Das Bad.

Ein weitgereister Arzt sagte mir einmal: Ich habe mehrere Jahre in einem Teile Chinas gelebt, in dem das Baden aus religiösen Gründen verboten war. Lange Zeit wirkte ich in Galizien und auch in Ungarn, wo ich nicht selten Zigeuner zu behandeln hatte; davon ließe sich mancherlei erzählen. Doch späterhin fügte es der Zufall, daß ich in Inschbruckch mit einer eingeborenen Volkssängerin Freundschaft schloß. Ich werde den Augenblick nie vergessen, als sie mir zum ersten Male den Anblick ihrer - unverhüllten Schönheit gönnte. Ich sagte ihr: Zieh' doch auch das graue Jägerhemd aus! - Aber sie hatte gar nichts mehr an. Sieben Monate lang lebte ich darnach in unbefleckter Keuschheit. - Ich segne und preise seitdem die Reinlichkeit der Chinesen, Galizianer und Zigeuner. - -

Natürlich will das, was jener Arzt erzählte, nichts sagen. Eine Volkssängerin ist kein honettes Frauenzimmer. Sie verkam aus Nachlässigkeit.

Wie es sonst mit dem Baden im "hailichn Lond Tarrol" steht, erfuhr ich sehr bald.

Wo Fremde hinkommen, gibt es sehr oft auch öffentliche Bäder.

Ich trat mit der Badedienerin in die Badestube.

Warum, fragte ich, ist hier eine große Wanne und noch eine ganz kleine, seichte Sitzwanne, die nicht einmal für ein Fußbad genügte?

Sie sah mich lange an.

Dö kloane ischt fir enk!

Für uns?

No jauoooo ! Fir dö Monsbülda, zon Woschn !

- Ja! Hm - ach so! Und die große darf man nicht benutzen?

Dö ischt ebn nur fir dö Weiba, dä wos si' olssa gonza bod'n waull'n 1), wä' dös bei manchane Fremdn a so in Brauch ischt!

Ja und baden die Tarrolarina niemals "olssa gonza"? ?

Wieder maß sie mich durchdringend und geringschätzig und zischte mich endlich an:

Dö anständiga nöt, wä' dä koane solchane Sauarein treim 2) toan, daß sa sä hernoch bodn brauchatn, moan' i!

Also baden bei euch nur die unanständigen Frauen? (Ich dachte an die Volkssängerin.)

Dö bodn a nöt, wä's' ebn Säu' san!

Tatsächlich soll es aber jetzt schon vorkommen, daß sich manche Tarrolarin zu einem Bade entschließt, wenn es ihr der Arzt verordnet. Rührend und schlicht ist dagegen die Geschichte der Margreit Tschurtschenthalerin. Diese war 85 Jahre in Ehren alt geworden, ohne sich jemals gebadet zu haben. Da bildete sich ein Gewächs in ihrem Bauche, das einen operativen Eingriff nötig machte. Vor der Operation wollte man sie natürlich waschen, weil man sonst durch die 85 Jahre alte Kruste nicht bis zur Leibeshaut gelangt wäre. Als sie vom Waschen hörte, sagte sie feierlich: Liewa schterm 2) ols so a Unzucht mitmochn! Bis zan Hols los' i mi' woschn, oba weida owi nöt!

Und sie starb ungewaschen und ungebadet. In ihrer Gemeinde spricht man noch heute mit Andacht von dieser ehrwürdigen Greisin. Den heranwachsenden Jungfrauen gilt sie als Vorbild weiblicher Unbeflecktheit. Die Familie setzte ihr einen Grabstein, auf dem die folgenden Verse stehen:

"Hir ruwet si, die irer Söl durch Unzucht ni geschadet,
Hat darum auch sich nimals necht gebadet,
Jzt ischt si hin und get in Himmel ein,
Von Sinden frei und völli' rein."

So wurde durch ein einfaches Bauernweib das ethische Empfinden des Volkes gehoben.

Jetzt ist ihr Name schon beim Papste. Im nächsten Jahre soll sie heilig gesprochen werden.

Franz Xaver Oberlindober war dagegen ein Mann, der sich halb und halb über die strengen Grundsätze seines Volkes hinwegzusetzen vermochte. Ein Felsblock hatte ihm das rechte Bein zerschmettert. Es mußte amputiert werden. Er willigte ein, daß man es ihm soweit reinige, als unbedingt nötig war. Die Ärzte meißelten zuerst die dicksten Krusten mit kleinen Stahlmeißeln weg, dann begannen sie mit Bürsten und mit Seife. Franz Xaver Oberlindober ertrug es lange ohne einen Schmerzenslaut; nur einmal sagte er: 's ischt a höllasche G'schicht! wozu er jammervoll stöhnte. Als man zur Narkose schreiten wollte und ihm das erklärte, meinte er verwundert: Jaooo za wos wa' denn iazt dös, wo's ollerirgste - die vafluachte Woscharei - iwerstandn ischt? Zweg'n den Boa' oschneid'n bracht's mi nöt ei'zchlafern, ös Norr'n ös! Fongt's a' zon owafizzeln! 4) Während man ihm das Bein wegsägte, rauchte er seine Pfeife und lächelte dazu.

Tiroler Sauberkeit

Wäre ein Europäer dies imstande?

Auch die Barbara Mariggl werde ich nicht so bald vergessen. Sie war im Bade von *** bedienstet, wo es ein Badezimmer erster und eines zweiter Klasse gab. Niemals jedoch habe ich eines davon besetzt gefunden. Nur ein einziges Mal geschah es, daß ein Badegast in der ersten Klasse war. Ich staunte. Barbara kam sogleich zu mir und sagte ernst: Der do drinnat ischt, ischt a Fremda!

Sie war ein braves Mädchen, das keinen bösen Schein auf seine Landsleute fallen ließ.

Ein anderes Mal fand ich am Grunde der Wanne trübes Seifenwasser. Ich stellte es ihr aus. Nau, nau, erwiderte sie, dös wert Eana do nix moch'n ! Dös ischt do' vo' Eana sölba, wia S' in da vurigen Woch'n do wor'n! -

Barbara Mariggl war schließlich auch jenes grundgütige Mädchen, das mir zum ersten Wannenbade eine Schwimmhose mitbrachte.

Jo, meinte ich erstaunt, wozu das? I bin do gonz alloani!

Alloani oda nöt alloani, entgegnete sie ernst. Nackchert bleibt nackchert! - Wonn S' Eana nöt schanir'n, mia ischt's racht. - -

Welch ein hohes sittliches Empfinden muß in diesem Volke sein!

Man schämt sich vor sich selbst Mann oder Weib zu sein.

Welch eine Kultur!

1) - die sich ganz baden wollen.
2) treiben.
3) sterben.
4) herunterschneiden.