2. Die Ehehalten. Die Bauernfeiertage.

Einen bedeutenden Teil der ländlichen Hausbewohnerschaft bilden die "Ehehalten". Zwar nicht immer. Wie könnte der arme Kleinbauer, dessen wenige Grundstücke kaum die nötige Nahrung für die eigene Familie abwerfen, Kost und Lohn für Fremde erschwingen? Ihm trägt es zum allerhöchsten eine Dirn, die dann als "Mädchen für alles" in der Arbeit auch nicht wählerisch sein darf, während ein stolzer Großbauer und seine Ehefrau einen ganzen Hofstaat mit entsprechender Verteilung der Dienstleistungen um sich versammeln. Zwischen diesen beiden äußersten Grenzen bäuerlicher Wirtschaft liegen natürlich viele Abstufungen, nach denen sich die Anzahl der Dienstboten richtet. Häufig versehen die sogenannten "Weichenden", das sind Geschwister des Bauers oder der Bäuerin, das Amt von Knechten und Dirnen, die, besonders wenn sie einen Grundanteil oder ein Stück Vieh besitzen, oder ihr Vermögen auf dem Hause liegen haben, eine gewisse Mittelstellung zwischen Angehörigen und Ehehalten einnehmen. Wir wollen uns zuerst das Dienstpersonal eines Großbauern anschauen, bei welchem die Pflichten und Rechte sowohl der Untergebenen gegen den Hausherrn und umgekehrt, als auch die der Bediensteten untereinander am ausgeprägtesten zur Geltung kommen.

Sitte und jeweiliges Übereinkommen haben da strenge Grenzen gezogen und jedem sein Maß an Arbeit und Ansehen im Hause zugemessen. Wie genau man die Sache nimmt, kann jeder Besucher einer Bauernstube bemerken, wenn er zufällig eben recht zum Mittag- oder Abendessen kommt. Nicht nur Bauer und Bäuerin, sondern auch Knechte und Diren haben ihre nach der Rangfolge bestimmten Plätze am großen Eßtisch. Der Bauer, beziehungsweise der Großknecht, langt zuerst in die Schüssel; ihm folgen der Reihe nach die andern, später erst darf jeder zugreifen, wie er Lust hat. Bei dieser Gelegenheit sehen wir zugleich sämtliche Dienstboten versammelt.

Ein Großbauer - nehmen wir z. B. einen solchen aus dem breiten Tauferertale - hält drei, auf sehr großen Höfen auch vier Knechte; den Großknecht, den Fütterer, der im Sommer mit dem Vieh auf die Alpe zieht, den Mitter- und Kleinknecht, und drei Dirnen: die Großdirn, die Felddirn und die Kleindirn, auch "große Gitsch" genannt, weil man häufig ein halberwachsenes Mädel dazu anstellt. Wo nur zwei Mägde sind, fallen die beiden letzteren zusammen. Der Angesehenste unter dem ganzen Gesinde ist also der Großknecht. Er muß ein verständiger, erfahrener, gesetzter Mann sein, der den Bauern vertreten kann, wenn dieser in Handelsgeschäften, auf Märkten usw. abwesend ist. Sehr oft versieht deshalb, wie bereits bemerkt, der Bruder oder Schwager des Bauern diese Stelle, oder auch der älteste Sohn, wenn er schon groß und stark genug ist. Der Großknecht führt auch den Namen Oberknecht, auch Bauknecht, weil er beim "Bauen" und "Ackern" die Hauptrolle spielt, d. h. den Pflug hält und säet. Er leitet überhaupt alle Arbeit im Feld, Wiese und Wald, soweit es ihm der "Schaffer" (Bauer) überlaßt, mit dem er abends Rücksprache hält, um dann am nächsten Morgen beim "Vormeß" (Frühstück) den Knechten und Dirnen die nötigen Weisungen zu geben. Er ist persönlich überall an der Spitze; beim Mähen steht er in erster Reihe, die übrigen einer nach dem andern hinter ihm, beim Kornschnitt hat er in der Regel nur die Garben zu binden und die Schöber zu "machen", beim Einführen der "Mahd" reicht er der "Fuderfasserin" die Heubüschel hinauf, beim Auflegen der Garben legt er diese auf den Wagen und ordnet sie dann später auf der "Birl" (Bestandteil der Tenne), beim Dreschen führt er den ersten Schlag. Der Oberknecht hat auch sein eigenes Bett, während die anderen Knechte meist zwei und zwei zusammenschlafen. ln manchen Orten ist ihm sogar die Auswahl der ihm unterstehenden Dienstboten überlassen, doch tut dies gewöhnlich der Bauer.

