Glauben und Aberglauben

53. Wenn ein Familienvater die Wiege verkauft, in der seine Kinder gelegen, entfernt sich das Glück von seinem Hause.

54. Wenn die Magd beim Abräumen des Tisches das Salz verschüttet, stellt ein Unglück zu befürchten. [Vgl. Zingerle, Gebräuche Nr. 11 G.]

55. Ausschütten von Öl bedeutet einen Todesfall, Ausschütten von Wein Freude, Ausschütten von Wasser aber Thränen [Tränen].

56. Wenn es donnert, sagt man im Nonsberg: "senti, senti il tonidur, il Signor Iddio va in carozza" (unser Herrgott fährt im Wagen)
.
57. Die Haare, welche den Weibern beim Kämmen am Kamme bleiben, dürfen nicht weggeworfen werden, sonst sammeln sie die Hexen und brauchen sie zu Verhexungen. [Vgl. ibid. Nr. 69, 70.]

58.  Messer, in Wetterwolken geschleudert, verwunden Hexen. [Vgl. Zingerle, Sagen S. 460, Panzer, II. S. 208]

59. Wenn es hagelt, so nehme man drei Hagelsteine und werfe sie in's Feuer und der Hagel wird gleich aufhören.[Vgl. Zingerle. Gebräuche Nr. 594, 595.]  Auch pflegt man bei Donnerwettern Stücke von den am Palmsonntag geweihten Oliven nebst Salz und Weihwasser in's Feuer zu werfen.

60. Oft magern kleine Kinder ganz ab und wenn dann die Mütter im Bettchen nachsuchen, so finden sie kleine Haarknäuel, Papiertüten, Geldstücke u.s.w. Diese rühren von Hexen her, welche damit die Kinder behext haben.

61.  Hexen erscheinen als Katzen. [Vgl. Grimm, Mythologie S. 1051 ; Zingerle, Sagen Nr. 537.]

62. Wenn eine Nachteule oder ein Kukuk sich auf das Dach des Hauses setzen, wo ein Kranker ist, bedeutet es für denselben baldigen Tod. (Pergine) [Vgl. Zingerle, Gebräuche Nr. 385, 386, 389.]

63. Wenn sich ein Kukuk [Kuckuck] auf das Dach eines Hauses sezt, so bedeutet es für dieses Haus entweder grosses Glück oder grosses Unglück (Lavis) [Vgl. ibid. Nr. 385, 386.]

64. Der Kukuk [Kuckuck] gilt fast überall für einen Vogel, dessen Rufe Jünglingen und Mädchen die Zahl der Jahre anzeigen, die sie noch ledig zuzubringen haben. Ueberall wird die Frage reimweise gestellt; so heisst es in Vallarsa:

"Cucco, bel cucco,

Fiol del pare zucco,

Fiol d'una bona mare

Quanti anni mi dai a maritare ?

 

[Kukuk, schöner Kukuk,

Sohn des Vaters Kürbis,

Sohn einer guten Mutter,

Wie viele Jahre gibst du mir zum Heiraten?]

 

Cucù cucù dal corpet ros

Quanti anni das a lassarme trovar en spos?

Im Nonsberg fragen die Mädchen:

[Kukuk Kukuk vom rothen Leibchen,

Wie viele Jahre gibst du mir einen Bräutigam zu finden?]

Cucù cucù dalla Baviera,

Quanti anni stas a lassarme metter denter la viera?

 

[Kukuk Kukuk von Baiern,

Wie viele Jahre dauerts, dass du mich den Ehering anstecken lässt?]

Cucù cucù dal barisel,

Quanti anni ho da star putel?

In Rendena fragen die jungen Burschen:

[Kukuk, Kukuk vom Fässchen,

Wie viele Jahre rnuss ich "Bube" bleiben?]

Cucù cucù dal ziffolot,

Quanti anni ho da star putelot?

 

[Kukuk, Kukuk vom Pfeifchen,

Wie viele Jahre muss ich "Bübchen" bleiben?]

Cucù cucù dalla bella perruca,

Quanti anni ho da star putta?

Die Mädchen hingegen fragen:

[Kukuk, Kukuk von der schönen Perrücke,

Wie viele Jahre muss ich Mädchen bleiben?]

Cucco, cucco, bell' uccello,

Quanti anni stat (stai tu) a portarme l'anello?

In Valsugana fragen die Mädchen:

[Kukuk, Kukuk schöner Vogel,  In wie viel Jahren bringst du mir meinen Ring?]

