Kärntner Maientage am Affritzersee und Brennsee

Der Mai ist da - ich höre manchmal ins tiefe Tal der Drau hinab den Kuckuck aus dem Walde rufen, auch blühen einige Obstbäume, und die Wiesen färben sich täglich bunter. Aus dem vergangenen Jahre fällt mir ein zwischen dem Affritzersee und dem Brennsee verlebter Maientag in die Augen, der nicht allzuweit von dem Ideal sich entfernt, welches der Verfasser meines Kalenders in schönen Redensarten dem Mai vorhällt. Es heißt dort: Wie schade, daß in unseren Tannenwäldern kein Waldmeister wächst! Heute, neben den Erdbeeren am Ufer, dachte ich oft an den weißen Sternkobold, welcher träumenden Wanderern so gerne Fittiche leiht.

Mir war, als ob ein grauer Wendehals, der irgendwo im Dickicht saß, diese meine überschwenglichen Gedanken mit seinem Spottruf verhöhnte.

Auch die Sprache des Kuckucks, der sich unablässig vernehmen ließ, däuchte mir noch nihilistischer als gewöhnlich.

'Kuckuck!', das heißt in die Sprache von euch Menschen übersetzt: Ihr glaubt jetzt wunder, was ihr an eurer Blüten- und Lenzpracht habt. Kuckuck! Nach wenigen Umdrehungen dieser Kugel werden die Tage wieder kurz und kalt werden, und statt der Erdbeeren wurzeln sich auf das Felsstück Eiszapfen an. Ich aber bin weit fort. Kuckuck!

So ging's fort und fort stundenlang. Ich fand schließlich, daß der Kuckuck recht hatte. Der Mai will mir oft recht trübselig vorkommen.

Sag nicht, daß Du mich liebst -
Ich weiß, das Schönste auf Erden,
Der Frühling und die Liebe,
Es muß zuschanden werden.

Aber, diavolo! sagt ein Freund, ungesehen hinzugetreten, indem er mir auf die Schulter schlägt, du sitzest ja da wie der Prophet Jeremias. Was soll denn derlei an einem so wunderschönen Maientag! Auf - empor den steilen Pfad zur weitschauenden Herberge, wo es guten Ungarwein gibt!

Ich schüttelte die Predigt des Kuckucks ab und folgte ihm. Der Weg, den wir da anstiegen, hob sich ohne Rücksicht auf die Lungen der Waller wie eine Leiter gegen die Höhe, auf der ein altberühmtes Heiligtum und eine Herberge steht. Ein goldiger Pirol schaute uns von einem Quittenbaume herab zu, während wir nicht ohne Beschwerde emporklommen.

Halt! rief ich an einer Stelle, wo sich eine kleine Ebene auftat und ein Quell zum Vorschein kam, hier wollen wir rasten!

Der Pirol begleitete diesen Entschluß durch flötenartige Zurufe. Nachdem ich ihm eine Weile zugehört und sein empfindsames Lied mit der frechen Weise des Kuckucks verglichen hatte, frag ich den Freund: "Du, sag mir im Ernste, warum steigen wir denn eigentlich da hinauf?"

"Wollte man sich selbst mit einer sentimentalen Unwahrheit belügen", erwiderte er, "so möchte man mit Jean Paul sagen, man mache es wie das Kind, das auf einen Schemel steigt, um seiner Mutter besser ins Gesicht blik-ken zu können. Die Mutter wäre die weite Welt, die Natur vielleicht der Himmel. Dergleichen aber fällt mir nicht bei. Ich liebe, wie gesagt, den goldenen Adler."

Ich hatte meinen Freund im Verdacht, daß er nicht wie ein ganz gewöhnlicher Philister die Herberge aufsuchte, gleichviel, ob diese auf einer Berghöhe und neben einer maigrünen Linde oder in der übelriechenden Enge eines Winkelgäßchens in der Stadt sich befände.

Ich machte aus meinem Zweifel kein Hehl. "Man paßt sich eben seiner Zeit an", antwortete er. "Vor zwei Jahrtausenden hat man dort oben irgendeine verschollene Göttin der Teutonen verehrt. Alsdann ist die Muttergottes mit dem ebenholzfarbigen Gesicht an ihre Stelle getreten. Dann kamen die Naturbewunderer, die Maiziergänger, die Schwärmer, die Liebespaare. Ich dagegen vertrete unsere positive Ära, die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Ich halte mich an die Herberge."

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 191 - 193.