Christabend.

Kaum hat am "heiligen Abend" die nachmittägige Vesperglocke ausgeklungen, so ruht jede Arbeit. Kein Axtschlag durchhaut mehr den Wald, kein Drischelschlag die Tenne; das Mühlrad hört auf zu plätschern und das trauliche Surren der Spinnräder in der Eßstube verstummt. Wehe der Dirn, die auf der Kunkel noch Flachs oder Werg unabgesponnen hat. Glaubt sie auch nicht mehr, daß dann "die wilde Perchtl drin niste," so fürchtet sie um so eher, daß sie in diesem Falle keinen Mann bekomme. Im Hause ist ohnehin schon während des Tages alles in Ordnung und festtäglich hergerichtet worden. Der Stubenboden und die Gänge wurden säuberlich gewaschen. Tische und Bänke blank gescheuert, die Fenster spiegelhell geputzt. Auch das Kupfer- und Zinngeschirr funkelt und glänzt wie eitel Gold und Silber. Im Lavanttale stellt man sonderbarer Weise das geputzte Geschirr, Pfannen, Rührkübel, Häfen etc. unter den großen Eßtisch und zieht eine eiserne Kette herum, damit die künftige Ernte gut ausfalle und die Bäuerin Glück in der Wirtschaft habe.

Diese derbe "Schafferin" jedes bäuerlichen Gehöftes und vornehmlich der Küche weiß heute vor Arbeit nicht, "wo ihr der Kopf steht". Schon seit frühem Morgen flammt es und prasselt es auf dem Herde, als wie bei einer Hochzeit. Ihr liegt es ob, die Unmengen von Schmalzkrapfen und Weihnachtskücheln zu bereiten und herauszubackcn, welche die hungrigen Magen mittags und später beim nächtlichen Kirchgange befriedigen sollten. Es würde einen eigenen Abschnitt erheischen, wollte ich die verschiedenen Arten dieses älpischen Nationalgebäckes des näheren behandeln. Die äußere Form ist bei allen ziemlich gleich. Das Unterscheidende bildet die "Fülle". Da gibt es Magen- (Mohn-), Äpfel- und Käsküchel, in der Meraner Gegend die Nuß- und "Köst"krapfen. Besonders letztere, bei denen gestoßene Kösten (Kastanien) mit Zuckerwasser und Honig abgerührt als Fülle des "mürben Teiges" verwendet werden, sind äußerst schmackhaft und ich begreife, daß der Großknecht und die anderen Hausburschen wie hungerige Wölfe um den Herd herumstehen und sich in Anhoffung des baldigen Genusses den Mund ablecken. Haben sie ja heute den ganzen Tag noch keinen Bissen gegessen, da, wie jeder weiß, der heilige Abend ein großer Fasttag ist. Mn tut man sich an diesem Tage insoferne "Abbruch", als man bis zum Mittagsmahl nichts zu sich nimmt und kein Fleisch auf den Tisch kommt. Aber die mittags aufgetragenen Fastenspeisen, Suppe, Stockfisch und Kraut, oder in Tirol Pfannkuchen, in erster Linie aber die oben beschriebenen Krapfen werden in so riesigen Mengen vertilgt, daß nicht umsonst das Pustertaler Sprüchlein sagt: Am "heiligen Abend" muß man drei Gefahren bestehen: Am Morgen das Verhungern, am Mittag das "Derschnellen" und nachts das "Verfallen", letzteres in Hinblick auf den beschwerlichen Gang zur Christmette.

Dieses überreichliche Mittagessen heißt gewöhnlich das "heilige Mahl" und es herrscht der weitverbreitete Glaube, daß, wenn ein Armer, überhaupt ein nicht zum Hause Gehöriger dazukomme, also es "störe", es Tod oder ein sonstiges Unglück zu bedeuten habe. Ganz umgekehrt wird in Pongau die menschenfreundliche Sitte geübt, daß nur halbwegs besser stehende Leute einen Armen am Weihnachtsabend zu Gaste laden und denselben bis zum Dreikönigstag gleich den übrigen Hausgenossen bewirten. Ebenso ist es im Zillertal Brauch, zu diesen "Rauchmahlen", wie sie daselbst heißen, arme Kinder oder sonst bedürftige Leute einzuladen, um als sogenannte "Raachmahler" am Essen teilzunehmen. Rauchmahl nennt man es, weil der "heilige Abend" die erste der drei Rauchnächte ist.

