Die drei Eismänner.

Unter allen Wetterherren und Wetterfrauen, welchen der Landmann Einfluß auf die Witterung und damit auf das Gedeihen seiner Feldfrüchte zuschreibt, gelten die sogenannten "drei Eismänner" als die gewaltigsten und gefürchtetsten 1). Es sind dies die drei Kalenderheiligen Pankratius, Servatius und Bonifazius, die auf den 12., 13. und 14. Mai fallen. Was ist gegen die Macht dieser "drei Azi", wie sie das Volk auch nennt, die Gunst oder Ungunst des "Heunässers" Medardi (8. Juni) und seiner Helfershelferin, der "nassen Gret" (20. Juli), was der Jagdherr Egydi, der die Witterung des ganzen September in der Tasche trägt; was die hochverehrten "Wetterherren" Johann und Paul (26, Juni) und der kettenumgürtete Roßpatron Lienhard, den die Bauern schon längst gern an die Stelle des lieben Herrgotts gesetzt hätten, "weil er doch auch was vom Vieh verstünde". Ja selbst der gewaltigste aller Wetterherren, der Ifinger Heilige Oswald, der noch im Namen das Erkennungszeichen des allwaltenden Asenhauptes Wodan trägt und dessen Ansehen so groß ist, daß an seinem Tage in der Meraner Gegend das Arbeiten auf dem Felde bei Strafe verboten ist - sein Nimbus erblaßt vor der kalten Majestät der "drei Eismänner", welche als heimtückische Nachhut des verjagten Winters in der blühenden Herrschaft des siegreichen "Maien" zurückgeblieben sind.

Ihr Name schreibt sich von der kühlen, ja oft eiskalten Witterung her, die um diese Zeit gewöhnlich herrscht, und deren Entstehungsgrund noch immer nicht vollständig aufgehellt ist. Gemeiniglich wird dieser Kälterückfall den Eismassen zugeschrieben, die im Mai von den Polargegenden gegen Süden treiben und durch ihr Schmelzen die Temperatur herabdrücken. In Norddeutschland heißen sie die "drei kalten Herren" und sind ebenfalls wegen ihres "frostigen" Hofstaates das Schreckgespenst des Landmanns und des Weinbauers. Mit kummervoller Miene wartet er, bis diese drei gefährlichen Tage vorbei sind, und sieht lieber den Himmel umwölkt oder das Tal voll Regen, als jene sternhellen, aber kalten Nächte, welche seine Jahreshoffnung mit dem verderblichen Reif umspinnen. Besonders im Süden der Alpenländer, wo die Rebenhügel um diese Zeit in voller Pracht stehen, sind diese "drei Azi" für den Bauer Gegenstand größter Aufmerksamkeit. Nacht für Nacht wird gewacht und gespäht, ob nicht die schützende Wolkenhülle plötzlich aufreiße und Frost eintrete.

Ist dies der Fall, so ist der Landmann auf den ersten Lärmruf aus den Federn, um dem grimmigen Blütenfeinde entgegenzutreten. In Steiermark wird die Gefahr durch Schießen angezeigt, in Südtirol und an anderen Orten durch Geläute von den Türmen. Wenn die hundert Zentner schwere Glocke von St. Paul, auf dem südlichen Mittelgebirge von Bozen, ihren weithin hörbaren Warnungsruf durch die Nacht sendet, dann beginnt in den gesegneten Weingeländen von Kaltern und Eppan und im Talkessel von Bozen ein reges Leben. Es geht das "Rauchmachen" an. Hiezu dienen die Abfälle der Reben, die man vom letzten Herbst und Winter vom "Rebschneiden" her hat, sowie das alte Wurzelwerk derselben. Diese bereits vorbereiteten Bündel, sogenannte "Rebschab" (Schaub) werden entzündet, damit der dicke Rauch, der sich aus diesem schlechten Brennmaterial entwickelt, über die Rebenhügel hinstreiche und die Pflanzen schütze. In Meran macht man sogenannte Schwelhaufen, das ist grünes Holz, das man in Brand setzt und durch daraufgeschüttete Erde noch langsamer zum Verbrennen bringt. Die Steiermärker und Kärntner haben ein ähnliches Verfahren; sie nennen es "Reifbrennen" oder "Reifheizen".

