber, Nikolaus, Die Sagen vom Untersberg. (Mit Titelbild: Der Untersberg
nach dem Gemälde von Gehbe.) 8. Auflage. Salzburg 1897, 48 S. Kl.
8°.
Zillner, Anna, Zeitschr. d. Ver. f. Volkskunde. X. Berlin 1900, S. 91,
92.
Erben, Wilhelm, Untersberg-Studien. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen
Kaisersage. Mitteilung. der Ges. f. Salzburger Landeskunde, Bd. 54. (Weitere
Literatur zur deutschen Kaisersage bei Andree-Eysn.)
Kronfeld, E. M,, Der Krieg im Aberglauben und Volksglauben, Kap. V, S.
125 ff.
Andree-Eysn, Marie, Der Birnbaum auf dem Walserfelde. Bayerische Hefte
für Volkskunde. München 1915, Heft 4, mit 2 Abb.
Adrian, Karl, Unser Salzburg, Wien 1916, S. 158. Daselbst eine hübsche
Ansicht des Birnbaumes mit dem Untersberg im Hintergrunde, nach Zeichnung
von Prof. Franz Kulstrunk.
Kronfeld, E. M., Über sagenhafte Pflanzen der Schlachtfelder. Verhandlungen
der Zoologisch-botan. Ges., Wien 1916, S. 157 - 159.
- Der Birnbaum auf dem Walserfelde. Wiener Abendpost Nr. 183 vom 10. Aug.
1917. (Über den Birnbaum hielt der Verfasser am 6. März 1918
in der Zoologisch-botan. Gesellschaft, Wien, einen Vortrag.)
- Baum und Strauch im Kriege. Mitteilungen der Deutschen dendrolog. Ges.
1917, Nr. 26.
Speziell salzburgischen Ursprunges ist die Aufzeichnung des Lazarus Gitschner,
der im Jahre 1523*) beim damaligen Stadtschreiber von Reichenhall als
Knecht im Dienste stand. Im Vereine mit seinem Dienstherrn und dem dortigen
Pfarrer bestieg er im besagten Jahre den Untersberg und entdeckte da in
einem Felsen eingehauen "eine Schrift mit silbernen Buchstaben".
Tags darauf abgeordnet, um diese rätselhafte Inschrift abzuschreiben,
verspätete er sich bei dieser Arbeit und schlief an selbiger Stelle
ein. Bei seinem Erwachen stand vor ihm ein Mönch, der ihn nach mancher
Rede endlich in den Berg führte. Herrliche Kirchen und Klöster
waren es, welche Lazarus dort erblickte, und ein unzählbares Volk
erfüllte ihre mit tiefergreifender Musik durchwogten Hallen. "Wer
sind diese?" so fragte Lazarus den Mönch. "Es sind alte
Kaiser, Könige, Fürsten, Bischöfe, Herren und Knechte,"
antwortete der Mönch, "welche den christlichen Glauben zur letzten
Zeit, Untergangs der Welt, werden verteidigen und retten helfen."
Der fromme Gitschner schaute auch den Kaiser: der trug Krone und
Zepter und hatte einen grauen Bart, welcher vom Kinn bis zum Gürtel
reichte. "Das ist der Kaiser Friedrich," sprach der Mönch
zu Gitschner, "schau ihn wohl an; in solcher Gestalt ist er wohl
einst verloren gegangen, als er verzuckt ward auf dem Walserfelde!"
Aus der Aussage, die Gitschner, wie ihm befohlen, erst 35 Jahre nach dieser
Begebenheit im Jahre 1564 auf seinem Sterbebette machte, sei noch jener
Teil angeführt, der im besonderen auf den Birnbaum Bezug nimmt. Da
heißt es: "Auch sagt der Mönch zu mir: "Siehe, dort
auf dem Walserfelde steht ein ausgedörrter Birnbaum zum An- und Vorgedenken
dieser letzten Schlacht**), so schon dreimal umgehauen worden; aber seine
Wurzel wurde dermaßen beschützt, daß er wiederum zu grünen
anfanget und wieder ein vollkommener Baum daraus werde. Viele Jahre, bevor
sich die gräuliche Schlacht auf diesem Walser Feld wird ereignen,
bleibt er ausgedörrt dastehn: wenn er aber zu grünen anfanget,
wird es schon nahe sein; wenn er aber anfangen wird, Früchte zu tragen,
wird das Ereignis bemeldeter Schlacht seinen Anfang nehmen. An diesen
Birnbaum wird der Kurfürst aus Bayern zur letzten Schlacht seinen
Wappenschild daran hängen und wird niemand verstehen können,
was dieses zu bedeuten habe. Und er wird dann diesen samt seiner Mannschaft
verlassen."
*) Als Name kommt in den Chroniken auch Aigner, Giczmayr,
Güntzner, als Jahreszahl auch 1529 und 1623 vor (Freisauff, Salzburger
Volkssagen).
**) Zum Sagenkreis der letzten aller Schlachten vgl. auch Kap. I, II,
IV.
J. Grimm sagt in seiner "Deutschen Mythologie": Das Walser
Feld hat einen dürren Baum, der schon dreimal umgehauen wurde; seine
Wurzel schlug immer aus, daß ein neuer vollkommener Baum daraus
erwuchs, wenn er wieder beginnt zu grünen, da naht die schreckliche
Schlacht, und wenn er Früchte trägt, dann wird sie anheben,
Friedrich (Kaiser Barbarossa) hängt dann seinen Schild an den Baum;
alles wird hinzu laufen und ein solches Blutbad sein, daß den Kriegern
das Blut in die Schuhe rinnt; da werden die bösen von den guten Menschen
erschlagen."
Die Brüder Grimm in ihren "Deutschen Sagen" erzählen,
daß bei Salzburg auf dem sogenannten Walserfeld einstens eine Schlacht
stattfinden wird, die wohl die schrecklichste und letzte sein wird. Auf
diesem Walserfeld steht ein ausgedörrter Birnbaum zum vorzeitigen
Andenken dieser Schlacht. Er wurde schon dreimal umgehauen, aber seine
Wurzel schlug immer aus, daß er wiederum anfing zu grünen.
Viele Jahre bleibt er dürr stehen, wenn er neu wieder grünen
wird, beginnt die große Schlacht. Kaiser Karl im Untersberg wird
mit dieser Sage auch in Verbindung gebracht. Dieser Sagenkreis hat nach
de Mailly starke orientalische Züge, denn eine ähnliche Sage
vom grünenden Baum, die nachweislich viel älter ist, kennt man
aus dem Orient.
Bäume mit ähnlichen Sagen verflochten, kommen auch anderwärts
vor. So der Birnbaum der Langobarden bei Benevent, die Birke bei Soest
in Westfalen, bei der gleichfalls ein Kaiser in weißem Mantel seine
Scharen zum letzten Kampfe sammeln wird u.a.m. Wer kennt endlich nicht
den heiligen Baum von Mambre, unter dessen Schatten Abraham einst die
drei Engel empfing. Von diesem meldet der Schildknappe Schiltberger: "Nit
verre von Ebron ist das Dorf Mambortal, dorinnen der dürre bom, den
haißen die Heiden och Carpe, der ist gewesen Sid Abrahams Zit und
ist abweg grün gewesen, bis unser Herr an dem crütz gestorben
ist. Nach sinen sterben ward er dürr. Nu vindt man in der prophecy
das ein Fürst gen Occident wertz der sunnen das haillig grab mit
den christen gewinnen, so soll dann der bom grün werden und frucht
bringen. Die Heiden haben in großen Erren und hüttend sin wol."
Kaiser Konstantin war es, der ihn fällen ließ.
