Lichtmeß.

Noch hält der grimmige Winter die Alpen im eisigen Bann. Riesige Schneemassen lagern im Gebirge, in den Seitentälern haben Wind und Flockengestöber haushohe Mauern aufgetürmt, sodaß manche Weiler und Einzelgehöfte wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten sind. Selbst im Haupttale ist der Boden mit einer dicken weißen Kruste überzogen. Infolgedessen ist auch Kälte um diese Zeit am größten.

Der Jänner
Ist der Holzverbrenner

und

Sebastian (20. Jänner)
Schürt den größten Block an.

So lautet der alte Bauernspruch.

Aber je näher es gegen Lichtmeß geht, wo die Kälte "hinaufzieht", desto leichter wird dem Bauer ums Herz. Der Tag, der zu Weihnachten nur um einen "Muggengamezer" 1), zu Neujahr um einen "Hahnentritt", um Dreikönig um einen "Hirschensprung" gewachsen ist, hat um Lichtmeß um eine "ganze Stund" zugenommen oder, wie eine der poetischen Spielarten heißt:

Weihnachten um an' Muggenschritt,
Neujahr um an' Hahnentritt,
Dreikönig um an' Hirschensprung,
Lichtmeß um a ganze Stund.

Die Sonne scheint zu Mittag bereits behaglich warm.

An den günstig gelegenen Hügellehnen leckt sie den Schnee weg und frißt auf den beschneiten Winterkornfeldern "apere" (offene) Flecken aus, auf die man dann, solange der Boden noch gefroren ist, das "Kunter" (Ziegen und Schafe) hintreibt, damit die Saat nicht allzu "wiech", d. h. üppig aufschieße. Gewöhnlich stellt sich auch um diese Zeit der "warme Wind" (Föhn) ein, der in einer halben Stunde mehr ausrichtet, als die Sonne im ganzen Tag. Er fegt von den Bergvorsprüngen und Felsen den Schnee stäubend in die Rünste und Schneelöcher und zehrt den winterlichen Himmel aus, daß er tiefblau wie im Sommer herableuchtet. Freilich ist diese Vorfrühlingsherrlichkeit selten von langer Dauer; bald überzieht sich die Bläue abermals mit Wolken und neues Flockengewirbel überschüttet die Gegend. Aber die Hauptmacht des Winters ist doch dahin und unter Lawinenstürzen im Tal begraben.

Dem Bauer ist das Fest Maria Lichtmeß als allererster Frühlingsanfang ein höchst bedeutungsvoller Lostag, der für die Witterung der kommenden warmen Jahreszeit sowie für das Gedeihen der Feldfrüchte entscheidet. Im Unterinntale sieht man gerne trübes Wetter, denn das Sprichwort sagt:

Am Lichtmeßtag heiter,
Trag die "Uräßen" über d' Leiter;
Am Lichtmeßtag k'hilb (trübe),
Trag die Uräßen hin, wo d' willst.

Uräßen - ein uraltes, wahrscheinlich gotisches Wort - nennt man nämlich die schlechten Heuabfalle, welche die Kühe im Barren übrig lassen. Ist es nun um Lichtmeß schön, so soll man dieselben auf den Heuboden tragen und für die nächstes Jahr drohende Heunot aufbewahren, im entgegengesetzten Fall aber möge man sie kühnlich auf den Düngerhaufen werfen, weil eine gesegnete Ernte zu erwarten ist. Auch im Hinblick auf den anbrechenden Frühling sieht man an diesem Tage die Sonne nicht gerne:

Lichtmeß im Klee,
Ostern im Schnee.

Die Etschländer glauben, daß am Morgen des Lichtmeßtages der Fuchs, Bär oder Dachs zum erstenmal aus seinem Loche krieche. Sieht er bewölkten Himmel, so bleibt er vorne, denn es kommt ein "frühes Jahr"; sieht er aber die Sonne aufgehen, so verkriecht er sich aufs neue für vierzig Tage in seine Höhle. Ganz im Gegenteile hält man in anderen Tälern hellen Sonnenschein als günstiges Vorzeichen für die Heuernte und besonders segenversprechend für den Flachsbau.

Mit dem Frühling beginnt auch das Arbeitsjahr; jeder Bauer denkt daher daran, sich mit frischen Kräften zur Besorgung der sommerlichen Feldarbeiten zu versehen. Lichtmeß ist ihm deshalb der natürlichste Zeitpunkt zur Aufnahme der Knechte und Mägde und vorzüglich in jenen Gegenden von großer Wichtigkeit, wo noch nach gutem alten Brauche der jährliche Dienstwechsel Sitte ist. Hat ein Dienstherr oder ein Dienstbote einen solchen im Sinne, so trifft er beizeiten seine Vorkehrungen. In Südtirol schließt man häufig schon am Kirchweihfeste des verflossenen Jahres den Vertrag durch den sogenannten Leutkauf, zu dessen Bestätigung der Bauer seinem neugedingten Knecht oder der Dirne einen Trunk Wein bezahlt. Im Unterinntal wird das Uebereinkommen durch die "Har", d. i. ein Darangeld von 4 - 6 Kronen abgeschlossen, welche dann vom Jahreslohne abgezogen werden. Der Dienstbote geht diesen Vertrag viel leichtsinniger ein als der Bauer, weil er weiß, daß, wenn ihn derselbe später reuen sollte, er einfach das Darangeld zurückgeben darf und damit feiner Verpflichtung ledig ist, mährend sie der Dienstgeber nur mit Einbuhe des Geldes lösen kann.

