V. "Zeichen und Wunder"
Blut ist im faustischen Sinne ein "besonderer Saft" und beschäftigt
als solcher den Volksglauben.
Das Rot der Blumen, von dem im Kapitel "Heldenblumen, Heldenbäume"
(S.7 ff.) schon gesprochen wurde, das Rot bestimmter Örtlichkeiten,
besonders in Gebirgsgegenden, gibt zu Sagen vielfachen Anlaß. Nach
der Volksvorstellung bluten Bäume, wenn sie von der Axt getroffen
werden*), und der Sage von der blutigen Alp, den Blutmulden
usw. begegnen wir in verschiedener Fassung, zumal in den österreichischen
Alpen.
*) C. Rosenkranz, Die Pflanzen im Volksaberglauben, 2. Aufl., Leipzig 1896, S. 30, 57. Vergl. auch Schillers "Tell".
Die blutrote oder doch rote Färbung des Bodens oder des Felsens
läßt sich naturwissenschaftlich erklären. Zunächst
können es bestimmte Gesteine sein, die die auffällige Färbung
hervorrufen, so der Roteisenstein oder das Roteisenerz, eines der wichtigsten
Eisenerze, das in faserigen, dichten oder ockerigen (roter Eisenocker)
Spielarten des Eisenoxyds oder Eisenglanzes, in blutroter, oft ins stahlgraue
übergehenden Farbe, vorkommt. Dann kann das Rot von Pflanzenüberzügen
stammen. Unter den Krustenflechten der Gebirge gibt es Arten, die die
Felsen braunrot oder orangefarben erscheinen lassen. Dann werden die Schieferblöcke
im Gebirge durch eine Alge (Trentepohlia jolitha) rot gefärbt, daher
"Veilchenstein". Zwei schöne Tafeln in Kerners "Pflanzenleben"
vergegenwärtigen uns diese Flechten und den Veilchenstein. Endlich
vermögen auch massenhaft vorkommende rotblühende höhere
Pflanzen manche Örtlichkeiten zu "Blut"stätten zu
machen.
Der Vollständigkeit wegen seien noch die durch mikroskopische Blutalgen
bewirkte gelegentliche "Blutfärbung" von Gewässern
(so 1555 der Schloßgraben von Weimar, am 9. Januar 1572 die Weichsel
bei Thorn, 1712 der Wichmannsee bei Niedann, 1715 ein Teich bei Bröske,
später ein Teich zwischen Königsberg und Karschau, Pieper, a.
a. O. S.593) und die durch den mikroskopischen Pilz Micrococcus
(Bacillus) prodigiosus hervorgerufenen "blutenden
Hostien" erwähnt, die in abergläubischen Zeiten
zu den grausamsten Judenverfolgungen geführt haben.
Wenn das Wasser des Murtener Sees sich von Zeit zu Zeit in Blut verwandelt,
zum Gedächtnis an die fürchterliche Schlacht vom Jahre 1476
(S.35), in der 34 000 Eidgenossen 20 000 Ritter des Burgunderherzogs erschlagen
haben, so wissen wir, daß dieses "Burgunderblut"
von der winzigen Alge Oscillaria rubescens herrührt, die auch sonst
als Wasserblut in der Schweiz beobachtet worden ist. Francé in
seinem prächtigen Buch "Die Alpen" (S. 256) gibt uns von
diesem Burgunderblut und den durch die ungeheuere Vermehrung der Alge
Euglena sanguinea bewirkten Schweizer
Blutseen eine anschauliche Schilderung.
Bemerkenswerterweise hat der Professor der Pflanzenphysiologie an der
Wiener Universität Hofrat Dr. Hans Molisch die rote, durch Oscillaria
rubescens hervorgerufene Wasserblüte während des Weltkrieges
im Wiener Prater feststellen können.*)
*) Österr. botan. Zeitschrift, 1918, S. 357 - 359. - Vgl. auch C. Klausener, Die Blutseen der Hochalpen. Int. Rev. D. gesamt. Hydrobiol. u. Hydrographie. Bd. I.
Zu Beginn des Weltkrieges färbte sich, mit anderen unheimlichen
Zeichen (nach einem Vortrage, den Dr. Hans Bächtold im Jahre 1916
in der Baseler Gesellschaft für Volkskunde hielt), der Murtener See
wieder einmal rot. Verdorrte Bäume fingen wieder an zu grünen.
Auf dem Ochsenfelde bei Mühlhausen (auch an anderen Örtlichkeiten,
so dem Birrfeld bei Brugg) - so erzählte man - werde eine gewaltige
Entscheidungsschlacht geschlagen werden, wobei die Pferde bis an die Fessel
im Blute waten würden. Nach dem furchtbaren Krieg werde es nur noch
so wenig Leute bei uns geben, daß man sie in einem Wirtshaus bewirten
könne, und daß in Luzern die wilden Rosen durch die Fenster
in die Häuser hineinwachsen werden. Ähnliches wurde auch aus
Belgien und Frankreich berichtet.