Dem Großknecht folgt dem Range nach der "Fütterer", "Melker" oder "Ochsner", im Pustertale mit Stallbuben gleichbedeutend. Wenn nämlich ein Bauer zwanzig und mehr Stück Vieh besitzt, so braucht er einen eigenen Knecht dazu. Oft sind demselben noch zwei Stallbuben als Gehilfen beigegeben. Da ein so bedeutender Viehstand eine Privatalpe erfordert, so wird der Fütterer vom Winter zur Sommerszeit Senner und kehrt erst mit dem Heimzug von der Alpe wieder ins Dorf zurück. Er hat den ganzen Rind-und Kleinviehstall zu besorgen; nur das Melken nehmen ihm, wo es der Brauch will, die Mägde ab, so z. B, im Tauferertale die "Kleindirn". Den Schweinestall hat dort die "Großdirn" zu versehen. Dafür hilft der Fütterer beim Dreschen. Die Pferde hat der Großknecht unter sich, ausgenommen in jenen Gegenden, wo eine bedeutende Pferdezucht einen eigenen "Rosser" erfordert. Nun folgen nacheinander der "Mitter"- und "Kleinknecht", deren Arbeiten nicht so streng geschieden sind. Sie müssen überall tätig sein, beim Ackern, Mähen, Heuen, Kornschneiden, Dreschen, Streurichten und wie die hundert Verrichtungen alle heißen, wobei allerdings dem Kleinknecht die niedrigen zufallen: das Ausmisten, Holzspalten usw.

Von den Dirnen steht obenan die "Großdirn". Sie heißt auch "Hausdirn", weil ihr vorzugsweise die häuslichen Arbeiten obliegen und die Beihilfe in der Küche, wo nicht, wie auf den großen Höfen Unterinntals, eine "Kuchlin" (Küchenmagd) gehalten wird. Das Fertigkochen des Mittagstisches überläßt die Hausfrau nie einer fremden Hand.

Die Verteilung der weiblichen Beschäftigungen richtet sich vielfach nach dem Willen der Bäuerin und der Ortsbrauch hat darauf viel Einfluß. So wird zu Wenns im Oberinntale vorzugsweise die "Kleinmagd" in der Küche verwendet. Doch kann man im allgemeinen sagen, daß der "Großmagd" die besseren wichtigeren Geschäfte zufallen. Sie beaufsichtigt das übrige weibliche Personal, kehrt aus, sieht darauf, daß das Essen ordentlich auf den Tisch kommt, deckt auf und räumt ab, trägt die Speisen herein, ruft oder läutet zum Essen und mahnt nach der Rast wieder zur Arbeit. Sie ist also gewissermaßen Vizebäuerin, wie der Großknecht Vizebauer. Auch das "Abrahmen", d. i. das Abnehmen des Rahmes von der Milch, fällt ihr zu. Dagegen gehört die übrige Besorgung der Milchwirtschaft, alles Putzen, Säubern und Spülen von Küche, Haus und Kammern der Kleindirn. Letztere muss auch Kindsmagd vorstellen, wenn kleine Kinder im Hause sind. Auf das Feld gehen alle Dirnen, besonders aber die sogenannte Felddirn. In manchen Gegenden zieht man es vor, weniger Dienstboten zu halten und dafür bei strenger Arbeit, beim Heuen, Ernten und Dreschen, herumziehende Taglöhner anzustellen, was allerdings viel billiger kommt. Im Lechtal und Zillertal herrscht noch die schöne patriarchalische Sitte, sich gegenseitig mit den Arbeitskräften auszuhelfen.

