Dr. Ludwig von Hörmann †

Von Dr. Hans Nagele, Bregenz. 1924.

1. Hörmanns Leben

Ludwig von Hörmann
Dr. Ludwig von Hörmann

Am 14. Feber 1924 ist in Innsbruck Dr. Ludwig von Hörmann, einer der bedeutendsten Kulturhistoriker der deutschen Alpenländer, im 87. Lebensjahre gestorben. Der Nestor der tirolisch-vorarlbergischen Schriftsteller konnte zufrieden und stolz auf sein Leben und Schaffen zurückblicken. Mit bewunderungswürdigem Fleiße hat er das gute Alte des tirolischen Volkslebens, das zum Teil schon verlorengegangen ist oder vom Untergange bedroht wird, in seinen wertvollen Schriften hinübergerettet in die Zukunft. Je mehr die alten Sitten und Bräuche in Verlust geraten, um so wertvoller werden die Bücher Hörmanns werden.

Ludwig von Hörmann ist am 12. Oktober 1837 zu Feldkirch in Vorarlberg als Sohn eines österreichischen Finanzbeamten geboren. Er erblickte im gleichen Jahre wie Heinrich Hansjakob, mit dem er manches gemeinsam hatte, das Licht der Welt. Das Geschlecht der Hörmann, das sich früher Hermann schrieb, stammt aus dem Breisgau. Wie der Alemanne Hansjakob hatte auch Hörmann ein scharfes Auge für das Leben und die Sitten des Volkes und wie Hansjakob, war auch Hörmann bis ins hohe Alter ein rüstiger Wanderer. Hörmanns Leben nahm den schlichten Verlauf eines deutschen Gelehrtendaseins. Er studierte zuerst am Gymnasium zu Feldkirch und nach der Übersiedlung der Eltern am Gymnasium zu Innsbruck. An der Innsbrucker Universität widmete er sich dem Rechtsstudium, später der klassischen und deutschen Philologie. Im Schuljahr 1863/64 wirkte er als Supplent am Innsbrucker Gymnasium. 1865 vermählte er sich mit der bedeutendsten Dichterin Tirols, mit der Tochter Angelika des Universitätsprofessors Dr. Matthias Geiger. 1866 ergriff er die Laufbahn eines Bibliotheksbeamten. Im Jahre 1872 wurde er Skriptor in Klagenfurt und 1873 in Graz; nach vier Jahren rückte er zum Kustos auf und 1877 kam er an die Universitätsbibliothek zu Innsbruck, deren Direktor er von 1882 an war. Bei der 1889 vorgenommenen Überprüfung der Universitätsbibliothek hat Hörmann auch die Wiegendrucke genau untersucht und dabei eine Anzahl von Bruchstücken alter Handschriften gefunden, die als Falze am Rücken und auf den Deckeln der Einbände verwendet worden waren. Hörmann löste die Stücke sorgsam ab und übergab die altdeutschen seinem Freunde Schönbach in Graz zur Bearbeitung, der sie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichte. 1902 trat Hörmann als Regierungsrat in den Ruhestand. Wiederholt war ihm die Anerkennung für seine langjährige und verdienstvolle Amtswirksamkeit sowohl vom akademischen Senate, als auch von der Regierung kundgegeben worden. Hörmann lebte in glücklichster Ehe; sein Sohn Walter wirkt als Professor des Kirchenrechts an der Innsbrucker Universität, eine Tochter war mit einem Mittelschuldirektor in Innsbruck vermählt und seine Tochter Hildegunde pflegte in rührender Liebe ihren betagten Vater. Still und ruhig sind die Tage und Jahre Hörmanns dahingegangen. Es war ihm das Glück beschieden, 1915 mit seiner geliebten Angelika das Fest der Goldenen Hochzeit feiern zu können. Erst in den letzten Jahren wurde er von schweren Schicksalsschlägen betroffen. Am 7. März 1919 starb zu Innsbruck Hermann Sander, der verdiente vorarlbergische Geschichtsforscher, der langjährige treue Freund Hörmann. Was Hörmann mit dem Tode dieses Freundes verlor, kann nur derjenige ermessen, der einen ähnlichen Verlust erlitten hat. Auch mehrere Jahre nach dem Tode Sanders hatte Hörmann dessen Verlust noch nicht verwunden. Nicht ganz zwei Jahre später wurde Hörmann von einem zweiten, für sein Alter doppelt schweren Schlag heimgesucht; er verlor am 23. Feber 1921 seine treue Lebensgefährtin nach einer fast 56jährigen Ehe. Nur unermüdliche Arbeit hätte dem Gelehrten über diese schweren Schicksalschläge hinweghelfen können; da traf ihn noch das weitere Unglück, daß sein Augenlicht immer schwächer wurde, so daß Hörmann schließlich jede schriftstellerische Tätigkeit aufgeben mußte. Es ist ewig schade, daß Hörmann keine Geschichte seines Lebens geschrieben hat. Als ich ihn einmal bat, mir von seinem Leben zu erzählen, erklärte er, daß auch sein Entwicklungsgang wie der manches anderen strebenden Menschen nicht immer eben war und es manches Irrens und mancher Püsse von seiten des Schicksals und der lieben Mitwelt bedürfte, bis er festen Boden gewonnen hatte. Wenn man bedenkt, daß Hörmann um zwei Jahre älter war als Anzengruber, der zu den nachklassischen deutschen Dramatikern gerechnet wird, wenn man weiß, daß er fünf Jahre älter war als Rosegger und zwei Jahre älter als Franz Michael Felder, der Bauerndichter des Bregenzerwaldes, dessen 50. Todestag schon in das Jahr 1919 fiel, ergibt sich ohne weiteres, daß Hörmanns Erinnerungen über 70 Jahre zurückreichten. Er gehörte zu den Zeitgenossen Ludwig Steubs und Adolf Pichlers. Seine Erinnerungen gingen zurück bis in das Sturmjahr 1848. Gerade über die ersten Mannesjahre Hörmanns, über den Verlauf der bewegten Zeit von 1860-1880 und über die Vorgänge in Tirol und Vorarlberg in diesen beiden Jahrzehnten, ist wenig Geschriebenes und Gedrucktes vorhanden. In seinen Studentenjahren wurde der Kampf um die Staatsgrundgesetze und um das Reichsvolksschulgesetz ausgefochten. Während seiner Wanderjahre in den Hauptstädten der österreichischen Alpenländer wurde das Deutsche Reich errichtet; sowohl Deutschland als auch die österreichisch-ungarische Monarchie nahmen in der Folge einen erfreulichen wirtschaftlichen Aufschwung.


2. Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten Hörmanns

Die zahlreichen Werke Hörmanns beginnen 1864 mit den "Mythologischen Aufzeichnungen"; diesen folgten die "Untersuchungen über die Homerische Frage" (1867) und die "Mythologischen Beiträge aus Welschtirol" (1870). In der erstgenannten Schrift wandte sich Hörmann gegen die Behauptung Lachmanns, daß der erste Gesang der Ilias aus drei ursprünglich nicht zusammengehörenden Teilen bestehe. Fachleute haben die Darlegungen Hörmanns anerkannt und sein richtiges Gefühl für die Gesetze dichterischen Schaffens hervorgehoben.

In den beiden Sagenbildern aus Tirol "Die Salig-Fräulein und Nörgelen" [auf SAGEN.at im Volltext verfügbar!] will Hörmann mithelfen, den deutschen Sagenschatz Tirols zu heben. Wie er betont, dürfte es kaum einen Fleck deutscher Erde geben, der einen größeren Sagenreichtum besäße als Tirol. Nicht nur, daß sich der größte Teil der deutschen Stammsagen in Tirol wiederfindet, es haben sich hier manche Sagen viel reiner und ungetrübter erhalten als anderswo, da die verflachenden und verwischenden Kulturwellen noch im letzten Jahrhundert Tirol weniger berührt hatten als andere deutsche Gaue. Hörmann schildert die saligen Fräulein als wunderschöne Jungfrauen mit weißen, blendenden Gewändern, blauen Augen und flachsgelben Haaren, von unbeschreiblicher Anmut und Holdseligkeit des Ausdruckes. Einen komischen Gegensatz zu diesen anmutigen Gestalten bildet das neckische Völklein der Wichtelen oder Nörgelen, steinalten Männlein mit dicken Wackelbäuchen, großem Kopfe und schmierigen Schnüffelnasen. Diese beiden Sagen, die sich durch die Mannigfaltigkeit und Ausgeprägtheit der einzelnen Züge auszeichnen, werden von Hörmann zu einem anmutigen und frischen Gesamtbilde zusammengefaßt.