Das rote Heidekraut soll aus dem Blute
erschlagener Helden stammen, die in den Hunnengräbern liegen; davon
stammt seine vermeintliche Zauberkraft, die in Gockels "Traktat von
Beschwörungen und Bezauberungen" gerühmt wird. Die Ruhe
der alten Kämpen soll man nicht durch Nachgraben stören. Als
der Kanonikus von Rammelsloh dieses dennoch tat, erschienen in der Nacht
drei Männer, von denen der eine einäugig war, und sprachen mit
wunderbaren Lauten in uralter Schreibweise:
Heldentod haben
wir hier erlitten.
Für das Vaterland
Fochten und starben wir.
Störern unseres Staubes
Strahlt Glücksstern nimmer.*)
*) Pieper, a. a. O., S. 307.
Auf der Kolborner Heide, unfern dem Städtchen Lüchow, ragt ein rotbesprengter Granit etwa vier Fuß über den Boden hervor. Davon erzählt die Sage:
Ein Ritter und eine adlige Jungfrau liebten sich herzlich. Eines Abends saßen sie traurig auf einem Felsensteine im Birkenwald auf der Haide; denn sie sollten nun Abschied nehmen, weil der Ritter in den Krieg zog. Sie schworen sich Treue und die Braut versicherte, ehe solle der Fels sie lebendig begraben, ehe sie dem Geliebten die Treue brechen werde. Als sie aber mit dem Buhlen auf dem Steine gesessen, hat der Stein den Fernen gerächt. Ihr Blut hatte den Fels und die kleinen Blumen der Haide gerötet. Wie der Ritter nun heimkam und sah, daß blutrote Adern über den Fels liefen, und daß auch die Haide mit roten Blümlein bedeckt war, schlug er heftig mit dem Schwerte an den Stein und ein roter Blutstrahl sprang daraus und ein banger Klageton erscholl. Da erkannte der Ritter, daß er betrogen sei, nahm noch einen Strauß von der rothen Haide und trieb dann sein Roß wieder hinaus in neue Kämpfe. Der Stein wird der Brautstein genannt: Brauttreue heißt das rote Heidekraut (Harrys Volkssagen Niedersachsens. I. S. 60).
Wenn sich die Weidenzweige stark röten, so bedeutet das Krieg.
Wenn Joringel im Suchen nach der verlorenen Jorinde die blutrote
Blume findet, die allen Zauber löst, wenn die Blutbuche,
die ein Opferbaum der alten Germanen war, aus dem Grabe schuldlos
Gemordeter aufsteigt, so wird man mit Rochholz
*) daran erinnert, daß das althochdeutsche bluot sowohl Blüte
als auch Blut bezeichnet, "und der Begriff beider ist Art und Geschlecht".
*) Rochholz, Deutscher Unsterblichkeitsglaube, Berlin 1867, S. 10. Über Blutbäume vgl. auch Berlepsch, Die Alpen, E. M. Kronfeld, Der Krieg im Aberglauben usw., S. 124
Das "blutige Wantl" ober
Höfling im Gailtal zeigt Blutflecken an der Felswand, die kein Regen
wegwaschen kann. Nach einem Kampf entstanden, sind sie für immer
sein Zeichen.
Unfern vom Orte Möllbrücken in Kärnten steht eine Kapelle
mit drei mächtigen Linden, die noch aus der heidnischen Slawenzeit
stammen. In der Nähe drei größere Vertiefungen, die "Blutmuldern"
oder "Blutmulden". Nach
slawischer Sage wird sich, wenn die Linden sich zum drittenmal erneuern,
das Slawenvolk erheben, die auf dem Lurnfelde vergrabenen Keulen hervorholen,
und die Mulden werden sich mit Leichen und Blut der Germanen füllen.
Die Erinnerung an diese Schlacht wurzelt so tief im Volke, daß die
aufrührerischen Bauern von Millstatt im Jahre 1735 sich anschickten,
die am Lurnfelde (Namensrest des karolingischen Lurngau) vergrabenen Keulen
auszugraben und mit ihnen die Grundherren zu erschlagen. Im Jahre 1848
lebte die Blutsage neu auf.
Weidenbaum an einem Bache.
Nach einem Ölgemälde von F. G. Waldmüller, 1793 - 1865.
Die blutige Alp zwischen Salzburg
und Kärnten erinnert an eine Schlacht gegen wilde Völker.
Wenn "Rosen auf Weiden wachsen",
stehen wichtige Ereignisse bevor. So sollen sie 1647 den westfälischen
Frieden, 1698 das Ende des Türkenkrieges, 1707 den Kirchenfrieden
in Schlesien und 1917 den Schluß des Weltkrieges angezeigt haben.
