Sensenschmieds neue Herberge

Unser Wirt ist ein erfinderischer Kopf und begreift die Anforderungen seines Jahrhunderts. Früher einfacher Sensenschmied, ließ er sich den Gedanken beikommen, an dieser Stelle, wo an windgeschütztem Abhang die anziehendste Aussicht über See und Berge einladet, das ärmliche hölzerne Bauernhäuschen, welches da, der Schönheit des Ortes unbewußt, stand, zu einer Herberge für Naturfreunde umzugestalten. Dies ist ihm vorzüglich gelungen - denn er ist ein Tausendkünstler. Er baut ein Haus selbst, er zimmert Schiffe selbst. Die Fremden finden in dem Hause am Seestrand, das sich mit jedem Jahr organisch weiterentwickelt, mehr Bequemlichkeit als in den Gasthäusern des Marktes, in welchen sie vor ihren Fenstern nur Mauern sehen und Lüfte einatmen, welche mit dem feuchten Waldhauch, der über den See herüberzieht, weder ihrer Fühlung noch ihrer chemischen Zusammensetzung nach Ähnlichkeit haben.

Über den Sommerfreuden darf der kluge Hausvater das vaterländische Publikum nicht vergessen. Es geht ihm wie einem österreichischen oder bayerischen Schriftsteller, der, obwohl er seine Freunde und seinen Markt in weiter Ferne hat, dennoch nicht selten sich nach dem Geschmack in seiner nächsten Nähe umschauen muß. Bei dem trefflichen Tafner tritt die Erwägung hinzu, daß der Sommer fünf, der Winter dagegen sieben Monate dauert und daß er während der sieben mageren Monde der Gäste nicht minder bedarf als zur Zeit der fünf fetten. Er trachtet deshalb nach wohlverdienter Popularität: Baumklettern, Ballon steigen lassen, Wettfahrten auf dem See ziehen die biederen Bergbewohner in einträglichen Scharen an.

Auch um die Hebung eines patriotischen gesamtstaatlichen Bewußtseins im Volk dieser Berge ist der Besitzer des Königs nicht ohne sichtbare Verdienste. So verkündete ein Künstler eines Tages durch ein Werk von seiner Hand den auf dem Marktplatz stehenden Bauern, daß auf der Seehöhe des Königsbades 'die Schlacht von Lissa' dargestellt werden würde. Man sah zerfetzte Piemontesen in purpurrotem Rauch verschwinden, Köpfe, Arme und Beine über brennenden Schiffen herumfliegen. Dies alles würde auch in Wirklichkeit zu sehen sein - so dachten die meisten. Den dichtgedrängten Zuschauern wurde aber kein anderer Anblick zuteil als der eines leidlichen Feuerwerks. Zum Schluß flog von einem Floß aus ein hölzerner Böller in die Luft, und statt menschlicher Gebeine und Köpfe fielen aus dem Rauche die brennenden Späne des Geschosses in den dunklen See.

Bei mir ist das Mitgefühl an den politischen Schicksalen der engeren Vaterländer nicht in dieser idealen Weise entwickelt, und deshalb stehe ich nicht an, zu behaupten, daß ich derjenigen Seite von Tafners Tätigkeit mehr Aufmerksamkeit widme, die sich auf seine Küche erstreckt.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë , München 1867, S. 25 - 28.