Welche Bedeutung dem Walserfelde nebst dem Birnbaum in der lokalen Sage
zukommt, die als dritten der entrückten Heldenfürsten den Kurfürsten
von Bayern einsetzt, erhellt aus dem alten Brixner-Büchlein vom Jahre
1782: "- auf dem großen Walserfelde nächst dem Wunderberg,
auf dem einst Kaiser Karl ist verzückt worden - - Auf dem sogenannten
Walserfelde nächst der Stadt Salzburg, wo eine schreckliche Schlacht
geschlagen wird, wo alles hinzulaufen und ein so schreckliches Blutbad
sein wird, daß denen Streitenden das Blut vom Fußboden in
die Schuhe rinnen wird. Auch steht dort auf dem Walserfelde ein ausgedorrter
Birnbaum, zum An- und Vorgedenken dieser letzten Schlacht, so schon dreymal
umgehauet worden, aber seine Wurzel wurde dermaßen beschützet,
daß er wiederum zu grünen anfanget, und wieder ein vollkommener
Baum daraus werde. Viele Jahre, bevor sich die gräuliche Schlacht
in diesem Walserfeld wird ereignen, bleibt er ausgedörrt da stehen,
wann er aber zu grünen anfanget, wird es schon nahe seyn. Wann er
aber anfangen wird, Früchte zu tragen, wird das Ereignis bemeldeter
Schlacht seinen Anfang nehmen. An diesen Birnbaum wird der Kurfürst
aus Bayern zur letzten Schlacht seinen Wappenschild daran hangen, und
wird Niemand verstehen können, was dies zu bedeuten habe. Und er
wird dann diesen sammt seiner Mannschaft verlassen."
Ludwig Bechstein verzeichnet folgende Fassung: Auf dem Walserfelde
bei Salzburg steht ein uralter Birnbaum ganz dürr und abgestorben
seit langer Zeit. Er ist schon öfters umgehauen worden, aber durch
die Kraft des Allmächtigen wurde die Wurzel behütet und sie
trieb wieder aus, so daß ein neuer Baum emporwuchs. Von diesem Baume
geht eine alte Weissagung, daß er dereinst wieder beginnen werde
zu blühen und Frucht zu tragen. Wann aber dieses sich ereignet, dann
wird der verzauberte Kaiser Karl mit all seinen Helden hervortreten aus
dem Schoße des Untersberges, und es wird eine große und schreckliche
Schlacht des Glaubens halber geschlagen werden. Dieses geschieht aus göttlichem
Verhängnis, weil kein Mensch mehr dem anderen brüderliche Liebe
erzeigen will. Wann der Baum beginnt zu grünen, wird diese Zeit der
Not nahe sein; wann er aber anfangen wird, Früchte zu tragen, wird
sich die Schlacht anheben. Auf dem Felde wird den Streitern das Blut bis
an die Knöchel reichen und in die Schuhe rinnen, und die Vornehmen
werden wünschen, insgesamt auf einem Sattel davonreiten zu können.
Nur die guten Menschen werden von den Riesen des Untersberges geschützt
und gerettet, die bösen aber alle erschlagen werden.
Die Sage berichtet, daß einst ein Bürger von Reichenhall oder
ein Fürstensohn hinaufging gegen Abend zum Fuß des Untersberges.
Plötzlich trat dem Weiterschreitenden ein graubärtiger Herold
entgegen, winkte ihm zu folgen und führte ihn in die Tiefe des Wunderberges,
immer tiefer, bis es sargesenge ward. Da griff der greise Führer
in die Felsen, und es öffnete sich ein weiter Thronsaal mit herrlichen
Säulen in hellem Glanze. Und in ihm waren zehntausend Ritter und
hunderttausend Lanzenknechte, zum Kampfe gerüstet. An einem runden
Tische aber von Marmorstein inmitten des Saales saß der Kaiser im
Reichsschmuck mit lichtweißem Barte, der, mit Perlen durchflochten,
um den Tisch in langen Silberwogen wallte. Um ihn her aber saßen
die Kurfürsten des Reiches. Da trat des Kaisers Tochter lebenswarm
in die versteinte Welt, ging zu dem Tische und maß des kaiserlichen
Vaters langen Bart; der aber reichte erst zweimal um den Tisch, und die
dritte Länge fehlte. Da erstarrte auch sie vor Schmerz, und mit dem
Mitternachtsschlage war alles erloschen und versunken. Der Herold aber
sprach zu dem Fürstensohne:
Und alle, die da unten hausend
Mit ihm und ihr du hast geschaut,
Sind ein versteinertes Jahrtausend,
Das täglich auf ins Leben taut,
Um täglich wieder zu erstarren;
Und so muß Kaiser, Kind und Heer
So lange der Erlösung harren,
Bis um die Tafelrunde her
Des Kaiserbartes Silberwogen
Die Tochter dreimal hat gezogen.
In Salzburg selbst wird diese Sage vom Kaiser Karl gewöhnlich
in folgender Fassung wiedergegeben: Im Untersberge herrscht Kaiser Karl
mit seinen Helden und einer Menge hoher Herren, sie sind sämtlich,
sowie der Kaiser, dahin verzückt worden. Die Untersbergmännchen
sind die Untergebenen und die Vollstrecker der Befehle des Kaisers. Wenn
in deutschen Landen große Bewegung herrscht oder Krieg ausbricht,
so gibt der Kaiser Lebenszeichen von sich und man sieht die Untersberger
bald dort, bald da. Wenn der Krieg bevorsteht, erscheinen sie in Rüstung
und Waffen; in ihrer gewöhnlichen dunklen Tracht mit der Kapuze aber
bei friedlichen Anlässen. Wenn dereinst der Erbfeind kommt und Deutschland
in größter Not ist, wird auf dem Walserfelde eine Völkerschlacht
geschlagen; dann ist des Kaisers Bart dreimal um den Tisch gewachsen,
an dem er sitzt, und er rückt mit seinem ganzen Heere aus dem Untersberge
heraus und es wird ein so großes Gemetzel sein, daß den Kriegern
das Blut bei den Schuhen hineinrinnen wird. Der Kaiser aber geht siegreich
hervor und hängt nach der Schlacht seinen Schild in der Nähe
des "Himmelreiches" an den Birnbaum, der schon so oft umgehauen,
stets wieder neu emporgewachsen ist. Dann bricht das Ende der Welt an.
Der schlafende Held des Untersberges (Wotansberges) mit seiner deutlichen
Beziehung zum Entrückten des Kyffhäuser und anderen "Verzückten"
ist kein anderer als Wotan, der alte Asenfürst, und sein Gefolge,
die Einherier von WalhaIl, liegt schlachtenmüd um ihn her. Die Raben,
die um den Berg fliegen, sind die allwissenden Geleitvögel des bergentrückten
Götterkönigs, und die nächtlichen Züge der Untersberger
sind nichts anderes als Wotans nächtliche Heerfahrten. In dem Baume
aber, der an der Nordseite des Berges auf der Heide steht, finden mir
den heiligen Weltbaum, die Esche Ygdrasil, wieder*).
*) Max Haushofer, Alpenlandschaft und Alpensage.
Bamberg 1890. Vgl. auch R. Francé, Die Alpen, Leipzig, Theod. Thomas
Verlag.
***
Söltl in seinem Buche vom Untersberg beschäftigt sich eingehend
mit diesem Sagenbaum, den er mit orientalischer Ausschmückung bis
in die Römerzeit zurück verfolgt. Unter den Niederlassungen
der Römer tat sich besonders eine durch ihre Größe und
Schönheit hervor. Sie bildete den Schlüssel zum Eingang in die
Gebirge und dehnte sich am Fuße eines großen Berges (des Untersberges)
auf fruchtbarer Ebene aus. Es war die Stadt Juvavia (salzburg). Ihre Einwohner
lebten - Freisauff im Salzburger Sagenbuch folgt ganz der Erzählung
Söltls - ein Leben voll eitel Lust und Freude, sie schwelgten Tag
und Nacht bei wüsten Gelagen und praßten von dem Reichtume
des Landes, der trotzdem nicht aufgezehrt werden konnte, denn aus den
überreichen Adern des Gebirges floß ihnen Gold und Silber in
unerschöpflicher Menge zu.
Hierher kam einst auch St. Severin, der unermüdliche Apostel des
Glaubens, der in Deutschlands Gauen das Licht der Erkenntnis entflammt
und die Religion der Liebe gepredigt hatte. Im Anblicke von Juvavia und
des lasterhaften Treibens seiner Bewohner forderte er sie zur Bekehrung
auf. Allein Juvaviens Bürger, vom römischen Übermute besessen,
verhöhnten den frommen Mann, verlachten seine Lehren und trieben
ihn mit Gewalt von dannen. Jenseits des Flusses angelangt, verweilte sein
Fuß noch ein Kurzes, und zurückblickend auf die Stätte
der Sünde, rief er aus: "Wehe dir! Der Tag kommt, da du im Rausche
deiner Lust versinken wirst. Und die Bäche des Gebirges werden ihren
Sand über dich decken und deine Spur wird niemand mehr finden!"