Nicht nur wahrscheinlich, wie Pieper*) bemerkt, sondern ganz bestimmt
handelt es sich um durch den Stich bestimmter Gallmücken an der Spitze
der Weidenzweige entstandene, entfernt rosenähnliche Anhäufungen
gelblichgrüner oder rötlicher Blättchen. Das Wunder der
"Weidenrosen" über
die früher ganze Abhandlungen erschienen sind **) ist eben eine Pflanzengalle,
die durch die Gallmücke Cecidomyia (Dichelomyia) rosaria veranlaßt
wird. Die Laubknospe, aus der sie entstehen, behält ihre kurze Achse
und entwickelt aus derselben zahlreiche grüne Blätter, die ähnlich
wie die Blätter einer gefüllten Rose angeordnet sind. Im Herbste
treten die rosettenförmigen Gallen an den Weidensträuchern schon
von ferne deutlich hervor, weil die sie zusammensetzenden Blätter
nicht wie die anderen Blätter abfallen, sondern als braune vertrocknende
Gebilde an den Enden der Zweige zurückbleiben. Eine gute Abbildung
solcher Weidenrosen und ihrer Bestandteile gibt A. von Kerner (a. a. O.,
II. Bd., S. 490).
Alpenveilchen (Cyclamen europaeum).
Originalzeichnung aus Wilhelm von Warteneggs Nachlaß.
Noch abenteuerlicher als das sich so harmlos aufklärende Weidenrosenwunder ist, daß ein Weidenbaum in der Schlacht am Welphesholz vom Jahre 1112 dem Sachsenvolke, das gegen Kaiser Heinrich V. zu Felde lag, das Wort "Jodute", diesen uralten Hilferuf, zugerufen hat. Hierauf errangen die Sachsen den Sieg***).
*) Pieper, a. a. O., S. 202.
**) So Wendel, M. W., Die Wundergüte Gottes gezeigt durch die unlängst
auf Weiden blühenden Rosen, 1693.
***) Bechstein, Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerwaldes,
Hildburghausen 1835, S. 84.
Als die Türken in Krain einfielen, da flüchteten die Frauen vor den rauhen Horden über die Karawanken nach Kärnten. Aber die Heiden zogen ihnen nach und metzelten sie zusamt nieder. Der Boden trank das Blut der Unschuldigen und ließ zum Gedächtnis für ewige Zeiten das Türkenkraut (Alpenveilchen, Cyclamen europaeum) hervorsprießen, dessen Blätter an der Unterseite blutig gerötet sind:
Vom fernen Meer der Türken Heer
Brach ein in unsre Auen;
Die Männer sanken in der Schlacht,
Es flohen die Kinder und Frauen.Der Heiden Wut sah junges Blut
Und folgte seinen Spuren;
Wie Maienblüten in Sturmesnacht,
So deckten Leichen die Fluren.Und wo der Quell vom Berge hell
Herniederhüpft zur Halde,
Lag Mädchenschönheit und Frauenpracht
Dahingewürgt im Walde.Und wunderbar! Ein Blümchen klar
Erhob sich aus jedem Tröpfchen
Des ungesühnt vergoßnen Bluts
Und senkte trauernd sein Köpfchen.Ein jedes Blatt Blutfarbe hatt',
Es weinten die rosigen Sterne.
Die Mädchen und Frauen gehn in den Wald,
Sie suchen und pflücken es gerne.
(Adolf Kronfeld.)
Während bei unserem Alpenveilchen eine physiologische Eigentümlichkeit des Blattes mit der auffallend roten Färbung der Unterseite die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich gezogen hat, gibt es in unserer Heimat auch eine Pflanze, die wegen der Samenform mit Kriegsbegebenheiten in Beziehung gebracht wurde. Es ist dies die Pimpernuß (Staphylea pinnata), auch Klappernuß oder Blasennuß genannt, deren erbsengroße, harte, ölreiche, scherbengelbe Samen in den hängenden, blasig erweiterten dreifächerigen Kapseln entwickelt werden und, in ganz reifem Zustande losgelöst, an die trockene Kapselwand hörbar anschlagen, klappern oder "pimpern". Als einst der Feind ins Land kam, wollte er in ein Frauenkloster eindringen, da schnitten sich die Nonnen die Nasenspitzen ab, um sich vor Vergewaltigungen zu bewahren. Auf der Stelle, wo die Nasenspitzen vergraben wurden, wuchs fortan der Strauch mit den charakteristisch geformten Samen, die entfernt an abgeschnittene Nasenspitzen erinnern können*). Nebenbei bemerkt, sind die süßschmeckenden Samen ("wilde Pipazien") eßbar, wirken aber leicht abführend.
*) Kautsch, Zeitschrift für österreichische Volkskunde, Wien 1907, S. 116.
Als im 17. Jahrhundert die Türken das Heilige römische Reich bedrohten, wuchsen zu Halle und Jena seltsam gespaltete Eicheln, an denen man Angesichter von Türken und Drachenköpfe wahrnahm.*) Vermutlich hat es sich hier, wie bei der Weidenrose, um krankhafte Gallbildungen gehandelt.
*) Pieper, a. a. O., S. 434.
