Traunsee

Von jetzt ab beginnt eine Gegend, deren Anblick niemanden vermuten läßt, daß er in vier Gehstunden sich an das Ufer eines anderen Alpensees versetzen kann. Die Straße führt bis in die Nähe von Gmunden durch sogenannte flache Unbedeutendheit und baumlose Felder.

Bald erreichte ich das Gestade des Traunsees. Kein Fluß ist so hellgrün wie die Traun, kein See so hellgrün als dieser.

Es bedarf keines Sturmes, um den Traunsee zu gewaltigen Wellen aufzuregen. Während der die Esplanade von Gmunden Hinabwandelnde keine oder eine geringe Bewegung der Luft verspürt, schlägt die hellgrüne Flut an die Quader der Ufermauern, daß der Schaum gegen sie heraufspritzt. Der Traunsee ist nicht nur das tiefste, sondern auch das unruhigste aller Gewässer dieser Berge. Diese Tiefe verleiht ihm die Fähigkeit, der bändigenden Gewalt des Frostes zu widerstehen. Stets neue wärmere Wasserschichten, die sich aus den einsamen Schlünden emporheben, steigen herauf an die Stelle der kälteren, an der Luft nahezu erstarrten. In diesem Jahrhundert hatten die Bewohner seiner Ufer nur ein einziges Mal Gelegenheit, das Salz, welches jetzt dort die schaukelnden Schiffe tragen, der ganzen Länge des Sees entlang auf seiner Eisdecke von Pferden herschleifen zu sehen.

An diesen Ufern erkennt man so recht die oft gerühmte Mannigfaltigkeit, deren die Gestaltung der Kalkalpen fähig ist. Von den grünen Hängen des Grasbergs zu den graubraunen Wänden des Traunsteins, von diesem über die zitternde Flut hinüber zu den kühnen Rändern des Sonnsteins, auf welchem ein Wald in Asche liegt - dann wieder über die Vorberge hinüber zu den weißlichen Steinwüsten der Höllgebirgshöhen sind so vielmassige Spuren von Terrainwellen und 'Schichtenstörungen' wahrzunehmen, daß die pedantische Unterweisung des Geologen neben der Begeisterung des Malers schweigen muß. Hier stellt wirklich der See flüssige Ruhe, der Fels versteinerte Bewegung dar.

Am westlichen Ufer erblickt man von Zeit zu Zeit Szenen, welche an die Marinebilder niederländischer Künstler erinnern. Da nähert sich langsam ein großes Salzschiff, welches seine Ladung in Gmunden auf die Eisenschienen abgesetzt hat. Es ist leer; in seinem Innern brennt ein Feuer, an welchem sich die Männer ein Frühstück bereiten. Pferde, auf denen barfüßige Jungen sitzen, stehen im seichten Uferwasser und zerren an den Stricken, an welchen das Schiff hängt. Dieses ächzt und knarrt vom Andrang der Wellen. Auf den schmalen Brettern, die an seiner gewölbten Decke außen angebracht sind, laufen Männer mit langen Stangen, mit welchen sie das mühsam gegen den Südwind dahergeschleppte Schiff von den seichtesten Stellen des Strandes abhalten. Die Schiffer fluchen, die Rossetreiber fluchen, indessen Tiere und Schiffe im schweren Kampf mit den Wellen liegen.

Von der Brücke aus, welche zum alten Kastell Ort hinüberführt, sehen wir vielleicht am meisten vom See, als Farbenspiel betrachtet. Die Balken, welche die feste Brücke tragen, verlieren sich in smaragdenen Dämmerungen, und wie über die grünen Berge sich Schnee lagert, so wallen die grasfarbigen Wellenberge mit einer sprühenden Schaumdecke einher. Beim Hinunterschauen begreift man, wie die Einbildungskraft der Bergbewohner die Schlünde, deren glasige Hülle in dröhnender Bewegung heraufzüngelt, sich mit schauerlichen Ungeheuern belebt vorstellen kann. Auch die Alpenseen haben ihre 'Kraken', Ungetüme, die in den Sagen der Leute sich nicht immer mit der Gestalt eines ungewöhnlich großen Fisches begnügen, die vielmehr den Umfang und die Formen scheußlicher Vielfüße und sonstiger halb möglicher, halb unmöglicher Tiererscheinungen annehmen. In der Wirklichkeit aber würde der Taucher dort unten weiter keinen Unförmlichkeiten begegnen als einem großen Waller oder Lachs, einer menschlichen Leiche, die in den eng zusammengepreßten Wasserschichten nicht aufsteigen kann, deren Kälte auch die Entwicklung jener Fäulnisgase verhindert, die in wärmeren oder seichteren Gewässern den aufgedunsenen Körper emporheben, einen versenkten Holzstamm, Überreste von Nachen und Gerippe in der grünen, kalten Nacht.

Ein anderer Standpunkt, geeignet, den See zu überschauen, jedoch mehr, um die gesamte Uferlandschaft als Panorama in einen Blick zusammenzufassen, ist der Hügel um die Kapelle auf dem Kalvarienberge. Man sieht hier tatsächlich einen ganz anderen See, als wenn man ihn von der Felsenstraße oder vom Gestade Ebensees betrachtet. Hier fallen die Hügel Gmundens, die Wände des Traunstein und die Chalets von Traunkirchen ins Auge. Die grauen Wände sind der Schauplatz nicht weniger zum Teil grausiger Geschichten, in welchen Berg-Fahrer, plötzlich vom Schwindel ergriffen, der Schrecken einer Vergnügungsgesellschaft geworden sind, und jene Hügel erinnern an die angebliche Leandersage von Traunkirchen, welche der berühmte Orientalist Hammer-Purgstall in einer etwas holperigen Ballade wiedergegeben hat. Auch Alfred Meißners Buch 'Am Stein' dürfen wir nicht vergessen, wenn wir auf jenes Ufer blicken. Ihm mag es der Leser zuschreiben, daß meine Mitteilungen über diesen großen See nur als kärgliche Nachlese betrachtet werden. Seine Skizzen bewegen sich um die Landschaft an dem schönsten Teil des Sees, der allgemein für den schönsten der Seen des Salzkammergutes gehalten wird, obgleich ich für meinen Teil den Halbkreis der Mondseeufer ihm vorziehe. Traunkirchen gleicht mit seinen niedlichen Felsgruppen, kleinen Bosquets und zierlichen Häuschen an bescheidenen Buchten einer Krippendarstellung oder einem von Meisterhand angelegten dekorativen Lustgarten, in welchem Pflanzen, Felsen und Wasser verständig angebracht und verteilt sind, daß sie dem Auge des Malers wie der Sinnlichkeit des Touristen gerecht werden. Auf solchem Boden pflegen auch anziehende Erzeugnisse des Geistes zu wachsen, wie die Blätter des verehrten Dichters. Diese Gründe mit ihren Buchen und ihrem Flutengrün beruhigen den Fremdling, der sich auf ihnen zur Ruhe niederläßt; der Friede einer edlen Natur kommt über ihn

Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 137 - 142.