Zu den streng wissenschaftlichen Arbeiten Hörmanns gehört auch sein Erklärungsversuch des althochdeutschen Gedichtes "Der Heber gat in litun" (Innsbruck, Wagner 1873). Das Gedicht steht in der berühmten Rhetorik des St. Galler Mönches Notker. Hörmann erblickte darin alte Reime, die ein agrarisches Jagdspiel oder ein damit zusammenhängendes Kinderspiel begleiteten. Der kleinen Schrift sind tirolische Ackerbestellungs- und Erntegebräuche angehängt. Mit diesen hat sich der Forscher später nochmals in seinem Aufsatze "Das Sautreiben, ein Erklärungsversuch dieses Kinderspiels" in den "Beiträgen zur Anthropologie Tirols" (1894) befaßt.


3. Hörmanns Tätigkeit als Sammler

Wichtiger als diese rein gelehrten Werke sind die Ergebnisse der Sammeltätigkeit Hörmanns. Schon als Gymnasiast befaßte sich Hörmann, durch die Arbeiten Ignaz Zingerles angeregt, mit der Volkskunde. Wie der Wert statistischer Werke von der größeren oder geringeren Nichtigkeit der zugrunde liegenden statistischen Tabellen oder bei Geschichtswerken von der Echtheit der benutzten Quellen abhängt, so richtet sich auch die Bedeutung von wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiete der Volkskunde nach der Verläßlichkeit der Quellen, zu denen außer den überkommenen Denkmälern nicht zum mindesten die Aufzeichnungen mündlicher Überlieferung, also die Sammlungen von Sagen, Märchen, Aberglauben, Sitten und Gebräuchen, Volksliedern, Sprichwörtern, Kinderspielen usw. gehören. Durch zu geringe Vorsicht, durch allzugroße Leichtgläubigkeit beim Sammeln, durch Mißverständnisse, bewußte und unbewußte Fälschung ist auf diesem Gebiete viel gesündigt worden und manche Beiträge zur Volkskunde sind sogar in wissenschaftliche Zeitschriften und Bücher gelangt, die bei einer gründlichen Überprüfung nicht als stichhaltig angesehen werden können. Hörmann hat jahrzehntelang mit überaus glücklicher Hand gesammelt. Er ist mit seinem Notizbuch in jeden Winkel Tirols und Vorarlbergs eingedrungen und hat nicht nur sinnend und gedankenvoll die Landschaft betrachtet, er ist seinen Landsleuten und Volksgenossen allezeit als überaus geschickter Forscher gegenübergetreten. Was gerade dem Städter so schwer gelingt, aus dem verschlossenen Bergbewohner etwas herauszuholen, diese Kunst hat Hörmann wie kaum ein anderer verstanden. Nachdem er einmal seinen Wirkungskreis in der tirolischen Hauptstadt gefunden hatte, beschränkte er seine Forschertätigkeit ausschließlich auf Tirol und Vorarlberg. Er befolgte den Grundsatz, den Wilhelm Heinrich Riehl in seinem Wanderbuche ausspricht: "Vier Wochen Vorbereitung auf vierzehn Tage Wanderschaft ist nicht zuviel." Hörmann kannte die Geschichte und Kultur Tirols und Vorarlbergs, er sah mehr als der gewohnliche Wandersmann und hörte auch mehr als dieser, denn er besaß die seltene Kunst, zu fragen, von den Leuten auf "verstohlene" Art Dinge zu erfahren, die diese nicht für mitteilenswert halten, unter der Hand das Wichtigste zu erhaschen, weil er teilweise schon im voraus wußte, was er erfahren wollte.

