Flachsbau und Flachsbrecheln.

Der Anbau des Flachses spielt in Tirol, besonders in einzelnen dazu vorzüglich geeigneten Gegenden, wie im Ötz- und Pitztal, Leutasch, Axams, Wiesing, Welsberg, eine große Rolle. Der Lein ist das Sorgenkind des Landmannes; kein anderer Gegenstand des Feldbaues erfordert vom ersten Keimen an so viel Mühe und aufmerksame Pflege, und ist er auch glücklich unter Dach und Fach gebracht, wie vieler Hände Arbeit braucht es noch, bis die Ballen schneeweißen Gewebes im Kasten ruhen! Gewöhnlich liegt das vorjährige Linnen noch auf der Bleiche, während daneben schon die junge Saat sproßt und blüht. Weil aber die Gewinnung und Zubereitung dieses edlen Gewächses so innig mit dem Bauernleben verwachsen ist, und tief, wie die keines anderen in Familie und Häuslichkeit eingreift, so darf es auch nicht wundernehmen, daß eine Menge interessanter Gebräuche alle Vorkommnisse der Verarbeitung begleitet und ein ganzer Kranz der lieblichsten Sagen dieselbe mit einer höheren Weihe, mit einer gewissen poetischen Verklärung umgibt.

Die Kunst des Flachsbaues ist nämlich nach dem frommen Volksglauben keine menschliche Erfindung, sondern eine wundersame Gabe der "Saligfräulein", die einst in grauer Vorzeit von ihren schimmernden, unterirdischen Felspalästen niederstiegen und die unwissenden Menschen belehrten. Diese wohltätigen Wesen, die man sich als wunderschöne Jungfrauen mit wallendem Flachshaar und Augen blau wie die Flachsblüte dachte, sind die besonderen Hüterinnen und Schützerinnen dieser Pflanze. Die Bewohner des flachsreichen Ötztales wissen noch viel davon zu erzählen, wie "Saligfräulein" einst den Dirnen beim Jäten halfen und dann wieder ihrerseits hei ihnen Schutz suchten vor der Verfolgung ihrer Feinde, der "wilden Männer". Wenn dann der üppig aufgesproßte Lein in Blüte stand, und die grünen Fluren mit blauen Streifen durchzog, erschien in goldener Morgenfrühe die ganze holdselige Schar und schritt, geführt von ihrer Königin Hulda, durch die Felder, Kraut und Blüten segnend. Auch später versagten die "Saligen" dem Lein nicht ihren ersprießlichen Schutz. Sie erschienen oft zu freundlichem Besuche in den traulichen Spinnstuben, vorzüglich in der heiligen Zeit der Zwölften, das ist vom Weihnachtsabend bis zum Dreikönigstage.

Zur Zeit der Abenddämmerung, nach dem Ave-Maria-Läuten, wenn alle Hausbewohner fröhlich und fleißig im Heimgarten versammelt waren und allwärts die Räder schnurrten, öffnete sich plötzlich leise die Tür und herein traten zwei wunderholde, flachshaarige Mädchen. Sie grüßten schweigend, setzten sich sittiglich neben die andern auf die Bank, stellten ihre kunstvoll gearbeiteten Rädchen vor sich hin und bald floß der Faden von ihren emsigen Fingern, so rein und fein wie gesponnenes Gold. Dabei sprachen sie kein Wort, nur wenn einer zufällig der Faden riß, sagte sie leise zur anderen: "Faden ab", worauf diese antwortete: "Knüpf' an", und dann schnurrten die Rädchen wieder lustig weiter. Hatten sie einige Spulen voll, so haspelten sie das Garn in Stränge, betrachteten wohlgefällig das schöne Gespinnst, lächelten noch allen einen freundlichen Gruß zu und verschwanden in der dunklen Winternacht. Die Hausfrau aber fand nach solchen himmlischen Besuchen nicht selten einen Garnknäuel in ihrer Lade, der die wunderbare Eigenschaft besaß, daß er nie ausging und deshalb dem ganzen Hause zu Glück und Wohlstand verhalf.

