2. Die Bergfahrer.

Es ist Spätnachmittag. Beim Reiterbauern in der Eßstube glüht der Ofen, als ob Brot zu backen wäre, so daß es selbst den Dirnen mit ihren Spinnrädern an den Fenstern zu warm wird. "Heut bleiben die Buben lang aus," sagt der alte Bauer und klopft seinen Pfeifenstummel auf der "Kemmichplatte" aus. Da plötzlich Getrampel und Stampfen eisenbeschlagener Schuhe im Hausflur und drei, vier baumstarke Burschen poltern zur Tür herein, Bart und Loden bereift, so daß gleich ein kühler Luftstrom durch die dunstige Stube zieht. Auf der Achsel tragen sie "Schneereifen", die sofort in den Winkel fliegen. Im Nu sind die halbgefrorenen schweren Lodenjoppen ausgezogen und am Ofengestänge aufgehängt. Dann setzt man sich auf die warme Ofenbank, stopft die Pfeife und läßt sich auftauen, bis das Essen kommt.

Heute gibt es eine große Pfanne voll Nocken, schon deshalb, weil diese Mahlzeit für Mittag- und Abendessen gilt. Ist ihnen auch wohl vergönnt. Denn das "Risenmachen" ist keine Kleinigkeit, besonders wenn es einen halbmeterhohen Schnee geworfen hat. Man versteht unter dieser Arbeit die Anlage einer Wegbahn im frischgefallenen, dichten Schnee vom Talboden aufwärts zu den Holz- oder Streu-Haufen, die man mittelst Schlitten vom Hochwald herabschaffen will. Zum Festtreten des Schnee's bedient man sich der früher genannten Schneereifen. Es find länglich- oder kreisrunde Holzreifen mit einem Gitterwerk aus starkem Spagat. Sie werden am Fuße mit Riemen mehrfach befestigt. Der "Schneereif" gibt dem Fuße eine breitere Fläche, so daß man bei weichem Schnee nicht zu tief einsinkt. Ist das Gehen mit Schneereifen schon ohnehin äußerst ermüdend, da ein Fuß dem andern beständig ausweichen muß, so gilt dies besonders beim Aufwärtssteigen, wie es das "Risenmachen" erfordert. Man nimmt es bei "weichem" Wetter vor, damit dann über Nacht der Schnee leidlich fest wird, und den schweren Holzschlitten nicht zu tief einsinken läßt. Durch öfteres Befahren wird eine solche "Rise" glatt und hart wie eine Landstraße.

Der Heimgarten ist heute sehr kurz. Die Burschen müssen nach dem Abendrosenkranz ihre Bergschuhe schmieren und die Steigeisen zurecht richten. Mit dem Faulenzen auf der Ofenbank ist es also für heute vorbei. Auch die Zenz, oder wie die "Kuchlin" sonst heißt, stellt ihr Spinnrad heute früher bei Seite, als die anderen Dirnen, zündet am "Kemmichfeuer" ihre Unschlittkerze an und verschwindet mit einem: "G'lobt-'sös Christs". Sie tut auch ziemlich gut, zeitlich ihre "Liegerstatt" aufzusuchen, denn um drei Uhr früh muß schon die heiße Brennsuppe nebst einer Pfanne schmalziger Nocken auf dem großen Eßtisch dampfen als kräftiger Morgenimbiß für die "Bergfahrer".

So geschieht es auch.

Es ist noch tiefe Nacht, wenn die "Bergfahrer" ihr Nest verlassen und in ihre Kleider schliefen. In einer Viertelstunde ist abgegessen und die Männer rüsten sich zum Aufbruch. Sie sind in Joppe und Hose aus dickem Loden (grobem Wollenzeug) gekleidet, damit Schnee und Kälte nicht zu scharf eindringen; die Füße stecken in festen, mit Steigeisen versehenen Schuhen, Kopf und Ohren bedeckt eine mächtige Pelzmütze. Noch ein "Schlenkerer" ins Weihbrunnkrügl, dann werden die "Granser" (Handschlitten) aus der Schupfe (Schoppen) geholt und hinaus geht es in die prickelnd kalte Winternacht. Noch steht der Mond hoch am Himmel, wenn nicht, nimmt man "Bucheln" (Kienfackeln) oder eine alte Stalllaterne mit, um den Weg nicht zu verlieren. Man bleibt selten zu zweien, gewöhnlich verabredet man sich mit den Burschen der Nachbarschaft, die dieselbe Arbeit vorhaben, sodaß oft eine Truppe von 17 - 20 "Bergfahrern" samt Schlittengefolge die nächtlich stille Dorfgasse verläßt. Ein Stück weit wandert man zusammen, dann aber teilen sich die Wege. "Zeit g'lassen" oder "nit z' fleißig", sagt der Eine, "G'schieht schon" oder "nix Gut's verbieten" erwidert der Andere.