Die Löhne der Dienstboten sind in den letzten Jahrzehnten sehr gestiegen, besonders seit, mit Ausnahme des Schneiders, Schusters und hie und da des Webers, nicht mehr im Hause "auf der Stör" gearbeitet wird. Vor etwa fünfzig Jahren bekam ein Knecht im Tauferertale 7 - 15 fl. alter Währ. jährlich an barem, dazu an Gewand: 2 Paar Schuhe, 1 Paar Strümpfe, 3 Pfeiten (Hemden), Lederhose und ein lodenes "Hematl" (Rock); noch vor dreißig Jahren galten 20 fl. als sehr viel, jetzt hat ein Knecht samt üblicher Kleidung zum mindesten 60, 100 bis 180 Kronen Lohn. Eine kleine Dirn erhielt s. Z. gar nur 2 fl., dazu "Raß"
(Zeug aus Lein und Wolle) zu "Kittel", 2 Paar Schuhe, 2 Pfeiten, Ärmel, Goller (Halskragen) mit Bändern, Schürzen und 1 Pfund Wolle; gegenwärtig beträgt ihr Lohn 80 bis 140 Kronen ohne Gewand, 30 - 40 Kronen mit obigen Kleidungsstücken. In anderen Tälern beziffert sich der Lohn noch viel höher. In Wenns im Oberinntale zahlt man einem Oberknecht als Jahreslohn 200 Kronen, im Pustertale 240 bis 300 Kronen, im Kitzbühler Gebiete bis gegen Ellmau sogar 500 Kronen und mehr, dazu Markttag- und Schuhgelder.

Die anderen Dienstboten erhalten entsprechend weniger. Hat z. B. der Großknecht samt Gewand 140 Kronen, so bekommt der Kleinknecht 80, die Großdirn 100 und die Kleindirn 60 - 72 Kronen. Je mehr der Bauer den Lohn in Kleidungsstücken geben kann, desto besser kommt er dabei zu, denn er hat alles selbst im Hause und läßt es vom Dorfschneider machen. Von der Kuh nimmt er das Leder, vom Kalbe das Fell. Der Lein und die Schafwolle wird selbst gesponnen und im Hause vom Weber oder von einem dieses Handwerks kundigen Knechte gewoben. Häufig verlangen die Dienstboten gegenwärtig gekauftes Zeug, Struck, statt des Lodens, sowie minderwertige "Kaufleinwand", wenn es auch vorkommt, daß sich vernünftigere aus ihnen ausdrücklich "Hausleinwand" und Loden "einbedingen". Den Dirnen weist man oft ein kleines Grundstück an, auf dem sie mit Hilfe der andern Hanf anbauen können. Im Winter spinnen sie denselben und lassen das Garn weben, um die gewonnene Leinwand entweder für ihre Wäsche zu verwenden oder zu verkaufen. Wo man kein Feld hergibt, überläßt man der Dirne ein "Spinnatl", d. h. einen Teil von dem, was sie im Winter gesponnen hat. Der Melker bekommt bei einer großen Wirtschaft das zwölfte Kalb, wenn man es nicht vorzieht, ihm für jedes einen alten Zwanziger Trinkgeld zu geben. In der Regel jedoch gibt ein kluger Bauer alles lieber her als bares Geld.