Die Aussaat des Leins fällt in den April oder Mai, der alten Bauernregel zufolge auf den St. Urbanstag (25. Mai). Ein paar Wochen darauf wird er gejätet, d. h. von dem zwischen den jungen Sprossen wuchernden Unkraut befreit. Zur Sonnwendzeit steht er in seinem vollsten Blütenschmucke. Wie zartblaue Bänder ziehen sich die leuchtenden Flachsfelder die grünen Abhänge hinan, für das Auge ein äußerst lieblicher Anblick. Von nun an braucht derselbe eine Zeitlang keine Pflege mehr, als welche die liebe Sonne ihm zukommen läßt, die ihn bis Mitte August oder, mit den Bauern zu sprechen, zwischen "Lorenzi und Bartlmä" zur Reife bringt. Um diese Zeit beginnt das "Ausziehen" und "Aufstiefeln" des "Haars", wie der Lein in Tirol allgemein genannt wird, vorausgesetzt, daß das Wetter trocken ist. Man legt ihn zuerst in kleinen Büscheln, "Boasen" oder "Stiefel" genannt, kreuzweis über das Feld und "stiefelt" (schichtet) dann diese um Stangen zu Schöbern auf.

An manchen Orten, z. B. in dem schon mehrfach erwähnten Ötztal wird er gleich nach dem Ausziehen "geriffelt", d. h, des Samens entledigt und unmittelbar darauf "gebreitet". Gewöhnlich aber läßt man die Schöber drei, vier Wochen lang auf dem Felde stehen. Hat der Lein dann die gehörige Dürre, so wird er in die Tenne geführt und wie das Getreide gedroschen, um den Samen zu gewinnen. An diese Arbeit knüpft sich ein interessanter Gebrauch. Der letzte Drischelschlag spielt wie bei der Bearbeitung des Weizens und Roggens auch hier die Hauptrolle, so zwar, daß auf denselben ein Preis gesetzt wird. Man flicht nämlich den sogenannten "Haarer", d. s. zwei Kränze aus Stroh, von denen der eine senkrecht in den anderen gesteckt wird, was beiläufig die Form einer Laterne ergibt. Diesen "Haarer" hängt man in der Tenne ober den Dreschern auf und legt verschiedene kleine Geschenke hinein, wie Hals- oder Sacktücher, eine Schürze, Äpfel, Krapfen und vor allem eine Flasche Schnaps. Wer nun den letzten "Drisch" tut, d. h. zum letztenmal mit dem Flegel auf die letzte Bodenlage des auszudreschenden Flachsvorrates schlägt, der wird unter lautem Halloh mit dem Spottnamen "König" begrüßt und ihm der "Haarer" samt Inhalt als Geschenk überreicht.

Nach dieser scherzhaften Unterbrechung der Arbeit geht es ans "Reitern". Der ausgeschlagene Same wird zusammengekehrt, in "Reitern" (Körbe) gegeben und durch tüchtiges Durchschütteln von den großen Hülsen befreit, dann in einer Windmühle "aufgemahlen", d. h. ausgeblasen, Vorgänge, wie sie bei der Kornernte üblich sind. Schließlich seiht man den Samen, um ihn recht rein zu bekommen, noch einmal durch ein enges Sieb. Die Hülsen führen den seltsamen Namen "Bollum" 1) und werden, nachdem sie gemahlen worden, als Futter für Schweine, Hennen und das "Zügelvieh", d. h. für die Kälber verwendet. Die Stengel aber, der eigentliche "Haar", werden wieder auf die Äcker hinausgeführt und dort "gebreitet". Dieses ist eine heikle Arbeit, denn die Schichten dürfen nicht zu dünn liegen und nicht zu dicht, sondern gerade so, "daß Sonne und Mond durchschaut". Auch mit dem Wetter ist es eine schwierige Sache; man wünscht weder zu viel austrocknenden Sonnenschein, noch anhaltenden Regen, sondern beides hübsch abwechselnd, damit der Flachs in gehörigem Grade "reaßen", d. h. in Fäulnis übergehen könne. Mit scheelem Gesichte begrüßt man heftig wehenden Wind, der die Stengel, wie man sich leicht denken kann, in Unordnung bringt und weit herum zerstreut, weshalb man oft die Zeilen des ausgebreiteten Leins mit Fäden überspannt und befestigt sieht. Ist er endlich genügend "gereaßt", was je nach der günstigen oder ungünstigen Witterung kürzer oder länger dauert, so wird er mit Rechen "aufgelupft" (gelüftet), um gut zu trocknen, dann "aufgenommen", d. h. aufgeladen und zur Brechelgrube zum "Grummeln", in Unter- und Mittelinntal "Grammeln", geführt 2).

