Eheleute und Ehehalten.
1. Die Eheleute.

Gleich der Behausung ist auch der bäuerliche Hausstand mit allem, was drum und dran hängt, je nach den Verhältnissen des Besitzers sehr verschieden. Welcher Abstand zwischen dem Hauswesen eines armen Kleinhäuslers, der mit Hilfe seines Weibes und seiner Kinder das kleine Feld bebaut, mit Kraxen die zum Fortkommen der Früchte notwendige Erde jedes Jahr auf seinen magern steilen Acker schleppen muß, und einem reichen Unterinntaler oder Pustertaler Bauern, der wie ein König über ein Dutzend Knechte und Dirnen gebietet! Noch eigentümlicher gestaltet sich die Wirtschaft an jenen Orten, wo die Männer die halbe Zeit, wenigstens im Sommer, auf Wanderschaft begriffen sind, so z. B. in Defereggen, in Gröden und in einigen Gegenden des Oberinntals und Vinschgaus, mithin die Hauptarbeit den zurückgebliebenen Weibern anheimfallt. Doch sind solche Verhältnisse immer nur als durch besondere Umstände bedingte Ausnahmen zu betrachten.

Der Hof eines Bauern umfaßt in der Regel nur eine Familie mit den dazu gehörigen Dienstboten. Bauer und Bäuerin mit den kleinsten Kindern schlafen, wie wir schon im früheren Abschnitt hörten, im besten Zimmer des oberen Stockwerkes, die größeren Söhne und Töchter haben daneben ihre eigenen Kammern, ebenso die Knechte und Dirnen, welche bei Raummangel auch im Estrich untergebracht werden und gewöhnlich je zwei und zwei in einem Bett schlafen. Das gemeinsame Wohnzimmer für die Tageszeit ist die "Stube" im Erdgeschoß. Da wird gefrühstückt, das Mittag- und Abendessen eingenommen, da hinunter trägt die Bäuerin die Kinderwiege, um das Kleine nahe bei sich zu haben, da versammelt sich, wie bei uns im Salon, der winterliche "Heimgarten". In jenen Landesteilen Tirols, wo die Güterzerstückelung üblich ist, so z. B. in einigen Gegenden Oberinntals und Südtirols, kommt es wohl auch vor, daß zwei Brüder mit ihren Familien ein Haus bewohnen. In diesem Falle wird die Stube und Küche geteilt, ein trauriger Vorschub für Armut und Unfrieden. Man denke sich nur zwei Hausfrauen unmittelbar nebeneinander schaltend und waltend! Zum Glück gestattet dies die Sitte nur an wenigen Orten. Gewöhnlich geht das Besitztum ungeschmälert an Grundstücken auf den Erben über. Die alten Eltern, die sich, der eigenen Wirtschaft müde, zur Ruhe begeben wollen, ziehen in das sogenannte "Zuhäusl", ein kleines im Obstanger stehendes Gebäude und beschließen, von dem jungen Besitzer mit dem Nötigen versorgt, dort ihre Tage. Wo kein "Zuhäusl" ist, räumt man ihnen eine anständige Kammer im Hause selbst ein. Bisweilen trifft man, wenn es die Räumlichkeiten erlauben, auch eine Mietpartei, sogenannte "Inhäusler" oder "Ing'häus", alte oder kränkliche alleinstehende Personen, die für einen geringen Zins eine Kammer bewohnen, ihre bescheidene Mahlzeit selbst kochen oder für leichte Dienstleistungen vom Bauern die Kost erhalten. Damit ist der weiteste Kreis der Einwohnerschaft eines Bauernhofes geschlossen.