Vor der Hand geht die Fahrt noch ganz leidlich. Kommt man aber einmal weiter hinauf, wo der Weg aufhört, dann ist der Anstieg ungleich mühevoller. Bergpfade sind eben keine gebahnten Wege und wissen nichts von einem Schneepflug. Da heißt es wohl achtgeben und die Gegend gut kennen, sonst stürzt man unversehens turmtief hinunter und kann noch von Glück sagen, wenn man mit gebrochenem Arm oder Fuß oder mit einigen Löchern im Kopf davonkommt. Steil, oder wie die Bauern sagen, "stickel", geht es aufwärts, so daß die Burschen bald ihre Lodenjoppen ausziehen und hinter sich auf den Schlitten werfen. Trotzdem tropft ihnen der Schweiß von der Stirne. Liegt der Schnee sehr hoch oder geht, wie es gewöhnlich der Fall, die "Rise" nicht bis zum Lagerplatz des Holzes, so läßt sich der Schlitten nicht mehr ziehen, sondern es bleibt nichts anderes übrig, als denselben auf den Rücken zu laden, und so über die Höhe hinaufzuschleppen.

Endlich nach stundenlangem Anstieg kommen die "Bergfahrer" müde und schweißgebadet ans Ziel, d. h. zu den Holz- oder Streuhaufen, die heute herabgeschafft werden sollen. Diese sind, wie wir in einem der früheren Abschnitte hörten, bereits im Sommer oder Herbst aufgeschichtet worden. Der Bauer benützt nämlich die Tage mit günstigem Wetter, die ihm zwischen den wichtigsten Feldarbeiten übrig bleiben, zum Holz- und Streurichten. Die Bäume, zum größten Teil Föhren und Fichten, werden gefällt und entweder in Scheiterlänge abgeschnitten, mittelst Keil und Schlägel gekloben, dann gehackt und "aufgestößelt" oder wenn man Sägestücke, sogenannte "Blöcher" erhalten will, nur an den oberen dünnen Teile abgesägt, bis sie die erforderliche Länge haben, um Bretter daraus zu schneiden. Diese Stämme werden ebenfalls im Winter durch das "Holzschießen" oder "Holztreiben" zu Tal befördert. Die Rinde wird abgeschält, um den Holzstoß oder Streuhaufen vor Regen und Schnee zu schützen. Die Streu besteht aus den abgehackten Tannenzweigen, Taxen genannt, aus dem abgefallenen Laub, wenn solches vorhanden ist, und aus zusammengerechtem Waldmoos. Man errichtet diese "Legen" (Schichten) in kunstgerechter Form und zu noch besserem Schütze gegen Nässe womöglich unter einem Baum oder an Felswänden bis zur winterlichen Herabschaffung. Im Sommer nämlich das Holz oder die Streu über die höckerigen Lehnen herunterzubringen, wäre eine reine Unmöglichkeit. Man muß deshalb den strengen Winter, meistens den Januar oder die erste Hälfte des Februar abwarten, wenn wiederholte Schneefälle die Unebenheiten und Untiefen des hartgefrorenen Bodens ausgeglichen haben. Sind Bergwege da, so benützt man zur Herabschaffung diese. Meist aber bilden die oben genannten "Risen" die natürlichen Ablieferungskanäle. Es sind dies äußerst steile, oft geradezu senkrecht abfallende Rünste, die auf dem kürzesten Wege ins Tal führen und möglichst wenige und nur geringe Wendungen haben. Sie werden, wie erwähnt, durch das sogenannte "Risen" oder "Risenmachen" mittelst der "Schneereifen" in glatte Schneebahnen umgeschaffen. Meist reichen dieselben bis hart an die Holz- oder Streuhaufen, wenn nicht, müssen letztere erst zu den "Risen" geschafft weiden. Sind nun die "Bergfahrer" mit ihren Schlitten am Standort angelangt, so halten sie erst kurze Rast und stärken sich mit ein paar kräftigen Zügen aus der Schnapsflasche, dann geht es rüstig an die vorzunehmende Arbeit. Vorerst wird die oft nicht unbedeutende Schneedecke vom Holz- oder Streuhaufen entfernt, dann die herabzuschaffende Last auf die Schlitten verteilt; hinten läßt man gewöhnlich noch einige Hölzer nachschleifen, um die Hemmung des Gefährtes zu erleichtern. Beim Beladen der einzelnen Schlitten nimmt man auf Stärke und Gewandtheit des betreffenden Lenkers, auf welchen es bei der Abfahrt am meisten ankommt, entsprechend Bedacht. Hierauf bindet man die Ladung mit den mitgebrachten Stricken fest und bringt den Schlitten an den Ausgang der "Rise".