Die Zeit des Dienstwechsels, der allgemeine "Schlenggeltag" ist in Tirol im Durchschnitt das Lichtmeßfest
(2. Febr.) 1). Nur selten und bei dringender Notwendigkeit tritt auf dem Lande ein Dienstbote auch an einem der anderen Quartalstage, Georgi, Jakobi und Galli 2) ein oder aus. So war es wenigstens bis in die neuere Zeit. Jetzt hat sich allerdings mit vielem andern auch dieser Punkt zum schlechteren gewendet. Gefällt einem Knechte oder einer Magd der gegenwärtige Dienst nicht mehr, so sehen sie sich frühzeitig um einen andern um. "Na, da bleib i nimmer", heißt es, "da muß man den ganzen Tag schinden und raggern 3) und hat noch eine schlechte Kost dazu. Die Bäuerin ist auch "a sölli (solche) harte Gsöllin", magst tun und arbeiten wie d'willst, ninderst (nirgends) ist's recht, alleweil brummelt sie. Und der Bauer ist auch nicht viel besser, "a filziger Lotter" ist's. Die zwei können mi an Buckel blasen, i schau mir um ein andern Platz." Das ist wohl einer der häufigsten Gründe, warum der Dienst gewechselt wird. Es gibt allerdings von seiten der "Ehehalten" noch andere Anlässe, z. B. Streitigkeiten mit den übrigen Knechten und Dirnen, Eifersucht untereinander, wenn ein Dienstbote beim Bauern oder bei der Bäuerin "es besser kann", d. h. sich einschmeichelt, manchmal auch eine Liebschaft zwischen Knecht und Dirn, die der Dienstherr nicht duldet usw. Letztere nennt man "Hausbreaslen" und die Nachbarn machen die Bäuerin, wenn sie den Unfug nicht merkt, mit dem Wortspiel darauf aufmerksam: sie möge die "Brosen" aus dem "Schnuller" (Saugläppchen) heraustun 4). Mehr Grund zur Klage hat, wie wir sehen werden, fast immer der Dienstgeber.

1) Im Pustertal der 5. Februar.
2) Auch Micheli und Martini sind Schlenggelzeiten, Im Eggentale am Peregrinustage (27. April), im Etschtal um Martini (11. Nov.); auch am Gertrudentage (17. März) treten die Leute gern ein.
3) rackern - hart arbeiten.
4) Brosen - Brosamen, aber auch Verliebte; im Zillertal "Brödeln - Hausbrödeln" genannt.

Damit berühren wir einen schlimmen Übelstand in den tirolischen Dienstbotenverhältnissen, nämlich die sogenannten "Bauernfeiertage".

Als im Jahre 1806 Tirol bayerisch wurde, war bekanntlich außer dem Verbote des Wetterläutens eine der verhaßtesten Neuerungen die Abschaffung der "Bauernfeiertage". Man weiß auch, welch böses Blut diese an und für sich gewiß sehr vernünftige Maßregel im Volke machte und wie dieselbe drei Jahre später als wirksames Aufreizungsmittel gegen die neue Regierung verwendet wurde. Ich besitze selbst in meiner Sammlung tirolischer Volkslieder mehrere darauf bezügliche Lieder, darunter ein "Klagelied wegen der von Bayern abgebrachten Feiertagen", in welchem diese Neuerung als eine von protestantischem Verbreitungseifer ausgehende Verhöhnung des Katholizismus hingestellt und der Auszug der betreffenden Heiligen aus dem "nun lutherischen" Lande in den derbsten und aufreizendsten Versen besungen wird. Auch Süß in seiner "Sammlung Salzburger Volkslieder" bringt ein ähnliches Lied, in dem sich der Unmut der Bauern über diese bayerische Verordnung Luft macht. Ob es nun damals von der neuen Regierung klug war, an verjährten, wenn auch noch so unvernünftigen Eigenheiten und durch die Überlieferung geheiligten Vorrechten zu rütteln, das gehört auf ein anderes Blatt. Tatsache ist, daß die im früher angeführten Volksliede vertriebenen Heiligen nach dem Rückfalle Tirols an das angestammte Kaiserhaus wieder ihren feierlichen Einzug in die Dörfer hielten, daß ihre Festtage wieder zu Ehren kamen und im großen und ganzen bis zur heutigen Stunde von Bauern und Ehehalten, in erster Linie natürlich von den letzteren, mit größter Gewissenhaftigkeit gehalten werden.