Das Oberhaupt des ganzen Hauses ist der Bauer, der "Schaffer", wie als ebenbürtige Gefährtin die Bäuerin. Wenigstens der Außenwelt gegenüber; denn ein geistiges und gemütliches Band besteht zwischen den Eheleuten nicht immer. Oft genug gilt dem Bauer das Weib tatsächlich nicht viel mehr, ja oft weniger als ein Stück Vieh. Hievon nur ein Beispiel als Beleg: Herr Dr. O. wurde eines Tages auf einen Bauernhof in Taufers gerufen. Dort kam ihm die Tochter des Hauses weinend entgegen, gerade als er mit dem Bauern sprach und erzählte unter Tränen, daß soeben die Mutter gestorben sei. "Jesses", sagte der Bauer, "jetzt hast mich g'leiger (fast) derschreckt, schon hab' ich 'glaubt, es sei die Kuh krepiert". Diese war nämlich gerade im Kälbern. Mag man dieses Geschichtchen auch nur als gut erfunden annehmen, so ist es doch bezeichnend für die Denkart der Bauern. Als Seitenstück ehelicher Liebe könnte folgender Vorfall gelten, den man sich im Heimgarten erzählt. Ein Weib im abgeschlossenen Bergdorf St. Jakob in Defereggen stellte ihren toten Mann gefroren in ihre - Küche (?) und benützte ihn als Leuchter, indem sie ihm die Kentel (Kienspan) in den Mund steckte. Im Frühjahre, als der Tote auftaute und sie ihn nach Virgen hinabschaffen mußte, bedauerte sie, daß sie nun keinen Leuchter mehr habe. Von diesem Geschichtchen gilt natürlich das gleiche, was ich beim früheren bemerkte, nur daß letzteres auf Wahrheit beruht.

Ursache des häufig kalten Verhältnisses der Gatten ist der Beweggrund der Eheschließung, bei welcher meist zuerst der Verstand und nur in untergeordneter Reihe das Herz befragt wird. Gewöhnlich sind die Gutsverhältnisse maßgebend. Dabei geschieht den Gefühlen des jungen Erben selten Gewalt. Er kennt das Herkommen längst und macht sich keine schwärmerischen Liebesvorstellungen. Als flotter Bursche geht er wohl auch da und dort bei einer hübschen Dirn "Fensterln", knüpft sogar vielleicht eine Liebschaft an, die nicht ohne Folgen bleibt, sobald er aber sein Besitztum übernimmt, gewinnt der geschäftliche Sinn die Oberhand und lenkt seine Wahl auch ohne Beeinflußung seitens der Eltern auf eine vermögliche Bauerntochter. Auf Wirtschaftlichkeit und häusliche Tugenden der Braut wird viel gegeben. "Eine gute Bäuerin erkennt man am Nudelschupfen", sagt das Sprichwort; deshalb geht mancher kluge Freier, vor er es mit seiner Erwählten richtig macht, nachsehen, ob sie je Kochkunst flink und regelrecht erlernt habe. Damit soll nicht gesagt sein, daß eine Heirat aus Liebe fast nie vorkommt, sondern nur, daß eine solche zum mindesten nicht die Regel ausmacht. Gerade im weniger gesegneten Oberinntal, wo man dem sogenannten "praktischen" Gesichtspunkt bei Wahl einer Lebensgefährtin eine gewisse Berechtigung zuerkennen möchte, sind Eheschließungen aus Liebe das regelrechte. Aber manchmal setzt sogar ein junger Großbauer seinen Stolz darein, zu zeigen, daß er auf Geld nicht zu sehen brauche, und wählt ein armes, aber auffallend schönes Mädchen zur Lebensgefährtin. Jedoch selten mit Glück; denn die Liebe verfliegt mit den Flitterwochen, und wenn der Mann von roher und heftiger Sinnesart ist, so muß das wehrlose Weib die bittersten Vorwürfe hören, die ihr mit dem Hinauswerfen ihres "Bettelkrams" drohen. Dann möchte sie wohl gerne mit einer armen, aber zufriedenen Kleinbäuerin tauschen. Je weniger Geld und Besitz bei der Wahl mitzusprechen haben, desto mehr tritt die Neigung in ihre Rechte. Der Dörcher (karrenziehende Landfahrer) und die Dörcherin, die beide keinen Pfennig besitzen, schließen ihre Ehe aus allerdings nicht gerade idealer Liebe.

Andererseits wird die Stellung des Weibes durch das zugebrachte Vermögen bedeutend abgeändert. Hat sie z. B, das Gut "im halben Kauf", d. h. hat sie das Anwesen zur Hälfte mit ihrem Gelde erworben, so ist natürlich ihre Stimme bei der Verwaltung desselben gleichberechtigt mit jener des Mannes. Um späteren Streitigkeiten vorzubeugen, werden im Heiratsvertrag die beiderseitigen Rechte genau ausbedungen, so zwar, daß beide Teile über ihr Vermögen selbständig verfügen können.

