Den Alpenbach entlang zum Eibsee

Am Saume hoher Fichten rinnt im dichten Moos ein Wasser, dessen Klarheit sich nicht beschreiben läßt. Seine Wellen stürzen vom hochgelegenen Eibsee herab, den wir besuchen wollen.

Über unseren Waldbach und die Linie des Waldes hin gleiten die Streifen des Lichtes der Frühsonne. Vögel pfeifen, schon flattert ein voreiliger Schmetterling an den harzduftenden Zweigen. Hier liegen abgeschälte Stämme im Moos, deren Rinden, zu einem Haufen angesammelt, tannige Wohlgerüche verbreiten, dort ergötzt uns der Anblick einer grauen Hütte, deren Dach Steinblöcke drücken. Der Bach, welchem zum Herabfallen aus einer Höhe von ungefähr zweitausend Fuß kaum mehr als eine Wegstunde gegeben ist, muß an vielen Stellen klafterhoch über moosige Felsen stürzen. Da bilden die schweigsamen Nadelhölzer zur Aufregung der Gewässer, die an ihren Wurzeln hinjagen, einen schönen Gegensatz.

Hier überbrückt ein Steg den grasgrünen Alpenbach; zur Linken hat er ein mächtiges seinem Lauf entgegengeschobenes Lager von Felsschichten durchnagt und fällt in Schaum zerschlagen über die Zacken der noch nicht völlig ausgewaschenen Kanten in den Steinplatten.

Endlich erreichen wir die Alpen im Wildmoos, die gerade südlich hinter der Drachenwand liegen.

Auf dem Boden sind unendliche Schneemengen zusammengeweht. Wir gehen auf ihrer von der Sonne verkrusteten Oberfläche weiter, ohne einzusinken, und können die Tiefe des Lagers, über welches wir hinschreiten, nur nach einigen Höhlungen berechnen, durch welche hindurch wir auf den schwarzgrünen Boden sehen können. Dieser - auf dem in wenigen Monaten die bunte Pracht von Krokus-, Orchis- und Lysimachia-Blüten die Herrlichkeit des Lenzes verbreiten werden - ist jetzt ein mit Schneewasser durchtränkter Sumpf. An mancher Stelle ragt ein verkohlter Baumstamm - bei den Feuern der Sommerhirten ist er verbrannt worden - aus dem Schnee empor, der in den Sumpf seine losgelösten Wasser hinabträufelt. An anderen bemerkt man das unten hoch angestaute Wasser an der dunkleren, angefeuchteten Farbe der Schneeschicht.

Noch ein Bühel (Hügel) und vor uns liegt der Eibsee in seinem von Waldbergen umragten, tief eingesenkten Becken, eine graue, unbewegliche, starre Fläche.

Der Hochgebirgssee zeigt sich durch den Kessel, in dessen Grund er liegt. Ich habe nie einen See gesehen, den ein Berggipfel trägt, an dessen Ufer man nicht einige Klafter tief, wie in einen Trichter, hinabsteigen müßte. Mögen die umgebenden Ufer nackte Felswände sein, daß das Wasser drinnen liegt wie auf dem Grunde einer glatten Steinschale. Die kesselförmige Mulde erscheint im wesentlichen unverändert beim Tümpel der Gletscherwasser wie beim anmutigeren See auf der Alpentrift.

Auf dem Boden des Kessels, am Rande des Sees, sind wir am besten vor rauhen Lüften geschützt. Dieselbe Sonne, deren Strahlen die Wand des Kessels im Sommer zu unerträglicher Hitze steigern, erfreut uns jetzt mit sanfter Wärme. Etwa eine Klafter vor der Stelle, an welcher der Bach den Bergsee verläßt, hat sich dessen Eis in der unmerklichen, aber steten Strömung und Bewegung gelöst. Jener sickert träge unter der bröckeligen Schicht hervor und zwängt sich unter einem morschen Holzgerüste durch, einer verwitterten Schleuse. Große konzentrische Halbringe von schwarzgrauem und diamantblinkendem Aussehen ziehen sich abwechselnd über die ganze Breite des Eisspiegels. Andere Stellen haben eine damaszierte Moire gewässerte Farbe. Es sind diejenigen, an welchen die Schwingungen der Luft das kristallisierte Wasser am meisten angenagt und verwittert haben. Wir können uns davon überzeugen, indem wir gewichtigere Steine prüfend hineinschleudern. Dort, zwischen den verschieden gefärbten Ringen, bleiben sie aufprellend liegen; hier durchlöchern sie das Gefüge und sinken zu Boden.