Nun erst, nach ein paar Stunden harter Arbeit nimmt man sich Zeit, den Eßvorräten zuzusprechen. Schwarzbrot und Speck, Butter und Käse, hie und da ein Stück "Birnzelten", bilden das einfache Mahl, die rechte Würze aber gibt ihm der Branntwein, dessen feuriges Naß die erstarrten Glieder mit wohltuender Wärme durchströmt. Übrigens darf man nicht glauben, daß die Leute bei ihrer schweren Arbeit etwa verdrossen seien. Ihre kerngesunde Natur ist gewöhnt an derlei Anstrengungen und der beständige Aufenthalt in der frischen Bergluft stählt ebenso ihren Körper wie ihren Mut. Derbe Spässe und Gelächter schallen hin und wider und mancher Jodler ertönt aus der kräftigen Brust, daß die schneebedeckten Berge widerhallen. Schneidig pfeift der Wind um die Ohren, aber was kümmert das so einen baumstarken Burschen, höchstens daß er wie zum Hohne singt:

Je höher der Berg
Desto schärfer der Wind,
Und je weiter zum Diendl
Desto kleiner die Sünd!

Nun aber heißt es "abfahren". Jeder stellt sich vorn zwischen die Kufen seines Schlittens, der Kühnste voraus als Zugführer. Noch einen kräftigen Zug aus der Schnapsflasche und mit einem: "Itz inGott's Nam'" geht die grausige Fahrt los. Pfeilschnell schießen die beschwerten Schlitten in rasender Eile die steile Rise hinab. Der feine, von den Fußeisen aufgerissene Schneestaub umwirbelt wolkengleich die Lenker, welche die Hände krampfhaft um die "Hörner" geklammert, den Leib weit zurückgebeugt und die Füße fest vorgespreizt, mit Anstrengung aller Kräfte das dahinsausende Gefährt zu hemmen und in der Richtung zu erhalten bestrebt sind. Da mündet eine zweite Rise ein. "O Wög!" (aus dem Weg) tönt es von ferne gedämpft dem Lenker zu. Kaum etwas stillgestanden oder den Schlitten etwas gehemmt, und schon saust ein fremder Holzschlitten vorbei. Wehe, wenn die beiden Gefährte zusammenstoßen, oder wenn bei einem "Rieb" (Wegbiegung) der lenkende Fuß versagt oder die Hemmkraft der Sperrketten und Fußeisen nicht mehr ausreicht, die Kraft der nachdrängenden schweren Last zu schwächen. Unaufhaltsam wirft es den Schlitten aus dem Geleise über Abhang und Felsen oder an einen Baum, sodaß er in Stücke zerschellt und der Lenker mit gebrochenen Gliedern von den jammernden Kameraden gefunden wird. So warf es einmal in Oberinntal einen Burschen samt Schlitten über den bekannten "gachen Blick" am Piller in die grausige Tiefe.

