3. Die Heuzieher.

Eine der schwersten und gefährlichsten Verrichtungen des bäuerlichen Arbeitsjahres ist die winterliche Herabholung des Bergheues. Man versteht unter letzterem das kurzgespitzte würzige Alpenheu, wegen seiner Gedeihlichkeit für das Vieh nicht umsonst "Kuhschmalz" genannt, das an den saftigen "Pleißen" (Abhängen) des Hochgebirgs sogar unmittelbar unter dem Gletscher wächst und während des Sommers oft auf lebensgefährliche Art gewonnen werden muß. Es wird an geschützten Plätzen zu großen "Tristen" (Schobern) auf ganz zweckmäßige Weise aufgeschichtet oder in luftigen Heustadeln, welche im Inntal "Pillen", in Passeier "Gaden", in Vorarlberg "Heuzimmer" heißen, den Herbst über verwahrt, um es dann im Winter in schweren "Heuburden" mit Schlitten hinabschaffen zu können. Im Sommer dasselbe zu Tal zu bringen, wäre nicht möglich, denn die Bergwiesen liegen sehr hoch und sind meist so steil, daß man schon bei der Gewinnung dieses Futters mit Strick und Steigeisen arbeiten muß. Man wartet daher den strengen Winter ab, wenn wiederholte starke Schneefälle die Unebenheiten des Bodens und die Klüfte ausgefüllt und gleichmäßiger gemacht haben.

Dieses "Heubringen" oder Ha-ziehen - Hazen (Heuziehen) ähnelt in mancher Hinsicht dem "Holzziehen" also der winterlichen Herabschaffung des Bergholzes, nur ist es noch anstrengender und gefährlicher. Die dabei Beteiligten, die "Heubringer" oder "Heuzieher, verkürzt auch "Hazer" genannt, sind die kräftigsten Bursche des Dorfes im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren. Sie werden für diese Arbeit teils entlohnt, teils tun sie es "in Wiederhilf", das heißt, in gegenseitiger Aushilfe. Dirnen werden selten hiezu verwendet, höchstens in Defereggen, wo überhaupt die Hauptlast der ländlichen Arbeit dem weiblichen Geschlechte zufällt.

Gewöhnlich gehen verabredetermaßen mehrere der Dorfbursche gleichzeitig ins "Haziehen", erstlich, weil es in Gesellschaft gemütlicher ist, und dann, weil man bei eintretender Gefahr auf Mithelfer rechnen kann. Da der Aufstieg zu den weit entlegenen Bergmähdern äußerst anstrengend ist, so machen sich die Heuzieher frühzeitig, meist schon um zehn Uhr abends oder wenigstens vor Mitternacht, auf den Weg, nachdem sie sich zuvor durch ein überreichliches Mahl von schmalzigen Nocken zum strengen Marsch gestärkt haben. Man sagt nicht umsonst: Er ißt wie ein Heuzieher.

Die Ausrüstung ist ähnlich wie beim Holzziehen. Die Bursche sind ganz in Loden gekleidet, tragen hohe Schneestiefel mit Fußeisen und eine Pelzmütze. Außer den kleinen Schlitten - gewöhnlich sind es nur sogenante "Scharpfen" oder "Schloapfen", das sind über meterlange, durch Quersprossen verbundene Kufen - hat jeder noch Stricke und "Faßzeug", sowie einen eisenbeschlagenen Stock, in Oberkärnten "Stackelstock" genannt, bei sich. Als Stärkung wird Speck und Brot nebst Branntwein mitgenommen. "Kenteln" oder "Pucheln" braucht man nur, wenn die Nacht nicht hell ist oder Schneewetter droht.

