Dreierlei Glaube

Der Schafberg birgt ein wenig Eisen. Es mag darin teilweise der Grund liegen, warum die Blitze es lieben, an seinen langen Wänden hinabzuzüngeln.

Indessen ist es möglich, daß wir uns Eisen nicht als das einzige Metall zu denken haben, von dem sich Spuren in diesem Gestein nachweisen lassen. Der Volksglaube vermutet edlere Stoffe im Berg und hat zweien Quellen den Namen die 'Goldbrünnl' gegeben. Vor ihnen sieht man nicht selten Strümpfe hingehängt, welche als Filtrierwerkzeug für das einfließende metallhaltige Wasser dienen sollen. Das wird aber alles mit großer Heimlichkeit betrieben.

Ich erinnere mich, in Tirol die unzweifelhaften Spuren eines 'Venediger Mannls' angetroffen zu haben. Als solche wurden mir von einem Bauern die Überreste eines Schmelztiegels aus sogenannter 'Passauer Erde' bezeichnet, welche vor einem Gemäuer lagen. In dieses Gemäuer kehrte, wie der Mann erzählte, seit Jahren in jedem Sommer ein fremder Mann auf einige Wochen ein. Seit eini-8er Zeit war er verschwunden. Was immer der Kern dieser wahrscheinlich etwas ausgeschmückten Geschichte sein möge, er ähnelt gewiß dem von den Venedigern des Schafberges. Bei den 'sieben Rinnen' haben italienische Arbeiter, die sich mehrere Sommer hintereinander sehen ließen, unbefugt einen Stollen angelegt. Niemand weiß, was sie darin trieben.

Nicht minder vergeblich als die phantasievollen Bestrebungen der Metallsucher blieben die Nachforschungen nach den seltsamen Überresten aus der Zeit der Pfahlbaumänner. Es ist Tatsache, daß man in der Nähe eines Bauernhauses Stücke bearbeiteter Bronze fand, welche nach den Aussagen Sachverständiger einige Ähnlichkeit mit Lanzenspitzen zeigen. In einiger Entfernung von St. Wolfgang ostwärts erblickt man im Wasser graues Mauerwerk, über welches die Flut in der Höhe einiger Klafter dahinwallt. Diese 'Überreste einer titanischen Vergangenheit wurden zu Wien in einer jener Vorlesungen, welche die Ergebnisse der Wissenschaft in populärer Form mitteilen, von dem Entdecker ausführlich geschildert. Der Vorleser hat nur vergessen beizufügen, daß es die Natur war, welche besagte Wände baute. Wer über ihnen hart an den Weiden des Strandes hingeht, sieht die obere Terrasse desselben Felsabhanges, welche unten im See mit dem 'Mauerwerk' endigt, sich von der Straße herabsenken.

Eine ebenso merkwürdige Entdeckung von der Tätigkeit jener Wilden, welche der Mythos voreiliger Behauptungen umgibt, knüpft sich an den 'Schratzenstein', einen Berg oder, wenn man will, eine Insel, über welche der See aber noch klaftertief dahingeht. Auf den nahe an die Oberfläche herreichenden Bergrücken haben die Fischer seit langer Zeit ihre Pfähle und Stangen eingeschlagen. Viele der alten Pfähle sind von grauem Kalkschlamm und von grünen Wasserpflanzen zugedeckt. Wenn man bedenkt, daß nach unzweifelhaften Spuren der Seespiegel früher weit an die Vorberge hinanreichte, so müssen die Pfähle auf dem Schratzenstein, wenn sie von Pfahlbaumännern herrühren, die Überreste von Balken sein, welche hundert Fuß und darüber hoch waren. Man muß gestehen, daß jene Pfahlbauern vor den schwierigsten Problemen der Wasserbaukunst nicht die geringste Scheu empfanden . . .

Nicht vergeblich besuchen die Tausende von Wallfahrern, welche aus entlegenen Gegenden hierherpilgern, alljährlich den stillen Seestrand. Zum großen Mißvergnügen der Gastwirte hat sich ihre Anzahl verringert, denn das 'Einläuten', das Vorzeigen des Stabes, welchen der heilige Wolfgang trug, und der Altarbilder kostet mehr als in früheren Jahren. Die Neuerung hat nicht nur dem Ansehen des Heiligen nach außen, sondern auch der Popularität der Priester bei den Herbergsbesitzern, Metzgern und Schiffern des Ortes erheblichen Eintrag getan. Sonst nahmen die Kleriker ein großes Sieb zur Hand, mit welchem sie die von den Wallfahrern geopferten Münzen sonderten; die großen wurden nach Mondsee in das Mutterkloster abgeführt, die kleineren, welche durch die Löcher des Siebes fielen, durften sie für sich selbst behalten. Man kann nicht annehmen, daß sie dabei zu ihrem eigenen Nachteil verfuhren. Die gewaltige Glocke, welche wir so oft von dem Dom über den Mondsee schallen hörten, hing einst in diesem Turm. Der Mondseer Abt aber gönnte dem untergebenen Kloster die Zierde nicht, sondern ließ das metallene Ungetüm in seine eigene Abtei hinüberschleppen.

Die Wallfahrer erlangen Ablaß und staunen den Marmor an, welcher in rosaroten, blauen, braun und weiß gesprenkelten Flächen die Kirche schmückt. Uns dagegen dienen die Ausschnitte des Gewölbes, welches an ihr über das Ufer ragt, als ebenso viele Rahmen, welche uns Bilder abgrenzen. Wir sehen pfeilschnelle Kähne über den grünen Abgrund huschen, drüben die beschneiten Berge im träumerischen Glänze, und in der Tiefe des Wassers ein Dreieck, welches den Schimmer zwischen einer Lücke in den Bergen widerstrahlt. In der Kirche singen helle Stimmen ein 'Miserere', und die dumpfe Orgel dröhnt. Der Einbildungskraft uns überlassend, könnten wir uns rasch in jene Tage zurückversetzen, in welchen hier am Felsufer welke Gestalten beteten, mit dem seligen Lächeln der Weltüberwindung um die Lippen, Gestalten,

Deren höchste Lebenssorge,
Deren Wachen letztes Ziel
Die Verachtung dieses Lebens.

Wir ziehen es vor, den Bäumen, der Sonne, dem tiefgrünen Wasser zuzuschauen, welche in unergründlichen Blicken Reden tauschen, deren Mystik sich uns in dem glänzenden Dreieck der Tiefe versinnbildlicht.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 97 - 100.