Trum- und Grabensee

Die Seen, welche zwischen Hügeln, den letzten Ausläufern der Bewegung, versteckt liegen, welche die Alpen emporhob, bieten in ihrer Erscheinung einen Gegensatz, der schwer zu beschreiben ist. Wälder, Wiesen und Getreidefelder reichen von den geringen Höhen an den Wasserspiegel, der mit ihnen im Glänze der Sonne, den blauen Himmel widerscheinend, dem Betrachter nur Lächeln und Anmut entgegenhält. Die trübe Langweile und Wehmut, welche aus den nämlichen Linien zu sprechen scheint, wenn ein bewölkter Himmel über ihnen lagert, steht in keinem Verhältnis zu den sanften, ansprechenden Formen, vollends nicht, wenn man die Veränderung damit vergleicht, welche ein trüber Nachmittag am Aussehen eines wirklichen Hochgebirgssees hervorbringt. Man sollte meinen, die an sich schroffen, drohenden Umrisse seiner Ufer müßten in der Verdunkelung des Himmels und in der Verödung der Farbenspiele in einer Weise verdüstert werden, welche sich schwerer auf das Gemüt des Beschauers legt als draußen in der milderen Flur. Dem ist nicht so. Ein träumerisches, unendlich sehnsüchtiges Hinbrüten gestaltet hier in solchen Stunden die Ufer, an denen nichts Hervorragendes den Blick zerstreut, und die weder von Felsvorsprüngen unterbrochene, noch von verschiedenen Färbungen über den Abgründen schattierte Wasserfläche zu einer Erscheinung voll ingrimmiger, tiefquälender Langweile.

Der größte der Voralpenseen des Salzburger Landes, der Trumsee - der längste wenigstens ist er - zieht sich zwischen zwei Hügelreihen hin, welche die Namen Hauns-, Buch- und Tannberg führen und von der Stadt aus gerade im Norden wohl gesehen werden. In der Wirklichkeit stellt diese ansehnliche Wasserfläche fast einen Spiegel dar, wenngleich ihre nordöstliche, durch einen Damm abgesonderte, Ausbiegung Mattsee genannt wird, während die nördliche Gegend, von dem Hauptgewässer durch etwas hervorgetretenes Land teilweise getrennt, der Grabensee heißt. Dieser wallt gegen die höchsten und am meisten waldigen Hügel an. Der Göll ragt in die Tiefe des Sees hinab; Flammenringe, blendende Wolken irren und rauchen um den Scheitel - indessen die Föhren auf der Landzunge unbeweglich stehen zwischen den zwei Wassern und eine kleine Mühle mit ihren Rädern lärmt. Dort, unter den leuchtenden Wolken, stürzen, vom Tauwind aufgejagt, Hunderte von mächtigen Wasserstürzen in den stäubenden Abgrund. Zwischen den Weiden girrt manchmal ein bunter Eisvogel, und auf ihren Zweigen schwanken graue, verlassene Nester. Solchen Anblick bieten jetzt die Ufer. Versuchen wir es, sie von oben zu überschauen.

Während wir über Matten und durch jungen Wald nach dem Rücken des Haunsberges hinaufsteigen, fallen uns manchmal die schmutziggelben Blüten des Huflattichs in die Augen, die lange vor den fleischigen Blättern sich an das Licht des Vorfrühlings drängen. Kleine Tümpel, in welche winzige Gräben münden, fangen das von der kotigen Straße abfließende Wasser auf, damit der Schlamm vom Wasser nicht in den Wald hinabgeschwemmt wird. Die Bauern nennen sie 'Kothfänge' und schöpfen gelegentlich ihren Inhalt aus, um ihn auf ihren Acker zu tragen. Auf seinem Grunde regt sich schon hier und da ein Blutegel, und am Rande schaut zwischen grauen Halmen jene blaue Blüte hervor, welche von den Botanikern Hunds-, von den Bauern dieser Ufer Schusterveilchen genannt wird, in ungerechter Herabwürdigung eines Standes, welcher der Welt bemerkenswerte Männer zur Verfügung gestellt hat.