Auf nachträglich überwachsenen Borkenkäferfraß dürfte die Erscheinung von Kriegerfiguren zurückzuführen sein, von der nach der Halbmonatsschrift "Niedersachsen" (1918) eine alte Chronik aus dem Jahre 1592 beweglich verkündet:
"im Herzen des Baumes wunderbarliche Bilder, als wären sie hineingeschnitzt worden, nämlich große Haufen Kriegsleute, Oberste, Fehnriche, Trommelschläger, Voppelsoldener, Hakenschützen, Musketiere, die stunden alle haufenweise, wie in einer Schlachtenordnung. Da nun hierzu eine große Versammlung Volkes gekommen ist, solch unerhörtes Wunderwerk zu besehen, hat er ein ander Stück dieses Baumes durchsegen lassen und eben solche Bilder und Kriegsrüstung darinne gefunden . . . Was dies nun bedeutet und mitbringen wird, ist, das wir aus allen Ecken und Winkeln werden sehen Kriegsleute herfür springen, die uns schrecken, plagen, rauben, morden und schlagen werden. Die deutsche Nation werde die Augen aufthun und ihre Gefahr wahrnehmen; möge sie Hertzen und Hende zusammenthun und wider aller Feinde anfall für einen Mann stehen."
Same der Pimpernuß (Staphylea pinnata).
Vergrößert. (Vgl. Text S. 83.)
Wenn man Borkenfraßbilder beobachtet, wie sie etwa das Jahrbuch
der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft 1916, Taf. 46, 47, 48, 1918,
Taf. 39 in höchst lehrreicher Weise vorführt, wird man zugeben,
daß mit etwas Phantasie die Vorstellung von Kriegerkolonnen mit
Lanzen usw., besonders bei abergläubischen Gemütern geweckt
werden kann. Der Aberglauben wird noch begreiflicher, wenn diese geheimnisvollen
Kriegs- und Schlachtenfiguren sozusagen im Positivabdruck nach vielen
Jahren, vielleicht nach Jahrhunderten im zerschnittenen Baum sich vorfinden.
Bei dem Dorfe Krücken, in der Nähe von Kreuzburg, stand vordem
ein Eichenwald, der niemals Früchte trug. Im Jahre 1248 waren die
deutschen Ordensritter in Krücken eingeschlossen. Die Preußen
gaben ihnen gegen Stellung von Geiseln freien Abzug, hielten aber nicht
Wort, sondern überfielen die Wehrlosen im Walde und töteten
sie unter gräßlichen Qualen. Seit jener Zeit tragen die Eichen
keine Früchte mehr.*)
*) Hennenberger, Erklerung der preußischen Landtaffeln, Königsberg 1595. (Nach Pieper, a. a. O., S. 432.)
Die Schwertlilie (Iris) ist nach
den Blättern benannt, die zweischneidigen Schwerterklingen gleichen.
"Um selbst den sanften Blumen den Glauben an den ewigen Frieden auf
Erden zu rauben, baute der Lenz mitten in den Kelch einer Lilie das Wahrzeichen
des Kampfes, ein gezücktes Schwert hinein." (Arthur Silbergleit.)
Durch morphologische Eigentümlichkeiten in Form, Farbe usw. erhielten
nach altem Glauben Pflanzen und Pflanzenteile die "Signatur",
zu bestimmten, zumal Heilzwecken dienlich zu sein. Der deutsche "Vater
der Botanik", Hieronymus Bock (1498 - 1554), in seinem "New
Kreuterbuch" vom Jahre 1551 macht schon darauf aufmerksam, daß
der Querschnitt des Wurzelstocks beim Kreuzenzian (Gentiana cruciata)
aussieht, als ob er mit einem Speere kreuzweise durchstochen wäre
(daher "Speerenstich), und fügt die treuherzige Bemerkung hinzu:
"Es muß aber an allen Orten Zauberei sein, niemand ist, der
solches mit Ernst widerfechtet." Von dem für besonders heilkräftig
gehaltenen Kreuzenzian waren die Sprüchlein im Schwange:
Madelgêr
aller wurzen ein êr.Das Madelgêr
ist wert aller ehr.
Allermannsharnisch oder Sieglauch, der, als Amulett getragen, den feindlichen Geschossen die Kraft benahm, ist Allium victorialis, eine Zwiebelpflanze. Im späteren Alter schwindet das Parenchym der äußeren Zwiebelschuppen (wie auch bei Krokusarten der mediterranen Flora), und es bleiben bloß die netz- oder kettenhemdartig zusammenhängenden Fibrovasalstränge *) zurück, die entfernt an einen Harnisch erinnern können. (Vgl. S. 86.)
*) "Darumb wird es Siegwurtz oder Aller Manns Harnischt genannt, weil ihre Wurtzel überzogen ist wie Härlin in Gestalt eines Panzers." (Hieronymus von Braunschweig.) - Statt des echten glückbringenden Alrauns von Mandragora officinalis (vgl. u. a. Kronfeld, Der Krieg im Aberglauben S. 256 ff.) ist noch jetzt in den Sammlungen, so in der Wiener Hofbibliothek und im Salzburger städtischen Museum, die künstlich zugerichtete Zwiebel von AIlium victorialis zu finden.
Aus dem Kreise der dem Volke so bedeutungsvollen "Zeichen und Wunder" aus dem vielgestaltigen Pflanzenreiche hat die Kapuzinerlinde von Sedletz in Böhmen eine gewisse Berühmtheit erlangt. Selbst denjenigen, die keine botanischen Kenntnisse haben, ist die Blattform der Linde vertraut, die als "schief" und "herzförmig" bezeichnet wird. Beziehungsreich sagt Heine:
Sieh ein Lindenblatt. Du wirst es
Wie ein Herz gestaltet finden,
Darum sitzen die Verliebten
Auch am liebsten unter Linden.