Dann enteilte er.
Die Juvavier lebten fort wie vor und ehe. Indes erzürnte sie das
Treiben der nahen Deutschen, die, ein fremdes Volk - wie sie glaubten
- es wagten, der Römer Herrschaft zu vernichten, und sie flehten
Rache vom Himmel herab auf die frechen Eindringlinge. Und siehe, nicht
lange darauf erschien in ihrer Mitte ein Priester Jupiters, den sie verehrten.
Gehüllt in weißschimmerndes Gewand, geschmückt mit Purpurbinden,
schritt er feierlich einher und rief, am Markte angekommen, das Volk zusammen
und sprach: Schlürfet die Lust aus dem Lebensbecher, euch grünen
in ewigem Reichtum die Höhen und Tiefen der Berge. Darum genießet,
was die Götter euch beschieden. Ich will das Unglück ferne halten
von euch und der Deutschen Auge mit Blindheit schlagen, auf daß
es ihnen nimmer gelinge, diese Stätte der Lust und ungetrübten
Freude zu finden." Und das Volk jubelte ob dieser Worte und führte
jauchzend den Priester, des Mund so frohe Botschaft verkündet, in
den Tempel. Und wieder sprach der Priester: "Bleibet getreu euren
Göttern und bringet ihnen Opfer dar!" "Opfert Jupiter,
auf daß er eure Feinde vernichte. Fünf Knaben und fünf
Mädchen deutschen Stammes sollen es sein, deren Blut auf seinem Altare
fließe, ich aber werde einen Kern in die Erde setzen und mit dem
Opferblute befeuchten. Weit habe ich ihn hergebracht und mit Zaubersprüchen
ihn geweiht. Seine Früchte werden noch in den spätesten Jahren
eure Enkel laben und erquicken." Und die Juvavier gelobten so zu
tun, wie er befohlen. Boten wurden ausgesandt, zehn Kinder aus dem Lande
der Deutschen zu holen. Nach kurzer Frist kehrten sie wieder zurück,
in ihrer Mitte fünf blondgelockte Knaben und fünf holde Mädchen
führend. Durch Geschenke war es ihnen leicht geworden, die unschuldigen
Kleinen an sich zu locken und die Ahnungslosen ihrem entsetzlichen Schicksale
zuzuführen.
Der Tag des Opfers wurde festgesetzt. Mit Anbruch desselben zog das Volk
hinaus in hellen Haufen zum Opferplatz und Juvavia blieb wie verödet.
Auf einer Ebene war ein Altar aus rotem Marmor errichtet worden und der
Priester harrte bereits mit seinen Dienern der Opfer. Lächelnd und
ihr grauenvolles Los nicht ahnend, nahten die Kinder, reich geschmückt,
der Unglücksstätte. Vor ihnen her und nach ihnen wälzte
sich das Volk in tollem Jubel, Freudenlieder singend, in der sicheren
Hoffnung des Wiedererblühens ihrer alten Herrschaft. Zur selben Zeit
hatten sich aus allen deutschen Gauen, des müßigen Lebens müde,
Jünglinge aufgemacht, um nach Italien zu ziehen. Ihr Anführer
war Odoaker, der Sohn Etichos, des Schyrenfürsten. Auf ihrem Zuge
waren sie auch in die Nähe Juvaviens gekommen. Sie lagerten sich
in der Ebene und schlugen Zelte auf. Einige waren als Vorhut vorausgegangen,
unter ihnen Odoaker selbst.
Da sahen sie die große Menge Volkes und von Neugierde getrieben,
mischten sie sich in das Gedränge, um zu erkunden, was hier geschehe.
Die Juvavier achteten in ihrer opfergierigen Trunkenheit nicht auf die
Fremden und Odoaker gelang es so, bis in die Nähe des Opferplatzes
zu gelangen, indes seine Freunde in einiger Entfernung seiner harrten.
Da erhob der Priester seine Stimme und sprach laut, daß alle es
hörten: "Juvavier! Jupiter hat mich zu euch gesendet, daß
ich euch Rettung und Dauer eurer Herrschaft, Untergang aber den deutschen
Horden bereite. Dieses Samenkorn hieß er mich euch bringen, und
so wie es in die Erde gesenkt und mit dem Blute der Opfer begossen, zu
einem Baume aufsproßt, der aus seinen Wurzeln immer neues Leben
treibt und eine unvertilgbare Kraft in sich verborgen hält, so wird
blühen in alle Zukunft das Geschlecht und der Stamm dessen, von dessen
Hand der Samen in die Erde gelegt und mit Blut und Erde bedeckt wird.
Meine Hand wird euch dies Heil bereiten und euer Geschlecht wird herrschen
durch mich fort und fort. Aber zuerst werde das Opfer gebracht und mit
Blut gedüngt der Boden, dann senke ich den Kern ein und begieße
ihn wieder mit Blut zum fröhlichen Gedeihen."
Nach diesen Worten ergriff er einen Knaben und durchbohrte ihn mit einem
Opfermesser, gerade über der Grube, in welche der Kern kommen sollte.
Die Kinder, als sie das Schicksal ihres Genossen sahen, erhoben nun ein
fürchterliches Angstgeschrei, das Volk aber brüllte in wilder
Freude. Da konnte Odoaker nicht länger mehr an sich halten. Mit einem
Sprunge war er beim Priester, und ehe sich's dieser versah, hatte seine
Keule ihn niedergeschmettert. Kaum sah dies das Volk, als auch schon Hunderte
auf ihn eindrangen. "Nieder mit ihm! Zerschmettere ihn, Jupiter!"
ertönten die Rufe. Wieder andere riefen: "Vollendet das Opfer,
auf daß in Erfüllung gehe, was der Priester prophezeite!"
Und während die einen sich auf Odoaker stürzten, stießen
die anderen die Kinder nieder.
Indessen erlahmte Odoakers Arm nach und nach. Und wiewohl er bereits einen
förmlichen Wall von Leichen um sich gebildet, wäre er schließlich
dennoch unterlegen. Doch zu rechter Zeit erinnerte er sich des Hornes,
das an seiner Hüfte hing. Und mit gewaltiger Kraft stieß er
in dasselbe, daß seine Feinde erbebten. Kaum hörten die Deutschen
den wohlbekannten Klang, als sie auch schon herbeieilten. Ihr Kriegsgeschrei
durchhallte die Lüfte und erfüllte die Römer mit Furcht
und Beben. Unter der Hand der Deutschen fiel, was einem Römer glich,
heulend floh das Volk der Stadt zu, allein Odoakers Scharen folgten, sie
sprengten die Tore, warfen Brände in die Häuser und alsbald
stand Juvavia in hellen Flammen. Keine Flucht war möglich, die Deutschen
trieben alle, die fliehen wollten, mit den Wurfspießen zurück
in die Flammen, und elend gingen die zugrunde, die vor wenigen Stunden
noch zu unüberwindlicher Herrschaft zu gelangen wähnten.
Alsbald erhob sich ein fürchterliches Ungewitter. Grelle Blitze durchschnitten
den Äther und Donnerschläge erschütterten die Erde. Die
Schleusen des Himmels öffneten sich und verwüsteten die ganze
Gegend. An der Stelle, wo kurz vorher noch die Natur in ihrem schönsten
Schmucke geprangt hatte, breitete sich bald eine öde Fläche
aus, auf der alles Leben erstorben schien. Odoaker lag indes todwund an
jener Stelle, wo das grauenvolle Opfer vollbracht worden war, in der Nähe
der hingeschlachteten Kinder. Seine Freunde schlugen an dieser Stelle
ein Zelt auf und pflegten seiner, bis er genesen. Dann ließ er die
Leichen der Kinder um jene Grube herum bestatten, den Opferaltar aber
niederreißen.