Von 1889 bis 1905 gab Hörmann drei Sammlungen "Grabschriften und Marterlen" heraus, die bei Cotta in Stuttgart in mehreren Auflagen erschienen sind. Diese Grabschriften sind wertvolle Äußerungen des Volkslebens. Sie spiegeln in großer Mannigfaltigkeit und abwechselnder Gestaltung die Anschauungs-, Denk-und Fühlweise der Menschen innerhalb eines großen Zeitraumes und werden so für den Sprach- und Sittenforscher zu einer Fundgrube bei der Beurteilung des Volkscharakters. Gerade die Alpen sind reich an derartigen Denkmalen, so daß es eine dankenswerte Aufgabe war, sie zu sammeln, sie übersichtlich zusammenzustellen und den Alpenfreunden zu überreichen. Die Grabschriften auf den Dorffriedhöfen Tirols und Vorarlbergs behandeln in allen denkbaren Spielarten das Kapitel von Tod und Ewigkeit, den Schmerz über den Verlust teurer Angehörigen und die Hoffnung auf ein Wiedersehn. Manche dieser Verse sind, wie Hörmann hervorhob, von einer Tiefe und Innigkeit, wie man es auf solchen Dorffriedhöfen gar nicht erwarten möchte. Nicht selten kommt eine derart ursprüngliche Auffassung und kindliche Naivität zum Durchbruch, daß man unwillkürlich lachen muß. Das Volk spricht eben, wie es denkt und nennt das Kind beim rechten Namen. Was bei ihm ungeschminkte Ausdrucksweise ist, darf keineswegs als Gemütsroheit bezeichnet werden. Auch die Inschriften auf Votivtafeln, Bildstöckeln und Feldkreuzen sind manchmal bemerkenswert. Unter Marterl versteht man eine kleine Tafel, die zum Andenken an einen Unglücksfall errichtet wurde und gewöhnlich mit haarsträubendem Bild und Text den traurigen Fall darstellt. Diese Marterln sind sehr zahlreich, denn die Alpenbewohner sind vielfachen Gefahren ausgesetzt. Manche sind als Beiträge zum Kapitel unfreiwilliger Komik sogar in kulturgeschichtliche Werke übergegangen. Die Rechtschreibung, die in den Marterln oft sonderbare Blüten treibt, ließ Hörmann stets unangetastet. Die von Hörmann in den Alpen zuerst aufgegriffene Sammeltätigkeit und Veröffentlichung der Grabschriften und Marterten hat eine ganze Literatur über diesen Gegenstand ins Leben gerufen, häufig wurden die kleinen Büchlein nur als Unterhaltungslektüre aufgefaßt und ihr tiefer ethischer Inhalt nicht berücksichtigt. Nebenbei bemerkt sind wohl noch selten Bücher derart "ausgestohlen" worden, wie diese von Hörmann mühsam auf Weg und Steg zusammengeholten und diplomatisch genau aufgezeichneten Inschriften.

Als junges wanderndes Studentlein las Hörmann an einer Fuhrmannsherberge der Brennerstraße folgenden Spruch:

"Ich leb', weiß nicht wie lang,
Ich sterb' und weiß nicht wann.
Ich fahr, weiß nicht wohin.
Mich wundert, daß ich so fröhlich bin."

Seit dieser Zeit gingen ihm die Hausinschriften nicht mehr aus dem Kopfe und er machte sich mit wahrem Feuereifer an ihre Sammlung. Nach und nach brachte er eine ganz stattliche Anzahl zusammen, nicht nur aus Tirol und Vorarlberg, sondern auch aus Kärnten, Steiermark, Salzburg und Bayern, wohin immer der Wanderfuß Hörmann trug. Die Inschriften sind in mancher Gegend ziemlich zahlreich, sie befinden sich an der Vorderseite des Hauses, entweder über der Tür oder zwischen den Fenstern. Die Form der Sprüche ist fast durchgehends poetisch. Auch diese Sprüche sind für die Volkskunde wichtig. Sie handeln vom Bauen, von den Nothelfern des Volkes bei Pest, Feuer, Hunger, Krieg und ähnlichen Gefahren, sie bringen Lebensregeln und Lebensweisheit, heiter sind meist die Wirtshaussprüche. Die "Haussprüche aus den Alpen" erschienen zuerst bei A. G. Liebeskind in Leipzig und später bei Cotta in Stuttgart.

Manche dieser Haussprüche, die Jahrhunderte alt sind, passen auf unsere Tage, als ob sie eigens für diese verfaßt wären. So wurde schon in alten Zeiten über die Zunahme der Schlechtigkeit der Menschen geklagt. Aus dem 15. Jahrhundert wird folgender Spruch aus Wasserburg angeführt:

"Der Jurist mit sei'm Buch,
Der Iud mit sei'm Gesuch,
Und was unter der Frauen Fürtuch,
Dieselben drei Gschir,
Machen die ganze Welt irr."