Dieses Geschäft wird übrigens auch oft verschoben, wenn man gerade Nötigeres zu tun hat. Gewöhnlich fällt es in die Mitte des Oktober, um den Kirchtag herum. Da wandert in einer heiteren Nacht, noch vor dem Morgengrauen, die "Grummelfuhr", so heißt nämlich die ganze Arbeitergesellschaft, hinaus zur "Brechelgrube". Diese ist ein länglich viereckiger, halb in den Boden versteckter, gemauerter Ofen. Wegen Feuersgefahr ist sie stets ein Stück vom Hause entfernt. Man wirft Holz hinein, schürt ein tüchtiges Feuer an und legt ein paar Hölzer quer über die Brüstung. Vor derselben faßt der "Haardörrer", auch "Schürer" oder "Brater" genannt, Stellung. Er ist gewöhnlich die einzige männliche Person bei der "Grummelfuhr", nur selten sind auch die "Vorgrummler" Mannsleute. Er nimmt den "Haar" büschelweise vom Wagen, dörrt ihn auf den Hölzern über der Flamme und übergibt ihn dann den "Brechlerinnen", die ihn mit ihren Werkzeugen aus dem Rohen herausarbeiten. Diese "Brecheln" oder "Grummeln" ("Grammeln"), sind hölzerne, halbseitig durchbrochene Stühle, in die ein dreischneidiger Obersatz scherenartig einklappt. Ist der Flachs damit gebrechelt, so wandert er zu den "Schlichterinnen", welche die Aufgabe haben, ihn noch weiter zu reinigen und zu putzen.

Diese Arbeit in der beständigen Feuerhitze und dem fortfliegenden Flachsstaub ist sehr ermüdend und anstrengend, weshalb die schmalzigen Küchel von Hefenteig und die mit Mohn und gedörrten Birnen gefüllten Krapfen, deren die Bäuerin den ganzen Tag hindurch und zwar in unendlicher Anzahl hinaus auf das Feld schickt, stets willkommen geheißen werden. Ein Schluck Schnaps hilft sie vortrefflich hinunterschwemmen. Diesen verschaffen sich die "Brechlerinnen" auf eigentümliche Weise. Kommt nämlich jemand harmlos des Weges gegangen, so wird er "gekragelt", d. h. die mutwillige Schar begrüßt ihn erst mit beißenden Spottreden und stürmt, wen er nicht schlagfertig genug ist, diese mit gleicher Münze heimzuzahlen, auf ihn los, umwickelt ihn schnell mit Flachs und fährt ihm um den Hals. So wird der Gefangene gehalten, bis er sich mit Schnaps loskauft. Dafür erhält er ein Sträußchen.

Mit einem "bessern" Bauern verfahren die Brechlerinnen glimpflicher. Sie legen einfach den Flachs in Kranzform vor ihn auf den Weg; er weiß dann schon, was er zu tun bat. Den so "Gekragelten" neckt man noch überdies mit der Redensart, daß er nun im Winter zu kalt haben werde. Weiberleute kommen gewöhnlich ungeschoren vorbei, doch geschieht es auch manchmal, daß eine stattliche Bäuerin auf die Art "gekeilt" wird.

Einen anderen Gebrauch als diesen, der zu Amlach im Pustertale im Schwange ist, haben die "Brechlerinnen" im Unterinntal und Brixental. Zu Hochfilzen stellt die Oberdirn unweit der "Brechelgrube" den sogenannten "Brechelbusch" oder "Haarer" auf, einen mit farbigen Bändern und Äpfeln zierlich geschmückten Tannenwipfel. Ihn zu rauben, ist ein Hauptspaß und eine Ehrenaufgabe für die Liebhaber der "Brechlerinnen". Gelingt es einem derselben, so gilt dies als sichere Bürgschaft seiner Treue und Verläßlichkeit. Aber diese Aufgabe ist nichts weniger als leicht, denn die "Brechlerinnen" hüten mit Argusaugen ihren Schatz, und unternimmt es ein kecker Bursche, auf seine Roblerkunst vertrauend, mit dem Spottreim:

Grüß euch Gott, Brechlerinnen all.
Mit der hölzernen Schnall,
Mit dem hölzernen Schwert,
Ist Heuer der Haar besser als fert? (fert, fernt'n = im Vorjahre.)

so bekommt er zur Antwort:

Weiß wie a Kreide,
Lind wie a Seide,
Lang wie a Schiffseil,
Heuer ist uns der Haar gar nit feil.