Der häufigste Unglücksfall ist, daß der Lenker bei zu steiler Schneebahn die dahinstürmende Last nicht mehr zügeln kann, besonders wenn ihn der Krampf packt und er so unter den Schlitten gerät. Von Entrinnen durch Ausspringen kann natürlich keine Rede sein, da sich der Lenker zwischen den beiden Kufenhörnern befindet. Im armen Oberinntal, besonders im Imster und Landecker Bezirk, vergeht kein Winter, in dem nicht einer oder mehrere bei diesem "Bergfahren" Arme oder Beine brechen, zersplittern oder verrenken, und im einsamen Paznauntal kann man Dutzende und Dutzende von "Marterln" zählen, die sämtlich Stellen bezeichnen, an denen Leute durch Holzfuhren oder Lawinenstürze jämmerlich zu Grunde gingen. Zwar von letzteren droht bei der Holzarbeit weniger Gefahr, da sich in den Waldbezirken meist nur kurzgestreckte Schneehänge befinden.

Freilich liegt die Schuld an vielen dieser Unglücksfälle auch am Leichtsinn und an der Tollkühnheit, mit der die Leute diese gefahrvolle Arbeit verrichten. Kommt es doch oft genug vor, daß ein par recht waghalsige "Bergfahrer" förmliche Wettfahrten bei dieser ohnedies gruseligen Rutschpartie anstellen. Auch der nie versiegende Volkshumor hat sich dieses Stoffes bemächtigt und einem frommen Kaunserbäuerlein einen Spottzettel angeheftet. Besagtes Bäuerlein war auch "in den Berg" um Holz gefahren, hatte dasselbe auf den Schlitten geladen und wollte eben mit der Last abfahren. Um glücklich ins Tal zu kommen, band er rückwärts an die Bürde ein kleines Bild des Gekreuzigten im Vertrauen auf dessen Mithilfe, wenn es zu rasch ginge, und fuhr ab. Kaum war er ein Stück unten, so schmiß es ihn samt der Last an einen Baum, daß Schlitten und Christusbild in Trümmer ging und das Bäuerlein froh war, noch seine gesunden Glieder gerettet zu haben. Mit einem derben Fluch raffte er sich wieder auf die Beine, betrachtete den Greuel der Verwüstung und sagte mitleidig lächelnd zum zerbrochenen Herrgott: "Denkt hab i mir's wohl, daß deine Schinkelen (Schenkelchen) zu schwach sein."

Zur Heimfahrt braucht man begreiflicher Weise wenig Zeit, man kommt deshalb meist abends früh nach Hause. An manchen Orten machen sich die Burschen bei hellem Mondschein schon nachts zehn Uhr auf den Weg und kehren bis zwei Uhr nachmittags heim. Hierauf rasten sie einige Stunden und treten die beschwerliche Fahrt auf's Neue an. Das herabgeschaffte Holz wird in den Schuppen gebracht und Ende Februar oder März, wenn die Wege nicht mehr fahrbar sind, mit dem Schneidmesser - der "Brax" - kleingehackt. Die Streu kommt auf den betreffenden Schober.

Schwieriger ist noch die winterliche Herabschaffung des Bauholzes und der "Säghölzer" oder "Blöchlen", falls man dieselben nicht durch das "Holzschießen" zu Tal fördern kann. Man benützt hiezu gewöhnlich Halbschlitten, welche nur aus einem Vordergestell bestehen. Daran werden die 5 - 6 Meter langen Stämme mit Ketten befestigt, so daß sie rückwärts nachschleifen. Oft aber verwendet man hiezu auch "Granzger", schwere Bergschlitten mit beweglichem Hintergestell. Um das Gefälle, das bei so schwerer Belastung auf den steilen und beeisten Bergwegen verdoppelt nachdrängt, "sperren", d. i. entsprechend hemmen zu können, sind beim Vordergestell an den auf den Kufen senkrecht stehenden Trägern (Boanling) sogenannte "Kratzen" oder "Sperrtatzen" mittelst einer Nabe angebracht, das sind hebelartige, eiserne Gabeln, die nach Art der Radschuhe hackenförmig über die Kufen in den Boden eingreifen. Am oberen Hebelarm, wo sie der Lenker hält, sind sie schwerer, so daß man sie einfach fallen zu lassen braucht, wenn die Gabeln nicht mehr eingreifen sollen. Außerdem werden, um die Reibung zu verstärken, Ketten um die vorderen Kufen gegeben. Trotzdem fährt der beladene Schlitten ziemlich rasch ab und der zwischen den Kufenhörnern stehende Lenker muß alle Kraft einsetzen, um mit Fußeisen und Sperrtatzen die zu rasche Abfahrt zu mindern.