Diesen Spruch beleuchtet ein altes Bild in Fresko, das links einen Juristen mit dem Buch, Talar und Barett, rechts einen Juden und in der Mitte eine Frauengestalt mit halbentblößter Brust zeigt. Gleichsam als Mahnung für unsere Zeit sei ein alter Spruch aus den Lauben in Meran angeführt:

"Die Redlichkeit ist aus der Welt gereist,
Die Aufrichtigkeit ist schlafen gangen.
Die Frömmigkeit hat sich versteckt.
Die Gerechtigkeit kann den Weg nimmer finden.
Der Helfer ist nicht mehr zu Haus,
Die Liebe liegt krank.
Die Guttätigkeit sitzt im Arrest,
Der Glaube ist so ziemlich erloschen,
Künste und Tugend gehen betteln.
Die Wahrheit ist schon lange begraben.
Schwüre werden leicht gebrochen,
Und die Treue nicht mehr geachtet.
Der Kredit ist närrisch geworden,
Und das Gewissen hängt an der Wand.
Nur die Geduld überwindet alles."

So predigt der schlichte Sinn dieser Haussprüche untrüglich Wahrheit, und die Weisheit, die sie lehren, wird nimmermehr veralten.

Auch in den "Volkstümlichen Sprichwörtern und Redensarten aus den Alpenlanden", die Hörmann gesammelt und 1893 herausgegeben hat, brachte er größtenteils Neues, bisher Unveröffentlichtes. Auch diese Sprichwörter und Redensarten bilden einen wertvollen Schlüssel zur Kenntnis des Denkens und Fühlens des Volkes, nur daß diese bei den Sprichwörtern viel reiner und unvermittelter zutage treten, als bei den Grabschriften, Marterlen und Haussprüchen. Während die Denksprüche meist nur die Denkweise des Verfassers zum Ausdruck bringen, geben die Sprichwörter allseits anerkannte Erfahrungssätze und Lebenswahrheiten. Sie sind, wie Hörmann mit Recht hervorhebt, zugleich auch der nichtkodifizierte Sittenspiegel des Volkes, nach dem es lebt und handelt, auch wenn er nur zu oft von der kirchlichen und staatlichen Satzung abweicht. Während im übrigen Deutschland durch die größere Gleichförmigkeit der Lebensverhältnisse sowie durch den regeren Verkehr sich nach und-nach ein ziemlich gleichförmiger, einheitlicher Sprichwörterschatz herausgebildet hat, finden sich in den Alpenländern infolge der großen Abgeschlossenheit der Täler die Sprichwörter noch auf gewisse Verbreitungsgebiete beschränkt, ja es gibt Sprichwörter, die nur in bestimmten Tälern vorkommen. Da die alpinen Volksstämme nicht so vermischt wurden wie die andern, kommt das Stammsprichwort zur vollen Geltung und wird so noch mehr zum Spiegel des Volkscharakters. Es hat z.B. der Vorarlberger und der alemannische Oberinntaler andere Sprichwörter als der bajuwarische Unterinntaler; das Kleine Walsertal scheidet sich bezüglich der Sprichwörter vollständig von seiner Nachbarschaft und bekundet in ihnen seine schweizerische Heimat. Es ist selbstverständlich, daß sich unter den Sprichwörtern auch manche finden, die für zarte Ohren ungeeignet sind. In dem Büchlein begegnet man Sprichwörtern über Religion und Recht, über Lebensart und Lebensweisheit, über körperliche und geistige Vorzüge und Gebrechen, über Lebensalter und Geschlecht, über Liebe, Ehe und Verwandtschaft, über Kinder und Kindererziehung, über Lebensverhältnisse und Stände, Wirtschaft und Erwerb, Nahrung und Gesundheit, Krankheit und Tod.

Zu den wichtigsten Veröffentlichungen Hörmanns aus dem Gebiete dichterischer Volkskunst gehören seine "Schnadarhüpfeln aus den Alpen" (Innsbruck, Wagner 1881). Sie bringen die schönsten und bezeichnendsten Schnadarhüpfeln der österreichischen Alpenländer und der Schweiz in einer Form, die ihr Verständnis auch dem mit den Mundarten der Alpenländer nicht genug Vertrauten ermöglicht. Auch diese Liedchen hat Hörmann zum größten Teil selbst gesammelt. Der Stegreifgesang, dessen sich das Volk zum Ausdruck aller nur denkbaren heitern und ernsten Vorgänge, Gemütsstimmungen und Lebensanschauungen bedient, spiegelt die Lebens- und Liebeslust der Bergbewohner treu und unmittelbar. Selbstverständlich liefert das Verhältnis der Geschlechter zueinander den Hauptstoff für diese Liedgattung. Mit viel Verständnis hat Hörmann die Sammlung seiner Schnadarhüpfeln ausgewählt und uns damit ein Buch geschenkt, das in jeder Familienbücherei ein Plätzchen finden darf; er hat aber auch die derben und urwüchsigen dieser Liedchen nicht ganz verschmäht; nur Prüderie wird ihm deshalb einen Vorwurf machen. Auch bei diesem Buch ist die wohlgeordnete Sichtung hervorzuheben. Das Bändchen zerfällt in die Abschnitte: Bueb'n und Diendl'n, Liebesleben, Fensterl'n, Almen- und Jägerleben, Wirtshaus und Tanz, Spott- und Rauflust, Bauernphilosophie und Volkshumor. Obwohl bei dieser Sammlung das Hauptgewicht auf den Text gelegt wurde, hat Hörmann doch einige der bekanntesten und beliebtesten Melodien den Schnadarhüpfeln angefügt.

