Über Ischl zum Hallstätter See

Der Weg vom Hallstätter zum Traunsee, in dessen Mitte das vielberühmte Ischl liegt, wird durch den Lauf der Traun bezeichnet. Hier stehen wir schon vor ihr, auf der stattlichen Reichsstraße, und schauen mit Wohlgefallen in das wirklich wunderbare Grün ihrer Wellen. So schauen Flüsse aus, die geläutert weiterrauschen, wenn ihre Niederschläge auf den Felsengrund tiefer Seen gefallen sind. Aber die Farbe dieses unvergleichlich klaren Wassers wäre in diesem Augenblick nicht das einzige, wonach die mit der hohen Natur Befreundeten schauen würden. Aus dieser Landschaft schneidet ein Maler Kabinettsstücke, über deren Inhalt die städtischen Beschauer ungläubig die Köpfe schütteln.

Über den Wolken scheinen mit dem Ostwind schimmernde Felshörner daherzufliegen. Durch dünnere Dünste des Morgenhimmels schimmern welke Buchen - eine rote Flamme durch ihr Milchglas. Unten ragen Tannenspitzen, über ihnen ziehen blendende Wolken, über den Wolken schauen Berge in den ungetrübteren Himmel.

Doch solchen Träumen weiß uns jetzt die Wirklichkeit mit gehässiger Eile zu entrücken!

Ein widerwärtiger Anblick ereilt uns sofort in der Gestalt zweier dicker Damen - wie es scheint, vom Hofe -, welche sich von Trägern aus Sesseln in der Sonne herumtragen lassen.

Wie lange noch wird es zur Mode gehören, daß sich brutale Faulheit in einer Lage zur Schau bringt, welche das mitleidige Auge nur dem Kranken oder Verstümmelten gönnt? Die Duldung solcher Sitten scheint mir ein Anachronismus des 'humanitären' Zeitalters. Nicht wenig habe ich mich gewundert, als ich im ersten Bande der Mitteilungen des Österreichischen Alpenvereins von den Tragsesseln las, welche Touristen auf den Dachsteingletscher, ja selbst bis zur Dachsteinwand tragen sollen. Wer mag wohl an solchem Drücken des Geldbeutels auf die Muskelkraft anderer Gefallen finden, wenn er der Menschen-Kavalkade hoch oben in den 'freien' Lüften begegnet?

Für jetzt lassen wir die Gassen von Ischl liegen und besuchen nur den freien Platz auf dem Hügel vor dem prachtvollen 'Actienhotel'. Hier genießt man durch das 'entre-ouvert' einer Berglücke ein Stückchen Gletscherwelt.

Auf dem Wege schauen wir, uns umdrehend, wieder auf den südlichen Abhang des Schafberges, welcher der Berg der Seen heißen sollte, denn ihrer drei hält die knorrige Verästelung seiner weit ragenden Felsenwurzeln auseinander, oder auf die grünen Matten des Traunlandes. Am alten wüsten Markt Lauffen gehen wir rasch vorüber, auch im sagenberühmten Goisern sind es nicht die Geschichten vom heiligen Petrus, dem König Goiseram und dem Lindwurm, die uns aufhalten, sondern der einzig seltsame Kirchhof im Bergwald. Dort rasten wir einen Augenblick, schauen auf die Gräber unter den Tannen und nach dem glühenden Abendrot auf dem Gipfel der steierischen Berge, die über den Sattel der Pötschen hereinragen.

Es ist wieder Abend; Rauchwolken steigen in die schwarz-blaue Luft vor den Bergwänden, und der Fleißigste von denjenigen, welche die Äste ihrer Obstbäume an der Straße beschnitten haben, kehrt heim.

Es ist bekannt, daß der Eindruck von Natursehenden in Reisebandbüchern nicht selten übertrieben wird. Der Reisende, welcher sie vorher gelesen hat, erntet dann statt Genuß Enttäuschung. So verhält es sich vielleicht mit zwei im übrigen sehr verschiedenen Erscheinungen, die wir mit einem Blick überschauen, wenn wir am nächsten Morgen vor die Türschwelle der Gosau-Mühle treten. Da liegt der Hallstätter See vor uns, den man mit dem Berchtesgadener Königssee vergleicht. Diejenigen, welche das tun, haben einen Sinn für die Auffindung von Ahnlichkeitsmomenten in der Landschaft, der mir versagt ist. Ich sehe wohl hier wie dort Felswände nahe an der dunklen Flut, aber auf jenen sozusagen tragischen Eindruck, der dort den Beschauer überkommt, wenn er, um den Falkenstein biegend, in das titanische Werk der Berggeister aus Wasser und Gestein eintritt - auf diesen warte ich hier vergeblich. Die meiste Täuschung entsteht wohl aus der vorhergängigen irrigen Meinung, der See liege innerhalb der Dachsteinmassen. Der Dachstein und seine Gletscher, die man erst von einer ziemlichen Höhe an gewissen Stellen der Bergufer sehen kann, haben aber mit der Physiognomie dieses Gewässers gar nichts zu tun. Die Gestade bestehen aus bewaldeten Höhen, welche sich im allgemeinen bis zu viertausend Fuß über den Seespiegel erheben. Der Kenner des Königssees, des schmalen Beckens, aber hat die schneeigen Höhen des Watzmann, der Schönfeldspitze und des Funtensee-Tauern im Gedächtnis. So viel über diese Parallele, mit welcher Bemerkung an der gewaltigen Schönheit dieses Alpensees jedoch gewiß nicht genörgelt werden soll.

Die zweite, schon schneller einleuchtende Enttäuschung erfährt man, wenn man sich den gerühmten >Gosauzwang< betrachtet. Es ist dies ein Viadukt über die Ausmündung des Tales der Gosau in den See, welcher notwendig war, um die hoch an den Felsen von dem Hallstätter Salzwerk nach Ischl führende Leitung von Salzwasser nicht zu unterbrechen. Seine Länge beträgt siebzig, seine Höhe einundzwanzig Klaster. Das imponiert uns Menschen aus der Zeit der Eisenbahnhochbauten nicht mehr. Schwindlige, die in Büchern gewarnt werden, darüberzugehen, werden wohl zwischen den Geländern hinüberkommen, wie sie über andere Brücken kommen.

Etwas anderes aber ist es, in das Gosautal hinein- oder vielmehr hinaufzugehen. Noch weht am See warmfeuchte, wassergashaltige Luft, aber schon wenige Schritte hinter dem Eingang in die Schlünde, aus denen der Bach hervorkommt, fühlen wir die Straße hart gefroren, die Ache dampft, und der Reif liegt unangefochten den ganzen Tag über auf Bäumen, welche ihr Laub noch nicht verloren haben.

Am Wege weist manche Unglückstafel auf die gefahrvollen Arbeiten des Landes hin, aber es sind nicht mehr die >Marterln< der bisher durchwanderten Täler mit ihren Heiligen, Madonnen und nackt im Höllenfeuer Gebratenen, sondern einfache Inschriften mit dem Namen des Verunglückten und der kurzen Beschreibung seines Endes - von Bildwerk ist daran nichts zu sehen als das Kreuz, welches oben schwebt und in welchem die Christen sich eine Liebe verkörpert denken, welche auch der mühseligen Menschen im Alpental nicht vergißt. Gosau wird von Protestanten bewohnt: es sind 'protestantische' Marterln, die wir da vor uns haben.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë , München 1867, S. 53 - 57.