Abstecher ins Zillertal

An einem schönen Sommertag machte ich mich von Jenbach auf, um nach dem Zillertal zu pilgern.

Es waren schwüle, wolkenverschleierte Stunden, und nur selten blitzte die fahle Sonne aus einem der Altwasser des Inn, die sich hier bis Rotholz und noch weiter bis zur Einmündung der großen Zillertaler Ache vorfinden. Langsam schritt ich an dem einen und anderen lauen Teich vorüber, aus welchem die Feuerkröten ihre traurigen Rufe erschallen ließen. Drüben war das Erlendickicht, welches Kühlung bot, in der Zaungasse aber rührte sich kein Lüftchen.

Schließlich erreichte ich Schlitters. Dort hat man noch einen ziemlich großen Gesichtskreis, indem ein schönes Stück des Inntales und der zu ihm abfallenden Kalkalpen hineinfällt. Von letzteren ragten die Jöcher zwischen Achensee und Brandenberg über den Nebel, aber es ließ sich voraussehen, daß dieser binnen kurzer Frist über sie hinausbranden würde.

Nur eine geringe Entfernung trennt diesen Ort von dem ansehnlicheren Fügen. Während ich in der Zaungasse dahinschritt, begegnete ich mehr als einem hübschen Mädchen, welches das unter den Zäunen wachsende Gras mit einer Handsichel abschnitt.

In den Gärten von Fügen, welches vielleicht als der älteste Ort des Zillertals betrachtet werden kann, ragen jetzt die hohen Pappelrosen, außen aber, an den aus Findlingsteinen erhöhten Mauern, die freiwillig angesiedelten Königskerzen.

An dem alten 'Getreidekasten' sowie an dem von weißen Mauern umgebenen Gerichtshaus geht man vorüber, wenn man in der Richtung gegen Zell wandert.

Hier und dort kennzeichnen zwei Pappeln von ferne ein Heiligenbild, das zwischen ihnen steht, und mancher Seitenbach, der aus den mürben Tonschieferhängen des westlichen Gebirges herabkommt, deutet eine Reihe von Eschen an, die sich längs seiner Ufer durch die Matten hindurchzieht.

Bis zu den 'Asten', den Zillertalischen Voralpen, hängen die Nebel herab. Von dort ab donnert es fort und fort, und die Erscheinungen des Gewitters haben sich mit denen eines Landregens in ein langwieriges Einvernehmen gesetzt.

Vor dem Regen hört man kaum das Rauschen der Bergströme, die, wie beispielsweise der Finsingbach, in fest gezimmerter Arche nach dem Tale geleitet werden. Eisenoxydhäutchen bedecken regenbogenschillernd manches Sumpfwasser und werden von den schweren Regentropfen durchschlagen.

An einem dieser Gräben erhebt sich ein Kreuz mit der Inschrift:

Sieh im Tempel der Natur
Des großen Gottes Spur:
Willst du ihn noch größer sehen,
So bleib beim Kreuze stehen.

Entkleidet man diesen Satz des dogmatischen oder kirchlichen Gewandes und denkt man an manche Wunderdinge, welche menschliche Liebe und Hingebung geschaffen hat, so mag allerdings die Eispracht des hohen Ingent-Kars, welches an Sonnentagen hierher leuchtet, von ihnen verdunkelt werden.

Saubere Dörfer wie Ed, Finsing, Uderns, auf dessen rotem Kirchturmdach metallene Ziffern von den Erbauern sprechen, unterbrechen diese Bilderreihe. Man sieht dann statt Moor und Wald wieder schmucke Holzhäuser mit luftigen Altanen, von Blumenschmuck geziert.

Donner und Regen verhindern nicht, daß wir aus dem Walde oder aus fernen, vom Regen verschleierten Weidegründen Jubelrufe der Hirten hören.

Wenn man sich Zell nähert, tritt das westliche Gebirge schärfer an den Ziller heran, der Wald und die ihm entfließenden Quellen sind ganz nahe an dem hochwogigen Gletscherstrom, aus dessen grauer Flut es silbern aufblitzt. Weiter geht's nach Mayrhofen. Dieses liegt an der Grenze des Tonschiefers, welcher die Vorberge bildet, und des Walles aus Gneis, aus welchem die eistragenden Höhen der 'Gründe' aufgebaut sind. Als Grenzort nimmt es zur Hälfte noch am lieblichen Aussehen der ebenen großen Talsohle teil, weil um seine Mauern üppig Obst gedeiht und die Maisfelder rauschen, zur anderen Hälfte aber hat derjenige, welcher gegen Süden schaut, den lebendigen Eindruck, daß er an der Schwelle gewaltiger und von den bisher genossenen weit verschiedener Schaustücke stehe.

Zu allen 'Gründen', die sich hier fächerartig in die Hochgebirge hineinziehen, stürzen donnernd Wasser heraus, welche die Zillertaler Ache zusammensetzen. Das Auseinandergehen der einzelnen Strahlen dieses Fächers sieht man sehr gut von Finkenberg aus, wohin wir auf unserer Wanderung ins Dux gelangen. Man kann hier, wo vier ziemlich unwegsame Täler sich abzweigen, niemals gehen, ohne Trägern und insbesondere Trägerinnen zu begegnen, welche den Verkehr der einsamen Gegenden mit den Ansiedlungen heraußen vermitteln.

Da ist ein Weib, welches sich vom kurzen Wege bereits so angegriffen fühlt, daß es am grauen Stilluper-Bache den Durst zu löschen Wasser schöpfen muß - dort ein anderes, welches Frühobst langsam in das rauhe Tal hinaufschleppt. Ein drittes trägt schlechtes Mehl fürs Vieh' nach irgendeiner 'Asten' (Niederalm) und treibt dabei noch eine Ziegenherde, ein viertes müht sich um fünfzig Kreuzer ab, die Vorräte des Krämers in Dux um einen Tragkorb voll Kaffee, Zucker und dergleichen zu vermehren.

Wir nähern uns jetzt dem Engpaß, der Zillertalischen Via Mala, Klamm der Dornau, welche sich der Zemmbach, den man unter den Talgewässern wohl als das bedeutendste ansehen kann, durch das Urgestein gebrochen hat. Auf weichem Fichtennadelboden, den hier und dort Heidelbeergestrüpp bedeckt, an anderen Stellen wieder Wurzeln wie schwarze Schlangen durchziehen, gelangt man zu einem Vorsprung, von welchem aus derjenige, der sich über die letzten Wurzeln hinausbeugt, in die Flut hinabblicken kann, welche den Donner durch Berg und Tal grölen läßt, indem sie sich zwischen hausgroßen Gneisblöcken zerschlägt. Da steckt ein vom Berge herabgewetterter Stamm mitten im Abgrund der Wasser, von Schaum umkocht, und über das Sprühen des Schaumes ragt ein großer, von Flechten rostfleckiger Felsen empor, der trieft.

Ein anderes Bild! In den Schlund wallt von hoch oben, von den Rändern des Ostufers, oft in Rauch auf den Absätzen und Terrassen aufgelöst, ein Wasserfall. Er reißt eine breite Straße mitten durch weiß blühende Büsche, die sich zitternd an die Felsen anklammern, dann gerät er auf sanfter geneigte Platten, wo schon stärkere Bäume Halt gefunden haben, deren Wurzeln er wie mit einem Spitzengewebe zudeckt, während die Wipfel der nämlichen Bäume von den Nebeln der Klamm umschleiert werden.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 276 - 280.