Wie der Sammlung der Schnadarhüpfeln sieht man auch der von Hörmann besorgten Ausgabe der "Gedichte in Tiroler Dialekten" Karls von Lutterotti die große Arbeit nicht an, die darin steckt. Wie in den erwähnten Sammlungen die richtige Auswahl wohl überdacht und die Anordnung der einzelnen Liedchen sorgfältig überlegt ist, so ist auch in Hörmanns Lutterotti jedes Wort überprüft worden. Die 1877 erschienene zweite Ausgabe der Gedichte Lutterottis war längst vergriffen, als Hörmann die Herausgabe der dritten Auflage übernahm, die 1896 im Verlag der Wagnerschen Universitätsbuchhandlung zu Innsbruck erschienen ist. Lutterottis Gedichte in den verschiedenen tirolischen Mundarten sind nicht nur für den Forscher des tirolischen Volkslebens von Bedeutung. Wie Franz Kranewitter im Oktober 1922 in den "Innsbrucker Nachrichten" ausführte, ist "Lutterotti nicht ein, sondern er ist der Dialektdichter Tirols par excellence in dem alle sprachlichen Verschiedenheiten lebendig geworden sind und der sie beherrscht wie die Apostel am Feste der feurigen Jungen, am Pfingsttag. Ihm ist Tirol wie eine große Orgel, die er nach Laune in allen Registern erklingen läßt." Für die Herausgabe der Gedichte Lutterottis war Hörmann wohl als Kenner der verschiedenen Dialekte besonders berufen. Der Ausgabe ist ein Lebensabriß Karls von Lutterotti, der am 16. Febsr 1793 zu Bozen geboren und am 20. Juli 1872 zu Imst gestorben ist, beigegeben.

Hörmanns Sammeleifer zur alpenländischen Volkskunde hat viele Anerkennnung gefunden. Schon vor Jahrzehnten erklärte Anton Zingerle, daß Hörmann unstreitig der fruchtbarste und am weitesten ausgreifende Forscher über Land und Leute in Tirol ist. Und Josef Anton Steurer schrieb in einer kurzen Würdigung des 75 jährigen Hörmann, nachdem er dessen Leben und Schaffen kurz geschildert hatte: "Bei Ludwig von Hörmann gibt es auch noch ein anderes Leben, und um dies ganz zu beschreiben, brauchte es mehr. Ich müßte von unwegsamen Pfaden in den verborgensten und heimlichsten Tälern des Landes reden, die ein eifriger Forscher um oft nur eine kleine Ernte gegangen ist. Ich müßte alle Berge und alle Tiefen ausgehen, fast in jeder Almhütte müßte ich nach dem alten Professor fragen, der hier nach Schnadarhüpfeln, Sprüchen, Marterln, Haussprüchen und Bräuchen suchte. Ich müßte alle die Wege gehen, die der fleißige Forscher gegangen ist und müßte alles das fragen und auf mich nehmen, was er getan. Dann könnte ich dies Leben, das schaffende, Dr. Hörmanns halbwegs erschöpfend wiedergeben. So bleibt mir hier nur das Skizzieren in Schlagworten."


