Die Bewohner des Grundlsees

Von einer Seite des Sees dringt das Klappern der Holzstämme herüber, vom Gesang der Knechte begleitet, die sich bei ihrer Arbeit des sonnigen Lenzes freuen. Mit Erstaunen bemerkt der Neuling, daß in manchen der gewaltigsten, von Blöcken und Trümmern übersäten Betten kein Tropfen Wasser rinnt, obwohl es neben ihnen auf allen Hängen schäumt und sprudelt. Diese leeren Betten werden erst nach zwei Monaten von tobenden Wassern ausgefüllt sein, denn die Gegenden, aus welchen jene Wasser herabkommen, werden vom Frühling erreicht, wenn bei uns der Sommer eingezogen ist. Zu ihrem Quellengebiet gehört, wie am Aussee drüben der Nirofen, hier der Stiemitzsprung. Drüben sind es drei, hier dreißig Öffnungen, aus welchen die Schneeflut herausspringt.

Im Grundlsee hausen vornehmlich zahlreiche Forellen und Saiblinge. Man bemerkt ihrer schon jetzt viele aus der stillen Oberfläche aufschlagen. Freilich steht diese Erscheinung in keinem Verhältnis zu den zahllosen Kreiseln, welche im Sommer von ihnen hervorgebracht werden, wenn ein Gewitter über die Berge herannaht. Dann wirbeln so viele Kreise von den nach niedrig fliegenden Insekten aufschnappenden Forellen im Wasser, daß man meinen mag, es seien die Kreise von hineinfallenden Regentropfen. Diese Menge rührt von der vernünftigen Schonung her, welche die Fischer eintreten lassen. Sie sind im Gegensatz zu ihren Genossen an anderen Seen, welche die Brut jahraus, jahrein verfolgen, nur im Spätherbst mit ihren Netzen beschäftigt.

Natürlich haben Engländer auch den Grundlsee entdeckt. Daß sie auf ihm nicht anders als unter Bedingungen fischen dürfen, welcher sich kein anständiger Mensch bequemen wird, ist ein Schaden für die Wirte, welchen wohlhabende Gäste angenehm sind. Daß man den Wert der selbstgefangenen Fische vergüten, außerdem Toren, Trinkgelder und dergleichen bezahlen muß, versteht sich hier und anderweitig von selbst. Daß man aber in seinem Nachen einen Holzknecht mitzunehmen hat, welcher die gefangenen Fische zählen und die Ehrlichkeit des Anglers überwachen soll, das ist eine dem Grundlsee eigentümliche Aufmerksamkeit gegen jene Fremden, durch welche sie immer und immer wieder veranlaßt werden, sich fern zu halten.

Die Fische sind an allen Seen der Schrecken der Wirte, wenn sie von den Gästen begehrt werden. Diese wissen in der Regel nichts von dem hohen Preis, die der Gastwirt selbst für die Leckerbissen bezahlen muß, da sie nun, sei es wegen ihres Geschmackes oder wegen ihrer häufigen Zitierung im Bädeker, von den Leuten begehrt werden. Sie rechnen dann das Geld, welches sie bezahlen müssen, dem Wirt zur Last.

Von den Menschen kann man behaupten, daß sie weit und breit in den Bergen die gutmütigsten sind. Ein Grund ihres angenehmen Wesens liegt in ihrer künstlerischen Begabung, welche, wie eine klassische Autorität behauptet, die Sitten sänftigt. Jeder versteht ein wenig Musik, ja die 'Schwägelpfeifer' vom Grundlsee können sich berühmte Leute nennen. Der Schwägel ist eine einfache, roh gearbeitete Pfeife, ungefähr von der Gestalt eines Pikkolo. Mit diesen vermögen sie Töne hervorzubringen, daß man zugleich den gezogenen Klang der Geige und die anmutige Flöte zu hören glaubt. Zu der eigentümlichen Weise gehören als Umgebung widerhallende Felswände und der leicht bewegte See im Abendlicht. Ich habe zwei solcher Künstler gesehen und gehört. Sie waren die berühmtesten unter diesen an den Ufern der Seen, ihres sonstigen Zeichens aber Bergarbeiter. Sie kamen eben von Wien zurück, wohin sie ein reicher Freund ihrer Schwägelpfeife eingeladen hatte. Am Tage nach ihrer Ankunft aus der Stadt, in welcher ihr Beschützer sie zu allerlei Lustbarkeiten hatte einführen lassen, arbeiteten sie wieder in ihrem Stollen. Über den Wiener Leckerbissen hatten sie ihren Geschmack an der 'Schottensupp' nicht verloren. Der Aufenthalt unter den Vergnügungen der Stadt, in welcher sie unter ähnlichen Verhältnissen schon zum sechsten Male verweilt hatten, brachte in ihren Gesinnungen und Gewohnheiten keine Spur einer Veränderung hervor. Als ich einen von ihnen mit den schönen Wienerinnen neckte, entgegnete er: "Schöner sind sie schon als mein Weib, aber mein Weib sind's halt doch net!"

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 120 - 122.