Dreikönigstag am Wolfgangsee

Als ich das letzte Mal am Südufer dort drüben in einem Bauernhaus 'in der Laugn' saß, umgaben mich freilich andere Gedankenkreise. Es war am Vorabend des Dreikönigstages. Ich schaute manchmal vom Licht weg an die Fensterscheiben, vor welchen eine undurchdringliche Nacht lag. Plötzlich fuhr ich erschreckt zusammen. Es ertönten die Stimmen von Kindern vor dem Fenster, deren Tritte ich nicht herankommen gehört hatte. Sie sangen das Lied vom 'Stern', der in der Nacht geschienen hat, und warteten demütig auf die 'Krapfen', die man ihnen zur Türe hinausreichte. Ich redete mit ihnen, und sie erzählten mir, daß sie heute die ganze Nacht so fortsängen und von einem Hause zum andern zögen.

Man muß hier und da solche Begegnungen machen, um sich seinen Mut wieder aufzufrischen, wenn man eine Fußreise in den winterlichen Bergen unternimmt. Diese armen frierenden Kinder in ihren Lumpen gehen unbekümmert in die Winternacht hinein, und wir anderen -wir entsetzen uns manchmal, wenn wir der Behaglichkeit eines wohleingerichteten Stadtzimmers gedenken, vor der Rauheit der Winterlandschaft, die wir auch als solche anschauen müssen, wenn wir die Natur dieses Landes kennenlernen wollen.

Soweit heute der Zaun die Straße beschattete, war ein breiter Streifen von ihr gefroren; an sonnigeren Stellen hüpften manchmal Wiesel durch die Büsche mit den braunen Blättern. Auch dieser Tierchen hörte ich damals einige Abende vorher sich das Wintermärchen bemächtigen: ein alter Mann erzählte, sie bissen die Leute an und 'bliesen sie auf', daß sie davon sterben müßten. Jüngere lachten darüber, aber der Greis wies sie zurecht. Die Burschen, sagte er, glaubten auch nicht an die 'Muidwürm', und doch sei der Ochsenwieser Sepp darüber harthörig geworden. Ich fragte neugierig, wie das zugegangen sei, und wurde beschieden, daß derjenige, welcher einen 'Muidwurm' (Salamander) so lange 'tratzt', bis er schreit, das Gehör verliert. Ich lobte mir den Wahn, weil er ein barmherziger und tierfreundlicher ist, und horchte immerfort den Geschichten zu, welche sich die Versammelten erzählten, die eben damit beschäftigt waren, an Flachs und Werg zu hantieren, und so das Gespinst vorbereiteten, aus welchem sie später ihre Netze flechten sollten. Auch die Männer saßen am Rocken und spannen.

An solchen Abenden befindet sich der Wanderer freilich unter dem Zauber einer anheimelnden Fremde. Wenn dann aber wieder der graue Morgen kommt, und er muß auf seinem Wege jedem Zugochsen, der einen Stamm daherschleift, ausweichen und in fußhohen Schnee treten, die Eisnadeln treiben ihm, vom Sturm gejagt, ins Gesicht, und die Herbergen, welche um diese Zeit des Jahres keine Gäste erwarten, setzen ihm nichts oder fast Ungenießbares zur Erfrischung vor, dann bedarf es der gesammelten Stärke des Rückerinnerungsvermögens an freundliche und lehrreiche Abende und aller Zuvorkommenheit der Einbildungskraft, welche ihm das Wiedererscheinen gastlicher Kreise auf die graue Nebelwand malt, welche für jetzt den Augen Himmel und Erde versperrt.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 102 - 104.