Piburger See

Von allen Seitentälern des Inntales, ja Nordtirols überhaupt, wird keines soviel von Fremdlingen heimgesucht als das der Öz oder der Öztaler Ache, das am Fuße der Gletscher, welche den Grenzwall gegen das selige Etschland bilden, anhebt und sich in einer Länge von etwa zwölf bis vierzehn Stunden an den Inn hinauszieht.

Der Baumeister des Öztales hat die künstlerische Regel der Steigerung nicht außer acht gelassen. Zerlegen wir sein Werk in drei Teile, so haben wir zuerst einen fruchtbaren Baumgarten, in welchem nur das Donnern wilder, eisig hauchender Wasser und hier und dort ein kleiner, von bedeutender Höhe herabglitzernder Eisblink an die Mächte des Hintergrundes erinnern; im zweiten Teil, der vom 'G'steig' bei Öz bis Zwieselstein reicht, finden wir die Denkmäler der Wasserverwüstung an Berg und Tal; in der dritten, dem Gurgler- und Ventertal, nahen wir den Geheimnissen der stillen Eiswelt.

Bei dem Weiler Ebne empfängt uns die Ouvertüre des großen Schaustückes, welches Oztal heißt: zur Linken der hohe Achenkogel, auf dem ein kleiner Ferner wie eine polierte Silberplatte gleißt, Nußbäume mit glänzenden Blättern, der kalt hauchende Sturz, rote Kirschen im Fruchtgeäst, flüsternde Maisfelder, Felsblöcke, von Blumen und Erlen bedeckt und von grauem Eiswasser umdrängt, klare Tümpel, von Vergißmeinnicht umrandet, und daneben Flachs, dessen Blumen wie jenes von Himmelblau gesättigt sind und den Augen der 'saligen Fräulein' gleichen; aus moosigen Felsspalten quellende Brunnen.

Die Musik zu dieser Szenerie bildet das Tosen der Ache, mit welchem sich jeder andere Laut vermengt und verwirrt.

Im Dorfe Öz findet man manches idyllische Genrebild. Hier der blumenumrankte Zaun und die weiße Mauerpforte, die Wiesen mit den weißen Dolden, das Gärtchen mit brennroten Verbenen und Bohnenblüten, dort der schattige Obstanger mit seinen Bienenstöcken und den im hohen Grase sich herumtreibenden Hühnern sind mir lieb geworden.

Umhausen, welches um achthundert Fuß höher, schon in der von mir aufgestellten zweiten Abteilung des Tales liegt, ist um ein beträchtliches kühler. Seine stattlichen zum Teil bemalten Häuser, und unter ihnen die gleichfalls zu preisenden Herbergen Marbergers stehen in Fruchtgärten, die nicht mehr so üppig sind wie die um das warme Öz. Vielleicht kann mein Geschmack an wärmeren Sommerfrischen mit demjenigen, der die Leute auf kurzgrasige Hochflächen treibt, wohin sie einen Koffer mit Winterkleidern mitnehmen, ein Kompromiß eingehen, indem wir uns auf Umhausen vereinigen. Im Verzeichnis der Tiroler Herrlichkeiten wird niemals sein Wasserfall vergessen. Es ist auch ein 'stäubender' 'Stuiben'-Bach, der in der Entfernung einer halben Stunde herabstürzt, und der Wanderer bemerkt schon eine Stunde, bevor er Umhausen erreicht, die weiße Wolke und hört den feierlichen Gesang der Geister.

Sein Staub verwandelt auf zweihundert Schritte den Boden in Sumpf, gute Kleider werden in zwei Minuten durchnäßt, und durch die herumgewirbelten Wassertraufen entsteht eine Verdunstungskälte, vor welcher sich zarte Wanderer hüten mögen.

Wenn man weiter in die Höhe schaut, so raucht es auch dort oben überall, wo seitlich weggeschleuderte Massen zwischen Klippen zerschlagen werden. Denn Schwindel erregend ist die Gewalt, mit welcher die Wellen sich im Bogen in die Luft vordrängen, es zuckt im Rauch von silbernen Lichtern auf, und einem Pfeil gleich sausen die Wasser über den Rand des Abgrundes im Schwünge hinaus.

Oberhalb Öz liegt ein stiller See im Gebirge, zu welchem die Sommergäste gern in einer Stunde emporsteigen.

Gleich hinter dem Gärtchen des Cassianwirtes zieht sich der Pfad gegen Westen, und man gelangt zu einem großen Glimmerblock, nahe am Hange des mit Lärchen bestandenen Berges. Auf ihm erhebt sich ein Bildstöckl, welches zu andächtigen Gedanken anregt, zu gleicher Zeit aber den Weg zum See hinauf andeutet.

Wo sich der Wald lichtet, erreicht man eine winzige Hochfläche, auf der sich sofort das Dörflein Piburg den Augen vorstellt.

Auch hier reicht bis über das Fenstergesims hinauf der stahlblaue Eisenhut, und die Luft der Hochfläche verwehrt den Früchten ihr Gedeihen nicht, welche halbreif am unbewegten Ast hängen. Vom Boden des gelben Kornfeldes oder des dem Wald abgerungenen Kartoffelackers erschallt der Ruf der Wachtel. Neben dem Felde ist etwas Grünes, und dieses Grüne ist der See. Ringsherum steht Nadelwald, aber aus der nächsten Nähe des Wasserrandes sind die Geschlechter der Fichten vertrieben worden. Jetzt schlagen die kleinen Wellen des Gewässers gegen Erlen, Schilf und kahle Blöcke. So grasgrün ist die Wasserfläche, daß es nicht zu verwundern ist, wie die Heuschrecke in mächtigem Satz von der Wiese in sie hineinsprang.

Das Zurückspringen gelingt ihr nicht. Ruckweise sucht sie sich auf der glatten Fläche gegen das Land zurückzuschieben. Jetzt hat aber das Idyll ein Ende, und das Wesen der Dinge schnellt sich in einem silberglänzenden Blitz empor und bereitet, als Fisch gestaltet, diesem Geschöpf den Untergang.

In dieser unteren Gegend des Öztales herrscht überhaupt, wenn man sie mit dem rauheren Wesen der oberen Talstufen vergleicht, das Idyll vor. Die schönsten Bilder sind am 'G'steig' und bei Habichen, immer in der Nähe der Ache.

Oft müssen zwei, die sich der Ache nähern, alle Kraft der Lunge aufwenden, um die wechselseitigen Worte zu verstehen, das Tosen aber hat die den Fruchtbäumen holden Geister keineswegs verscheucht. Die grimmen Zwerge dort oben lassen die Stein- und Schlammströme herabrollen, welche, wie beispielsweise hier im Bereich der 'Farstrinne', vor Osten die fünf Häuser zerschmettert haben, welche kaum noch über den Schotter emporragen. Jeder von den glänzenden Fernern ist ein Unhold. Hier fällt der Schweiß der Mühseligen auf die rohen Blöcke, welche zersprengt und fortgeschleppt werden, um den Boden wieder für Halme frei zu machen. Die wenigsten dieser Menschen besitzen ein Bett, in welchem sie nach der Mühsal schlafen können. Der Tücke des Fernerglanzes aber und dem Elend, welches von dort ausgeht, steht das unzerstörbare Leben des Grundes entgegen. Hier verbreitet, von Bienen umsummt, eine Linde weiten Schatten. Ein Block von der alten Moräne aus der Eiszeit steckt ganz und gar unter einem Schlehdorn, der zugleich grüne und blaue Früchte trägt, womit er sagen will, daß des Lebens kein Ende ist.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 316 - 319.