Am verbreitesten ist die Sitte des Reifheizens im Pinzgau. Sie besteht dort seit Jahrhunderten mit eigenen Vorschriften und Gesetzen für die Dawiderhandelnden. Der Aufruf zum "Reifheizen" wird "rottenweise", das ist nach Ortschaften, angesagt und um zehn Uhr nachts von allen Türmen durch ein förmliches Sturmläuten das "Brandzeichen" gegeben. Wer mit diesem Brauche nicht bekannt ist, glaubt inmitten eines Volksaufstandes zu fein. Sofort eilt jeder Hausbesitzer und Bauer auf die Felder und macht in richtiger Entfernung vom Gehöft aus dem mitgenommenen Holze Feuer an. Dieses wird mit altem Klaub- und Zaunholz, mit "Boschach" (Reisig), faulen Holzspänen, kurz mit allem, was Rauch macht, teils unterhalten, teils gedämpft. Bald umhüllt das Tal eine einzige Rauchdecke, der schirmende Mantel gegen den versengenden Sonnenstrahl des Morgens. Gewöhnlich weiß man mit ziemlicher Sicherheit die Zeit der Gefahr. Wenn im Mai längere Zeit schlechte Witterung eintritt, sodaß es auf den Bergen tief herab schneit, dann hellt sich leicht der Himmel abends oder über Nacht auf. Am meisten gefürchtet ist vom Volke der nach Mitternacht fallende sogenannte "kühle Tau", der sich in kleinen Eiszäpfchen an die Halme und Blüten hängt und den Kuß der Morgensonne nicht aushalten kann.

Sind aber einmal diese drei Tage überstanden, dann ist auch die Besorgnis des Landmanns vorüber. "Vor Servaz kein Sommer, nach Bonifaz kein Frost," sagt die Bauernregel. Leider ist dieses Sprichwort nicht immer verläßlich und der Volksmund läßt nicht umsonst jeden der drei Eismänner noch einen Sohn und einen Enkel haben, was so viel heißt, daß erst nach weiteren sechs Tagen der gefährliche Zeitpunkt zu Ende sei. Ich erinnere mich noch mit Wehmut an jene verderbenschwangere Nacht des 20. Mai 1876, welche mit einem Schlag fast den ganzen Blütenstand Steiermarks vernichtete. Kurz vorher war ich über die herrlichen baumübersäeten Gelände von St. Oswald wie durch einen Wald riesiger Blumensträuße hingegangen und hatte mich an der zauberischen Blütenpracht dieses Naturparkes erfreut. Nun folgten mehrere Regentage und am 20. Mai zog plötzlich eine unheimliche eiskalte Sternennacht herauf. Der folgende wolkenlose Maimorgen sah nur verbrannte Bäume und traurig blickende Menschen. Die "Gfrier" ist d'rüber gekommen, sagen die Bauern.

Um sich gegen solche Rückfälle möglichst zu sichern, haben die klugen Etschländer sich noch einen eigenen Patron und Wetterherrn für ihre Weingüter ausgesucht, nämlich den heiligen Urban (25. Mai). Ein echter Weinbauer feiert diesen Tag durch Festgewand und verschiedene Andachten.

St. Urban
Ist der recht' Mann.

Sein Bild wird als sogenanntes "Ferkulum" (Traggestell), das entweder mit wirklichen Trauben, falls man noch solche vom Vorjahr bekommt, andernfalls mit künstlich fabrizierten, im feierlichen Zuge herumgeführt. Auch bei der Fronleichnamsprozession im Dorfe Tirol zieht St. Urban mit und wird zum Zeichen der besonderen Verehrung eigens noch um den sogenannten "Segenbüchel" herum in die Kapelle getragen. An diesem Tage soll auch Flachs und Hanf gesäet werden.

1) Da ich diesen Gegenstand in meiner Arbeit über "Die Wetterherren und Wetterfrauen in den Alpen" (vergl. Zeitschrift des D. und Ö. Alpenvereins v. J. 1906) bereits ausführlich behandelt habe, kann ich mich, wie auch bei ein paar folgenden, kürzer fassen.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 83 - 86.
Frakur-OCR korrekturgelesen von Carsten Heinisch