Vergeblich eiferte der um die Hebung der Landwirtschaft in Tirol hochverdiente Graf Enzenberg - damals, anfangs der verflossenen fünfziger Jahre, Präsident des tirolisch-vorarlbergischen landwirtschaftlichen Zentralvereins - gegen diesen Unfug, indem er eine auf wahrheitstreuen Angaben beruhende Zusammenstellung der abgebrachten und noch abzubringenden Feiertage in verschiedenen Blättern veröffentlichte und auch mündlich, wenn ich nicht irre, gelegentlich der Eröffnung einer Bienenausstellung, dagegen in die Schranken trat; vergeblich brachte auch der leider schon lang dahingeschiedene, wackere Landeshauptmann-Stellvertreter von Tirol, Dr. v. Grebmer im Jahre 1868 bei den versammelten Landesvätern einen vollkommen begründeten Antrag zur Abschaffung dieses Grundübels der tirolischen Landwirtschaft ein, dessen rasche Durchführung als im größten Interesse des Landes liegend selbst der Fürstbischof Gasser als "dringendes Bedürfnis" anerkannte; umsonst richtete im Jahre des Heils 1869 der damalige Minister des Innern, Dr. Giskra, an sämtliche Statthalter einen Erlaß (vom 20. August), worin dieselben beauftragt wurden, "die unterstehenden Behörden anzuweisen, daß sie vorkommenden Falles durch Belohnung ihren Einfluß geltend machten, damit die Bevölkerung es von der Beobachtung "nichtgebotener" Feiertage abkommen lasse." Ja es existieren sogar päpstliche Verordnungen, welche ebenfalls die Einschränkung dieser bäuerlichen Ferialtage zum Inhalt haben. Was half es? Die meisten dieser Bauernfeiertage bestehen bis heute und werden noch fortbestehen, so lange sich nicht die in dem Mangel an Arbeitskräften liegenden Verhältnisse ändern. Denn diese sind es in erster Reihe, die den tirolischen Bauer nur zu häufig zum Sklaven seiner Untergebenen machen.

"Wenn d' itz an' Vormittag außi gingst arbeiten, tät's di' aa' nit umbringen," sagt der Stoffelbauer zum Knecht,
der am Magdalenentage gemütlich auf der Ofenbank liegt und die "Kruicherlen" (Fliegen) an der Stubendecke zählt, während draußen das Heu auf die Einheimsung wartet. - "Itz woascht (weißt) Bauer, wenn's dir nit g'recht ist, suchst dir asten an' andern Knecht." - Der Letztere hat gewonnen Spiel mit seiner trutzigen Antwort, denn er hat sich ja bei seinem Diensteintritte am Lichtmeßtag in der Abmachung außer der Lodenjoppe, zwei "rupfenen" Hemden, einem Paar Beinkleidern, einem Paar Strümpfen und 180 Kronen Lohn auch noch die Freigabe gewisser Bauernfeiertage ausbedungen und, um sie ja nicht zu übersehen, im Hauskalender die schwarz bezeichneten ursprünglichen Feiertage rot angestrichen.

Der Mangel an Arbeitskräften, der seine Hauptwurzel im Militarismus hat, zwingt den Landwirt trotz der besseren Verköstigung, trotz der mehr als um das vierfache erhöhten Entlohnung auf die übermütigen Forderungen des durch die hohen Löhne bei Eisenbahn- und anderen Bauten verwöhnten und ungenügsam gemachten Arbeiters einzugehen und in den sauren Apfel zu beißen, wenn er nicht zum großen Schaden noch den Spott haben will. Was hilft gegenüber solchen Faktoren der § 12 der erneuerten "Dienstboten-Ordnung" vom Jahre 1879, in dem es ausdrücklich heißt: "Der Dienstbote darf sich an den abgebrachten Feiertagen der Arbeit nicht entziehen."

Welch empfindlicher Schaden durch die Haltung der Bauemfeiertage dem materiellen und moralischen Wohlstand erwächst, liegt auf der Hand. Man kann annehmen, und es ist auf Grund unumstößlicher Berechnungen dargetan, daß diese vielen Bauernfeiertage jeden Bauer mit nur fünf Dienstboten jährlich um wenigstens 400 K. schädigen, welcher Schaden in der Folge bedeutender wird, weil sich die Arbeitslöhne von Jahr zu Jahr steigern. Überdies fallen diese Feiertage häufig in eine Zeit, wo die Feldarbeit die Kräfte am dringendsten benötigt und das Wetter der Einfechsung günstig ist, während diese am darauffolgenden Arbeitstage wegen Witterungswechsels nicht mehr vorgenommen werden kann. Ist dieser Nachteil auch nur ein zufälliger, so tritt er doch häufig genug ein.

