Weidachsee

Ein Spaziergang zum nahegelegenen See oder in den Wald unter der grauen Kalkwand zeigt uns die blauen Anemonen vor dem ein wenig schäbig gewordenen Grün des vorjährigen Alpenrosenlaubes, die bewegliche Jugend vor dem 'gut erhaltenen' Alter.

Hier bricht ein Bach, von dem wir im Sommer niemals etwas gesehen haben, von einer kleinen Felsspalte lustig herab. Da, wo er sich zum ersten Mal im sumpfigen Humusbecken des Waldbodens ausrastet, haben sich in der trüber und lauer gewordenen Flut gelbe Dotterblumen angesiedelt.

Endlich erreicht man den vom Eis befreiten Weidachsee. Auf dem weißen Schotterhaufen, der vom Kalkberg zu seinem Gestade herablangt, blüht die blaurote Alpen-Linaria und von oben über den Grat herein hängt der flimmernde Flockenschleier eines dort vorüberwandelnden Unwetters, hell und blendend, wie man sich den Schleier eines 'saligen Fräuleins' vorstellen möchte. Vom heiteren Himmel fallen Tropfen herab, desto höher duftet das waldige Seeufer.

An vielen Stellen umgibt schwarzer Torfboden den See. Über einen Streifen solchen Grundes ist eine Baumleiche hingestürzt und langt noch weit in den See hinein. Der graue morsche Stamm wird vom seichten Wasser der breiten Uferränder umspült. An seinem äußersten Ende steht ein Mann, die Harpune, das heißt eine mit eisernen Zacken beschlagene Stange, stech- oder wurfbereit in der Hand, um einen der laichenden Hechte, die gerne ins seichte Wasser kommen, damit zu erlegen - eine Staffage von Frühlingsbeschäftigung der Menschen. Und drüben, jenseits des Sees, liegen Überreste von Lawinen und reichen bis zum Wasser. Der Fischer mit seiner Harpune steht gerade mitten drinnen im zitternden, wassergespiegelten Abbild der weißen Lawine.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 312 - 313.