Salzburg

Die erste Studie, welche der Ankömmling auf dem Bahnhof von Salzburg machen kann, besteht im Anschauen eines handgreiflichen Stückes deutscher Einigkeit. Diese Uhr ist nach der Wiener, jene nach der Münchener Zeit gerichtet. Mitten in Deutschland steht die Schranke: wer nach Osten reist, muß an den argwöhnischen Augen der kaiserlichen, wer nach Westen wandert, an denen der bayerischen Zollwächter vorüber Gasse laufen. Die Herren haben den guten Geschmack, den Unverstand des Bestehenden dadurch abschwächen zu helfen, daß sie niemanden ernstlich belästigen.

In den Gemälden, welche den Wartesaal zieren, gibt uns der Künstler eine Vorrede in Farben zu unserem Buch: wir sehen die Seeflächen und Gletscher des Salzkammergutes. Diese Fresken bieten uns den Genuß der Übersicht und Vorahnung, wie ihn der erste Schritt nicht einer jeden Reise möglich macht.

Der Stadt zugewendet, treten uns der Staufen bei Reichenhall und der Untersberg am meisten entgegen. Zu letzterem locken Höhlen, Wasserfälle, die unvergleichliche Fülle bunter Pflanzen und elf Seen, deren Blau dem Auge auf seiner Höhe entgegendämmert. Mit Verwunderung sieht aber der Fremdling Felswände und Gebirge in der Stadt selbst, an deren Gestein die grünen Alpenwasser hinrauschen - von Wäldern und Lustgärten auf ihrem weithin gedehnten Rücken beschattet. Die Alm, welche Gärten bewässert und Rinnsteine ausspült, zeigt dir die grünen, dem Königssee entronnenen Wellen. Den Wechsel der Bilder, die sich von den Höhen entdecken lassen, vermag nur diese eine und einzige Stadt zu bieten.

Deutschen 'Ausländern' wird es, wenn sie kaum ein paar Straßen durchwandert haben, klar, daß sie sich in einer österreichischen Stadt befinden. Von den bunten Uniformen der Soldaten abgesehen, zeigen es ihnen die Gewänder verschiedener und ziemlich zahlreicher Vorüberwandelnder, daß die Bewohner dieser Stadt Landsleute im fernen Osten haben. Abgehärmte Gestalten mit braunen Gesichtern und zerrissenen Mänteln gehen ihren jämmerlichen Geschäften nach, und rasch heften sich an die Fersen des Fremden, der ein öffentliches Lokal betritt, Krämer aus Gottschee mit ihren Körben voll Orangen, Schokoladetafeln und Sardinenbüchsen. Diese Gestalten fallen nur demjenigen Fremden auf, der aus deutschen Ländern kommt, in welchen die ordnungsliebende Polizei im Vordergrund aller Dinge steht.

In Tomasellis Kaffeehaus kann man Offiziere gähnen sehen, in Nellböcks Hotel eine Musterkarte aller möglichen Biere durchtrinken, im Keller des Stifts von St. Peter die Weine Niederösterreichs verzeichnet lesen, Mozarts Geburts- und Wohnhaus in der Getreidegasse und auf dem Hannibalplatz betrachten, allenthalben aber den Kutten geistlicher Orden begegnen. Das Grabmal des Theophrastus Paracelsus und das berühmte 'heilige Kindel' von Salzburg in der Lorettokirche vernachlässigen wir gerne über einem Spaziergang auf den Kapuzinerberg. Wer die Landschaft Salzburg als unvertilgbares Gemälde in den Bildersaal seiner Erinnerungen aufnehmen will, der steige auf das Plateau dieser Höhe.

Die Salzburger sind gute Patrioten, denn sie ziehen verschiedenartigen Vorteil aus der Grenze. Während des großen Krieges im Sommer 1866 gab es keine loyaleren Österreicher. Wer am 4. Juli die große Hiobspost erzählte, lief Gefahr, über die Achsel angesehen oder beleidigt zu werden. Bayerische Beamte, die aus Mitleid einige preußische Gefangene mit einem Abendessen bewirteten, wurden als Spione verdächtigt. Diese abweisende Haltung gegen das Ausland erstreckt sich indessen nicht auf seine klingende Münze. Im Gegenteil. Um die Fremdlinge mit besserem Gewissen erleichtern zu können, hat sich Salzburg als 'Saisonstadt' und in allerneuester Zeit, einem dringenden Zeitbedürfnis abzuhelfen, auch als ‚Badeort' proklamiert. Bescheidene Reisende mögen sich in der 'Saison' wohl gegen unangenehme Überraschungen vorsehen. Beim Versuche, Saison zu machen und unter dem Vorwande ‚Saison' die Fremden zu prellen, steht indessen die alte Stadt mitnichten als die einzige da unter den Städten Judas.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë , München 1867, S. 13 - 15.