Geschichten, die der Wirt in Oberwang erzählte

Heute waren Zigeuner vorübergekommen, von einem großen Hund begleitet, welcher, wie das eine gewöhnliche Tugend der Zigeunerhunde genannt werden kann, die Kunstfertigkeit besaß, aus jedem Hause, in welches man ihn schickte, flugs etwas herauszuholen, was ihm eßbar zu sein schien. In der Flur unserer Schenke hatte er indessen nichts anderes entdecken können, als einen 'Sauzelten' (ein Laib künstliches Schweinefutter), den er pflichtschuldig unter den Wagen seines Herrn legte und gegen die Angriffe des nacheilenden Haushundes Tiras siegreich verteidigte.

"Ja, Tiras, so endet der Wirt die Erzählung dieser merkwürdigen Begebenheit, du bist ein braver Kerl! Hast es auch meiner Frau gleich ankennt, wie s'nimmer zum Aufkommen war!"

Wir erfahren, daß der zum Krankenbett der Frau gezogene Chirurg - in Oberösterreich nimmt man auf dem Lande meist nur zu solchen seine Zuflucht - von dem Augenblick an alle Hoffnung auf Besserung aufgab, als Tiras vor der Türe heftig zu bellen begann. Auch krachten die Tische in der Zechstube, und ein Glas auf dem Gesims gab mit einem Male helle Klänge von sich. Jenen Chirurgen aber, der in einem ziemlich entfernten Tale wohnt, konnte freilich das Zeichen sowenig trügen wie irgendein anderes. Steht er doch, wie er mir eines Abends in seinem Wohnorte selbst erzählte, in Verbindung mit Geistern und wundert sich schon längst nicht mehr, wenn es um ihn herum bald flüsternd, bald laut redet, Stimmen unsichtbarer Gestalten. Daß an einer Glocke unsichtbare Hände schellen, ist etwas Alltägliches. Wenn ihm der Tod eines seiner Kranken durch einen Boten gemeldet wird, ist er stets davon schon im vorhinein durch irgendeinen Vorfall in seinem Zimmer benachrichtigt. Und es scheint wirklich, als ob die darin befindlichen Gegenstände wenig Ruhe hätten.

Leider, würde der Vergnügungsreisende sagen, glücklicher- und erfreulicherweise sagen wir, die das Land und die Sinnesart der Menschen in ihm kennenlernen wollen, können wir in der dunklen Bauernstube des entlegenen Tales nicht beim Anhören solcher Scherze ausruhen, ohne daß wir bald einen Wechsel des Gesprächsgegenstandes bemerken, der kein anderer ist als die öffentlichen Angelegenheiten des Staates. Freilich bekommen wir hier nicht, wie in der Stadt, von den Leuten in abgerissenen und halb mißverstandenen Sätzen das zu hören, was sie eine Stunde vorher in ihrer Zeitung gelesen haben. O nein! Die Bauernköpfe bauen sich in ihrer Weise eine Anschauung von den Dingen der Welt auf.

Wenn ich meine fünf Buben anschau', sagt der Wirt, tut mir's Herz weh. Unser Herrgott hat Ihnen gerade Glieder gegeben, und es fehlt Ihnen nichts. Es kommt aber die Zeit, wo man sie mir einen nach dem anderen wegnimmt und in die Kaserne steckt. Vielleicht kommen sie mir gar nicht mehr oder mit verstümmelten Gliedern zurück. Endlich hat dann der eine oder andere ein Verdienstkreuz, das ihm der Übermut der Großen dafür an die Brust gehängt hat, daß er im Blut gewatet ist und von seinen Nebenmenschen soviel erschlagen oder verkrüppeln mußte, als er nur konnte. Aber ich glaube, unser Herrgott sieht nicht mehr lange zu, und er läßt das über sie kommen, was sie einzig und allein fürchten, die Großen: das Sterben. Bis jetzt haben freilich nur immer wir hinein gemußt in den Tod, wir, die Hunde, wir sind gut genug für die Eisensplitter - aber man dürfte ja an keinen Gott mehr glauben, wenn es nicht bald geschähe, daß Pest und Tod über sie geschickt wird, die -! Fürchten muß man sich, wenn man Kinder hat, die von unserem Herrgott schön und gesund erschaffen worden sind - aber die Rache bleibt nicht aus, so wahr der da droben lebt!

Den Gedenktag des heiligen Sebastian, welcher in eine der jüngst vergangenen Wochen fiel, benützte nun ein benachbarter Pfarrer, um an die Erinnerung, die man dem glorreichen christlichen Helden schuldig ist, die Mahnung anzuknüpfen, daß man an wahrem Glaubensmut nicht hinter ihm zurückbleiben solle. Er räumte ein, daß der Spott der sogenannten Gebildeten und der Hohn der Welt diejenigen verfolgen würde, welche die Verwahrung unterschrieben. Diese sollten dagegen sich der Belohnung in einem anderen Leben getrösten. Auch wurden die hohen Vorteile geschildert, welche das Konkordat der Kirche und den Gläubigen gewähre, sowie der Fesseln, in welchen der christliche Glaube seit Kaiser Josephs Zeiten geschmachtet habe. Die Rede schien zelotische Ausfälle zu enthalten, denn es wurde gesagt, wer den und den neu eingeschärften Geboten nicht streng nachkomme, der sei verdammt.

Solches besprachen die Bauern untereinander. Einige schüttelten die Köpfe und meinten, das sei doch gar zu streng und scharf. Endlich schnitt der Wirt, der bis jetzt schweigend zugehört hatte, das Gespräch mit folgenden langsam gesprochenen Worten ab, zu welchen er mit der Faust auf den Tisch schlug:

"Eine Religion muß sein, und ein höheres Wesen gibt's, davon dürfen wir nicht ablassen. Aber ich kenn's gleich, was in der Ordnung ist von dem, was die Herren auf der Kanzel sagen und was nicht. Und daß mein Vater und mein Großvater derowegen schlechte Leut' waren, weil sie das nicht getan haben, was anjetzt aufgebracht wird, dasselbige ist nicht wahr. Mein Vater war ein Ehrenmann und ich lass' mir meine Eltern nicht verdammen."

So sprach der Wirt und die anderen nickten Beifall.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 131 - 136.