Eine alltägliche Geschichte.

Gib Owacht, Maridl, sagte die Mutter. I hob' 's an den Holzstoß vur dein Fenschta g'segn, dö Nocht wor scho' wieda oana bei dir! Gib Owacht! 's erschte Kchind ischt da g'sturb'n; a so glickchlach geht's nöt a jed'smol aus!

I gib eh 1) Owacht, entgegnete Maridl. Doch nach kurzer Zeit kam sie zur Mutter und sagte:
As hod Fei'r g'fong'n bei mir!

Beide jammerten.

Maridl füllte drei große Flaschen mit verrosteten Eisennägeln, goß Wasser darüber und ließ es in der Sonne wochenlang destillieren. Alle drei Flaschen trank sie an einem einzigen Tage leer. Darnach aß sie mehrere Hände voll Eibenbaumbeeren, und dazu betete sie den Rosenkranz. Doch alles war umsonst. Nun blieb nur noch ein Mittel: das Verschnüren. Es ist landesüblich. Maridl verstand es ausgezeichnet. Niemand merkte ihr etwas an, weder der Vater noch die Brüder. Nur ihre Mutter wußte es.

Eines Morgens kam Maridl etwas später aus ihrer Kammer. Die Mutter warf ihr einen Blick zu; Maridl war sehr bleich. Sie nahm die Dirn bei der Hand, zog sie in eine Ecke und sagte: Wo hascht es hi'to' ?

In d' mittlare Lod' zo dö Sunntogskchloada, entgegnete die Gefragte ruhig.

Lebt's no'?

Naa- !

Bei den Sonntagskleidern lag es. Das war Pietät. Vorher hatte sie ihm höchstens eine Minute lang die Kehle mit einem Schürzenbande zusammengeschnürt; da war es aus gewesen. Nennt man das einen Mord? Nein. Ein solches Dingelchen hat keinen Begriff von seiner Existenz, kennt keine Todesangst. Es ist dasselbe, wie wenn man eine Fliege mit der Klappe zerquetscht. In dieser Sekunde atmet es, in der nächsten nicht mehr, das ist alles.

Nach getaner Arbeit ging Maridl in die Kirche und nach der Kirche aufs Feld.

Abends nahm sie das etwas blutige Päckchen aus der mittleren Lade. Es war in ein zerrissenes Hemd eingewickelt. Sie umhüllte es noch mit einer
blauen Schürze. Der Vater sah sie aus dem Hause gehen.
Wo gehscht hi'?

Zon Schneida.

Wos hoscht do drei 2) in den Virta' - ? 3)

A Jupp'n fir'n Sunntoch.

Wos tuast denn eppa damit?

Richt'n muaß a ma s', wä' a ma s' vaschnidd'n hod. -

Nach einiger Zeit kam sie ohne
Maridl
das blaue Bündel zurück. Am Heimweg sah sie beim Krämer ein Paar schwarz-roter Strümpfe, die ihr ungemein gefielen. Sie erstand sie nach langem Feilschen. Für den nächsten Sonntag war nämlich Tanzabend angesagt. -

Beim nächsten Wegkreuze verrichtete sie noch ein langes Gebet und ging dann nach Hause.

Daheim zeigte sie der Mutter die Strümpfe. Diese lobte die Ware, den Preis und das Kauftalent Maridls.

Darnach sagte sie: - - nau - - - und?

's schwimmt am Inn owi, entgegnete das Mädchen in seiner ruhigen Art.

Nau - - und - ? sagte die Alte wieder. Maridl verstand sogleich. I hob' ihr scho' dankcht, da Himmü'muatta, murmelte sie. - -

Diese Geschichte ist im wesentlichen alltäglich. Sie könnte ebensogut in Paris oder Neuyork geschehen sein. Im besonderen erweist sie sich als tarrolisch durch die unerschütterliche Besonnenheit des Handelns, die aus ihr spricht, und durch den Dank der Geretteten.

Hier gehen Stärke und Demut Hand in Hand.


1) ohnedies.
2) drinnen.
3) eigentlich "Vortuch", Schürze.