Auf seinem weiteren Zuge weihte er alle Römerstädte dem Untergange
und ließ das nunmehr herrenlose Land den nachrückenden Deutschen,
die sich in demselben niederließen und anbauten. Als er in die Gegend
kam, welche die Enns durchschneidet, erfuhr er, daß ein heiliger
Mann, namens Severin, in ihrer Mitte lebe, der ihnen allen ein milder
Vater sei. Odoaker machte sich sofort auf, ihn aufzusuchen. Mit Ehrfurcht
betrat er seine Hütte. Dieser erstaunte ob der Hoheit und Würde,
welche aus des Fremden Auftreten sprach, und begrüßte ihn mit
freundlichen Worten. Der Germanenfürst verweilte lange bei Severin.
Als er ihn endlich verließ, hatte der Same des Glaubens in ihm bereits
Wurzel gefaßt.
Die Prophezeiung Severins, Odoaker werde sein Werk vollenden und in Rom
seinen schlechten Pelz mit kostbarem Purpur vertauschen, ging in Erfüllung.
Er stürzte den römischen Kaiserthron und herrschte als deutscher
König in Italien, in Macht und Ansehen. Indes wußte die Eifersucht
des östlichen Rom ein anderes Volk gegen die eigenen Stammesbrüder
aufzureizen.
Theodorich, der König der Ostgoten, zog mit seinen Scharen von der
unteren Donau her nach Italien. Es kam zur Schlacht, in der Odoaker und
die Seinen unterlagen. Dem römischen Neid und Hasse, welchem eine
Versöhnung der beiden Fürsten nicht genehm war, gelang es weiter,
den gänzlichen Untergang Odoakers heraufzubeschwören. Er wurde
nämlich bald darauf während eines Festmahles meuchlerisch ermordet.
Seine Gefährten wandten Italien den Rücken und traten über
die Alpen den Rückweg in ihre Heimat an. Nach sieben Tagen beschwerlichen
Marsches erreichten sie das Walfeld, auf dem vor 18 Jahren, jenes grause
Schlachten stattgefunden. Und siehe da! Mitten auf dem Felde erhob sich
gerade an jener Stelle, wo das entsetzliche Opfer damals vollbracht worden
war, ein Birnbaum, voll der köstlichsten
Früchte. Da lagerten sich nun die Deutschen und pflückten die
Birnen und ruhten die Nacht über. Um Mitternacht war es ihnen, als
wecke sie süßer Gesang, und als sie aufsahen, schimmerte der
Baum in feenhaftem Lichte und zehn Engelein umschwebten ihn Hand in Hand
dem Herrn ein Loblied singend.
Wunderbar gestärkt setzten sie am Morgen ihren Marsch fort. Jeder
nahm sich von den Früchten etwelche mit und beim Scheiden gelobte
jeder, den Kern der Frucht da in den Boden einzusenken, wo er sich niederlassen
würde. Und sie hielten, was sie gelobt. Die Kerne trieben überall
und die Birnbäume gediehen im Norden wie im Süden, eine große
Zahl. So wurde der Birnbaum auf dem Walserfelde der
Stammvater aller Birnbäume Europas.
***
Im Schatten des Birnbaumes auf dem Walserfelde, so erzählt die Salzburger
Sage weiter, werden sich einst jene wenigen Schweizer sammeln, welche
sich aus der großen Schlacht, die bei Hall geschlagen werden wird,
gerettet haben werden. Ihr Häuflein wird so klein sein, daß
sie unter einem Hollunderstrauch Platz haben werden. Wenn sie auf dem
Walser Felde angekommen sind, währt es nicht mehr lange, so wird
man auf der Innbrücke den Schweizer Stier brüllen hören.
(S. 24.)
Wenn über Deutschland die höchste Not hereinbricht, dann wird
auch die Verzückung des Kaisers ein Ende haben. Die Raben, welche
bis dahin den Untersberg umkreisen, verlassen ihn, um weit weg zu fliehen
und die Leiber der edelsten Deutschen, die im Kampfe der Zwietracht und
gegen die Unterdrückung durch Verrat gefallen sind, mit ihren Schnäbeln
zu zerhacken. Ein Edelknabe wird die frohe Mär, in den Berg bringen,
daß die Raben ihn nicht mehr umkreisen, und es wird große
Freude darüber herrschen. Die Kaisertochter wird des Vaters Bart
messen, der den Tisch dreimal umspannt, und dessen Ende das kaiserliche
Antlitz wieder berührt. Hierauf küßt das sittige Fürstenkind
ihren Vater dreimal auf die Stirne. Der Kaiser erwacht zu neuem Leben,
sammelt sein Gefolge und zieht an der Spitze desselben aus dem Berge hin
zum großen Walserfelde. Dort angekommen, hängt er sein Wappenschild
an einen dürren Ast des Birnbaumes, der, oft verflucht und abgehauen,
doch immer wieder nachwuchs. Darauf erschallt des Kaisers Heerruf durch
ganz Deutschland, und alle, die treu zur deutschen Sache halten, eilen
herbei, sich unter seinem Schilde zu sammeln. Aber auch Deutschlands Feinde
und viele seiner eigenen Söhne werden sich zusammenrotten, um des
Kaisers Heermacht anzugreifen, und versuchen, ihn und die Seinen zu vernichten.
Es wird infolgedessen eine schreckliche Schlacht entbrennen, die drei
Tage währen und mit der Vernichtung der gesamten Feinde Deutschlands
enden wird. Alle Männer, Weiber und Kinder werden dem Kampfplatze
zurennen und morden helfen. Die Erschlagenen werden Hügel bilden,
das Erdreich wird nicht mehr imstande sein, das vergossene Blut einzusaugen,
und bis an die Knöchel werden die Streiter im Blute waten. Über
das rauchende Walserfeld wird die Sonne ihre scheidenden Strahlen entsenden,
wenn der große Kaiser an der Spitze seines Heeres gegen Salzburg
zieht, dessen Burg einst Zeuge seiner Verzückung, nunmehr Zeuge seines
Sieges und seiner Herrlichkeit ist. Die Tore der Stadt werden zu eng sein,
um die Scharen alle einzulassen, die Räume derselben zu klein, um
alle zu bergen. Am kommenden Morgen aber wird der Kaiser mit allen Bischöfen,
Fürsten und Edlen der Wunderhalle und seinen tapferen Heerscharen
im Dome zu Salzburg einem feierlichen Dank- und Lobamt anwohnen. Er wird
den ewigen Frieden verkünden und seinen Nachfolger aus den Edelsten
von Deutschlands Söhnen wählen. Nachdem er ihn gesegnet und
mit allen Insignien seiner Herrschaft und Würde bekleidet haben wird,
zieht der Kaiser mit seiner Tochter aus von Salzburg, um noch die Wiege
seiner Ahnen zu besuchen. Wenn er dann noch jeden Streit und Hader unter
den deutschen Stämmen geschlichtet, wird er gesegnet von allen eingehen
in die Wohnungen des ewigen Friedens und der Ruhe.
Der berühmte alte Lindenbaum auf dem Walserfelde
bei Salzburg.
Nach der Photographie im Salzburger Museum aus dem Jahre 1866.
Über die Gräber des Walserfeldes aber wird der Frühling
sein Grün und seine bunten Blumen breiten, und erst nach langen Jahren
der Pflug wieder auf denselben seine Furchen ziehen und die Welle der
üppigen Saaten darüber hinrauschen und erzählen von den
Schrecknissen der grausigen Völkerschlacht. Der Birnbaum aber wird
mit dem Ableben des Heldenkaisers langsam Zweig um Zweig absterben und
nie wieder grünen, noch Früchte tragen. Die Wunderhalle des
Untersberges wird keines Menschen Fuß mehr betreten, noch je wieder
etwas gesehen noch gehört werden von den Bewohnern des Wunderberges.
Nach einer der ältesten Sagen fällt der Auszug des Kaisers und
die Schlacht am Walserfelde mit dem Weltende zusammen. Es erscheint der
Antichrist und alle bösen und gottverlassenen Menschen werden von
den guten erschlagen.