Ästhetiker haben sich mit dem Lindenblatt beschäftigt, und Carrière in seiner "Ästhetik" vergleicht seine Form mit der des fiederspaltigen oder buchtig gelappten, im ganzen derberen Blatte der dem Singen und Sagen des Volkes nicht minder vertrauten Eiche. Carrière meint: "Die herzförmigen Blätter der Linde sind einfacher und schärfer in der Zeichnung, aber am Stil beweglicher und dadurch weicher, wie diejenigen der Eiche, die Linde wölbt die herrlichsten Kronen, indem die aufstrebenden Äste sich bogenförmig absenken und, wie sie dem Liebeslied der liebste Baum ist, während die Eiche an Vaterlandsgefühl und Freundschaft mahnt, so sagt Vischer von der Linde, daß kein anderer Baum Würde so schön mit süßer gemütvoller Anmut vereint." Abweichungen von der gewohnten Blattform, die die wissenschaftliche Botanik mit den sonstigen abnormen Bildungsabweichungen der Pflanzen im Kapitel der Teratologie behandelt*), mußten gerade bei der Linde selbst dem Laien auffallen und seine Phantasie beschäftigen. So wurde das kapuzenförmige, an die Kapuze der Kapuziner erinnernde Blatt der Linde mit bestimmten kriegerischen Ereignissen in ursächlichen Zusammenhang gebracht.
*) Über die becher- oder aszidienförmigen Blätter der Linde vergleiche man: Penzig, Pflanzen-Teratologie, I. Bd., 1890, S. 318.
Zwiebelschuppen der Siegwurz oder des Allermannsharnisch
(Allium victorialis).
(Vgl. Text S. 85.)
Josef Freiherr von Jacquin, der Sohn jenes berühmten Nikolaus Jacquin, der sich Ruhm und Beinamen eines "österreichischen Linné" erworben hat, kam auf der im Auftrage Kaiser Josephs II. ausgeführten Studienreise durch Böhmen und stattete in Sedletz bei Kuttenberg der schon damals viel genannten Kapuzinerlinde einen aufmerksamen Besuch ab. In dem aus Prag, 8. Mai 1788, datierten Briefe heißt es mit Bezug auf die Kapuzinerlinde *): "Es ist auf dem Kirchhofe unter den Linden nur eine einzige, bei der diese Erscheinung stattfindet, und dieses ist ein ungeheurer, uralter, fahler Baum. Es sind auch nicht alle Blätter so, sondern kaum das hundertste ist es, und viele sind auch nur bloß peltata (schildförmig). Das Projekt, sie nach Wien zu bringen, wird wohl umsonst sein, denn der alte Kirchenvater zeigte mir einen bei schon zwölf Klafter hohen Baum, der aus einem Wurzelsprößling gezogen worden und noch nie ein solches Blatt hervorgebracht hat. Ein Graf Auersperg soll mit ebenso unglücklichen Erfolgen viele Wurzelsprößlinge davon verpflanzt haben."
*) E. M. Kronfeld, Die Kapuzinerlinde, ein böhmischer Sagenbaum. "Die Natur", Halle a. S. 1898, S. 367.
Blattmosaik der Linde.
Nach Originalzeichnung etwas verkleinert. (Vgl. Text S. 85.)
Es handelt sich hier um jene Bildungsanomalie der Lindenblätter,
die sie, statt flach, herzförmig, oberhalb
des Stieles düten- oder, wenn man will, kapuzenförmig, zusammengerollt
und verwachsen erscheinen läßt. Wie der Wiener Botaniker
Bayer, der sich speziell mit der Lindengattung viel beschäftigt hat,
schon im Jahre 1860 betonte, kommen derartige Aszidien- oder Becherblätter,
die als Zufälligkeit auch bei vielen anderen Arten zur Beobachtung
gelangten, nicht nur auf dem klassischen Standorte in Sedletz, sondern
eigentlich überall vor, wo Tilia grandifolia wächst und gedeiht,
z. B. im Wiener Botanischen und Volksgarten, in Schönbrunn usw. Was
aber der böhmischen Kapuzen- oder Kapuzinerlinde besonderen Reiz
verleiht, das ist ihre innige Verknüpfung mit der Lokalgeschichte,
der örtlichen Sage und Tradition.