4. Die volkskundlichen Werke Hörmanns

Schon früh zog sich Hörmann von dem durchackerten philologischen Arbeitsfelde zurück, um sich ganz der fruchtbareren und wichtigeren Rettungsarbeit auf volkskundlichem Gebiete zuzuwenden. Als erste seiner Studien über das Volk der Alpen erschien 1877 das Buch "Tiroler Volkstypen" (Wien, Gerold). Obwohl wir es hier mit einem der besten Werke des Forschers zu tun haben, hat es bis heute keine zweite Auflage erlebt. An dieser Tatsache dürfte allerdings der Verleger Gerold ein gut Teil Schuld tragen. Auch in den "Tiroler Volkstypen" steckt viel Mühe und Arbeit. Sie sind die Frucht zwanzigjährigen Studiums der Heimat Hörmanns. Die meisten der geschilderten Typen sind in diesem Werke zum ersten Male eingehend bearbeitet. Andere wieder, die so gerne als Dorfgeschichtenfiguren verwendet werden, treten, ihrer novellistischen Maske schonungslos entkleidet, dafür aber im wahren Kleide der Ursprünglichkeit vor das Auge des Lesers. Statt der trockenen Wiedergabe des Stoffes hat Hörmann es vorgezogen, abgerundete und lebensvolle Gestalten und Schilderungen hinzustellen; dabei hat er besonderen Wert darauf gelegt, der Wirklichkeit treu zu bleiben, damit sein Buch auch für den Kulturhistoriker eine verläßliche Fundgrube sei. Man merkt es den Volkstypen an, daß sie auf eigener Anschauung beruhen und teilweise miterlebt sind. Hörmann schildert die Wilderer, die Holzleute, Trifter und Flößer, die Schwärzer und Fuhrleute, die Montafoner Krautschneider, die Schwabenlandkinder, die Ameisenhexen, die Granatler, die Imster Vogelhändler, die Zillertaler Handschuhhändler und zahlreiche andere Gestalten der tirolischen Bergwelt, die teilweise schon längere Zeit ausgestorben sind.

Hörmanns 1899 bei Wagner in Innsbruck erschienenes Buch "Das Tiroler Bauernjahr", das zugleich die zweite vermehrte Ausgabe der "Jahreszeiten in den Alpen" darstellt, ist im Buchhandel seit langer Zeit vergriffen. Eduard Richter hat dieses Werk als bestes Buch seiner Art und besonders für die Einführung in dis Alpenkunde geeignet erklärt. Friedrich Ratzel, der bewährte Meister auf dem Gebiete der Volkskunde, hat von Hörmanns "Bauernjahr" ebenfalls mit hoher Anerkennung gesprochen. In diesem Buche erhält der Leser zum erstenmal ein stoffgesättigtes und übersichtliches Bild der alpinen Bauernarbeit. Von der Mannigfaltigkeit, die hinsichtlich der bäuerlichen Verrichtungen nicht nur in verschiedenen Tälern, sondern nicht selten sogar im gleichen Tale herrscht, haben die außerhalb der Alpenwelt lebenden Volksgenossen nur selten einen richtigen Begriff. Hörmanns "Tiroler Bauernjahr" kann am ehesten mit dem ausgezeichneten Werke "Die deutsche Arbeit" von Wilhelm Heinrich Riehl verglichen werden. Auch an diesem Werke sind die deutschen Leser vorübergegangen, denn es hat nur wenige Auflagen erlebt. In seinem Buche sagt Riehl: "Jedes Volk arbeitet nach seiner Art. Der Geist, womit es die Arbeit anfaßt, der Blick, mit dem es das Wesen der Arbeit erkennt, das Maß, nach welchem es Fleiß, Talent und Erfolg wertet, sind Urkunden seiner tiefsten Charakterzüge. Die Seele des Volkes springt aus seiner Idee der Arbeit hervor wie aus seiner Praxis der Arbeit. Darum kann man ebensogut Volkskunde im Erforschen der Volksarbeit studieren, wie die Lehre und Geschichte der Arbeit in der Volkskunde neue und reiche Quellen suchen muß." Riehl hat in seinem Buch das Hohelied der deutschen Arbeit schön und überzeugend geschrieben. Hörmann hat die sittliche Hoheit der deutschen Arbeitsidee im Tiroler Volke lebendig vor die Seele gestellt. Wie Riehl sah auch Hörmann das Ziel der deutschen Arbeit nicht darin, daß wir das reichste Volk werden, sondern darin, daß wir am größten von der Arbeit denken und durch alle Volksschichten in freiester Sittlichkeit arbeitsgewaltig ringen nach diesem Ideal. Hörmanns "Tiroler Bauernjahr" ist die beste Einführung in die Kenntnis des alpinen Volkslebens.