Eine andere Prophezeiung aus dem Munde eines Mönches erzählt
gleichfalls von dem Birnbaum auf dem Walserfelde, so stehet zum ewigen
Gedächtnisse einer Schlacht: "Der Birnbaum ist lange Zeit dürr
gestanden und zum öfteren gar umgehauen worden, doch durch die Kraft
des Allmächtigen wurde die Wurzel behütet und hat allemal wieder
angefangen zu grünen und aufzuwachsen. Und wann er aufgewachsen sein
wird und Früchte bringt, so wird sich die Schlacht allda anheben
und der Kurfürst aus Bayern wird seinen edlen Schild daran hängen.
Diese Schlacht wird so erschrecklich sein, daß alles Volk zerstört
wird, ja der Bauersmann mit der Reitel (der Stock am Pflug, die Erde abzustreifen),
der Fuhrmann mit der Geißel (Peitsche) und die Handwerksleute mit
allem ihrem Werkzeuge zuschlagen werden. So alles geschehen wird zu Errettung
des christlichen Glaubens, welcher so ganz abnehmen wird. Und auf dem
Felde wird einem das Blut rinnen bis an die Schenkel, so gräulich
wird das Morden sein. Was aber vom Volk überbleiben wird, das wird
von den Riesen, so in dem Berg mit Kaiser Friedrich hausen, niedergeschlagen.
Um so weniger werden von den Angesehenen überbleiben, daß der
gesamte Adel auf einem Sattel davonreiten wird. Ja, so ergrimmt wird man
gegeneinander sein und so gräßlich das Gemetzel, daß
viele Städte, Märkte und Dörfer entvölkert stehen
und den Füchsen und Wölfen zur Wohnung dienen werden."
Oskar Schwebel in seinem Buche "Tod und ewiges Leben im deutschen
Volksglauben" bezeichnet als die berühmteste, die eigentlich
klassische Stätte der Sage von der letzten Schlacht das Walserfeld
bei Salzburg, welches von einem nahen Dörflein Wals also genannt
worden ist. Hier stand einst jener berühmte Birnbaum, unter dessen
Schatten jener Held ruhen sollte, dem es beschieden ist, im letzten Kampfe
obzusiegen. Er werde, so hieß es in der alten Sage, nach dem Kampfe
seinen Schild an einen Baum hängen, wie es die alten Kaiser getan,
wenn sie einen "Tag" hielten auf freiem Felde; er werde dann
ein ewiges Friedensreich begründen.
Für alle Zeiten werden die Sagen, welche einst geheimnisvoll das
dunkelgrüne Laub des Baumes durchrauscht haben, auf dem Walserfelde
fortleben. Dieselben verkünden, daß hier, wo der Holzbirnbaum
gestanden hat, die letzte Schlacht geschlagen werden solle; sie behaupten
ferner, der Baum sei wohl auch in früheren Zeiten schon des öfteren
umgehauen worden; aber die Kraft des Allmächtigen habe seine Wurzeln
gebenedeiet, so daß stets wieder ein frisches Reis aus demselben
hervorgewachsen sei. Noch einmal, so hieß es - dann aber
zum letzten Male -, werde der Baum dürr werden; noch einmal und zum
letzten Male werde er endlich mit neuem Laube sich bedecken. Wann aber
dann das frische Grün ihn schmücke, so werde aus dem nahen Unters-
oder Wunderberge ein verzauberter Kaiser hervortreten, welcher schon viele
Jahrhunderte dort geschlafen habe. Er werde mit seinen Wappnern um des
christlichen Glaubens willen eine große und erschreckliche Schlacht
schlagen. Das aber geschehe aus göttlichem Verhängnisse und
zu gerechter Strafe; denn zu jener Zeit werde die Sünde auf Erden
so gewachsen sein, daß kein Mensch dem andern mehr eine Tat brüderlicher
Liebe erweise. Sobald der Birnbaum zum letzten Male Früchte trage,
werde der Kampf anheben. Heiß werde ferner diese Schlacht werden
wie nie eine andere zuvor: den Streitern werde auf dem Schlachtfelde das
Blut steigen bis an die Knöchel; ja, selbst in ihre Schuhe werde
es rinnen. O, dann werden auch die Vornehmen wünschen, allzumal auf
einem Sattel davonzureiten! Aber den guten Menschen werde kein Unheil
schaden können; die riesenhaften Geister des Untersberges werden
sie schützen und erretten, während die Bösen allzumal erschlagen
werden.
Nicht selten, erzählen die alten Sagen ferner, klingt es um den Untersberg
und über die Ebene des Walserfeldes hin wie ein gewaltiger Schlachtenlärm.
In den altgeweihten Nächten, welche den späten Nachkommen der
heidnischen Urväter auch heute noch eine fromme Scheu einflößen,
werden alle Geisterstimmen wach. Ja, hohe Wunder geschehen dann bei dem
Geisterberge.
Der sagenumwobene Birnbaum auf dem Walserfelde
reicht jedenfalls weit in die mythische Vergangenheit zurück. Zwar
wer ihn gepflanzt hat, oder ob er von selbst gewachsen ist, wer kann das
wissen! Gewiß knüpfte sich schon in uralter Zeit die Sage von
der letzten Schlacht an ihn. Man sagt deshalb, daß die Bauern ringsum
oft Zweige und Blätter mit den Dreschflegeln von ihm herabgeschlagen
hätten, damit er nicht zu stark werde und nicht zu üppig. Auf
diese Weise sollte der letzte Kampf noch hinausgeschoben werden. Nach
altem Volksglauben gingen auch alle gefallenen Soldaten in den Untersberg
ein. Wenn aber die Zeit zum Kampfe gekommen ist, so hieß es einst,
dann gibt der Baum seine Zeichen: er blüht zweimal und trägt
überreiche Frucht.
***
Im Jahre 1813 grünte der Birnbaum, aber nur für kurze Zeit,
denn der Tag von Deutschlands Einigung war noch nicht gekommen.
Im Jahre 1830, da anläßlich der Julirevolution ein neuer Krieg
mit Frankreich drohte, soll der alte Sagenbaum wieder in Saft getreten
sein, was Chamisso Anregung zu dem bekannten Gedichte "Der
Birnbaum auf dem Walserfelde" gegeben hat; darin heißt es:
Es ward von unsern Vätern mit Treuen uns vermacht
Die Sage, wie die Väter sie ihnen überbracht;
Wir werden unsern Kindern vererben sie aufs neu',
Es wechseln die Geschlechter, die Sage bleibt sich treu.Das Walserfeld bei Salzburg, bezeichnet ist der Ort,
Dort steht ein alter Birnbaum, verstümmelt und verdorrt;
Das ist die rechte Stätte, der Birnbaum ist das Mal,
Geschlagen und gewürget wird dort zum letztenmal.Und ist die Zeit gekommen, und ist das Maß erst voll,
- Ich sage gleich das Zeichen, woran man's kennen soll -
So wogt aus allen Enden der sündenhaften Welt
Der Krieg mit seinen Schrecken heran zum Walserfeld.Dort wird es ausgefochten, dort wird ein Blutbad sein,
Wie keinem noch die Sonne verliehen ihren Schein;
Da rinnen rote Ströme die Wiesenrain' entlang,
Da wird der Sieg den Guten, den Bösen Untergang.Und wann das Werk vollendet, so deckt die Nacht es zu;
Die müden Streiter legen auf Leichen sich zur Ruh;
Und wann der junge Morgen bescheint das Blutgefild,
Da wird am Birnbaum hangen ein blanker Wappenschild.Nun sag' ich euch das Zeichen: Ihr wißt den Birnbaum dort,
Er trauert nun entehret, verstümmelt und verdorrt;
Schon dreimal abgehauen, schlug dreimal auch zuvor
Er schon aus seiner Wurzel zum stolzen Baum empor.Wann nun sein Stamm, der alte, zu treiben neu beginnt
Und Saft im morschen Holze aufs neu lebendig rinnt,
Und wann den grünen Laubschmuck er wieder angetan,
Das ist das erste Zeichen: es reift die Zeit heran.Und hat er seine Krone erneuet dicht und breit,
So rückt heran bedrohlich die langverheißne Zeit;
Und schmückt er sich mit Blüten, so ist das Ende nah;
Und trägt er reife Flüchte, so ist die Stunde da.Der heuer ist gegangen zum Baum und ihn befragt,
hat wundersame Kunde betroffen ausgesagt;
Ihn wollte schier bedünken, als rege sich der Saft
Und schwöllen schon die Knospen mit jugendlicher Kraft.Ob voll das Maß der Sünde? Ob reifet ihre Saat
Der Sichel schon entgegen? Ob die Erfüllung naht?