Hat man aber "Risen", die vom Berg ins Tal leiten, zur Verfügung, dann geschieht die Herabbeförderung des Bau- und Sägholzes auf diesen durch das obengenannte Holzschießen oder Holztreiben, auch eine harte Arbeit. Die glatten Stämme, welche schon während des Sommers der Rinde entschält wurden, werden mittelst der eingehackten Axt zur übereisten Rise gezogen und dann losgelassen. Sie schießen gleich wütenden Schlangen polternd und krachend in die Tiefe. Nicht selten zersplittert ein solcher Stamm an einem Felsen in tausend Stücke. Man liebt daher diese Art der Hinabbeförderung des Holzes nicht sehr, da bei dem gewaltigen Absturz - derartige "Risen" gehen nämlich auch über Felswände herab - zu viel Holz "absplittert". Das Krachen und dumpfe Dröhnen der auffallenden Stämme hört man weithin. Stämme von gutem Kernholz geben beim Absturz einen klingenden Ton von sich. Dies gilt besonders von der Haselfichte, von der das Alpenvolk behauptet, sie klinge wie eine Glocke. Sie hat ein blendend weißes Holz, das. sich für Holzinstrumente, besonders Geigen, vorzüglich eignet. Vom Geigenmacher Jakob Stainer erzählt man, daß er im Winter oft stundenlang in der Nähe der Holzrisen gesessen und den Tönen der abstürzenden Stämme gelauscht habe. Hörte er den langen zitternten Ton einer Haselfichte, so "merkte" er sich den Stamm und kaufte ihn dann. Daraus schuf er seine berühmten Geigen.

Übrigens ist das Begaffen des aufregenden Schauspieles dieses "Holzschießens" sehr gefährlich und mancher hat seine Unvorsichtigkeit schon mit dem Tode gebüßt. Denn im Tal ist der Weg in der Nähe einer derartigen Holzrise im weiten Umkreis nicht sicher. Oft geschieht es, daß ein Baum, durch irgend ein Hindernis im Laufe abgelenkt, die gerade Bahn verläßt und blitzschnell seitwärts durch Wälder und Wiesen herabschießt. So ging vor wenigen Jahren im Rendenatal ein Knabe, der im untern Wald Holz sammelte, durch einen abgeirrten Baumstamm vor den Augen des Vaters jämmerlich zu Grunde. Ein ebenso trauriger Fall, den Hemmerle in seinen "Spiegelbildern" erzählt, ereignete sich oberhalb Landeck, wo von der Urgeiner Alpe durch die "Rise" Fichtenstämme abgelassen wurden. Ein Bauer, dessen Wohnhaus eine ziemliche Strecke von derselben entfernt liegt, sah durch das Stubenfenster vergnügt den Sprüngen der herabschießenden Bäume zu. Nun zogen Burschen einen gewaltigen Fichtenstamm zur Eisbahn vor. Da sagte der Bauer: "Jetzt muß ich hinaus und schauen, wie dieser Baum herabpoltert." Sein Weib, das eben die Pfanne mit dem Mittagessen hereintrug, wollten ihn bereden, dazubleiben, er aber ließ sich nicht abhalten, sondern lief ein Stück ober das Haus hinauf und schaute auf den losgehenden Baum. Mit ungeheuren Sätzen sprang dieser von einem Felsen zum andern, plötzlich aber fuhr er seitwärts in den Wald hinein und wie ein Blitz wieder heraus auf den Platz zu, wo der Bauer stand. Entsetzt flüchtete dieser seinem Hause zu, aber hundert Schritte vor der Tür ereilte ihn der Stamm und zerschmetterte ihn, daß er sofort tot blieb.

Um dieses Ausspringen der herabgleitenden Stämme und damit auch das Zersplittern des Holzes zu verhindern, baut man auch künstliche, aus starken Bäumen gezimmerte Rinnen. Sie heißen in Kärnten "Lische", in der Schweiz "Laß", was wohl mit dem deutschen Wort Leise, mundartlich Laase (Geleise), zusammenhängt, wenn man das Wort nicht vom italienischen lizcio, lisciare, glatt, glätten, ableiten will. Letzteres würde wohl auch auf diese übereisten und schlüpfrigen Rinnwerke gut passen. Die auf diese Weise zu Tal beförderten Stämme werden dann auf Schlitten nach Hause gebracht.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 259 - 268.