Solange der Talweg dauert, benützt man wohl auch einen bespannten größeren Schlitten, auf den man den kleineren aufladet, und der auch zur Talfahrt auf dem Rückweg dient. Beginnt aber einmal der eigentliche Anstieg, dann nimmt man den Schlitten auf die Achsel oder auch auf Achseln und Rücken, indem man die Kufen vorn durch einen Strick verbindet und mit dem Kopf durchschlieft, und steigt so den Berg hinan. Je höher man kommt, desto tiefer und "moler" (mehlartiger) wird der Schnee und desto schwerer das Gehen, so daß die Heuholer bald bis über die Lenden im trockenen Schnee waten und das Tragen der Schlitten nicht mehr möglich ist. Man läßt sie daher an einem bestimmten Platz zurück und nimmt nur das "Faßzeug" nebst Stackelstock mit. So steigt man im lockeren Geschiebe, das bei jedem Schritt nachgibt, weiter, wobei man beständig achtgeben muß, daß man nicht abrutscht und in einen Abgrund stürzt.

Doch das ist noch nicht das Schlimmste.

Der gefährlichste Feind der Heuzieher ist die "Lahn", die Lawine, und zwar vorzüglich die "Mol"-, "Staub"- oder "Windlahn" 1) die auf diesen abschüssigen Lehnen und Gräben blitzschnell losbricht und jede Vorsicht zu Schanden macht. Wehe, wenn die Heuzieher bei Überschreitung eines Grabens oder steilen Schneefeldes eine "Mollahn antreten" und diese nicht gleich mit Krach "ansitzt", sondern abfährt. Hunderte und hunderte von jungen Leuten fanden schon dadurch ihr Grab, denn gegen die entfesselte Wut einer solchen "Windlahn" gibt es keinen Schutz und kein Entrinnen. Der gewaltige Schneesturm, der sie begleitet, erstickt entweder sofort den Menschen oder hat ihn im Nu begraben oder über Felswände und Klüfte in die Tiefe geschleudert. Sind endlich die Heufahrer müde und schweißtriefend bei den Tristen oder Heupillen glücklich angelangt, so geht es an das Herausschaffen und Aufladen des Heues, und zwar sofort, weil die eisige Gletscherluft ohne Schädigung der Gesundheit kein ruhiges Verweilen gestattet. Oft treffen sie schon Angehörige heroben, welche vorausgegangen sind und das Heu für die "Fassung" vorbereitet haben. In diesem Falle werden die Ankommenden mit dem frommen Spruch gegrüßt: "G'lobt sei Jesus Christus, Heu und Heuzieher", worauf ihnen erwidert wird: "In Ewigkeit sein wir euch willkommen". Auch vor Beginn der eigentlichen Arbeit sagt man an manchen Orten, indem man ein Büschel Heu in die Luft wirft:

Da hat der Wind sein Theil,
Er lass' uns 's Andere mit Glück und Heil.

Ist die Fassung des Heues vollendet, und stehen die "Burden" zur Abfahrt bereit, so ruft man im Mölltal:

Auf und nimmer um
Haam (heim) auf'n Tenn'
Zu'n Weibern und zu'n Henn'.

Nun wird noch gegessen und Schnaps gelrunlen, dann zieht man die Fuder zum "Heuries". Diese Bahn wird gewöhnlich schon Tags vorher in der Weise gemacht, daß man mit einem kleinen Fuder abfährt und mit einer "Krücken" (Querholz) nachhilft. Die richtige Anlage des "Heurieses" ist sehr wichtig, besonders in Hinblick auf die Wendungen der Bahn. Ist es aber gut angelegt, dann sausen die Heuzieher mit ihren Bürden herab, daß es eine Freude ist.