Solche Sprüche Hessen sich noch in grosser Zahl anführen. Wenn nun der Kukuk darauf ruft und mitunter seine Rufe bis auf zwanzig kommen, dann wird er geschmäht). [Vgl. Zingerle, Gebräuche Nr. 381.]

65. Wer nicht an's Heiraten, sondern an's Sterben denkt, auch dem ist der Kukuk gefällig. So fragt man z. B. im Nonsberg:

Cucù, cucù da Castelfondo,

Quanti anni me lasses al mondo?

[Kukuk, Kukuk von Castelfondo,

Wie viel Jahre lässt du mich auf der Welt?]

Dann werden die Rufe gezählt.[Vgl. Zingerle, Gebräuche Nr. 379, 380.]

66. Wenn man im Frühjahre den Kukuk hört und Geld in der Tasche hat,so hat man das ganze Jahr Geld. Hat man aber Hunger, so hat man ihn auch das ganze Jahr. [Vgl. ibid. Nr. 374—376]

67. Wenn man ein Wiesel reizt und dieses bläst, so kann dieses Blasen eine gefährliche Geschwulst hervorrufen. [Vgl. ibid. Nr. 444.]

68. Die Schwalben sind "von Gott gesegnete Vögel" (uccelli benedetti da Dio) (Nonsberg). An andern Orten heissen sie die Vögel der Mutter Gottes (della madonna). Der gleiche Glaube herrscht auch in der Lombardei und die alten Statuten vieler Städte verboten die Schwalben zu tödten. [Vgl. ibid. Nr. 406,   407; Kühn, Westphäl. Sagen II. S. 71; Gabr. Rosa dialetti e costumi S. 170.]

69. Vor Christi Geburt krochen die Schlangen mit dem halben Leibe aufrecht (Vallarsa).

70. Eine Blindschleiche bedrohte die Mutter Gottes auf der Flucht nach Aegypten. Da stach die Mutter Gottes selbe mit einer Nadel in die Augen; davon sind diese Thiere blind geworden (Vallarsa).

71. Die Blindschleichen sind blind, aber einst waren sie sehend und schreckliche Thiere. Einmal ging die Mutter Gottes über eine Wiese, da sprang eine Blindschleiche an ihr hinauf und wollte sie beissen. Zur Strafe wurden sie alle blind und sind es noch. (Nonsberg) [Vgl. ibid. Nr. 468]

72. Die Laubfrösche heissen St. Johannis-Frösche (rana de San Zuam). Man soll sie nicht martern, sonst wird man blind. (Nonsberg).

73. Wer von einem Molche (Salamandra maculata L., wälsch auch sarmandola, in Vallarsa "rochenstoc" genannt) gebissen wird, muss selben sogleich fangen und zählen, wie viele gelbe Flecken er habe. Nun muss er eben so viele Aerzte befragen oder eben so viele Aderlässe aushalten oder eben so viele Bäder nehmen oder eben so viele Blutegel setzen u.s.w.

74. In Italien sind die Skorpione giftig; in Wälschtirol sind sie es nicht mehr, seit einer in den Messkelch des hl. Vigilius gefallen ist. [Vgl. Zingerle, Gebräuche Nr. 475]

75. Wenn man Raupen auf einem Acker hat und räuchert oder benediziren lässt, soll man ihnen eine Ecke frei lassen, wo sie abziehen können. Zugleich muss man einen Ort bestimmen und nennen, wo sie hinziehen sollen. (Nonsberg.)

76. Der Brombeerstrauch (la róa, rubus fruticosus) wuchs früher hoch; einmal ritt die Muttergottes vorüber, da verwickelten sich die dornigen Zweige in ihre Haare. Die Muttergottes verfluchte den Strauch und seither kriechen seine Zweige am Boden und können sich nicht mehr erheben. (Nonsberg.)

77. Die gemeine Kamille und die Raute sind heilsame Pflanzen und nach einem Reimspruch ("zenis e erba ruta — Che da ogni mal agiuta") gegen jedes Übel gut. (Nonsberg.)

78. Wenn man vierblättrigen Klee findet und auf Einen wirft, ohne dass er es merkt, so hat dieser Glück im Lotto. [Vgl. ibid Nr. 526, 527.]

79. An Monatstagen mit einer Sieben (7, 17, 27) soll man nicht säen, sonst wird die Ernte schlecht ausfallen.

80. Spinnräder, welche einer Verstorbenen angehörten, bewegen sich nach deren Tode zuweilen von selbst. Ein Weib hatte einmal ein solches Rad fünf Jahre lang; endlich verbrannte sie es. (Vallarsa.)

Quelle: Chrsitian Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol, Innsbruck 1867, S. 244
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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