Eine Nacht auf dem Schafberg

Wenn ein fünfstündiges Herumsteigen im Schnee, nach je einigen Schritten durch Einbrechen, oft bis an die Hüften, unterbrechen, den ganz enthusiastischen Wanderer ermüdet und herabstimmt, so kann dessen Schilderung beim Leser nur das verwandte Gefühl der Langeweile anregen. Ich fliege also über die Fußstapfen und Schneegruben, mit welchen manchmal die ganze Länge unserer Körper Bekanntschaft machte, hinweg und bin schon in jener Nähe des Gasthauses angelangt, welche uns hinlänglich dünkte, um durch Jauchzen die Inwohner herauszulocken.

Noch eine gute Strecke heißt es über die Schneewehen hinklettern. Der Schnee hat alle Unebenheiten, Steine, Legföhren zugedeckt und stellt ein steil abfallendes Dach dar. Die Gestalt der Bergspitze ist eine andere geworden.

In den Pausen, welche uns der jähe Grat abnötigt, schauen wir in die weite Welt hinaus. Der Westen lodert wie in einem ungeheueren Brand - aber sein glänzendster Feuerstreifen ist keine Wolke, sondern der große Chiemsee. Von allen Gipfeln schimmert es rosig hinaus. Die erhabenen Eisfelder der Gletscher haben jetzt nichts mehr voraus vor der waldigen Kuppe. Sie liegen alle, alle unter tiefem Schnee. Wenn der Strahl des Gestirnes sich abwendet, stellen sich nur mehr zwei Farben unseren Augen dar: Weiß und Schwarz. Die Wälder sind schwarz, die Täler sind schwarz, die Seen gleichen Tümpeln von Tinte.

Doch wir haben keine Zeit mehr zu ästhetischen Parallelen; es wird dunkel, und der laue Föhn rast. Unser Hund eilt mit freudigem Bellen dem Maierbauern-Hans zu, der uns jetzt endlich grüßend entgegenkommt.

Das Winterleben der beiden Wächter ist ein seltsam einsames, und sie freuen sich der unverhofften Gesellschaft unendlich. Der Maierbauern-Hans insbesondere wird nicht satt zu hören, noch weniger aber selbst zu sprechen.

Die Bücher, welche er auf dem Tisch liegen hat (ein Band von Castellis Werken und Aristophanes in der Übersetzung von Seeger), können ihn morgen wieder trösten, und das harte Holz, aus dem er Stiefelzieher schnitzt, kann morgen seine Hände wieder beschäftigen - heute erzählt er den Gästen vom Schafberg.

Den eigentlichen Gegenstand des Gespräches bilden, wie man sich leicht vorstellen kann, Wind und Wetter. Daß derjenige, welcher sich hier oben einen Winter lang aufhält, in beiden hartgesotten wird, versteht sich. Wenn er uns dennoch erzählt, daß er neulich in einem Schneewehen auf dem 'Schneidrücken' beinahe zu Grunde gegangen, so dürfen wir annehmen, daß uns in besagtem Sturme Hören und Sehen vergangen wäre.

Manchmal verläßt er uns und geht vor das Haus, um aus dem Freien seinen frischen Gesang erschallen zu lassen. Wir folgen ihm. Ferne Berge Kärntens und der Steiermark ragen auf im fahlen Schein - gegen Norden, gegen das Böhmerland hin, lagern sie undurchdringlich. Es ist eben und platt dort draußen.

Plötzlich lodert ein greller Glanz - Hans hat eine schwarze Kugel angezündet, welche bengalisches Licht ausstrahlt. Wir, das Haus und die Schneehügel um uns sind für einige Augenblicke von gelben Blitzen umwoben, dann verlöscht die Glut prasselnd im Wasser, das der laue Südwind von der Schneedecke löst.

Die Kugel, sagte Hans, war eigentlich da, um die Höhle im Berg drinnen zu erleuchten. Ich bin gar viele der Gänge durchgekrochen, Wände auf Wände ab, und sage, die fremden Herren werden große Augen machen, wenn sie erst einmal bequem hinabsteigen können. Da kann man Stunden weit im Berg herumlaufen und weit drinnen gar eine Kammer sehen, in der einmal Bären und andere wilde Tiere gehaust haben. Ich fragte ihn, ob er wohl hier und da von seiner Wohnung aus im Winter Menschen- oder Tierspuren bemerke.

Wildschützen, entgegnete er, sehe ich öfter. Erst neulich sind vier gegen die Burgauer Berg' zu gegangen, die miteinander einen weißen Hasen geschossen haben. Es schien mir aber, als ob der gute Hans mehr wüßte. Die geladene Doppelflinte über seinem Bett und das Blinzeln des kaiserlichen Forstgehilfen waren bedeutungsvolle Anzeichen. Er änderte bald das Thema, erzählte von dem altbackenen Brot, das sie wärmen und rösten müßten, wenn sie es genießen wollten, von ihrem ansehnlichen Schmalzvorrat und der angenehmen Hoffnung, an Weihnachten ein frisches 'Geselchtes' zu bekommen.

Unter solchen Gesprächen hatten wir, auf dem härteren Schnee dahinschreitend, die Signalstange mit ihren zwei eisernen Armen erreicht. Solange die zwei Arme, sagte Hans, herabhängen, so lang weiß unser Herr in St. Wolfgang, daß uns nichts fehlt. Recken sie sich aber in die Höhe, so bitten sie um Hilfe, denn dann geht's uns schlecht.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë , München 1867, S. 34 - 37.