Ich will es nicht berufen, doch dünkt mich eins wohl klar:
Es sind die Zeichen heuer gar ernst und sonderbar.
Im Jahre 1847 wollte man aus der Menge der Früchte des Sagenbaums
schon auf die Nähe des großen Völkerkampfes schließen.
Ein Jahr darauf, als die Zeit der Unruhen gekommen war, veranlaßten
eigentümliche Verhältnisse den Anschein, als ob der Baum in
einer weiten, blutig-roten Lache stände (vgl. Kapitel V). Die Bewohner
von Wals, Hammerau, Großgmein und Himmelreich waren darob nicht
wenig erschrocken; diese Erscheinung konnte gewiß doch nur bedeuten,
daß die letzte Schlacht unmittelbar bevorstünde!
Der Siglbauer an der Salach, zu dessen Besitztum der Birnbaum auf dem
Walserfeld gehörte, hielt den Baum, wie seine Vorfahren, gar hoch
in Ehren und wies sogar ein Kaufangebot König Ludwigs I. von Bayern
zurück. Dieser kam nämlich im Jahre 1848 eines Tages hinaus
aufs Siglgut, nachdem er sich früher den sagenreichen, mehr als drei
Fuß im Durchmesser haltenden Birnbaum besehen und fragte den damaligen
Siglbauern, ob er ihm den Baum nicht käuflich überlassen wolle.
Er würde dann eine Umfriedung um denselben machen lassen, um ihn
so vor jeder böswilligen Beschädigung zu schützen. Allein
davon mochte der Bauer nichts hören. Er versicherte vielmehr, der
Baum bedürfe keines weiteren Schutzes, denn das Volk der Umgegend
habe eine heilige Scheu vor ihm und wohl keiner würde es wagen, frevlerisch
Hand an ihn zu legen. König Ludwig tat es sichtlich leid, seinem
Wunsche so beharrlichen Widerstand entgegengesetzt zu sehen. Indes da
nutzte kein weiteres Zureden, der Siglbauer blieb bei seiner Weigerung.
Kurze Zeit darauf erschien ein Fremder, der den Baum in seiner Länge
und Ausdehnung genau abmaß und sich alles genau notierte. Dem Bauer
kam dessen Beginnen verdächtig vor und begierig zu wissen, was jener
da treibe, ging er hin und fragte ihn, wer er sei und was er suche. Der,
kurz angebunden, meinte, er sei der königliche Förster von Reichenhall
und vom König abgesandt, den Birnbaum abzuschätzen. Er taxierte
ihn auf 100 Gulden. Der König wolle nämlich den Baum zwar nicht
vom Grunde weg kaufen, allein er sei bereit, so lange dem Siglbauer die
jährlichen Zinsen jenes Betrages zu zahlen, welcher dem Schätzungswerte
gleichkomme. Da nun er, der Förster, ihn mit 100 Gulden taxiert habe,
so bekomme er jährlich fünf Gulden, die er sich im königlichen
Forstamte zu Reichenhall regelmäßig beheben könne. Darauf
ging der Siglbauer ein und bezog durch zwei Jahre die ausgemachten Interessen
in der Form von Holz, das ihm besser als Geld kam. Nach dieser Zeit aber
starb der Förster und der Zinsenbezug wurde, weil sich in den hinterlassenen
Papieren des Verstorbenen nichts über diese Stiftung vorfand, eingestellt.
Seitdem blieb der Birnbaum wie vor und ehe im unbeschränkten Besitz
des Siglbauers.
Im Jahre 1872 fand sich die frevelnde Hand, die ihn, der bereits siebenmal*)
dem Beile zum Opfer gefallen war, nun zum achten Male dem verderben weihte.
Einem Bauernburschen von Siegenheim, der in der Nacht zum 5. Mai nach
Gois zu seinem Mädel über Feld ging und beim nächtlichen
Gewitter unter den breitästigen Birnbaum trat, um Schütz zu
suchen, kam es gespenstig vor, daß der Baum sich hinter seinem Rücken
bewegte; er lief vor dem vermeintlichen Geisterspuk spornstreichs davon
und hielt sein Abenteuer geheim. Indes, es war leider alles natürlich
zugegangen: der sagenberühmte Baum war einem Bubenstück zum
Opfer gefallen, das in Zeiten und Ländern mit geordnetem Naturdenkmalschutz
unmöglich gewesen wäre.
*) Die seit der Bibelzeit geläufige Zahl volkstümlicher Traditionen.
Der damalige Besitzer des Siglgutes, Josef Huber, war eben auf dem Heimwege
von einer Wallfahrt begriffen, als ihm ein Bekannter begegnete und ihn
fragte, weshalb er denn den Birnbaum umgearbeitet habe. Der fuhr ganz
erschrocken auf und wollte seinen Ohren kaum trauen. Schnurstracks eilte
er nach Hause und fand leider die Hiobsbotschaft bestätigt. Der Birnbaum
lag umgestürzt im Felde. Bei näherer Untersuchung stellte sich
heraus, daß der Baum zu drei Vierteilen durchsägt und vom Winde
zu Fall gebracht worden war, wozu gewiß auch der Umstand beigetragen
hatte, daß der äußerlich so mächtige Stamm im Innern
vermorscht war (vgl. S. 67).
Wann der Frevel geschehen, ließ sich nicht mit Bestimmtheit feststellen.
Jedenfalls war er vor dem 7., ja selbst vor dem 5. Mai verübt worden.
Am 7. Mai wurde er umgestürzt aufgefunden. Am Tage vorher war er
noch gestanden, nur war es damals schon dem Pfarrer von Siezenheim aufgefallen,
daß er sehr schief stünde.
So wenig sich bestimmen ließ, wann der Frevel geschehen, so wenig
fand man zunächst eine Spur des Frevlers, der auch ein Bauer gewesen
sein konnte, der dem anderen nach altem Brauch in der Walpurgisnacht etwas
hatte antun wollen. Der Volksmund suchte und fand bald eine Erklärung
für die rätselhafte Fällung des Birnbaumes auf dem Walserfeld.
Niemand anders konnte nämlich das Werk vollbracht, niemand anders
es gewagt haben, als die Untersberger selbst. Deutschland war ja wieder
in seiner alten Stärke und Macht erstanden, es gab wieder einen deutschen
Kaiser, und Bayerns Fürst war es gewesen, der den ersten Anstoß
zur Wiedererrichtung des deutschen Kaiserthrones gegeben. Die Sage hatte
sich erfüllt, der Baum hatte seine Aufgabe erfüllt. So dachte
wohl das Volk in der Umgegend, und so legte es sich alles zurecht.
Wurzelstock des berühmten alten Birnbaumes
vom Walserfelde.
Photographie des im Salzburger Museum verwahrten Objektes.
Indessen hatte sich die Kunde von dem Falle des weltberühmten Birnbaumes wie ein Lauffeuer verbreitet und rief allgemeine Entrüstung hervor. Dr. Sepp schrieb in der Nr. 256 der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom Jahre 1872: "Mit tiefstem Schmerze lesen wir, daß der Nationalbaum unseres Bayernvolkes, der weltberühmte Birnbaum auf der Walserhaide, an welchen sich anderthalbtausendjährige Erinnerungen knüpfen, am 5. Mai dieses Jahres unter der Axt eines Unbekannten gefallen ist. Es ist der Stamm, der das Andenken bewahrt, daß auf dieser Walstatt die Römer, welche fünfhundert Jahre im Lande zwischen Donau und Alpen gehaust, unter den furchtbaren Streichen der Deutschen erlagen und ihre Herrschaft ein Ende nahm. Es ist ein Malbaum, unter welchem das Volksthing stattfand und zum Zeichen des eröffneten Gerichts einst der Königsschild aufgehangen ward. Es ist ein Baum der Verheißung, daß dereinst der alte Gott, an dessen Stelle der historische Kaiser Karl der Große als Reichsgründer getreten, aus der goldenen Tiefe des Untersberges, unseres Kyffhäusers, vielmehr der lokalisierten Walhalla, seinen Auszug nehmen, die Nation in ihren tiefsten Nöten erretten und im letzten Kampfe über die Wälschen den entscheidenden Sieg davon tragen werde. Selbst die barbarischen Zeiten haben dieses längst abgedorrten Patriarchen der Baumwelt geschont, und unser an historischer Bildung fortgeschrittenes Jahrhundert, wo man zugleich die alten Sagen wieder zu Ehren bringt, läßt ihn fällen." *)
*) Auf den Gegenstand in der Beilage Nr. 74 der "Allgem. Zeitung" vom 15. März 1882 zurückkommend, schreibt Dr. Sepp, der Birnbaum wäre in der ersten Mainacht 1871 niedergehauen worden. Die richtige Jahreszahl bleibt aber 1872.