Oft geht auch das elterliche Gut auf eine Tochter über 1) dann ist sie Hausbesitzerin und Herrin und wählt einen aus den Freiern, welche, sei die Persönlichkeit des Mädchens wie sie wolle, selten fehlen. Sollte dies aber doch der Fall sein, so macht sie sich aus zu großem Zartgefühl durchaus nichts daraus, durch Vermittlung der Eltern, des Vormundes etc. um einen passenden Mann zu werben. Dieser muß dann "zui" (hinzu) oder "eini" (hinein) heiraten; ein Schritt, der wohl überlegt sein will. Denn mancher ward dadurch zum "Siemann'l" (Pantoffelheld) seiner keifenden Ehehälfte. Dann ergibt er sich wohl dem Trunke und vergnügt sich mit lustigen Kameraden im Wirtshause, unbekümmert um die Gardinenpredigt, die zu Hause seiner wartet. Daß solche Auftritte nicht selten vorkommen, beweisen zahlreiche Volkslieder, welche diesen Gegenstand mannigfach behandeln. Der tirolische Dialektdichter Karl v. Lutterrotti schildert einen solchen "häuslichen Zank" in einem trefflichen, in Sillianer Mundart verfaßten Gedichte 2): das Weib öffnet ihrem spät Nachts heimkehrenden Manne, der heftig Einlaß fordert, nicht die Türe. Sie wirft ihm seine Trunksucht und Verschwendung, er ihr heimliche Näscherei vor, bis sie erzürnt sein Haus zu verlassen droht, worauf die Versöhnung erfolgt.

1) Eine solche Erbtochter heißt im Unterinntal scherzweise "Hoamatkrax".
2) Vergleiche Karl Lutterotti's Gedichte in Tiroler Dialekten. 3. Aufl. Bearb, von Dr. Ludw. v. Hörmann, Innsbruck. Wagner. 1896, S, 295.

Was indessen auch für Zänkereien und Streitigkeiten solcher und anderer Art innerhalb der vier Wände vorfallen, äußerlich bewahrt man den Frieden und das gute Einvernehmen, schon aus Furcht vor dem Dorfklatsch. Die eheliche Treue wird trotz der gegenseitigen Kälte gewissenhaft gehalten, obwohl in manchen Gegenden seltsame Begriffe davon herrschen. So wurde mir aus der Gegend von Scharnitz die Anschauung berichtet, daß der Mann keinen Ehebruch begehen könne, und wenn einer mit einem verheirateten Weibe "etwas habe", sei es keine Sünde. Ich muß gestehen, daß ich schwer daran glaube.

Gewöhnlich bildet sich aus Pflichtgefühl und Gewohnheit ein ganz gemütliches Zusammenleben heraus. Sie verdankt ihrem Gatten Ansehen und materielle Stellung, er sieht in ihr die sorgende Hausfrau und Mutter seiner Kinder. Sind diese einmal da und wachsen heran, so weben die gleichen Interessen ein Band, das einer ruhigen Neigung fast gleichkommt.

Der Wirkungskreis des Bauern und der Bäuerin ist von der Sitte scharf abgegrenzt. Der Bauer bewirtschaftet sein Gut nach außen, beaufsichtigt Stall, Feld und Scheune, ordnet alle Arbeiten an und arbeitet je nach Umständen auch selbst mit. Ein Großbauer, der einen bedeutenden Viehstand und mehrere Knechte und Dirnen hält, begnügt sich mit der Oberaufsicht über alle Verrichtungen, von welchen ihm der Großknecht Rechenschaft gibt. Er selbst fährt in seinem Einspänner oft über Land, auf Märkte, wo er Vieh ein- und verkauft, oder zu Scheibenschießen und Versammlungen, denn er ist gewöhnlich Schützenmeister und Gemeinderat. So vornehm gibt es freilich der Durchschnittsbauer nicht, von dem das Sprichwort sagt:

Der Herr muß selber sein der Knecht,
Will er's im Hause haben recht.

In noch engerem Sinne gilt dieses vom Kleinhäusler, der in der Tat selber Knecht sein muss, weil ihm sein geringes Besitztum nicht erlaubt, Dienstboten zu besolden.

