Neujahr

1. So wie wohl fast überall wird auch in Wälschtirol aus dem Stande und dem Alter der Person, welcher man am Neujahrsmorgen zuerst begegnet, der Schluss auf persönliche Erlebnisse im folgenden Jahre gezogen. Ein Geistlicher bedeutet Tod, ein Soldat oder eine Gerichtsperson Gefangenschaft, alte Leute, Aerzte und Apotheker bedeuten Krankheiten u. s. w. Nur junge Leute bedeuten Glück, Knaben und Mädchen sogar Glück im Ueberflusse.

2. In Vallarsa feuern zu Neujahr junge Burschen vor dem Hause ihrer Geliebten einige Flintenschüsse ab. Darauf pflegt das Mädchen herauszukommen und ihrem Geliebten ein Sacktuch zu schenken.

3. In Val di Ledro gehen am Neujahrstage arme Kinder herum und erhalten Stücke Brot, welches Chiciolet heisst.

4. Ein noch hie und da vorkommender Glaube, wie man die Witterung des Jahres im Voraus errathen könne, veranlasst folgenden Gebrauch. Man schneidet eine Zwiebel in der Mitte durch, nimmt zwölf Blattschalen, deren jede einen bestimmten Monat bedeutet und legt sie während der Neujahrsnacht vor das Fenster. Je nachdem nun am Morgen die einen feuchter, die andern trockener sind, wird daraus der Schluss auf das Wetter des bezüglichen Monates gezogen. Auch wird während der ersten zwölf Tage des Jänners (crescendi genannt) das Wetter beobachtet und daraus auf die Witterung der zwölf Monate geschlossen; zu besserer Sicherheit werden auch noch die Witterungsverhältnisse der zwölf folgenden Tage (12—24. Jänner, calendi genannt) beobachtet.

5. Am Tage S. Antoni Abt (17. Jänner) findet in Judikarien (Lomaso) die Viehweihe in den Ställen statt.

6. Wenn am Tage St. Paul (25. Jänner) Regenwasser durch die Strassen fliesst, gibt es viel Wein und Getreide und der Bauer darf sich ein Räuschchen antrinken.

7. Am 2. Februar (Maria Lichtmess) kommt nach einem weit verbreiteten Spruche der Bär aus seiner Höhle hervor. Ist trübes Wetter, so bleibt er aussen; ist es aber bell und heiter, so geht er noch auf vierzig Tage hinein.

Quelle: Chrsitian Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol, Innsbruck 1867, S. 231
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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