Aus diesen Worten spricht die ganze und große Entrüstung des
Gelehrten, der in dem gefällten Birnbaum des Walserfeldes ein kostbares
Nationaleigentum geschändet sieht. Übrigens irrt Dr. Sepp, wenn
er von einem "längst verdorrten Patriarchen der Baumwelt"
schreibt; der Birnbaum grünte und blühte Jahr für Jahr
und stand eben, als er gefällt wurde, im herrlichsten Blätterschmuck.
Wenn der Verfasser im späteren Verlaufe des zitierten Artikels die
Frage stellt: "Wer aber gab dem vorübergehenden Eigentümer
des Bodens ein Recht, die Axt an dessen Wurzel zu legen oder legen zu
lassen?" - so war der Besitzer des Siglgutes ganz entschieden in
Schutz zu nehmen. Er sowohl wie alle Umwohner ehrten den sagenreichen
Baum mit zu großer Gewissenhaftigkeit, als daß ihnen je der
Gedanke gekommen wäre, Hand an denselben zu legen.
Wer den Frevel verübte, darüber herrschte, wie erwähnt,
vorerst tiefstes Dunkel. Etwas Aufklärung in dasselbe wurde indes
im Jahre 1875 gebracht. Ende 1874 erhielt nämlich die Gesellschaft
für Landeskunde in Salzburg und Reichenhall das Tagebuch eines gewissen
Johann Wicherl, Ackerbauschülers in Klagenfurt, eingesandt, das am
oder wenige Tage nach dem 7. Mai in der Nähe des Rumpfes des gefällten
Birnbaumes gefunden wurde. Die vorgenannte Gesellschaft, von jeher für
alles, was die Geschichte Salzburgs betrifft, von dem regsten Interesse
erfüllt, nahm die Angelegenheit auf und forschte eifrig nach, Näheres
über die Person Johann Wicherls zu erfahren. Den sofort eingeleiteten
Nachforschungen gelang es auch, in Erfahrung zu bringen, daß derselbe
wegen Landstreicherei in die Zwangsarbeitsanstalt in Laibach gebracht
worden ist und daselbst noch angehalten wurde. Die weiteren Erhebungen
zeigten, daß Wicherl ein bedauernswerter krankhaft überreizter
Mensch war, dem man wohl zumuten konnte, daß er Hand an den nationalen
Birnbaum am Walserfeld gelegt hat. Die fixe Idee, mit berufen zu sein,
an dem großen Endkampfe in hervorragender Weise teilzunehmen, scheint
sich ihm unauslöschlich eingeprägt zu haben; die großen
Ereignisse 1870 und 1871, die zur ruhmvollen Errichtung des neuen Deutschen
Reiches geführt hatten, waren ganz danach angetan, auf ein krankes
Gemüt, wie das Wicherls, den stärksten Eindruck zu machen. Was
die Welt mit Bedauern aufnahm, ihm schien es eine Heldentat.
Anna Zillner berichtet, wie Oberstabsarzt Dr. Wallmann**) und ihr Vater,
der Salzburger Historiker Dr. Franz Valentin Zillner, die beide mit warmer
Liebe an ihrer deutschen salzburgischen Heimat hingen, das Stück
Land (im Jahre 1874) erwarben, worauf der alte Baum gestanden hatte, mit
einer Weißdornhecke umfriedeten, vier Marksteine setzten und für
einen jungen Stamm als Nachfolger sorgten. Doch gedieh erst das 1882 oder
1883 von Dr. Zillner gepflanzte Bäumchen das er auch bis in seine
letzten Lebensjahre - er starb am 17. Dezember 1896 - pflegte. Seine Tochter
folgte in treudeutscher Gesinnung dem Vorbilde ihres Vaters in der Sorge
um den jungen Baum und veranlaßte auch dessen photographische Aufnahme,
als er im Frühling 1911 in Blüte stand.
*) Als Dichter unter dem Namen "Heinrich von der Mattig" bekannt.
Der neue Birnbaum des Walserfeldes mit dem Untersberg.
Nach Photographie.
Der Baum, beziehungsweise das kleine Grundstück, wurde zuerst dem
Verein für Salzburger Landeskunde, später der Salzburger Stadtgemeinde
übergeben. Nun ist auch Anna Zillner tot. Als Maria Andree-Eysn zu
Beginn des Jahres 1915 auf dem in der Sage so oft genannten Walserfelde
und vor dem Baume stand, fand sie den Baum gesund und wetterhart, nur
der ihn umhegende Weißdorn war entfernt. "Möge,"
so schloß sie ihren Aufsatz, "eine schützende Hand weiter
über ihn walten, und wenn er 1916 wieder in Blüte steht, den
beiden großen im Kampfe stehenden Reichen, an deren Grenze er steht,
bereits Sieg und Frieden gebracht worden sein."
Wie Freisauff 1876 berichtete, steht ungefähr hundert Schritte von
dem Standplatze des früheren entfernt ein Birnbäumchen, dem
die Erbschaft seines Urahns übertragen wurde. So sehr wir nun, meint
Freisauff, diesen Vorgang anerkennen und schätzen, so sind wir dennoch
auch von dem Wunsche beseelt, den Dr. A. Silberstein schon im Jahre 1872
in der "Augsburger Allg. Zeitung" ausgesprochen, "es möge
die Natur helfen mit ihren steten Wundern, sie lasse ein Sprößlein
grünen aus der alten Wurzel und nicht ganz vergehen den Birnbaum
auf dem Walserfelde."
Nach den Erfahrungen der Obstzüchter wäre eine solche Erneuerung
durch einen Sproß, wenn auch nicht aus der Wurzel (wie etwa bei
den Zwetschkentrieben), so doch aus dem sogenannten Wurzelhals am Stammgrunde
wohl denkbar. Und dies um so eher, je mehr die Sorte den Wildlingscharakter
hat - so etwa die Mostbirne - und je südlicher der Standort des Baumes
ist, also in Bozen gewiß leichter als in Nordböhmen. Je älter
der Baum, desto schwerer wird er unter sonst gleichen Verhältnissen
einen solchen Schößling treiben, der selbstverständlich
erst veredelt werden müßte, wenn er zum Fruchttragen dienen
soll. Vernachlässigte ältere Birnbäume in Bauernwirtschaften
treiben mitunter von selbst solche wilde Schösse um den Stamm herum
am Grunde desselben, wird nun der Stamm umgehauen, so kann ein solcher
Schoß ohne Frage zu einem neuen Baum herangezogen werden. Das Austreiben
eines gestümmelten Birnbaumes kann, wenn die Stümmelung während
der Vegetationsperiode stattgefunden hat, ganz gut im nächsten Jahre
erfolgen. In der Regel treiben die gestümmelten Bäume infolge
der großen Saftstockung bald aus. Das Erwachen der Triebkraft könnte
sich in solchen Fällen durch günstige Wachstumsverhältnisse,
wie Einwirkung entsprechender Feuchtigkeitsmengen und Wärmeeinflüsse
erklären lassen. Diese Ausnahmen, die nicht die Regel darstellen,
können aber immerhin vorkommen. *)
*) Mitteilung des Landesobstbauinspektors Löschnig (Wien) an den Verf.