Der Wirkungskreis der Bäuerin ist das Bereich des Hauses. Selbstverständlich macht auch bei ihr die Größe des Besitzes denselben Unterschied. Eine reiche Großbäuerin dünkt sich zur niederen Hausarbeit zu gut. Diese verrichten unter ihrer strengen Aufsicht die Mägde, sie selbst gefällt sich, mit dem Schlüsselbund zum Gaden (Speisekammer) und Keller, der ihren Stolz, die goldgelben Butterwecken und die Reihen der gefüllten sauberen Milschüsseln - meist sogenanntes "bayerisches" Geschirr, von den Dörchern gekauft - enthält. Nur das Kochen, wenigstens des Mittagsmahles, besorgt stets die Bäuerin selbst, sei sie nun eine arme Kleinhäuslerin, deren Speisezettel nur Wassermus und eine magere Brennsuppe aufweist, oder die reiche Besitzerin eines wohlgefüllten Gadens. In der Küche ist sie unumschränkte Herrscherin. Der Bauer redet ihr da nichts darein, außer wenn sie etwa aus Geiz oder Unkenntnis den Dienstboten schlechte Kost verabfolgt, so daß diese sich darüber beklagen. Die übrigen Geschäfte einer Bäuerin ergeben sich von selbst, besonders bei minder großen Gutsverhältnissen. Viel Zeit erfordert die Pflege der kleinen Kinder, so wenig heikel man es damit nimmt, und das oftmalige Füttern der Hühner und Hennen. Da die Landleute, besonders bei strenger Arbeit, oft und reichlich essen, geht das Feuer, das Kochen und Abspülen den ganzen Tag nicht aus. Daher ist die Bäuerin immer zu Hause, wenn nicht in der Kirche oder hie und da bei einer Ausfahrt. Sonntags geht sie stets in die Frühmesse oder höchstens ein oder das andere Mal in die Predigt und eilt hernach schnell nach Hause, um bis 10 oder ½ 11 Uhr, wenn die andern aus dem Gottesdienste kommen, das Mittagessen bereit zu halten. Auf's Feld geht nur die Unbemittelte, die dann ihre Kinder entweder zu Hause einsperrt oder mit sich schleppt und draußen irgendwo in den Schatten eines Baumes legt. Die Bäuerin hat auch ihr Taschengeld. Es gehört ihr nämlich nach altem Herkommen das Federvieh und die Eier, ferner das Erträgnis des Krautgartens, soweit sie dies nicht in der Küche braucht. Sie gibt also das übrige der Bötin, ihrer verschwiegenen Vertrauten, die ihr dafür aus der nächsten Stadt Kaffee und Zucker, Weißbrot, auch Likör (Gewürzbranntwein) und Näschereien bringt. Das wird, wie wir bereits im vorigen Abschnitt berührten, im versperrten Gaden verwahrt und in einem stillen Augenblicke, wenn es der Mann nicht sieht, verzehrt. Trinkt er doch auch im Wirtshaus manchen Schluck, den sie nicht sieht, warum soll sie sich nicht mit etwas Süßem gütlich tun, zumal da sie soviel "Strapplerei" mit den Kindern hat? So denkt sich das Weib und steckt dabei ihrem Nesthäkchen ein Stück in den verlangenden Mund.

Solange die Kinder klein sind, ist die Bäuerin, die untertags arbeiten muß und nachts beim Kindergeschrei wenig schlaft, viel geplagt. Sobald die Kleinen aber einmal laufen können, überläßt man sie dem Schutzengel. Man befiehlt und verbietet ihnen nicht viel, daher gibt es auch wenig Ungehorsam und Strafe. Die bäuerlichen Arbeiten lernen sie fast von selbst. Mehr gehütet und geschont sind die Söhne und besonders die Töchter des Großbauern. Im allgemeinen kann man sagen, daß das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern ein schönes ist. Zärtlichkeiten kommen nicht vor, wenigstens nicht, wenn die Kinder einmal größer sind, aber ebenso selten vergißt der Sohn oder die Tochter die schuldige Ehrfurcht gegen die alten Eltern zu beobachten.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 297 - 304.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Isabella Richrath, September 2005.
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