Der Brauch des "Räucherns" ist so eingebürgert, daß er selbst in der Stadt bei Bürgersfamilien, die, wie zu sagen pflegt, noch etwas auf christlichen Sinn halten, fast allgemein geübt wird. Auf dem Lande geht der Bauer bei eingetretener Dämmerung, begleitet von sämtlichen Hausgenossen, auch von der Bäuerin, die das Weihbrunnkrügel trägt mit der Glutpfanne, in welche Weihrauchkörner und Teile der "Dreißgenkräuter" geworfen werden, durch's ganze Haus. Alles, jeder Winkel, jede Stubenecke, Stadel, Stall und Tenne wird mit Rauch und Weihwasser gesegnet und besprengt, ebenso das Vieh, vor allem aber die Betten der Dirnen und die Türen zu deren Schlafräumen. Dabei spricht er stets: "Glück ins Haus, Unglück hinaus." Auch der Weihnachtszelten, den die Bäuerin seit dem Thomastag, wo er gebacken wurde, in ihrem Kasten in der kühlen Kammer verwahrt hat, wird mit der Räucherung bedacht. Zum Schlusse stellt sich das ganze Gefolge in einen Kreis um den Hausvater und es empfängt noch jedes einzeln seinen "Rauchsegen".

Nach dem Umzug macht der Bauer allein noch einen Gang in den Anger zum "Baumsegnen". Er hält zwar nicht viel auf solche "Fürm' und Sachen" - denn er ist Mitglied des Fortschrittvereines - aber weil es der Vater so gemacht hat und gerade "Niemand um die Weg' ist," so klopft er mit dem gebogenen Finger an die Bäume und spricht:

Baum, wach' auf und trag',
Morgen ist der heilige Tag.

"Viehlosen" geht er nicht, erstlich, weil er derlei Zeug für sündhaft hält, nämlich zu glauben, daß das Vieh in der heiligen Nacht spreche, und dann, weil er von seinem "Nähndl" gehört hat, daß ein Bauer bei dieser vorwitzigen Horcherei seinen eigenen Tod "erlost" habe. So begnügt er sich, die Stalltür fest zu schließen und begibt sich eiligst zu den andern in die Stube.

Hier ist schon alles, Bäuerin, Knechte und Dirnen in fröhlichster Stimmung um den großen Eßtisch versammelt, wo Pyramiden von Krapfen aufgehäuft sind. Denn nicht überall ist man so genügsam und fromm, wie im armen Oberinntal, wo es nur eine Brennsuppe mit Brot und Erdäpfelschnitten absetzt und der Hausvater aus einem Evangelien- oder Legendenbuch erbauliche Geschichten vorliest. Häufig, besonders im lebenslustigen Unterinntale, kommen Burschen aus der Nachbarschaft zusammen, um sich die Zeit bis zum gemeinschaftlichen Gange in die Christmette in gemütlichem Heimgarten oder mit "Nüssen auskarten" zu vertreiben. Auch andere abergläubische Gebräuche, die sich auf die Erforschung der Zukunft beziehen, wie Scheiterziehen, Schuhwerfen etc. werden geübt. Beliebt ist besonders das Bleigießen. Man stellt eine Schüssel voll Wasser auf den Tisch, macht in einem eisernen Löffel eine Bleikugel über dem Licht schmelzend, gießt das geschmolzene Blei ins Wasser und schaut nun, welche Figur herauskommt. Hat das Blei Kreuzesform oder eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Totentruhe, so heißt es gleich ringsum: "Jesses, jetzt stirbt bald eines." Findet das Schelmenauge irgend eines Burschen eine Wiege heraus, so gibt es gleich ein Halloh und Gekicher ab und manche Dirne ist in Folge dieses Orakels beklommenen Herzens zur Mette gegangen.

Um elf Uhr beginnt das "Schröckläuten", das die Berg- und Talbewohner zur Mette ruft. Auf ein schönes "Schröckläuten" hält man besonders in Tirol viel, und umsonst hat man dem Meßner oder Turmknecht nicht bei seiner Sammlung im ganzen Dorf bis zum höchst gelegenen Einödhofe Krapfen in schwerer Menge gegeben und ihn bewirtet. Er braucht auch Kraft, denn in manchen Gegenden, so z. B. in Oberösterreich, wird eine volle Stunde lang geläutet. Dies ist auch das Zeichen zum Aufbruch, wenigstens für die Bewohner der weiter oder höher gelegenen Höfe, von denen der nächtliche Abstieg über die vereisten Stege keine leichte Sache ist. Man versieht sich deshalb mit Steigeisen, unter Umständen wohl auch mit Schneereifen. Bei mondheller Nacht ist der Weg zur Kirche selbst von abseits gelegenen Höfen wohl zu finden. Ist aber nebliges oder trübes Wetter, so muß man "Kenteln" oder "Pucheln", das sind Bündel aus zusammengebundenem "Kienholz" (harzigem Fichtenholz) mitnehmen. Die brennen beim stärksten Wind und werfen ein kräftiges Licht über die schneeigen Halden. In Unterinntal hat man da und dort eine eigene Art von Fackeln, welche aus einem in Pech getränkten Zwirn- oder Haderknollen bestehen, den man an einen Stock steckt. In Gegenden, wo die Kirche weiter heraußen im Tale liegt, macht man den nächtlichen Weg in sogenannten Gransen oder Holzschlitten. Das ist dann grausig schön, wenn beim Feuerschein der Fackeln Schlitten an Schlitten vollbesetzt von jungem Volk wie die "wilde Fahrt" durch Wald und Lichtungen saust.