Wagt er es nun dennoch, seine räuberischen Hände nach dem "Brechelbusch" auszustrecken, dann wehe ihm! Schnell wird er von den starkarmigen bäuerischen Amazonen umzingelt und mit Fäusten jämmerlich zerbläut. Mir erzählte selbst einmal einer, wie er bei einem solchen Abenteuer um ein paar Zähne gekommen sei. Desto größer aber ist die Ehre für den, der trotz dieser verzweifelten Wehr durch List oder Gewalt die Siegestrophäe erbeutet. Die Liebe steht auch noch anderweitig zum Brecheln in Beziehung. Jene "Schlichterin", welche es das letzte "Wüzele" Flachs zu bearbeiten trifft, heißt "Braut"; Bräutigam ist der "Brater". Man feiert die beiden Brautleute mit einem Teller voller Äpfel, Birnen und Blumen, setzt sie mit Jubel und Gelächter auf einen Wagen und führt sie durch das Dorf.

Im Pustertale versteckt der "Haardörrer" in den letzten Flachsbüschel Äpfel, Birnen und Krapfen. Welche Brechlerin nun diesen trifft, die ist die "Braut" oder hat den "Alten". Dabei haben es die "Brechlerinnen" oft auf eine unter ihnen abgesehen, der sie den verhängnisvollen Büschel geschickt in die Hände schmuggeln. Die so Geprellte wird dann tüchtig geneckt und ausgelacht, um so mehr, da sie sich den Bräutigam erst suchen muß. An manchen Orten wird sie nebst dem mit Ruß bestrichen und muß zur Strafe den Anderen Branntwein zahlen. Der seltsamste Brauch besteht im Zillertale. Man sucht dort der Braut heimlich ein Kränzel aus halbgebrochenem Flachs hinten an den Kittel zu hängen; dieses Kränzel heißt "das Fackel". Ist das geglückt, so geht eine um Wasser, um "das Fackel zu tränken", was darin besteht, daß sie es der Betreffenden an den Kittel oder gar unter denselben gießt. Dann wird "das Fackel abgestochen", indem man der "Brechlerin" mit dem Messer ein Loch in den Rock macht. Den Schluß bildet ein fröhlicher Tanz auf dem Hofe des Bauern. Sind aber die "Brechlerinnen" mit der Verarbeitung des vorgegebenen Flachses nicht zur bestimmten Zeit fertig geworden, so gilt dies als große Schande. Sie "kriegen dann den Fuchs", das ist: die Burschen kommen zur "Brechelgrube", schreien: "Fuchs, Fuchs!" und ahmen das Schießen nach oder schießen wohl wirklich, so daß die ganze Nachbarschaft von der Beschämung Kunde erhält.

Überhaupt geht es bei diesen Brechelgruben äußerst lustig und toll her, und das Singen, Scherzen und Gelächter einer solchen "Grummelfuhr" hört man schon auf große Weiten; sie bildet einen ganz eigentümlichen Vordergrund zu der Herbstlandschaft, die im bunten Blätterschmucke schon den hereinbrechenden Winter verkündet. Noch sei hier erwähnt, daß man in manchen Gegenden statt der "Brechelgruben" Brechel- oder Badstuben" findet, feuersichere Gewölbe, in denen ein großer Ofen steht. An der einen Wand wird auf wagrecht angebrachten Bäumen, "Bühnen" genannt, Flachs aufgelegt. Nun wird der Ofen bis zur Gluthitze geheizt, gewöhnlich nachts, und so der Flachs durch die bloße Überwärme des Raumes gedörrt. Da aber bei dieser Einrichtung dem Bauern nicht selten die Überraschung zu teil ward, am Morgen seinen Flachsvorrat samt und sonders verbrannt zu finden, ist man in neuester Zeit größtenteils zur einfachen "Brechelgrube" zurückgekehrt.

Mit dem Brecheln ist indes der Flachs noch lange nicht in Ordnung.

