Über die Führer im Salzkammergut

Der Sommertourist, welcher mit Führern in unseren Bergländern herumklettert, sieht auch hier meist mehr die künstliche als die wesentliche Seite der Verhältnisse. Es bietet sich ihm wenig Gelegenheit, die peinliche Betriebsamkeit, selbst das nackte Elend kennenzulernen, welches die Muskeln des Menschen in Bewegung setzt, der neben ihm in die freien Lüfte hinaufpilgert. Ich spreche von Örtlichkeiten, an welchen der rüstige Teil der Bevölkerung das 'Führen' als Sommergeschäft betreibt.

Es gibt viele Führer, die sich bei entsprechender Witterung in einer Woche zwanzig Gulden verdienen. Mit dieser Einnahme aber ergeht es diesen fast durchgängig wie allen, welche eine sichere, ehrliche Arbeit aufgeben, um verlockendem Gewinn nachzulaufen. Bliebe der Mann bei jener, die ihm freilich in einem Tage nur ungefähr drei fünftel Gulden einbringt, so hätte er weniger Freiheit, aber keine Sorge, und das tägliche Brot würde ihm auch im harten Winter und im Frühjahr nicht mangeln. Auch würde er in seinen späteren Jahren eine anständigere Figur darstellen als der Führer aus Profession.

Wie wenig die Gesundheit in Frage kommt, wenn die Leute an einen 'leichten und schnellen' Verdienst denken, das sieht man am deutlichsten an jenen Orten, an welchen auch Sänften für die Bergpartieen schwächlicher Reisender gehalten werden. Hier ist es das Ideal jedes Führers, Sänftenträger zu werden, weil die Mühe einiger Stunden mit schwerem Gelde bezahlt werden muß.

Wer dieses Handwerk noch nicht in der Nähe beobachtet hat, macht sich schwerlich einen zureichenden Begriff von der Entwürdigung, welche es den Beteiligten auferlegt. Maultieren, welche den Reisenden, die nicht steigen wollen, für die Bergpfade zu Diensten stehen, über diese Tiere nicht genug wachen. Denn die Führer, welchen es gelungen ist, Sänften schleppen zu dürfen, verfolgen die armen Tiere als 'Brotdiebe' und würden dieselben allerorten um ihre geraden Glieder bringen.

In größeren Orten drängen sich nicht nur Knechte und Taglöhner, sondern auch Handwerker zum Dienste eines Führers. In entlegeneren Gegenden sind es nicht selten Holzknechte. Unter diesen findet man starke und treuherzige Menschen, denen der kleine Zuwachs zu ihrem kärglichen Verdienst wohl zu gönnen ist. Ihnen obliegt meist der Abtrieb eines Waldes im 'Geding' (Akkord), der ihnen für die stärkste Anstrengung notdürftig das Brot bietet. Daneben begegnet man auch anderen gelegentlichen Führern, welche im übrigen eine Art von Vagabundenindustrie treiben, beispielsweise 'Wurzgräbern'. Diese sammeln Wurzeln verschiedener Alpenkräuter ein, aus welchen Branntwein gebraut wird.

Meine Bemerkungen haben nicht die Ausnahme, sondern die Regel im Auge und werden für das große Publikum der Sommervergnüglinge niedergeschrieben. Sie gelten nicht für die Führer auf jene gewaltigen Höhen, welche, wie beispielsweise der Großglockner, niemandem gestattet, andere ungefährdet hinaufzugeleiten, wenn er nicht selbst ein wackerer Mann voll Herz und Mut ist. Die Führer zu jenen Gipfeln verhalten sich zu ihren Genossen auf den Saumpfaden der Hotellerien wie der auserlesene Kreis dieser Bergfreunde zu jenen Reisenden, denen die Mode ihre Routen aufzwängt.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 108 - 109.