Aus diesem Haus des Bergabhanges wird eben eine streitsüchtige Geiß, die sich mit den übrigen Einwohnern des Stalles nicht vertragen kann, zum Verkaufe fortgetrieben, in jenem 'untern' leben die Leute und essen zu Abend. Wenn es Sommer wäre, so würde man wohl an den grünen Hügeln und zwischen den Feldern hinjauchzen und jodeln hören, wie nur immer an schönen Tagen mitten im Tirol. Jetzt begegnet uns jener Bauer mit der Geiß, ein alter Mausfänger und ein Jäger, der mit seinen Hunden auf die Fuchsjagd geht. 'Haunsberger', die wir bis jetzt gesehen haben. Der Jäger wohnt oben in einem hölzernen Häuschen, aus dessen Fenstern man bis zum Traunstein und den steierischen Gebirgen schauen kann. Der Dachstein ragt, scheinbar ganz nahe, über die Vorberge herüber. Der Trumsee aus seinen Wäldern, der große Waller-, der Wagingersee jenseits der Salzach bedecken mit ihrem Blau weite Strecken Landes, während die Salzach, ein breiter hellgrüner Streifen, sich vielfach gekrümmt in den unabsehbaren graublauen Ebenen verliert. Die breiten Rückenflächen und Steinfelder des Untersberges lassen sich ziemlich überschauen, vom Westen ragt noch der Wendelstein herüber, und vor uns wölbt sich die Kuppel des Salzburger Domes aus dem roten sonnigen Nebel. Mit einem Blick sehen wir, nach Norden gewendet, Laufen an der Salzach und die Wipfel, die sich im schweigsamen Trumsee beschauen.

Man sieht von hier das Kloster Michaelbeuern, es fällt klar und weiß in die Augen. Auf dem Boden, welchen der Gesichtskreis umfaßt, stehen mehr als einhundert Klöster, die wir aber hinter den Wäldern nicht sehen können. Über das einsam auf dem Berge gelegene Wirtshaus zum 'Hörndl' gelangen wir an den Rand einer Schlucht, welche den unheimlichen Namen 'Teufelsgraben' trägt. Durch ihre Gründe schäumt ein trüber Bach, der sich einen Ausweg nach dem Trumsee sucht.

Um den trübseligen See ziehen sich Forellenbäche hin, in welchen übermäßig die Kresse wuchert. Manchmal wird ihr Lauf ein wenig durch die grauen Bretter eines Fischkastens gestaut, dessen Insassen sie durch viele Öffnungen bewegtes Wasser zuführen. Der Reichtum an Forellen in den Bächen des Seegrundes ist so groß, daß vor nicht langer Zeit die Röhre einer Feuerspritze durch sie verstopft wurde, die der Schlauch mit dem Wasser heransaugte.

Ins Dorf Trum zurückgekehrt, besuchen wir noch das Wirtshaus. Dort sitzen heute die 'Brüder' eines Verstorbenen, das heißt diejenigen seiner Bekannten, welche die bei seiner Beerdigung durch Sargtragen und andere Verrichtungen am meisten beteiligten Personen waren. Nun liegt er in der Erde, und sie 'vertrinken' den Toten. Jeder hat, obwohl es heller Tag ist, eine brennende Kerze neben seinem Maßkrug stehen, bei welcher uns auffällt, daß die Flamme fortwährend ein eigentümliches Knistern und Prasseln von sich gibt. Sie dürfen den Toten auf Rechnung seiner Erben 'vertrinken', solange die Kerze brennt; um das trübselige Ereignis ihres Erlöschens soweit als möglich hinauszuschieben, haben sie dieselbe mit Salz eingerieben, dessen Körner der Flamme leichte Hindernisse bereiten.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 151 - 154.