Gelenkt und gehemmt wird nur mit den Füßen, und zwar ohne Steigeisen; letztere gebraucht man nur, wenn das Ries eisige Stellen (Eisgallen oder Plattich) hat. Auch läge die Gefahr eines Beinbruches nahe, wenn der eisenbewaffnete Fuß sich im Schneeboden einhackte. Kommt eine Wendung, so reißt der Heuzieher mit herkulischer Kraft mit dem aus dem Heufuder wie eine Deichsel herausragenden "Stackelstocke" nach rechts oder links, während entgegengesetzterseits der eingestemmte Fuß den Druck verstärkt. Ist das "Ries" sehr steil, so ist ein Überstürzen der schweren Heuburde auf den Lenker leicht möglich; er muß daher mit dem Rücken an die hinten nachdrängende Last gelehnt und mit steif vorgestreckten Beinen abfahren, damit es ihn bei steilen Stellen nicht "hineinfrißt" und erdrückt. Man hat deshalb, um ein Überschnappen des Heufuders zu verhindern, in manchen Gegenden, z. B. im Mölltale, an die Bürde rückwärts ein Seil befestigt, mittelst dessen ein sogenannter "Rückhalter" . die niedersausende Last im Gleichgewicht zu halten und zu hemmen sucht. Vor wenigen Jahren riß im Mallnitzer Tale bei einer solchen "Scharpfenfahrt" das Seil, und das windschnell niederschießende Heufuder trug den unglücklichen Lenker über das "Ries" hinaus in den Abgrund. Einen ähnlichen Fall dieser Art erzählt Franzisci in seinen interessanten "Kulturstudien über Volksleben aus Kärnten", wo ebenfalls ein Heuzieher durch die Unvorsichtigkeit des "Rückhalters" von der hohen Wallnerwand in das steinige Bett des Pasterzenwildbaches gestürzt wurde, wie ein Marterl am Weg vor Augen führt. Besser ging es einem baumstarken Lechtaler Burschen. Den warf es mit seiner "Heubürde" über eine hohe Felswand in den Dorfbach, ohne ihn zu beschädigen. Der elastische Heupolster unter seinem Gesäß war seine Rettung. Von der Schnelligkeit einer solchen Abfahrt kann man sich einen Begriff machen, wenn man bedenkt, daß, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, oft ein Weg von zwei Stunden in einer Viertelstunde zurückgelegt wird.

Kommen nun die Heufahrer bei ihren zurückgelassenen Schlitten an, so bindet man die "Bürden" auf dieselben und fährt mit ihnen, selbstverständlich noch immer mit Eilzugsgeschwindigkeit dem Tale zu. Nachmittags ist man gewöhnlich wieder im heimatlichen Dorfe, wo man sich durch riesige Portionen von Schmalzkrapfen und Brei von den Beschwerlichkeiten erholt. An manchen Orten erhält derjenige, der zuerst beim Gehöfte anlangt, einen Blumenstrauß und beim Essen den sogenannten "Spitzkrapfen", dessen ruhiger Genuß ihm allerdings durch eine Flut von Spott- und Spitzreden von Seiten seiner Kameraden etwas vergällt wird. Zum Ausruhen ist indes wenig Zeit, denn einige Stunden später beginnt bereits wieder dieselbe anstrengende und gefährliche Arbeit. Diese geht ununterbrochen fort, bis alles Heu von den Bergwiesen herabgeschafft ist. Hiebei wird auf allenfalls eintretendes schlechtes Wetter, Schneegestöber und anderes nicht Rücksicht genommen, um das gut angefahrene Heuries nicht einzubüßen.

Als Merkwürdigkeit will ich noch erwähnen, daß in manchen Alpengegenden Tirols und Steiermarks das Bergheu auch zur Sommerszeit auf Schlitten herabbefördert wird. Die starke Reibung des letzteren auf dem Grasboden verhindert das zu rasche Abgleiten. Auch im Bregenzerwald wird das Bergheu, auf Zweige gebunden, während des Sommers von den hochgelegenen Mähdern bis zu den Stadeln geschleift und erst von da aus im Winter mit Roß und Wagen auf ganz originelle Art zu Tal geführt.

1) Mol (Molt) = lockere Erde, Staub.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 268 - 272.