Kommt man nun am Vorabende dieses "Hauptschlenggeltages" in ein Bauernhaus, wo sich wanderlustige Knechte oder Dirnen befinden, so trifft man da eine ungewöhnliche Regsamkeit. Keiner der Scheidenden will sich von feinem Nachfolger etwas Schlimmes nachsagen lassen, sondern jeder tut sein Möglichstes, alles reinlich und in Ordnung zu hinterlassen. Der Knecht putzt den Stall oder was sonst seiner Obsorge anvertraut war; die Mägde waschen Stubenboden, Tisch und Bänke, Fenster und Milch- und Kochgeschirre. Letztere weiden behufs besserer Reinigung zum Dorfbrunnen getragen. Dort finden sich allemal ein paar "Kameradinnen", die ebenfalls morgen "schlenggeln" wollen, und nun geht der Tritschtratsch los. Bauer und Bäuerin dürften wohl selten mit dem zufrieden sein, was da verhandelt wird. Man schimpft herzhaft auf die schlechte Behandlung und Kost und tröstet sich dann mit der schönen Aussicht, daß es im neuen Dienst "viel feiner" sein werde.

Bis Mittag ist man mit der letzten Arbeit, die man im alten Dienstorte zu verrichten hat, oder, wie man im Unterinntale sich ausdrückt, mit dem "Scheidschichtmachen" fertig. Von jetzt an wird Feierabend gelassen und die nötigen Vorbereitungen für den morgigen wichtigen Tag getroffen. Diese gehen vorerst die eigene Person an, die man für diese Gelegenheit in möglichst vorteilhaftes Licht fetzen will. Die Knechte waschen sich Gesicht und Hände, was sonst nicht alle Tage vorkommt, kämmen sich die Haare und scheren sich den Bart. Noch länger haben die Dirnen vor dem Spiegel zu schaffen, bis sie endlich im Sonntagsputz dastehen. Es werden nämlich die besten Kleider angezogen, die übrigen Habseligkeiten bindet man in ein Tuch zum sogenannten "Schlenggelpack" zusammen. Derselbe bleibt vorläufig in der Kammer liegen. Zum Abendmahl gibt es zu Ehren der Austretenden die sogenannten Rearkrapfen (von rearen, rören - weinen), in Südtirol "Hußauskrapfen" genannt. Im Unterinntale wird erst am Lichtmeßfeste beim Mittagsschmaus "aussi (hinaus) geküchelt", d. h. es werden Küchel aufgetischt.

Am nächsten Vormittag sieht man das verfügbare Dienstbotenvolk im Festtagsstaat beim feierlichen Gottesdienste. Die Andacht mag wohl bei der Mehrzahl derselben nicht sehr groß sein, denn mancherlei Gefühle durchziehen die Brust: Freude und Bangen, Zorn, Verdruß, kühne Hoffnungen und auch Schmerz, wenn ein Bursche oder eine Dirne weit fort in ein anderes Tal muß und der Schatz zurückbleibt. Desto mehr lassen sich Hausvater und Hausmutter das Beten angelegen sein.

Zu der kirchlichen Feier des Lichtmeßtages gehört nämlich auch die Wachs- und Kerzenweihe, und eine solche mit himmlischem Segen begabte Kerze ist für Haus und Familie von großer Bedeutung. Sie brennt fast bei jedem wichtigen Ereignis, so bei der Kindstaufe, beim "Aufsegnen" der Wöchnerin, beim Versehgang, am Sterbebette und beim Begräbnis. Naht ein Hochgewitter, so entzündet man die geweihte Flamme und hofft dadurch Abwendung der Gefahr. Fromme Leute lassen sie auch jeden Samstag während des Rosenkranzes zu Ehren der Muttergottes brennen. Zum Behufe der Weihe ist in der Kirche ein Tisch hergerichtet, auf welchen jeder der Anwesenden seine Kerze oder feinen Wachsstock legt. Danach ist an vielen Orten Prozession, wobei man entweder bloß in der Kirche oder auch außen um dieselbe herumgeht und Geistlichkeit und Volk die geweihten Kerzen tragen. Der Gottesdienst dauert infolge dieser Zeremonien ziemlich lange, so daß, wenn die Kirchengänger nach Hause kommen, auch allsogleich die Stunde zum Mittagessen schlägt.

