Chorherren am Mattsee

In Mattsee befindet sich eine Ansiedelung von Chorherren, geistlichen Pfründern. Sie sind im Besitze ansehnlicher Güter und guter Einnahmen. Die stattlichen Männer haben soviel wie gar keine Obliegenheiten und stehen meist im kräftigsten Alter. Über der Kirche, in welche sie zuweilen von ihren Funktionen gerufen werden, erhebt sich der Schloßberg, ein stattlicher Kalkblock mit herrlicher Rundschau über die drei Seen. Mehr als die Tafel auf seinem Gipfel, welche dem Kaiserpaar das Schicksal von Philemon und Baukis (!) wünscht, betrachtete ich die zahllosen versteinerten Schalentiere, welche auf der Oberfläche des Felsens zu sehen sind. Die Kirschbäume entfalteten ihre weißrote Blütenpracht. Auf dem grünen See fuhr ein Fischer hin und her, um nach den Reusen zu schauen, die zwischen Laubwerk an Pfählen hingen, und Krebsteller zum Trocknen an ihre Spitzen anzubinden. In der Frühlingsluft erhoben sich überall Rauchsäulen um den See herum. Man verbrannte den Überrest der Streu, die auf den Feldern gelagert war. Lerchen sangen, und der Schatten war willkommen.

Es wurde heute vielfach darüber gestritten, ob ein uneheliches oder ein eheliches Kind die 'Neutauf' erhalten würde. Bekanntlich wird vor Ostern alles in der Kirche erneuert, das Taufwasser wie das Öl der Lampe. Wer zuerst kommt, den trifft die 'Neutauf'. Sollte der Ankömmling ein uneheliches Kind sein, so bringt es der Gemeinde Schande, von der bösen Vorbedeutung abgesehen.

Am Abend setzte ich mich an den Bach, welcher dem See zufließt. Sein Wasser war warm, wie das des Sees selbst. Dadurch unterscheiden sich die trüben Fluten dieser Gewässer im Hügellande von den Hochlandseen. In diesen ist an Weihnachten das Wasser wärmer als jetzt zu Ostern. Die seichteren Becken aber werden schneller von der zunehmenden Sonne durchdrungen. Ein benachbarter Krämer hatte zwei Fischchen, die von den Fasttagen übriggeblieben waren, hier in den Bach gesetzt und ihnen eine Schnur durch den Rachen und die Kiemenöffnungen gezogen, damit sie nicht entwischen konnten. Die Tiere zappelten sich jämmerlich ab. Das Ufer war überall mit Gentianen bedeckt. Dumpfe Glockentöne hallten durch den schwülen Abend. Sie verkündeten das Fest des Lebens. Ich blieb an der hinabrinnenden Flut sitzen und hörte ihren Stimmen zu, während aus flüchtigen Flutkreiseln ein stetiger Glanz schaute. Jenseits des Sees rief ein Kuckuck im Fichtenwald. Bald erhob sich der Vollmond als ungeheurer Ballen über den Buchberg. Die Bauern, die aus der 'Auferstehung' kamen, gingen in großen Rudeln vorüber. Jeder freute sich auf sein Stück geräuchertes Schweinefleisch.

In dieser Nacht dufteten die Veilchen vor Sigls Haus mit erhöhtem Wohlgeruch. Das von so wenigen gekannte Land um dieses im goldnen Strahl blinkende Gewässer lag in der vollen Verklärung einer Frühlingsnacht da. Auch mir ward es leichter zumute. Als ich die Feder, mit welcher ich diese Worte schrieb, weglegte, gedachte ich noch einmal des Winters und seiner überstandenen Stürme - dann aber, ob die Mitteilung der Dinge, welche ich in seinen düsteren Tagen wahrgenommen habe, ein mechanisches Atom genannt werden könne in der ungeheueren Bewegung, deren Ziel die Unterweisung der Menschen ist.

Die Antwort gebührt dir, lieber Leser!

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 157 - 159.