Das Fronleichnamsfest.

Der heilige Bluts- oder Antlaßtag, wie in Tirol das Fronleichnamsfest genannt wird, bringt schon ein paar Wochen vorher die Dorfbewohner, besonders die Jugend, in Auflegung. Was die Mädchen betrifft, so liegt ihnen vorzüglich der Putz am Herzen. Da wird das schmucke "Korsetl" probiert und dutzendmal das Halstuch herumgelegt, ob es wohl schön dazu passe, dann das weiße Musselinfürtuch sauber gewaschen, gesteift und geplättet. Die Burschen aber putzen ihre Gewehre und üben sich jeden Feierabend mit großem Eifer ein, denn die Schützenkompagnie nebst Musikbande bildet einen Glanzpunkt des "Umgangs". Deshalb hört man in stillen Abendstunden häufig musizieren; hier in der Stube probiert ein Flötenbläser allerlei mögliche und unmögliche "Passagen" für den neuen Festmarsch, während aus dem Nachbarhause energische Trompetenstöße dazwischen schmettern. Unter solchen Vorbereitungen naht endlich der Vorabend des Festes.

Um 12 Uhr mittags verkünden Böllerknall und die langgezogenen Klänge der Kirchenglocken den Feierabend. Die Feldarbeit ruht, aber die fleißigen Dirnen haben noch lange zu schaffen, bis das Innere des Hauses, sowie der Platz vor den Türen und die Gassen, welche die Prozession durchzieht, sauber gekehrt sind. Unterdessen holen die Burschen Birkenbäume aus dem Walde und pflanzen sie als Spalier zu beiden Seiten der Wege auf. Auch die Düngerhaufen werden mit grünen Zweigen zugedeckt. Während der Arbeit fliegt wohl auch mancher banger Blick zum Himmel und betrachtet die aufsteigenden Wolken, welche in ihrer Tücke das ganze schöne Fest zunichte machen können. Doch "der heilige Antonius wird schon helfen," denkt sich das kleine Lisele, das heuer zum erstenmal" "Kranz aufsetzen" darf, und betet zu obigem Heiligen nach dem Rosenkranz noch ein besonderes Vaterunser, wie sie es noch nie so inbrünstig gebetet hat.

Und siehe, ihr Vertrauen hat sie nicht getäuscht. Wie sie beim Böllerdonner, welcher den Anbruch des Festtagmorgens verkündet, die schlaftrunkenen Äuglein aufschlägt, acht [lies: lacht] sie der klare lichtblaue Frühhimmel an. Nun beginnt das "Schröckläuten". Die kleinste Glocke fängt an, dann verstummt sie, und es folgen stufenweise die größeren, bis endlich alle zusammenklingen. Dieses eigentümliche Geläute dauert wohl eine Stunde. Nach und nach wird begreiflicherweise alles wach und schlüpft aus den Betten. Die Hausgeschäfte werden flink abgetan, das Vieh versorgt und die Frühsuppe gegessen. Die Mädchen eilen in ihre Kammer, schmücken und frisieren sich trotz einer Stadtschönen; die Burschen, welche heute als Schützen ausrücken, versammeln sich allmählich in festlicher Schützentracht auf dem Kirchplatze.