Von den Bewegungen der Fische würden wir auch ohne diese Eisdecke nicht viel mehr gewahren als durch sie hindurch. Es sind deren nur sehr wenige im See. Vielfache Versuche, ihn mit den Insassen anderer Gewässer zu bevölkern, sind fehlgeschlagen, denn die hungrigen Rudel des Bergsees fallen über die Eindringlinge her, die sich, wie es verpflanzte Fische zu tun pflegen, in dem neuen Gewässer scheu, unbeholfen, wie gelähmt bewegen, und fressen sie als gute Beute auf. Ich habe an einer Stelle meines 'Bayerischen Seebuches' die Behauptung aufgestellt, daß der Hecht lieber einem Karpfen nachstellt, der aus einem fremden Wasser in das seinige versetzt worden ist, als einem einheimischen. Ich bin seither durch übereinstimmende Aussagen von Fischern belehrt worden, daß der Grund davon keineswegs im Reiz der Neuheit liegt, sondern in der Unbeholfenheit des Tieres in der ihm unbekannten Umgebung und der verringerten Gewandtheit, dem Verfolger zu entfliehen.

Froh, über die verschlungenen Pfade des Bergwaldes herabgekommen zu sein - unbehelligt von jenem vielgestaltigen Error, der in den Alpen 'passim palantes certo de tramite pellit', gewinnen wir wieder die Ufer des vielfarbigen Fuschlsees. Unaufhörliche Schüsse rollen an den Wänden hin - gewiß wird irgendwo auf das spärliche Rotwild der Höhen gejagt. Nein. Die Schüsse sind Freudentöne, die krachenden Gewehre begleiten eine 'Güterfuhr'. Die Einrichtung, die Aussteuer einer Braut wird eben nach dem ehelichen Herde gebracht. Vor der Schmiede belustigen sich Männer mit einem Spiel, in welchem Hufeisen nach einem Ziele geworfen werden. Dieses Spiel, am nächsten mit dem beliebten, aber jetzt glücklicherweise von warmen Winden für dieses Jahr eingestellten Eisschießen verwandt, wird von den Bauern Plattenschießen genannt und überall in diesen Tälern eifrig betrieben.

Wir sehnen uns nicht nach der Küche unserer Herberge und schlendern am See.

Da rollen schaumspritzende Wellen vor dem Weststurm einher und überschütten den Strand. Aber neben diesen regelmäßig anschlagenden Wellen zucken noch andere Bewegungen auf der Wasserfläche. Pfeilschnell, wie Sturmvögel, ziehen sich Kräuselungen, Wolkenschatten ähnlich, von verschiedenen Richtungen mit den und quer durch die Wellen daher. Es sind die Wirkungen der an manchen Wänden aufgestauten und zurückprallenden Winde. Dann stäubt auch, wie auf einer Heerstraße, manchmal eine hohe weiße Säule auf, die der Wirbel der Luft in die Höhe reißt. So macht die blöde wütende Gewalt Rauch aus dem Glänze, wie unser Poet, vom rauschenden Aufidus geboren, über andere Tätigkeiten sich ausdrückt. Weit draußen schimmert eine breite Fläche wie weißglühendes Eisen. Dort müssen aus den jagenden Wolken flüchtige Lichter in das Toben herabfallen. Wie wir die Werkzeuge des Atmens erweitern möchten, um uns den Genuß dieses Hauches auf den Wassern zu verdoppeln, so wünschte ich mir Augen von gesteigerter und höherer Kraft, um fernen Lesern noch recht viel von dem geheimnisvollen Weben und Wallen, bis in dessen unmerklichstes Regen hinein, erzählen zu können, von jener großen Bewegung, die wir hier, im Tosen des Sturmes am Strand hinwandelnd, bei all unserer Hingebung doch nur ahnend und formlos fassen.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 80 - 84.