Bleiben wir zunächst bei der Sedletzer Linde und lassen wir uns -
wieder von Josef Jacquin - über ihren Standort berichten. Der mit
der vollen Empfänglichkeit des jungen Gelehrten auf seiner Studienreise
ausgestattete Mann, der, reich an Ehren und Würden, am 9. Dezember
1839 als Professor der Botanik und Chemie in Wien das Zeitliche gesegnet
hat, berichtet in dem oben erwähnten Briefe: "Zu Sedletz besahen
wir zuerst das Prämonstratenserkloster, welches ein sehr weitläufiges,
prächtiges, aber nicht geendigtes Gebäude ist. Das Kloster steckte
sich wegen dieses Baues in so große Schulden, daß es der Kaiser
aufhob, und nun ist es ein Magazin. Das schönste darin ist der Gang,
aus dem man in die Wohnungen der Geistlichen gehen konnte. Wir besahen
dann den Kirchhof, in welchem die in den Annalen der Bigotterie so bekannte
Totenkapelle ist. Die Legende davon ist folgende: Im elften und zwölften
Jahrhundert vor Ziskas Zeiten war die Erde des Kirchhofes mirakulös,
und zwar so, daß jeder frische Kadaver, wenn er auf diese Erde gelegt
wurde und der verstorbene selig war, in 24 Stunden verweste und in ein
Skelett verwandelt ward. Es wurden also damals auf viele Meilen weit alle
Toten, hierher gebracht, und falls sie die Probe aushielten, ihre Gebeine
in dieser Kapelle aufbewahrt. Daher kommt denn nun die unglaubliche Menge
Knochen, die hier beisammen liegen."
Nach seinen von uns schon vorausgeschickten Bemerkungen über die
altberühmte Sedletzer Kapuzinerlinde erwähnt noch Jacquin, daß
er von dem ihn begleitenden Pflanzenmaler Bauer*) einen Zweig der
Linde mit den Becherblättern habe abbilden lassen.
*) Gemeint ist der am 20. Januar 1760 in Feldsberg geborene, von den Barmherzigen Brüdern erzogene Ferdinand Lucas Bauer, der nach dem Abschiede vom Hause Jacquin in England seine zweite Heimat fand, Griechenland, Brasilien, Kapland und Neuholland als Pflanzenmaler - vielleicht der tätigste und tüchtigste, den es je gegeben! - bereiste und am 17. März 1836 in Wien-Hietzing starb.
Sagenumsponnen ist auch die zweite Stätte Böhmens, von der
eine Kapuzinerlinde bekannt wurde: Goldenkron bei Krumau. Nachdem König
Ottokar, der dem Zisterzienserstifte Goldenkron seine besondere Gunst
zugewendet hatte, im Jahre 1278 in der blutigen Schlacht auf dem Marchfelde
gefallen war, zerstörten die magyarischen Hilfsvölker Rudolfs
von Habsburg das Kloster und ließen keinen Stein auf dem anderen.
Mit dem Pfarrer der Probstpfarre für Südböhmen wurden alle
Mönche von den Soldaten, die sengend und mordend Böhmens Gefilde
verwüsteten, grausam um das Leben gebracht. Die Krieger hingen die
frommen Brüder an den Zweigen der Lindenbäume zu Goldenkron
auf, und seit dieser Stunde tragen diese zum ewigen Gedächtnis Blätter,
die an die Kapuzen der Mönche erinnern.
An die Kapuzinerlinde von Goldenkron bei Krumau knüpft sich ferner
die Volkssage, daß die Taboriten auf Ziskas Befehl im Jahre 1420
die Mönche des Klosters an ihren Ästen aufgehängt hätten.
Auch die Kapuzinerlinde von Goldenkron hat man vergeblich durch Stecklinge
fortzupflanzen gesucht. Das beweist wieder, daß die "Tilia
cucullata" - wie Joseph Jacquin die böhmische Kapuzinerlinde
in den "Botanischen Fragmenten" genannt hat - kaum eine Spielart,
gewiß aber keine besondere Art ist. De Candolle merkt in seinem
"Prodromus" eigens an, daß düten- oder kapuzenförmige
Blätter gelegentlich auch bei anderen als den heimischen Linden vorkommen.
Nach einer älteren Angabe bei Pohl soll die Kapuzinerlinde auch hier
und da um Kuttenberg und um Pardubitz vorgekommen sein. Jakob Jungbauer
erzählt aus dem Jahre 1829, daß ihm ein Mann aus Goldenkron
angebliche Kapuzenblätter der Wunderlinde übergeben habe, die
sich bei näherer Betrachtung als - gefälscht, nämlich mit
Pappe zusammengeklebt, erwiesen, ein Betrug, wie er auch sonst in Reliquiensachen
nicht allzu selten ist. Der vorgenannte Bayer machte im Sommer des Jahres
1849 eigens einen Ausflug nach Böhmen, um die Kapuzinerlinde von
Sedlitz oder Sedletz von Angesicht zu Angesicht zu schauen. "Am 12.
Juli 1849 suchte ich" - so berichtet er hierüber*) - "auf
dem Kirchhofe zu Sedletz an den dortigen Linden diese Kappenblätter,
konnte jedoch keine auffinden. Ich rief daher den Totengräber zu
Hilfe, welcher sogleich zwei Bäume erstieg, und mir nach ziemlich
langem Suchen mehrere Zweige, an welchen sich einige kappenförmige
Blätter befanden, herabwarf. An einigen flachen Blättern entsprang
ihr Stiel oberhalb der Blattbasis, und an einigen aus der Mitte der Blattfläche,
so daß diese vollständig schildförmig waren. Als mein
Auge im Aufsuchen dieser Blätter einigermaßen geübt war,
erblickte ich sogleich mehrere an den hohen Ästen, und fand zugleich
eine ziemliche Anzahl sowohl in ausgewachsenen, als auch im erst sich
entwickelnden Zustande an den Wurzelschößlingen, welche den
Stamm der Linden zahlreich umgaben."