Um drei Viertel auf acht Uhr läutet die Glocke "das Erste" zum feierlichen Gottesdienst und nun strömt Groß und Klein der Kirche zu, um dem Hochamte beizuwohnen. Ist dasselbe vorüber, so setzt sich die Prozession in Bewegung. Wir wollen uns zu jener Hausecke stellen, wo unterschiedliches Landvolk steht, um sich nach und nach dem Zuge anzuschließen. Der Prozession voran wird ein Kreuz getragen. Hinter demselben geht ein Knabe in gesticktem, schimmernden Kleide mit einem Stabe, der in ein Kreuz ausläuft; er soll einen Schutzengel vorstellen. Ihm folgen die Schulknaben, vom Schullehrer geführt und mit helltönenden Kinderstimmen den Rosenkranz betend. Dann kommen die ehrsamen Junggesellen um die "Bubenfahne" geschart. Vier aus ihnen tragen das Standbild des Schutzengels oder des "Guten Hirten". Ihnen schließen sich die Ehemänner an mit dem Bildnisse ihres Patrons, des heiligen Josef. In ihrer Mitte befindet sich auch oft der heilige Isidor, der besondere Schutzpatron der Landleute, aber nicht aus Holz, sondern aus Fleisch und Blut von einem Knaben dargestellt. Er tragt einen grünseidenen Hut mit breiten, aufgestülpten Krempen, einen roten Rock von feinem Tuche, erst kürzlich beim "Lunger" in Innsbruck gekauft - die Elle hat drei Gulden gekostet -, kurze Lederhosen, weiße Strümpfe mit roteingenähten Zwickeln und weitausgeschnittene Schuhe mit silbernen Schnallen. In der Rechten hält er eine Schaufel als Sinnbild des Ackerbaues. Inzwischen folgen auch die verschiedenen Zünfte und Bruderschaften mit ihren flatternden, goldverbrämten Kirchenfahnen. Jetzt aber erscheint die Krone des ganzen Zuges, nämlich die Kranzjungfrauen.

Die ersten Paare derselben sind kleine Schulmädchen, ganz weiß gekleidet, Lilienstengel oder Schäferstabe in der Hand. Der Anzug der Erwachsenen ist je nach der Taltracht sehr verschieden, aber fast überall äußerst kleidsam. Im Oberinntal z. B. ziert das breite Haargeflecht ein kleiner runder Kranz "das Krönl", mit allerlei Blümchen von Flittergold geschmückt oder auch nur aus einfachem frischen Grün gewunden. Um den Hals schlingt sich ein feiner Seidenflor von schwarzer Farbe, der vorn übers Kreuz läuft. Schneeweiße Hemdärmel mit breiten Spitzen, ein lichtfarbiges Mieder, ein mit Blumenstickerei gezielter seidener Brustfleck, der durch einen blauen im Zickzack laufenden Schnürriemen zusammengehalten wird, ein faltenreicher, violettroter Kamelotrock 1), ein schöngesticktes Fürtuch von Musselin oder Leinen, weiße Strümpfe und hübsche Schuhe vollenden den Anzug. Vier aus der anmutigen Schar tragen das Bildnis der unbefleckten Gottesmutter. Dasselbe ist meistens aus Holz geschnitzt und mit steifen, gold- und silbergestickten Gewändern angetan. Das Amt einer Trägerin gilt als große Ehre und Auszeichnung, denn nur die sittsamsten Jungfrauen werden dazu gewählt, was zugleich auch eine Aufmunterung für die Zukunft ist.

1) franz. camelot, Kümmel, ein in früherer Zeit beliebter Kleiderstoff. Vergl. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch. 2. Aufl. I Seite 1243.

Nicht minder glücklich dünkt sich jenes Mädchen, welches die heilige Notburga, eine der Hauptschutzpatrone des Landes, vorstellen darf. Ihr Kostüm ist zu hübsch, als daß wir es nicht näher besehen sollten. Das Mieder ist von rotem Seidenstoff, darüber ragen die weißen Spitzen des "Gollers"; weiter trägt sie einen gelben, blau verschnürten Brustfleck, ein rotes Röckchen, weihe Strümpfe mit rot ausgenähten Zwickeln und grünseidene Schuhe. Die blonden Zöpfe hält eine silberne Haarnadel. In der heraufgeschlagenen weißen Schürze trägt die Heilige Kuchen, Weißbrot und eine Flasche, in der rechten Hand hält sie eine Sichel und ein Bündel Ähren. An der Seite der Kranzmädchen geht auch gewöhnlich als eine Art Gardedame die bejahrte Vorsteherin des Jungfrauenbundes, welche den Ehrentitel "Abessin" (Abtissin) [lies: Äbtissin] führt.

