Millstätter See

Wenn der Hochsommer über die Gailtaler Alpen und die Karawanken herüberkommt, manches Stück der Kärntner Täler wegen der blauen Flachsblütenwellen einem See gleicht, dann wird vom Becken der Adria und des Mittelmeeres heraufgepilgert in die kühlen Täler.

Rotfeurig und heiß ist's dort unten - bergig-blau und blau in Wasserspiegeln - denn zwischen den Tannen hebt sich die Farbe besser hervor - dort oben. Der Flüchtling geht einem neuen Lenz entgegen. Kirschbäume, die dort unten längst ihrer Früchte entledigt worden sind, stehen jetzt noch als weiße Inseln oben zwischen den Nadelhölzern um die holzbraunen Berghäuser.

Wohin?

Unsere Wegweiser scheinen teilweise noch des prüfenden und vergleichenden Inhaltes zu entbehren. Sonst könnten sie nicht unter den Seen Kärntens vornehmlich den Wörthersee herausheben und ihn, mit seinen zum Teil versumpften Gestaden, die Perle des Landes nennen - und nicht den malerischen Millstätter See.

Die Leute aber, die sich aus staubigen, schattenlosen, anspruchsvollen Orten, von denen aus man in der Ferne eine Berglandschaft sieht, nicht viel machen, führe ich fort zu der Tannenschlucht, durch welche der Gletscherstrom braust und der Steig gegen den See von Millstatt sich heraufwindet.

Ja, den Millstätter See überwallt eine Ahnung von jenem Hauch, der über die Alpengewässer des Salzkammergutes und Oberbayerns hingeht. Wie dieser zu beschreiben wäre, darüber kann ebensowenig eine Anweisung gegeben werden, als man im Stande ist, zu sagen, was Dichtung oder entzückende Töne seien. Keinem der Kärntner Seen kommt die Fähigkeit jener Wirkung auf die Einbildungskraft zu, welche die Umrahmung des Traun-, des Mond-, des Kochel- oder Walchensees ausübt. Die Münchener Landschaftsschule hat solche Wirkung zuerst herausgespürt, alsdann gab es eine Menge von 'Lakists' in Ölfarben und in Druckerschwärze. Die allermeisten, die in letzterer arbeiteten, lieferten jämmerliches Zeug.

Dem Gedächtnis wird, wenn es sich um die Auffrischung jener Vorlagen für malende oder schreibende Künstler handelt, nachgeholfen, indem man sich Kähne mit Jägern oder Wolkenzüge an verdämmernden Felswänden, blumengeschmückte Almerinnen, die vom Strande über die spiegelnde Fläche hinaus jauchzen, und leisen Anprall der Flut, der man märchenhafte Tiefe ansieht, an jähes Ufer vorstellt.

Derlei ist an den Kärntner Seen nur andeutungsweise vorhanden. Am allermeisten aber noch von dieser Dichtung, die aus dem Klange der Zither sinnlich aufzuleben scheint, kommt verhältnismäßig dem Millstätter See zu. Im Liesergraben strömt das Wasser, das aus den Gletschern des Malta- und des Gößtales kommt. Es ist ein rechter Tauernstrom, und als solcher hat er sich drinnen in seiner Heimat zahlose Male in Rauch aufgelöst und wieder zu Wellen gesammelt, und in hundert Abgründen trug er die schwanken Regenbogen, die sich auf seinen hoch auffliegenden Schaum stützten. Das Maltatal ist eines der allergroßartigsten in unseren Bergen.

Ein verkleinertes Abbild dieses 'Grabens' geht unmittelbar auf den Ort Millstatt selbst und auf den See heraus. Es ist das die sogenannte 'Schlucht', durch welche die klaren Wasser, die von der Millstätter Alp herabkommen, sich ihren Weg talwärts suchen. Ein sehr anmutiger Steig hat diese Engen voll Kaskadellen und Kühlung zugänglich gemacht. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß es Fremde waren, die mit den Erträgnissen ihrer Theatervorstellungen und Sammlungen den Weg zusammenbrachten. Auch erkennt man den Ursprung der Brücken und Rastbänke an den empfindsamen Überschriften. Man findet Annens Blick, Fritzens Ruhe, Schneewittchens Lust und freut sich, daß vom hohen Sprühschaum des Baches die Flammen des roten Herzens beim 'Rendezvous' nicht auszulöschen waren.

Am Ende des Liesersteiges sieht man die Flut des Seebaches, die sich bald mit dem Gletscherstrom vereinigt. Die Wellen brechen sich nur an Baumwurzeln. Dann liegt zwischen Wald und Bergen der weite See da. Nach alter Weise der Beschreibung mußte ich ihn blau nennen. Die Stimmungen und Tönungen aber kommen vom Himmel, und der ist bald gnädig, bald ungnädig. Das Bild macht die Wirkung der Freiheit; frei ziehen die Wolken an den Bergen hin, selten drückt ein Kahn die Fläche, und brausend und frei strömt das geläuterte Wasser hier beim Ausfluß zum Abgrund.