*) Schriften der Zoologisch-botanischen Gesellschaft, Wien, 1852, S. 82.
Der Direktor des Botanischen Gartens und Botanischen Institutes in Wien,
Hofrat Professor von Wettstein, der damals an der deutschen Universität
in Prag wirkte, hat dem Verfasser über die böhmische Kapuzen-
oder Kapuzinerlinde folgende Mitteilungen gemacht:
Daß es sich bei der "Tilia cucullata"
um eine bei den verschiedensten pflanzen gelegentlich vorkommende Abnormität
handelt, geht schon daraus hervor, daß die Linden der böhmischen
Standorte verschiedenen Arten angehören. Die Sedletzer Linde ist
respektive war eine Tilia ulmifolia, eine Winterlinde, die Goldenkroner
Linde eine Tilia platyphylla, also eine Sommerlinde. Nach Dr. Lenecek,
der 1892 und 1893 auf dem Friedhofe in Sedletz die berühmte Linde
suchte, existiert dieselbe nicht mehr. Sie war vor einigen Jahren vom
Blitze getroffen worden und hierauf abgestorben. An ihrer Stelle wird
jetzt dem Publikum eine andere, allerdings keine folia cucuIIata tragende
Linde gezeigt. Im Hofe der Staats-Oberrealschule in Leitmeritz befindet
sich dagegen unter zahlreichen Linden ein Exemplar der Sommerlinde, welches
20 bis 30 Prozent kapuzenförmiger Blätter trägt. Der Baum
wurde von Dr. Lenecek untersucht, der geneigt ist, das Auftreten der Abnormität
durch den besonders günstigen Standort - der Baum erhebt sich neben
einem Brunnen! - zu erklären. Dem botanischen Museum der Wiener Universität
wurde in den achtziger Jahren ein Zweig der Tilia cucullata, aus Oberösterreich
eingesendet. Wettstein selbst hat im Jahre 1888 bei Steinfeld in Niederösterreich,
unmittelbar an der nach Klein-Zell führenden Straße, eine ungefähr
50jährige Linde mit Kapuzenblättern beobachtet. Linsbauer in
Wien veröffentlichte weiters zwei Fälle des Vorkommens der Sommerlinde
mit den eigentümlich geformten Blättern. Hiernach steht ein
solcher Baum in einem Gasthausgarten in Schladming in Obersteiermark,
ein zweiter am Abhange des Leopoldsberges gegen Klosterneuburg. Was die
Erklärung der auffälligen Erscheinung betrifft, so ist zunächst
zu beachten, daß sie am häufigsten bei Pflanzen mit herzförmig
ausgeschnittenem Blattgrunde und bei Blättern mit Neigung zu asymmetrischem
Wachstum des Blattgrundes vorkommt, durch welches die beiden Blattlappen
bis zur völligen Berührung einander genähert werden. Man
findet auch an der Tilia cucullata alle Übergänge vom Kapuzen-
zum normalen Flachblatt. Nicht gleichgültig ist ferner, daß
Aszidienblätter auf Stockausschlägen und üppigen Standorten
auftreten. Es ist eine von Forstmännern und Gärtnern häufig
gemachte Erfahrung, daß gerade solche Blätter in mannigfacher
Weise ausarten.
Auf besonders fettem Boden tragen insbesondere Stockausschläge der
Linde manchmal ungewöhnlich große Blätter. Auch damit
hat sich die Sage schon beschäftigt. Als Karl von Burgund im Jahre
1473 großes Blutvergießen veranstaltete, wuchsen zu Ostern
auf der Linde zu Brunswick ungewöhnlich große Blätter,
die 5 1/2 Zoll Länge und 6 Zoll Breite hatten.
Auch andere Pflanzenwunder ereignen sich in Kriegszeiten. Als der Schwedenkönig
Erik die Schlacht bei Fyriswall gegen Styrbiörn schlagen sollte
und keine Hoffnung auf Sieg hatte, weihte er sich dem Odin und bestimmte
die Frist seines Lebens auf noch zehn Winter. Da schritt Odin als großer
Mann mit breitem Hut heran, gab dem König einen Reyrsproti
(Rohrstengel) und befahl ihm, diesen mit den Worten "Odin
hat euch alle!" über das feindliche Heer zu werfen. Als Erik
warf, verwandelte sich das Rohr in einen Speer, der über Styrbiörns
Heer wegflog und ihn und die Seinigen so mit Blindheit schlug, daß
König Erik die Schlacht gewann.
In Temmers "Altmärkischen Sagen" lesen wir: Dem General
Zieten, der übrigens ein großer Hexenmeister war, ging
es einmal sehr schlecht; als ihn die Österreicher und Russen mit
Übermacht angefallen hatten, mußte er zum Rückzug trommeln
lassen. Als er ins Tal kam, waren seine Soldaten so sehr ermüdet,
daß der Feind ohne weiters nachrücken konnte; da rief er auf
einmal: "Halt! und keiner rühre ein Glied!" Die Soldaten
standen wie eine Mauer. Zieten schlug ein Kreuz. Im Nu war die ganze Armee
in einen Wald verwandelt. Er selbst kletterte auf einen Eichenbaum.