Nach den ländlichen Schönheiten folgt, den schmetternden Festmarsch blasend, die Musikbande und eine Abteilung Schützen. Letztere bilden entschieden den zweiten Glanzpunkt des Festes, und ich wollte wirklich den frommen Jungfrauen ein verstohlenes Zurückschielen nach den schmucken stattlichen Burschen nicht allzu sehr übelnehmen. Der kleidsame Schützenhut mit der blutroten Nelke und dem Rosmarinzweig neben der kecken Spielhahnfeder, die graue Lodenjoppe, die gestickte Bauchbinde, die kurzen Hosen und die blühweißen Strümpfe an den strammen Waden stehen ungemein gut. Inmitten des Trupps stämmiger Gebirgssöhne schreitet auch ein hagerer ältlicher Junggeselle. Die zuschauenden Dirnen neben mir kichern leise und stoßen sich: "Schau doch den langen Blast mit seinen ausgestopften Waden an!" flüstert eine der andern zu.

Zu weiteren boshaften Bemerkungen ist nicht Zeit, denn schon kommt die Kirchenmusik, Sänger, Trompeten und Pauken und dahinter das "Allerheiligste", vom Herrn Pfarrer getragen, unter dem geschmückten "Traghimmel". Kleine weißgekleidete Mädchen und Ministranten mit Schellen umgeben dasselbe. Hierauf folgt wieder eine Abteilung Schützen und den Schluß macht die endlose Reihe des andächtigen Weibervolkes.

So bewegt sich die Prozession durch die Hauptgassen des Dorfes hinaus in die Felder. An geeigneten Stellen sind Altäre errichtet. Diese bestehen aus einem Holzgerüst, das mit bunten Teppichen und Heiligenbildern behangen und mit Laubgewinden, Blumensträußen und Lichtern geschmückt ist. Hier hält der Zug still, der Priester mit dem "Altarssakrament" tritt an den Altar und singt das Evangelium, auf das der Chor der Kirchensänger antwortet. Dann gibt die Klingel das Zeichen zum Segen, und die Menge sinkt in ehrfurchtvoller Stille auf die Knie. Doch kaum hat der Priester mit feierlichem et maneat semper die letzte Himmelsgegend gesegnet, so ertönt auch schon der laute Ruf des Schützenhauptmanns: "Richt-Euch!" Die Hähne knacken. "Man wird die "generalische Scharsche" machen, schlagt an, hoch! Feuer!" Ein Blitz und die Schießprügel erknattern, daß die blauen Rauchringe weithin über die grünen Kornfelder stiegen, während von ferne Böllerdonner den Festgruß zurückgibt. Die kleinen Kinder schreien, der lange Blast richtet sich seine geschundene Backe wieder ein und das Beten beginnt wieder. Pum, pum, tschin-tschin-tschin, fällt die türkische Musik ein, der Zug ordnet sich und setzt unter den Klängen des flotten Spingeser Marsches seinen Weg fort.

Es ist wirklich eine wunderliebliche poesievolle Szene, die sich dem Auge darbietet. Der lange Zug der Beter mit den bunten wehenden Fahnen und bekränzten Bildern, die blitzenden Gewehre und die malerischen Schützentrachten, die weißgekleideten Kinderscharen und die bekränzten frischrosigen Mädchenköpfe; diese ganze Staffage hineingestellt in die grünen Wiesen und reifenden Kornfelder, dahinter der dunkle Wald, und darüber der tiefblaue Sommerhimmel, in dem die Lerchen trillern, bis sie das Krachen der Völler und Gewehrsalven verscheucht, - alles dies macht auf den unbefangenen Beobachter einen ergreifenden Eindruck. Auf dem Lande hat ein solcher Bittgang um himmlischen Segen für die Feldfrüchte weit größeren Sinn als in den Städten. Die Natur steht auf dem Gipfelpunkte ihrer Entfaltung; des Landmannes ganzer Reichtum liegt außen und nicht Schloß und Riegel vermag die Gefahr abzuwehren, die mit jedem aufsteigenden Gewitterwölkchen droht, welches aus seinem Schöße den vernichtenden Hagel entladen kann. Das "a fulgure et tempestate" des Priesters ist zugleich das heiße Gebet jedes Einzelnen, während in der Stadt mehr der Pomp zur Geltung kommt.