Dr. Silbersteins Absicht war es anfänglich, die Holzschnitzereischule
in Hallein dazu zu vermögen, das Holz des gefällten Baumes zu
erwerben und zu verwerten. Doch fand sich früher noch ein Mann, der
dieselbe Idee der Verwertung des Holzes hatte und in der Tat auch zur
Ausführung brachte.
Johann Lindlbauer, so der Name desselben, mit der Domänen- und Forstverwaltung
des Herrn Michael Fink betraut, ehemaliger Militär, hatte kaum Kunde
von dem Fall des berühmten Birnbaumes erhalten, als in ihm auch schon
der Gedanke erwachte, die Holzreste desselben an sich zu bringen und durch
einen geschickten Schnitzer Schnitzereien daraus machen zu lassen, welche
insbesondere die vielen Sagen des Untersberges versinnbildlichen sollten.
Er war dabei, wie er selbst angibt, von der Überzeugung beseelt,
daß es Pflicht sei, eine Zersplitterung und Vergeudung so wertvollen
Gutes, wie die Holzreste des Birnbaumes es in der Tat waren, unter allen
Bedingungen hintan zu halten und dem Lande zu sichern, worauf es durch
eine nach Jahrhunderten zählende Tradition allen Anspruch hatte.
Er setzte sich demgemäß sofort mit dem damaligen Siglbauer,
Josef Huber, ins Einvernehmen und brachte denn auch den Unterstock, einen
Teil des Schaftes samt einem kleinen Ast und den stock des Birnbaumes
in der beiläufigen Höhe von 3 1/2 Schuh käuflich an sich.
Der nächste Schritt war, einen tüchtigen Schnitzer zu suchen,
und den fand er in dem Halleiner Kunstschnitzer A. Baumann. Genau nach
den ihm von Lindlbauer erteilten Angaben verfertigte dieser eine Reihe
von Gegenständen, welche sich zum größten Teile auf die
Untersbergsagen beziehen, zum Teile Begebenheiten behandeln, welche in
der Geschichte Salzburgs eine hervorragende Bedeutung einnehmen. Einen
aus dem Holze des alten Walserfeldbirnbaums geschnitzten Aufsatz erhielt
der deutsche Kaiser von einer schlesischen Dame als Geschenk.*)
*) Es mag daran erinnert sein, daß ein früherer im Holzschnitzen bewanderter Fabrikant aus dem Holze des Birnbaumes in Göppingen, an dem das Luftschiff "Zeppelin II" Havarie erlitt, eine Zeppelin-Karikatur anfertigte, die den Grafen als Nußknacker darstellt (1909).
Am 29. Juli 1917 suchte der Verfasser die Sagenstätte des Walserfeldes
auf. Will man den Birnbaum selbst sehen, so muß man sich über
Riedenburg, diese Gartenvorstadt Salzburgs, wohin die elektrische Straßenbahn
führt, dann südwärts über Maxglan durch den Weiler,
der Himmelreich heißt, auf der Reichenhaller Reichsstraße
quer durch die zwischen der Saalach, dem Untersberg und Maxglan sich erstreckenden
Ebene bis vor die Dörfer Wals, und Gois begeben, wo auf einem abgesteckten
viereckigen Platz, von dem sich ein anziehender Rundblick auf Ebene und
Gebirgskamm eröffnet, etwa hundert Schritte abseits der Chaussee
der vielgenannte sein Haupt erhebt. "Bezeichnet ist der Ort,"
wie es in Chamissos Vision lautet, ganz und gar nicht. Nicht die kleinste
Gedenktafel unterscheidet den Baum von anderen, was doch endlich nachgeholt
werden sollte. Die Stätte ist die richtige, der Baum selbst ist schon
der dritte, auf den die Tradition
sich übertragen hat.
Vom ersten stammt der massige, noch teilweise berindete Strunk, dessen
Grund kaum zwei Männer mit ausgestreckten Armen umspannen könnten,
im Salzburger städtischen Museum.*) Er wurde in den ersten Maitagen
des Jahres 1872 von einem Burschen angesägt, vom Sturm darauf in
der Nacht niedergelegt (vgl. oben), was begreiflich wird, wenn man bedenkt,
wie schutzlos die Einzelbäume in der weiten Ebene dem Wind und Wetter
ausgesetzt sind, wenn man weiter an dem Querschnitte des dürren Museumobjektes
die tiefe Höhlung des längst marktrocken gewesenen alten Stammes
wahrnimmt. Der 1872 durch einen geistesgestörten Fanatiker vernichtete
Baum wurde im Jahre 1874 durch einen zweiten ersetzt, und als dieser nicht
recht fortkommen wollte, vor mehr als dreißig Jahren durch den jetzigen,
der auch schon durch Weißdorngestrüpp überwuchert wäre,
wenn sich nicht auf Betreiben des um die salzburgische Heimatkunde und
Folklore verdienten Lehrers Karl Adrian die Salzburger Stadtgemeinde der
Sache angenommen hätte. Anläßlich seines Besuches am 29.
Juli 1917 maß der Verfasser die Stammhöhe bis zur Abzweigung
der Äste mit 1,38 m, den größten Stammumfang am Grunde
mit 78 cm.
*) Die Ausmaße dieses Strunkes sind: oberer
Durchmesser 60 bzw. 90 cm, Höhe über 80 cm, größter
Umfang am Grunde 3,40 m.
Der frühere Besitzer des Platzes, ein Militärarzt, namens Dr.
Wallmann, hat die kümmerliche Balkeneinfassung und die vier niedrigen
Ecksteine, auf denen noch das W zu lesen ist, herstellen lassen, und solcherart
wenigstens den zweiten Nachfolger des Birnbaumes erhalten, an den Kaiser
Karl jederzeit seinen Schild aufhängen könnte, wenn die Raben
nicht mehr um den nahen Untersberg fliegen; denn der Baum grünt ja,
wenn auch sein Laub von einem ungewöhnlich starken Hagelfalle des
Frühsommers arg hergenommen war. Früchte von diesem bedeutsamen
Baume zu pflücken war 1917 nicht möglich. Er hat wohl im Jahre
1917 wie in dem vorangegangenen geblüht, die Fruchtansätze hat
aber der Hagel mitgerissen. Eine gute Stunde hat man von Salzburg zu dem
Birnbaum zu wandern. Aber wie es schon zu geschehen pflegt, die Salzburger
selbst bemühen sich selten, ihn aufzusuchen.
Die Ansichtskarte, die als die des Walserfeldes nach einem Bilde von Max
Ruppe mit einigen Strophen des Gedichtes Chamissos in Salzburg verkauft
wird, zeigt wohl das Walserfeld, aber der Baum im Vordergrunde ist nicht
der Sagenbaum, sondern eine näher zu Maxglan stehende Eiche und der
Berg im Hintergrunde nicht der Untersberg, sondern der Stauffen. Auf dem
Heimwege nach der Stadt kommt man noch an einem Franzosenkreuz aus Stein
vorüber, das an einen im Gefechte mit den Österreichern am 13,
Dezember 1800 gefallenen französischen Offizier erinnert. Die Zersplitterung
an dem Dachsparren des Steinmetzhauses im Himmelreich soll von einem Kanonenschuß
in jenem Gefechte herrühren.
Wie die sage vom Birnbaum auf dem Walserfelde im Volksbewußtsein
lebendig geblieben ist, lehrt eine von der findigen Post als "unbestellbar"
bezeichnete Feldpostkarte des Jahres 1914, die vom "Salzburger Volksblatt"
veröffentlicht wurde: sie lautet wörtlich: "An S. M. Kaiser
Karl, wohnt im Untersberg bei Salzburg. Werte Majestät! Indem sie
versprochen haben, im Weltkrieg kommen sie mit ihrer Macht, jetzt ist
Zeit: können sie sich dem Landsturm anschließen, dann ist der
Sieg unser. Der alte Birnbaum am Walserfelde ist Ihr Ralliierungsplatz.
Es grüßt sie der Landsturm, Salzburg Nr. 100."
Quelle: Sagenpflanzen und Pflanzensagen, Dr. E. M.
Kronfeld, Leipzig 1919, S. 50ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Gabriele U., Juni 2005.
© www.SAGEN.at