Grundlsee

Ein leichter Schneefall während der Nacht bereitete einen klaren Frühlingstag vor. Die Eisstücke, welche noch inmitten des Sees schwammen, stellten nun durch die darauf gestreuten Flecken einen grellen Gegensatz zur schwarzen Flut dar. Wolken so groß als die überall von der Sonne angegriffenen und abgegrenzten Schneehaufen der Berghalden zogen langsam über den glanzvollen Himmel. Arbeiter waren an der Befestigung der Ränder des Flußbettes beschäftigt, in welchem bald die losgelösten Schneewasser mit verderblichem Mutwillen hinabrasen sollten. Mitten im Schnee brannten ihre Feuer.

Der Markt Aussee steht in einem milderen Tal als das Dorf am gleichnamigen Gewässer. Die Traun, welche vom Grundlsee kommend gegen ihn herfließt, rauscht an Ufern vorüber, deren eine dem Mittag zugekehrte Seite überall von Blüten bedeckt war.

Es gibt nichts Behaglicheres, als sich an einem sonnigen Tage des Vorfrühlings an einen solchen Abhang in die milde Luft hinzusetzen und zuzusehen, wie alles neben uns keimt und sprießt, während von der anderen Seite überall der einförmige Schnee herüberschaut. Die Empfindung, welcher man sich am warmen Ofen während eines Wintersturmes so gern hingibt, erscheint hier gesteigert.

Unser Weg geht der herabkommenden Traun entlang. Manchmal meinen wir, sie fließe durch ein Hügelland, bis der eine oder andere gewaltige Zacken, welcher hier und da über die niedrigen Waldkuppen hoch hervorschaut, uns bekräftigt, daß wir wirklich in einer Einsenkung des steierischen Hochgebirges gehen. Nach einer Stunde haben wir den Rand des Sees erreicht.

Das längliche Becken des Grundlsees hat hohe Felsenufer, ein echtes wahres Bergwasser. Jenseits der Felswände, welche ihn im Osten abschließen, beginnt ein Vergleichungsmoment mit dem Königssee. Denn über einer Landzunge liegt dort im Grunde eines Beckens von wilderen und gewaltigeren Bergen der Toplitzsee und wieder über eine Landzunge hinüber hinter diesem der unheimlich öde Kammersee. So führt auch die Vorhalle des Königs- zum Allerheiligsten des Obersees. Hier verhält sich die Wirkung der Gestade wie die drei Steigerungsstufen eines Beiwortes. In derartiger Anlage mag wohl keine andere Wassergruppe der Berge sich mit dieser vergleichen können, deren Felsufer je höher, näher, enger und finsterer sie planmäßig zusammenrücken, das Bewußtsein des Beschauers erweitern und mit aufstrebenden Gedanken erhellen.

Am nördlichen Abhang erheben sich zum östlichen hinüber der Beckenstein, der Hochelm, die Drei Brüder, die Weiße Wand zu eindrucksvoller Höhe. Sie sind alle noch von Schnee überlagert und müssen es sein, wenn wir sehen wollen, wie das Abendrot an ihren Gipfeln nachglüht, oben wie unten in den Tiefen des Sees, den sonst schon die Nacht deckt. In den Kristallen des Schnees lodern diese Brände mächtiger als an der groben Felswand. Darum wird auch niemand, der dieses Ufer in den heißen Monaten besucht, sich von dem Schauspiel, dessen Beschreibung wir ablehnen müssen, irgendeine Vorstellung machen können.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 116 - 117.