Zur Christmette geht alles, was nur gehen kann, denn "sonst kommt's und weckt einen auf". Nur Kranke oder kleine Kinder bleiben zurück, sowie bei großen Höfen, wo viel Gesinde ist, ein starker Knecht, der "gamern", d. h. das Haus hüten muß und zu sorgen hat, daß die vom Kirchgang Zurückkehrenden Stube und Essen warm finden. Zu letzterem Zwecke schürt er einen großen Block in den Ofen, zu ersterem hat er eine Hacke und eine Flinte, die er hie und da zur Abschreckung von Dieben abfeuert. Es wird überhaupt während der heiligen Nacht viel geschossen, an manchen Orten, so in Pongau, sogar mit Böllern.

Dieser nächtliche Kirchgang bei Fackelschein hat etwas ungemein Poetisches, besonders bei engen Gebirgstälern, wo die Häuser ringsum an den Gehängen zerstreut liegen, so im Ahrntal, Zillertal etc. Schon lang vor Mitternacht wird es bis zu den höchsten Bergkuppen lebendig. Da und dort tauchen die roten Lichter der "Kentelträger" auf und bewegen sich dem Tale zu, bald in Wald und Schluchten verschwindend, bald wieder sichtbar. Immer mehr Fackeln zeigen sich und werfen rote Streiflichter über die Schneeflächen, bis endlich eine nach der andern im Tale erlischt und nur die hellen Bogenfenster der Kirche durch das Dunkel strahlen, während die feierlichen Orgelklange und Gesang bald leiser bald lauter die Stille unterbrechen.

Nach der Wandlung des "Engelamtes" wird in Dorfkirchen regelmäßig ein "Weihnachtslied" gesungen, das in ursprünglicher, oft fast zu naiver Weise die Verkündigung der Geburt Christi zum Inhalt hat. Meist ist es ein im Wechselgespräch durchgeführter Gesang zwischen den auf dem Felde bei ihren Herden wachenden Hirten und dem Engel, der die freudige Botschaft ihnen mitteilt. Als Seltsamkeit beim Vortrag solcher Weihnachtslieder sei erwähnt, daß der darin häufig vorkommende Vogelgesang in manchen Gegenden, z.B. im Zillertal von der munteren Jugend im Schiff der Kirche mit sogenannten "Wispeln", das sind kleine Kinderpfeifchen, mit denen man den Gesang der Vögel nachahmt, begleitet wird. Die häufige Betonung des Vogelgesanges in solchen Liedern entspricht übrigens vollständig der Naturwahrheit, da bekanntlich um die Weihnachtszeit, wo der Tag zu wachsen beginnt, auch die Vögel wieder zu singen anfangen.

Nach der Mette sucht man natürlich so rasch als möglich nach Hause zu kommen. Das geht nun allerdings nicht so schnell, als der Abstieg, denn die Gehöfte liegen oft eine Stunde über dem Talgrund und das Hinaufwandern bei der grimmigen Kälte über die beeisten Stege ist keine Kleinigkeit, immerhin aber noch besser, als wenn, wie es häufig der Fall, Schneewinde eintreten oder nach frisch gefallenem Schnee der warme Föhnsturm sich plötzlich erhebt und dämonisch an den Kirchenfenstern rüttelt. Ein solcher Heimweg ist dann besonders zu den einsamen Berghöfen, wo die Lehnen aus felsigem Grund bestehen, lebensgefährlich. Der geringste Laut - und sausend fährt die "Windlahn" ab. Deshalb geht zu solcher Zeit an gefährlichen Stellen stets einer voraus und schießt seine Pistole ab, um die Lawine, falls sie sprungbereit, noch vor Begehung der gefährlichen Stelle zum Abgehen zu reizen.

Zu Hause angelangt, schlieft man nicht etwa rasch in die Betten, sondern erquickt sich zuvor weidlich an warmer Fleischsuppe, Wursteln, Knödeln und Wein. Auch Schweinsbraten mit Kraut wird aufgetischt. Ärmere Leute begnügen sich, wie z.B. in Vinschgau, mit Schnaps und den Resten unterschiedlicher Krapfen und schmalziger "Blattelküchel". Bis fünf Uhr früh dauert oft dieses gemütliche Beisammensein, bis endlich der Hausvater zum Aufbruch mahnt. Bemerken will ich noch, daß man helle Weihnachten für ein günstiges Zeichen für die Wiesen hält:

Lichte Metten,
Dunkle Heustadel.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 228 - 234.