Der Markt Millstatt ist in mittelalterlicher Abwendung von der Natur derart gebaut, daß man sowenig, als irgendwie zu machen war, vom See zu schauen bekommt. Nur eine einzige, glücklicherweise die beste Anstalt hat sich als Bad und Gasthaus hart am Wasser angenistet.

Gelobt seist du, schöner Strand! Drüben ruft der Kuckuck und schlagen Specht und Holzhauer im Wald - silberig schnalzt es von Fischen auf, leise zittert die Scheidelinie zwischen der oberen Bergwelt und ihrem Abbild im Wasser.

Der Sturzbach der 'Schlucht' ist der einzige große Bach mit jähem Abfall am See. Darum war hier zu allen Zeiten die Mühlstatt für die bajuwarischen Ansiedler.

Wenn wir am kühlen Hauch der Schlucht uns gelabt, ihre Rastbänke, umrauschten Stege, ihre kleinen Schleierfälle, ihre Vergißmeinnicht- und Farnfülle, ihre Mühltrümmer und Felsblöcke gesehen haben, gehen wir zu einem alten Heiligtum hinauf, welches jetzt Kalvarienberg heißt. Rückwärts gewendet, erscheint uns das unvergeßliche weiße Wunderland der Rauris-Gasteiner Gletscher hoch oben. Ich denke an seine Geister und Schätze und an die Sommerlichter im unbetretenen Silberboden seiner Wüsten, die wunderbarer sind als seine Märchen. Entweder hier oder ganz in der Nähe muß man die Spitze des Großglockners sehen können, wenn man sie nicht am Ende gar schon, wie ich vermute, vom Turme der Millstätter Kirche aus wahrnimmt.

Unten steht, mitten im Hofe des alten Stiftes, eine Linde, wie man eine zweite vielleicht in ganz Österreich nimmer findet, und auch den ebenen Plan beim Kirchlein überschattet der heilige Baum.

Oben sind die hellen Gletscher, unten der See, dessen Ausschnitte zwischen dem Gezweig tiefer blau erscheinen. Oben gehen ebene Zaunwege fort, zu denen der Mittagskogel und andere Karawanken herüberschauen. Eichen und Buchen werden vom Wind bewegt - da ist eine andere Luft als unten am Wörthersee, dessen Atmosphäre, nach der Meinung eines meiner alten Bekannten, an heißen Sommertagen sich anfühlt, als sei sie zugleich von der lieben Sonne und einem muffeligen Bauernkachelofen erwärmt.

Von der 'Steinschicht' aus sieht man in Tannensäle und Bläue hinab. Gletscherschliffe am Glimmergestein zeigen an, daß die Bläue des Sees später Widerglanz ist von lazurner Eisnacht. Grün und schattig wuchert Wald und Obsthain bis zum benetzten Kiesel hinab - kein Schilfhalm steht am Ufer. Der Boden hier oben rötet sich von Erdbeeren, und sind die Früchte hier an der Sonnenseite verschwunden, so erscheinen sie drüben am schattseitigen Südufer zugleich mit den Alpenrosen.

Stein- und Rebhühner flattern auf diesem Berg, in den Buchten des Sees haust die Wildente. Drunten werden heute blitzschnell hinlaufende Silberlinien gezogen, sie deuten Lachse an, welche ihre verzweifelnde Beute verfolgen.

Die Lachsforelle wimmelt in diesem Bergsee.

Die Zukunft des Sees scheint mir an dessen Westufer zu liegen, dort, wo der Seebach in rascher Flutung das Becken verläßt. Dorthin gelangt man von der Station Spital in einer halben Stunde Fahrzeit. Würden dort größere Gaststätten errichtet, wo viel schönerer Wald, schönerer Fernblick über den See sich zur Annehmlichkeit der Nähe des Schienenweges gesellen, so verspürte das Millstatt sofort.

Von dieser Örtlichkeit am Ausfluß der Wasser ziehen sich auch die viel schattigeren und ebenen Spaziergänge in die Wälder hinein. Mit Ausnahme der Landschaft um die Ramsau unter dem Watzmann wüßte ich in den Bergen keinen Ort, wo so viele Bäume gedeihen. Und es sind nicht nur die Nadelhölzer und Buchen, die sich von den Bergen herab gegen die Welle vordrängen, sondern auch Riesen von Nußbäumen und Obstträgern. Die Nachlässigkeit, mit der sie gepflegt werden, erhöht den Eindruck der Üppigkeit. Am Hang unter dem Kalvarienberg war vor nicht sehr langer Zeit noch ein Weingarten. Alles deutet auf den Schutz hin, den die nördlichen Berge gewähren.

Am Millstätter See wird viermal gemäht, und wer sich die Mühe nähme, schöpfte im Herbst viel herrenloses Obst, das von den Uferästen herabgefallen, aus den Wellen. Wie an der Wassermauer zu Meran, so beugen sich hier die Nußbäume in Wölbungen verlangend in die Flut hinaus, und in ihren Schatten bergen sich Scharen von Fischen.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 209 - 216.