Dazu kommt noch, daß Tags vorher, gewöhnlich schon am Frühnachmittage, häufig sogar schon 11 Uhr vormittags "Feierabend" geläutet wird, somit auch der vorhergehende Tag zur Hälfte wegfällt. Ich könnte nun eine mir vorliegende eingehende Tabelle der in Tirol noch vorkommenden und in mehreren Teilen des Landes eingehaltenen Feiertage samt den ihnen vorangehenden Feierabenden geben, wenn nicht der Raum mir Schranken auferlegte. Daher muß ich den Leser bitten, sich auf Treu und Glauben mit dem Schlußergebnis meiner Rechnung zu begnügen. Es ergeben sich 56 Festtage mit (durchschnittlich gezählt) 139 Feierabendstunden. Rechnet man hiezu noch 52 gewähnliche Sonntage mit von 5 Uhr nachmittags gerechneten 104 vorabendlichen Feierabendstunden, so steigt obige Summe auf 108 Sonn-und Festtage und 243 Feierabendstunden, die, den Arbeitstag zu elf Stunden gerechnet, ihrerseits wieder 22 Arbeitstagen gleichkommen, das sind 130 Tage. Wenn man nun auch - wir wollen gewissenhaft sein - wegen Zusammenfallens der Feiertage mit Sonntagen gut gerechnet 20 Tage mit 40 Feierabendstunden (gleich drei Tagen sieben Stunden) abrechnet, so ergibt sich dennoch als Gesamtes die erschreckende Summe von hundert und sechs Tagen und vier Stunden arbeitsfreie Zeit im Jahre. Fehlen also nur noch 15 Tage zum ganzen Jahresdrittel, welche "kleine Differenz" leicht dreifach durch zufällige Gelegenheits- und Ortsfeiertage, wie Scheibenschießen, Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, Jahrmärkte, Fastnacht, Gerichtsvorladungen etc. etc. beglichen wird. Die Weißenbachtaler brauchen diese "außerordentliche" Gelegenheit gar nicht, um zum Jahresdrittel zu kommen, denn sie haben ohnehin 14 Feiertage über der genannten Zahl. Bemerken muß ich noch, daß die mir vorliegende Tabelle noch nicht einmal ganz vollständig ist, daß die namentlich im Unterinntal im besten Schwunge befindlichen "blauen Montage" dabei nicht gerechnet sind, ebenso nicht die wegen Tags vorher stattgehabter Trunkenheit, Raufhandel usw. meistens entfallenden halben darauffolgenden Tage.

Ist das nicht mehr als gemütlich, wenn jeder dritte Tag ein arbeitsfreier, mithin jedes dritte Jahr ein arbeitsloses ist? Sind unsere tirolischen Triften vielleicht von der Natur so gesegnet, daß sie den mangelnden Fleiß durch Überschwenglichkeit vergelten, oder haben wir vielleicht eine so reiche Industrie nach Art der Schweiz oder des Schwarzwaldes, daß sie das ersetzt, was der Boden nicht gewährt? "Haben wir Tiroler," möchte man mit dem Kleinbauer im Unterinntal ausrufen, "ein Recht, uns über Steuerlast und Armut zu beschweren, wenn die Arbeit, die erste Quelle des Nationalwohlstandes, nicht gemäß dem Verstande, sondern nach einem alten Herkommen bestellt und durch den Widerspruch beider ein großer Verlust an Qualität und Quantität des im Lande der Viehzucht den Ausschlag gebenden Naturproduktes der Wiesen verursacht wird?"

Gegenüber dieser betrübenden Tatsache muß die Frage nach gründlicher, wenigstens teilweiser Abhilfe entstehen, die vielleicht, so möchte es wenigstens scheinen, darin einen kräftigen Hebel erhält, daß in neuerer Zeit auch unter den Bauern selbst die Klagen über das Unwesen der Dienstboten sich mehren, während sie sich bisher zu diesem Treiben meist duldend verhielten. Es würde mich zu weit führen, wollte ich eingehend die Ursachen dieses Landschadens behandeln, sowie die verschiedenen Versuche, die zu dessen Beseitigung gemacht wurden. Diese können auch überhaupt, wie die Verhältnisse schon liegen, nur einen ganz geringen Erfolg haben.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 304 - 314.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Isabella Richrath, September 2005.
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