Am Wallersee

An Mergel-Schieferbrüchen vorüber gewinnen wir Höhen, von welchen aus der grüne Wallersee wie eine Metallfläche erscheint, in welcher sich Göbl und Watzmann zeigen. Der Himmel gleicht den Anemonen, die am Waldsaum blühen: die Nießwurz öffnet ihren breiten lilienweißen Kelch dem sanften Licht. In der Mitte des vergangenen Februar sah ich, die Alpen von Nord nach Süd durchwandernd, die erste dieser verheißungsreichen Blüten erst in der Nähe von Udine auf einem Rasen am Tagliamento stehen. Palmkätzchen nicken von den Weiden. Alles rieselt und glitzert. In den großen See selbst stürzt jäh eine waldige Anhöhe. Die Spitzen vom Untersberg bis zum Hochkalter fließen zu einem unterseeischen Gemälde ineinander, dessen einzige Farbe, nur von Schneelichtern unterbrochen, als ein tiefes Lasur erscheint.

Hier steht ein Dörfchen, Zell, am hohen Ufer; in seiner, der büßenden Magdalena geweihten, Kapelle glitzern goldene Sterne vom Himmel der Decke. Uns aber überkommt eine Ahnung, wie wundersam es hier im Schatten der blühenden Fruchtbäume zu ruhen sein möchte, wenn mit dem himmlischen Glänze von heute auch die Wärme und der Duft eines Maientages über der Welt läge. An diesen Ort müßte man einen Neuling führen, um ihm das Wesen der Voralpen mit ihren Wasserspiegeln verständlich zu machen: jenes grüne selige Land, an dessen uneingeschränktem Himmel die Bergwelt noch wie ein Rätsel liegt, hinter welchem er mit Sehnsucht Enthüllungen voll hoher Freude ahnt. Ich kann solche Freude nicht teilen, denn, wie mir das Bild lieber ist als das Ding, so sehe ich jene Berge lieber hier im farbigen Himmelsschein als in der Beengung ihrer eigenen Täler. Hier ist der Himmel frei, der Anblick der auf- und niedergehenden Gestirne wird weder von Kalk- noch von Granitmauern beschränkt, und unserer glücklichsten Begabung, der Einbildungskraft, entwickelt sich ein unabsehbarer Spielraum. Dort drinnen aber, wenn wir nicht eben auf einem der hervorragenden Giebel stehen, beängstigt uns die kalte enge Wirklichkeit.

Am Wallersee vorüber zieht sich die Eisenbahn, welche die große Donaustadt mit der bescheidenen Alpenstadt verbindet. Neben ihr flutet der See - wieder kein klar schillernder Abgrund, wie die Alpenbecken, sondern eine trübe Flut. Soweit die Erinnerung eines Menschen reicht, ist ihre Tiefe von sechzehn auf elf Klafter gesunken. Die Fischzüchter von Salzburg benützen sie jetzt zu ihren Versuchen. Auch hier ist jener Fremdling unter unseren Flossenträgern heimisch, den die weiland erzbischöflichen Gourmets aus den italienischen Gewässern für ihre Tafelfreuden in die unsrigen verpflanzten, der Hechtbirschling, Sandard. Auch im Irrsee drüben, den eine niedrige Hügelreihe von dem unsrigen trennt, gehört er zu den geachtetsten Insassen.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 155 - 156.