Hallstatt

Hallstatt besteht aus einer Anzahl alter, meist massiver Häuser, die an einem steilen Berg übereinanderstehen und an deren unterste der See schlägt, der hart am Ufer in gewaltige Tiefen von zwanzig, dreißig Fuß abfällt. In nicht wenigen Häusern steigt man die Treppen hinauf statt herab, wenn man ausgehen will, und mancher muß durch seinen Speicher, wenn er den höher gelegenen Nachbarn besucht. Da keine Fahrstraße hierher führt, sieht man kein Pferd, und es macht einen eigentümlichen Eindruck, wenn man hört, daß die Wagenremise des Wirtes eine Stunde vom Hause entfernt liegt. Im übrigen herrscht viel bittere Armut außen und innen. Der Wasserfall, welcher mitten durch die Häuserterrassen herabstürzt, ist vielleicht das Merkwürdigste, was dem Besucher bei der Bergwanderung über die Treppen (Gasse gibt es nur eine) der Stadt in die Augen fällt. Diese Armut hat aber die Oberhirten der Salzburger Erzdiözese nicht abgehalten, von Zeit zu Zeit die Häuser der Leute bis zum Grund niederzubrennen; war ja doch Hallstatt durch seine Salzerzeugung ein Schaden Halleins, dessen Reichtum in ihre Hirtentasche floß. Gewisse Säcke aber haben keinen Boden. Freilich gab es schon damals die bequeme Erfindung, daß es nicht der Erzbischof, sondern der 'weltliche Fürst' war, der die Leute in Hunger und Elend brachte.

Schon die ältesten Völker kannten den lichtarmen, entlegenen Erdwinkel. Münzen, Waffen und Schmuck, die im Boden der Berge gefunden wurden, deuten auf die ziemlich entwickelten Geschlechter der Kelten hin, welche das alles wohl zu fertigen verstanden und auch im Bergbau nicht unerfahren waren. Die ganze Gegend um den jetzt so einsamen See wimmelt von Sagen über ehemalige große Städte und gewaltige Verschanzungen. Jenseits des Wassers auf dem Felsen der Burgau will man Trümmer einer ausgedehnten alten Burg gefunden haben. Mahnungen und Stimmen vergangener Tage reichen in das heutige Leben herüber. Noch hört man in der großen Höhle ober Goisern, welche unzählige Schätze bergen soll, eine Uhr ticken - es fallen regelmäßige Wassertropfen in einem finsteren Teile des Kalkgewölbes nieder. Noch sieht man von Zeit zu Zeit ein wunderschönes Weib am Seegestade waschen; aber sie zieht sich scheu vor jeder Annäherung der Menschen zurück.

Auch die Zwerge vom Untersberg sollen manchmal in finsteren Nächten unter Trommelschlag am Gestade herziehen. Vielleicht besuchen sie die anderen seltsamen und verschollenen Gestalten, die im alten Berg der Kelten schlummern. Besonders deutlich wollte einmal sie und ihren Trommelschlag ein Bürger von Hallstatt während einer stürmischen Nacht vorübergehen gehört haben. Am nächsten Morgen neckte ihn der Anblick eines Schäffels, welches mit dem Boden nach oben am Brunnen vor dem Hause stand und worauf der Strahl in dumpfem, trommelschlagähnlichem Dröhnen herabfiel. Von nun an glaubte er nicht mehr an den lärmenden Zug der Unters-berger und ihrer Genossen.

Es ist freilich eine Umgebung, welche die Neigung des Menschen, an übersinnliche Wunder zu glauben, herausfordert. Den gesicherten menschlichen Wohnstätten ist wenig Raum übriggelassen. Die oft gefährliche Oberfläche des stürmischen Sees und die der Felsen bietet Schwierigkeiten, wie sie in solchem Nebeneinander nicht zu häufig angetroffen werden. Hallstatt ist wohl der einzige Marktflecken im weiten Reiche, welcher durch einen Bergsteig mit der Welt zusammenhängt. Und dazu ist der Pfad in mancher Jahreszeit nur mit Gefahr zu begehen. Wenn es dann noch auf dem See stürmt, daß sich kein Schiff hinauswagt, oder der See so zugefroren ist, daß man ihn nicht mehr befahren, aber auch noch nicht auf ihm gehen kann, so kommt es vor, daß die arme Hallstatt einige Tage lang von draußen nichts mehr zu sehen und zu hören bekommt. Man konnte nun wohl sagen, daß in dieser wilden Abgeschlossenheit des Städtchens ein besonderer Reiz liege: die Hallstätter aber zögen insgesamt eine tüchtige Straße vor.

Ich für meinen Teil bin sehr zufrieden, daß diese nützliche Absicht vereitelt wurde; denn sie hätte uns um schöne Schaustücke gebracht. Es ist nicht überall möglich, auf einem Friedhof zu stehen, der über die Dächer emporragt, die Kähne unter den Dächern über die stahlblaue Flut gleiten, die Raubvögel an den Felswänden fliegen, die Sonne zwischen riesigen Zacken wandeln zu sehen und das feierliche Geläute des Mittags von See und Fels widerhallen zu hören.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 74 - 77.