Die fernere Zubereitung gehört zwar allerdings nicht mehr zur Ernte, ist aber dem Tiroler Lande so eigentümlich und gibt besonders in ihrem weiteren Verlaufe durch die winterlichen Spinnstuben ein so bezeichnendes Bild des Tiroler Volkslebens, daß wir nicht umhin können, eine Schilderung derselben noch kurz anzufügen. Im Spätherbste gegen den Winter hin, wenn es draußen auf dem Felde nichts mehr zu tun gibt, wird der Flachs "geschwungen". Dabei wird im Hause oder in der "Schupfen" 4) der "Schwingstuhl" aufgestellt und der Flachs mit "Britschen", das sind hölzerne Schlagwerkzeuge von der Form einer flachen, dreizinkigen Gabel, darauf heruntergeschlagen. Durch dieses Verfahren lösen sich die sogenannten "Anschwingen" ab, rauhe Fasern, welche gesponnen und zu Strohsäcken und groben "Blachen" verarbeitet werden. Die "Grummelgräten", auch "Ogel" 5) genannt, dienen als Streu. Dann beginnt das "Aufzupfen". Man macht kleine "Tschüpfeln" (Büschel) oder "Ridelen" (kleine Flechten) und zupft rechts und links das Überflüssige herab, damit dieselben die richtige gleiche Länge bekommen und sofort gehechelt werden können. Die Hechel ist bekanntlich eine Bank, auf der in der Mitte ein Kranz von spitzen Nägeln aufgesetzt ist. Da zieht man nun die einzelnen "Tschüpfeln" durch und zwar tun dies die Weiberleute; natürlich: das Hecheln ist ihre Sache. Das geschieht zweimal. Das erstemal fällt die "Vorhechel" ab, unser Werg, das zu Hemden und Leintüchern gröberer Art verarbeitet wird. Was vom zweiten Hecheln als Abfall gewonnen wird, ist das "Leinwerch" als Stoff zu feinerer Wäsche. Das zurückgebliebene Reine ist nun der eigentliche Flachs oder "Reisten". Dieser wird vorerst aufbewahrt und dann im Winter von den Dirnen gesponnen.

Solch eine Spinnstube hat etwas Urgemütliches und Trauliches. Wenn der Abend dämmert und draußen der Schnee herabwirbelt oder der Sturm tobt und an den Dachschindeln und festverschlossenen Fensterläden rüttelt, bringen die Dirnen ihre Räder in die hübsch warm eingekentete 6) Stube und bald surrt und schnurrt es wie in einem Bienenschwarm. Nach und nach kommen auch die Burschen in den "Heimgarten", zünden sich ihre Pfeifen an und setzen sich neben die Dirnen. Anfangs spricht man ernsthaft von dem und dem, allmählich aber kommt man ins Geschichtenerzählen, Schäkern und Necken. Manchmal hat ein Bursche eine Zither bei der Hand und singt:

Du flachshaarets Dirndl,
I Hab di' so gern
Und i möcht' weg'n dein' Flachshaar
A Spinnradl wer'n.

Das Schnaderhüpfel ist auf ein hübsches blondköpfiges Dirndl gemünzt, das verstohlen hinter dem Rocken hervorschielt. Spät erst trennt sich die lustige Gesellschaft.

Das gesponnene Garn wird gesotten, dann gespult und kommt entweder so auf den Markt oder man bestellt den Weber "auf die Stör" d. h. ins Haus. Der schlägt in der Stube seinen Webstuhl auf und man hört ein paar Tage das einförmige, dumpfe Getöse des Schiffchens. Die Leinwand wird sodann ausgewaschen oder auch auf den Schnee gebreitet, damit alles Unreine, was noch daran hängt, fortgeht. Hierauf wird sie "gesfechtelt", d. h. zwei Wochen lang täglich in Lauge abgebrüht. Unterdessen ist der Winter vorbeigegangen und sie wird, sobald die Sonne stark genug ist, im April oder Mai auf die Weise zum Bleichen gebreitet. Dieses letzte Geschäft ist noch das Allermühsamste, da man sie an warmen Tagen oft alle Viertelstunden aufs neue mit Wasser begießen muß. Besonders sorgsame Hausfrauen nehmen sie von dort abermals nach Hause, "fechteln" sie noch einmal acht Tage lang durch und legen sie wieder hinaus zur Bleiche, bis sie endlich die gehörige Weiße hat.

1) Zu Bolle = Samenkapsel gehörig. Bollen heißen auch die Bälge des Schwarzplentens.

2) In manchen Gegenden, so in Vinschgau und im oberen Ötztal (Längenfeld) wird der "ausgezogene und "geriffelte" Flachs auf eine von der Witterung weniger abhängiger Weise zum "Reaßen" gebracht, indem man ihn durch eine Woche in eine Grube legt, diese mit Brettern zudeckt und Wasser hineinleitet. Nach Ablauf dieser Zeit wird er herausgenommen, um durch etwa acht Tage "gebreitet" zu werden, und kommt dann zum "brechete".

4) Die Schupf und Schupf'n = der Schuppen, Wagenremise.

5) Agel und Agen = Abfälle.

6) einkenten = einheizen, Kendspan = Kienspan; Kien = harzreiches Holz.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 166 - 175.