Vorderer Gosausee

Der vordere Gosausee mit dem Eisfeld, aus welchem Dachstein, Torfstein herausragen, wäre vielleicht diejenige Erscheinung in den Alpen unseres Vaterlandes, wohin ich den nordischen Freund am ersten hinversetzen würde, wenn er, auf meine Zaubermacht pochend, von mir verlangen würde: 'Trage mich schnell vor das Schönste in jenen Bergen hin, daß ich es bewundern kann.'

Heute ist seine Oberfläche tief herabgesunken. Zwischen dem Rand des Fichtenwaldes am linken Ufer und ihr zieht sich ein viele Fuß breiter schwarzer Streifen hinab. Es sind schwarze Felsen, in welche die steigende und fallende Flut unzählige Linien tief eingefurcht hat. Am anderen Ufer, welches sanfter abfällt, liegt ungeheueres dunkles Geröll umher, über welchem zu anderen Zeiten immerwährend Wasser steht. Ist es doch seit vielen Jahren nicht geschehen, daß die Seen, vom trockenen Herbst geschädigt, so unansehnlich geworden sind.

Die Felsen der Donnerkogel dünken uns schon viel niedriger; vielleicht sind es die Zacken über dem Gletscher dort, gegen deren Höhe sie sich dem Auge gegenüber anders verhalten als da, wo es zur Vergleichung nur die Höhe der Fichtenstämme hatte, die sich an ihrem Fuße hinziehen. Wir sind vom Tal nur sechshundert Fuß aufwärts gekommen, aber die Abnahme überrascht uns höchlich. Geröllager, Strömen oder Gletschern ähnlich, drängen sich von den Kogeln gegen den See. Die Felswände, von denen sie herabgebröckelt sind, werfen nach ihren Nachbarn über dem See jeden Schall, der an sie schlägt. Von jenen schwillt die Schallwelle wieder herüber, bricht sich wieder und so fort, bis sie nach wiederholten Wanderungen zerrinnt. Der Widerhall an diesen Ufern gehört nicht zu dem Geringsten, was von ihnen erzählt werden muß. Wer sich am rechten Ufer, ungefähr in der Mitte der Seelänge aufstellt, kann ein sechssilbiges laut geschrieenes Wort so deutlich von den Wänden widerhallen hören, als ob ihm ein nachahmender Mensch antworte.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë , München 1867, S. 60 - 61.