Herzog Adolf von Plön war nicht nur selbst kugelfest und konnte sich
unsichtbar machen; er verwandelte seine Soldaten in den Türken-Kriegen
in Bäume und entzog sie dadurch dem Angriff des Feindes.
Es ist schon mehr wie fromme Täuschung, wenn "Zeichen und Wunder"
künstlich herbeigeführt wurden, wie dies der österreichische
Botaniker Unger an Kreuzzapfen der Fichte
sah, die durch Zusammenwachsenlassen geknickter und kreuzweise übereinandergelegter
Zapfen hergestellt waren*).
*) Dr. F. Unger, Die Pflanze als Zaubermittel. Theod. Thomas Verlag, Leipzig. Vgl. auch S. 85.
Das zweimalige Blühen eines Kirschbaumes in einem Jahre sollte Krieg oder schrecklichen Kampf mit den welschen Nachbarn bedeuten (vgl. Kap. I). Die auffällige Erscheinung der zweiten Baumblüte, der sogenannten Johannistriebe hat der Société de Biologie zu Paris Ende 1903 Anlaß zu eingehender Erörterung geboten. Nach einem Dorfbrande zu Chalons blühten im Herbst Obstbäume und Fliedersträucher zum zweiten Male, die Ursache war die Zerstörung der Blätter durch das Feuer. So kann man bei uns an den im Herbst zum zweitenmal blühenden Roßkastanien in den Alleen beobachten, daß das Laubwerk durch die Spätsommerhitze abgedorrt ist. Auch Insektenfraß kann die Blätter vernichten und zu "Johannistrieben" führen. Die Nähe warmer Abwässer und Kalkgruben bewirkt manchmal, daß Obstbäume mitten im Winter zur zweiten Blüte kommen. Besonders eindrucksvoll wird die Erscheinung, an welche sich sodann auch Legenden knüpfen, wenn sich die Blüten gerade zur Weihnachtszeit öffnen. Das "Wunder" wiederholen wir im kleinen mit den Barbarazweigen (abgeschnittene Knospenzweige der Obstbäume, besonders Kirschen) in der Stube *).
*) Dr. E. M. Kronfeld, Der Weihnachtsbaum, Botanik und Geschichte des Weihnachtsgrüns. Oldenburg 1906, I. Kap.: Die Wunderblüten der Weihnacht.
Die Fehmarner Friedenspappel blühte
seit 1870/71 zum ersten Male wieder 1916. Damals wurde geweissagt, daß
der Krieg beendigt sein werde, was im forttobenden Weltkriege leider nicht
zutraf.
Auf dem zweiten Blatt unter der Rispe des Hafers soll manchmal ein lateinisches
B eingedrückt sein, was Blut bedeutet und auf einen nahen Krieg hinweist.
In Wirklichkeit ist das Zeichen nur ein Knotenabdruck und das praktische
Bäuerlein in Ostpreußen liest den geheimnisvollen Buchstaben
entweder B (der Hafer wird billig sein!) oder T (der Hafer wird teuer
sein!).
Titelblatt des Buches von den Wunderähren.
(Vgl. Text.)
Die doppelte Kornähre ist Künderin
des Friedens, wenn sie zu Kriegszeiten gefunden wird. Elisabeth
Charlotte von Orleans, jene deutsche Prinzessin, die in Frankreich so
innig und gemütvoll deutsch geblieben ist, schreibt am 15. Juli 1695
in einem Brief: "Ich bin des Krieges wol müde, ich bitte, liebe
Luise, informirt Euch doch, obs wahr ist, daß man bei Gießen
einen Halm gefunden, so der Landgraf von Darmstadt bewachen soll lassen,
worauf 2 Aehren seyn sollen, und ob man einen dergleichen gefunden zu
Ende des dreißjährigen Krieges."
Das abnorme Auftreten von mehreren Ähren auf einem Halm hat überhaupt
das Denken des Volkes beschäftigt. Drei-Aehren in den Südvogesen
hat der Legende nach vom Erscheinen Marias mit drei Ähren auf einem
Halm im Jahre 1491 den Namen. Hier mag auch, zum Zeichen wie einst Wissenschaft
getrieben wurde, das Buch angeführt sein:
M. Wolffgang Theodotici Wendels
Öffentliche Aehren-Erklährung
oder
Schrifftmäßige Deutung
des
Dreßnischen Wunder-Gewächs
auff den
Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn
Herrn
zu Sachsen etc. Erb- und Landes-Printzen etc, 1696.
Aus dem Texte ist zu entnehmen: Diese Principal-Aehren begreifft in sich 22 Aehren, (1) die Vertical- oder oberste Gipfel- (2) 4 versengeten unterste- (3) 7 gute Collateral-Aehren, deren 8 zur Rechten 9 aber zur lincken Seite.
Quelle: Sagenpflanzen und Pflanzensagen, Dr. E. M.
Kronfeld, Leipzig 1919, S. 78ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Gabriele U., Juni 2005.
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