Nach demselben wird es mit dem Abschied ernst. Der Bauer holt seine große, rote Brieftasche aus der Kammer, setzt sich mit gewichtiger Miene hinter den Stubentisch und zahlt den Knechten und Mägden ihren Lohn aus. Dabei gibt es nicht selten heftigen Wortwechsel, da beide Teile dem Gelüste nicht widerstehen können, sich ihre gegenseitigen Klagen und Beschuldigungen "zu guterletzt" noch recht tüchtig unter die Nase zu reiben. Im allgemeinen aber verhüllt man die gegenseitige Unzufriedenheit unter ein paar herkömmlichen bäuerlichen Redensarten und scheidet in Frieden. "B'hüt' Gott, nichts für ungut," sagt der austretende Knecht, schwingt feinen Schlenggelpack über die Achsel und macht sich auf die Wanderschaft. Im Oberinntal ist es Sitte, daß befreundete Knechte und Burschen ihn begleiten und ihm den Pack bis zum neuen Bestimmungsorte tragen. Die lebenslustigen Unterinntaler gehen vor allem ins Wirtshaus und vergnügen sich dort mit ihren Kameraden bei Wein und Kartenspiel bis in die Nacht hinein. Für den Rest der Nacht sucht sich jeder einen Unterstand bei Verwandten oder Bekannten, wo er auch seinen Schlenggelpack einstellt. Denn die Gelegenheit, sich ein paar Tage frei zu machen, ist zu verlockend, als daß man sie nicht benutzen sollte.

Die Dirnen machen es meist ebenso. Für sie hat die Wanderschaft noch einen besonderen Reiz. Sie bestellen sich nämlich ihren "Bua" als Packträger. An einer bestimmten Stelle unweit des Hauses erwartet sie dieser mit einem Rückkorb oder Handschlitten, übernimmt den Pack, macht vorerst einen kräftigen Zug aus der Schnapsflasche, die ihm das Mädchen anbietet, und trabt dann gemütlich plaudernd neben seiner Geliebten her. Selbstverständlich wird bei jedem Wirtshause eingekehrt und die Schnapsflasche neu gefüllt. Man braucht dieselbe nicht nur zu eigener Stärkung, sondern auch, um sich beim sogenannten "Wegversperren" loszukaufen. Es ist nämlich ein Hauptjux der Burschen, einem solchen Paar mit einer schnell ausgerissenen Zaunlatte oder auch bloß mit den ausgestreckten Armen in den Weg zu treten und die Beiden so lange nicht weiter zu lassen, bis die Dirne die Schnapsflasche aus dem Sacke zieht und sich so von der unliebsamen Sperre und den boshaften Witzen und Bemerkungen loskauft. Endlich gelangt man ans Ziel, sei es der neue Bestimmungsort der Dirne oder nur ein zeitweiliger Aufenthalt, und trennt sich nach einem zärtlichen Abschied.

Am meisten begünstigt der Talgebrauch die Dienstboten der Umgegend Merans. Dort dauern ihre Ferien eine ganze Woche oder noch länger. Der eigentliche "Schlenggeltag"" ist daselbst nämlich nicht Lichtmeß, sondern St. Agatha (5. Februar), aber nur dem Namen nach, denn in Wirklichkeit geht dieses Ereignis erst am folgenden "Truhentag" vor sich. Lichtmeß ist also ohnedies Festtag, dann kommt der Blasiustag, wo jeder fromme Hausvater Knechte und Mägde "einblasigen" läßt 2); auf diesen folgt der "Flickwerktag", wo die Dienstboten ihre Kleider flicken, um nichts Zerrissenes in den neuen Dienstort mitzubringen. St. Agatha ist wieder ein Bauernfeiertag und am "Truhentag" wird gewandert. Fällt aber Agatha auf einen Sonntag, so wird der Truhentag auf den nächsten Samstag verschoben und die Knechte und Mägde haben die ganze folgende Woche Freizeit. Truhentag heißt der genannte Tag deswegen, weil die Habseligkeiten nicht in einem Bündel, sondern in einer Truhe, und zwar durch Pferd oder Ochsen und Wagen weiter befördert werden. Das gibt eine allgemeine große Schlittenfahrt; kreuz und quer sieht man Fuhrwerke fahren, hinter jedem Schlitten aber folgt in weißer Schürze und Hemdärmeln die Magd, die von Zeit zu Zeit ihrem Kutscher - dem Knechte des neuen Dienstherrn - mit einer Flasche "Kerscheler" Gesundheit zutrinkt. Daneben wirft sie wohl auch einen Seitenblick auf ihre in anständiger Größe prangende "Truhe", auf welche ein paar Kittel auswendig hinaufgebunden sind als prahlerische Aufschrift: "Mein G'wand hat da drinnen nicht alles Platz."

1) Das Gähnen einer Mücke, von gamezen - gähnen.

2) Es besteht darin, daß der Priester dem vor ihm Knieenden zwei Kerzen kreuzweise unter das Kinn hält. Dadurch hofft man gegen Halsweh gefeit zu sein.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 3 - 9.