Nach vollendetem, oft zwei Stunden langem Rundgange kommt die Prozession zum letzten Altar, der sich gewöhnlich in der Nähe der Kirche befindet. Nach gelesenem Evangelium kehrt der Priester in dieselbe zurück und erteilt dem Volke den letzten Segen, während auf dem Kirchplatze die Gewehre und Böllersalven donnern. Dann spielt die Musik noch einen Marsch und die Feierlichkeiten sind beendet. Die Menge zerstreut sich hierhin und dorthin und verliert sich teils in die Häuser des Dorfes, indes die Bewohner entfernter Höfe in malerischen Gruppen durch Wiesen und Felder ihrer Heimat zuwandern.

Nachdem man so den ganzen Vormittag bei Gottesdienst und Gebet zugebracht hat, ist es allerdings nicht mehr als billig, wenn man sich nachmittags dafür gehörig erquickt. Dies geschieht durch die Sitte des "Kranzeinweichens". Man führt nämlich die Kranzjungfrauen ins Wirtshaus und setzt ihnen da Wein, Kaffee und Braten vor. Bei den Erwachsenen tut es der Liebhaber, bei den Kleinen oder bei solchen, deren Herz von Minne noch nichts weiß, tun es die Eltern. Zur Gesellschaft gehen auch Brüder, Schwestern, Vettern, Basen etc. mit, und da die ledigen Männer ohnedies fast jeden Sonntagsnachmittag bei Trunk und Spiel verbringen, so kommt es, daß am Nachmittag des Fronleichnamsfestes die Häuser des Dorfes sämtlich leer, die Wirts-gärten und Stuben aber gedrängt voll sind. Auch die Musikbande hat sich wieder eingefunden und gibt, angefeuert vom roten Rebensaft, den ihnen die Frau Wirtin spendet, einen Hopser um den andern zum Besten, so daß es den sittigen Kranzjungfern verlockend in die Füße fährt. Aber leider schickt sich das Tanzen heute nicht; die Sitte will vielmehr, daß alles, bevor noch die Nacht einbricht, wieder zu Hause sei. Nur die fidelen Burschen und Zechbrüder halten aus, oft so lange, bis die Hähne krähen und der Morgen über die Jöcher dämmert. Am Schluß der Fronleichnamsoktave, d. i. am darauffolgenden Donnerstag, wird gewöhnlich eine Nachfeier abgehalten, welche in einer kleineren weniger festlichen Prozession besteht und für's Auge nichts sonderlich Interessantes bietet.

Desto merkwürdiger ist der "Antlaßritt" im Brixentale, der am Nachmittag des Fronleichnamsfestes stattfindet. Eine Schaar Bauern aus den Dörfern Brixen, Kirchberg und Westendorf, in ihrer Mitte der Dechant von Brixen, reiten nämlich am genannten Tage auf ihren Rennern, richtiger Ackergäulen, laut betend und singend zu einer alten Kapelle, dem sogenannten Klausenkirchlein. Dasselbe ist beiläufig eine Stunde von Kitzbühel entfernt. Dort hält der abenteuerliche Zug an, der Dechant steigt ab und liest die vier Evangelien. Hierauf kehrt die seltsame Reiterprozession auf dem gleichen Wege in ihre Heimat zurück. Über den Ursprung des Gebrauchs erzählt die Sage folgendes: Zur Zeit des dreißigjährigen Krieges bedrängten die Schweden auch das Brixental. Die Bauern, besorgt für Haus und Feld, bestiegen ihre Rosse und zogen kecken Mutes dem Feind entgegen. Wirklich gelang es ihnen, die Schweden nach einer blutigen Schlacht bei Klausenbach gänzlich in die Flucht zu schlagen und den schlimmen Feinden eine derartige Furcht einzuflößen, daß sie sich das Wiederkommen für immer gesagt sein ließen. Zum Andenken an diese glänzende Waffentat der Brixentaler erbaute man die Kapelle, über deren Portal noch die Inschrift zu lesen ist:

"Bis hieher und nicht weiter
Kamen die schwedischen Reiter."

Auch gelobte man zum Danke für die Abwendung der Kriegsgefahr alljährlich eine Prozession in obiger Weise abzuhalten, welchem Versprechen noch immer treu nachgekommen wird. Über diesen "Antlaßritt" der Brixentaler wird in den "Neuen Wanderungen in Tirol und Vorarlberg" ausführlich die Rede sein.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 107 - 114.
Frakur-OCR korrekturgelesen von Carsten Heinisch