Schon in der Vorrede zu seinen "Tiroler Volkstypen" im Jahre 1877 gab Hörmann das Versprechen, das Volksleben ganz Tirols zu behandeln. Der 1893 erschienene Band "Tirol und Vorarlberg" des umfangreichen Werkes "Die österreichischungarische Monarchie in Wort und Bild" enthielt Hörmanns "Volksleben der Deutschen in Tirol". Was Hörmann auf den 59 Seiten zusammengefaßt hat, ist einfach erstaunlich; er schildert den tirolischen Volkscharakter, den ernsten und rauhen Oberinntaler, den gemütlichen und biederen Unterinntaler, den klugen Vinschger, den erwerbssinnigen Pustertaler, den bedächtigen Burggräfler. Er beschreibt die Besiedlung, die Ortsanlagen und Wohnungen, die gegenwärtige Gestalt der Tiroler Dörfer, das Tiroler Bauernhaus und alle seine Räumlichkeiten, die Feld- und Hausarbeit, die Bauernhochzeit, die Gebräuche bei den kirchlichen Festen, das Schützenleben. Den Schluß der Arbeit bildet eine Besprechung des Bauerntheaters, dessen Blütezeit bereits der Vergangenheit angehört.

Und wieder 1899 sagte Hörmann, sein umfangreiches "Volksleben in Tirol" sei zum Druck vorbereitet. Trotzdem dauerte es noch weitere 10 Jahre, bis der Forscher mit der schwierigen Ausarbeitung des angesammelten Stoffes zu Ende kam. 1909 erschien das "Tiroler Volksleben" bei Bonz & Comp. in Stuttgart als die rundeste und geschlossenste Arbeit, die Hörmann in feinem arbeitsreichen Leben vollendet hat.

Im Jahre 1846 gab der damalige Kronprinz Maximilian von Bayern dem Dichter und Schriftsteller J. F. Lentner den Auftrag, des Bayerlandes Volkstum gleichsam zu inventarisieren. Alles, was sich in Städten und Dörfern, in allen Ortschaften zu Berg und Tal noch an altem deutschem Herkommen finden ließe, sollte der Sammler aufzeichnen, zusammentragen, vergleichen und auslegen. Lieder und Sagen, Volksmeinungen und Bauernregeln, Glauben und Aberglauben, Gebräuche im Winter und Sommer, bei Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen, ältere und neuere Trachten, auch die Arten des Haus- und Feldbaues, kurz das ganze Tun und Lassen sollte zusammengesucht und geschildert werden. Lentner ging mit großer Freude an das Werk, zu dem er alle Anlagen mitbrachte, aber ehe er seine Aufgabe vollenden konnte, starb er 1852 in Meran. Was Lentner für sein bayerisches Heimatland erstrebt hat, das ist von Ludwig von Hörmann für Tirol bis ins kleinste ausgeführt worden.

Der Niedergang des Volkslebens, der sich seit der Mitte des letzten Jahrhunderts durch das Eindringen der neuzeitlichen Zivilisation in die vorher abgeschlossenen Täler Tirols mit unheimlicher Geschwindigkeit vollzog, eiferte Hörmann schon früh zur Sammlung von Sitten und Gebräuchen sowie anderer Erscheinungen des Volkslebens an. Daneben fesselte ihn immer mehr eine bedrohte Seite desselben, die sich dem Auge des Fernerstehenden meist entzieht, deshalb aber nicht minder wichtig und bemerkenswert ist, nämlich das Alltagsleben des Gebirgsbauern, wie es sich im Wechsel der Altersstufen, der Tages- und Jahreszeiten innerhalb und außerhalb des Hauses zwischen Leid und Freud, Arbeit und Erholung, Mühsal und Genuß gleichförmig abspinnt. Dieser breite, derbkräftige Untergrund des Alltagslebens, von dem sich die Sitten und Bräuche wie bunte Blumen von fruchtbarer Erdscholle abheben und es ergänzen, bedeutet eine Welt für sich, so urwüchsig, vielgestaltig und poesiereich, daß es sich wohl verlohnte, dieses Vollbild für die Mit- und Nachwelt festzuhalten, ehe es von der neuen Zeit weggeschwemmt oder wenigstens verflacht und umgestaltet war. Es war hoch an der Zeit, daß dieses Werk geschrieben wurde und es ist ein besonders glücklicher Umstand, daß Ludwig von Hörmann es geschrieben hat. Wir haben in ihm eine seltene Vereinigung verschiedener Persönlichkeiten; er ist ein Dichter, wenn auch seine Gedichte noch nie gesammelt erschienen sind; er ist ein Forscher, der in die Tiefe seines Gegenstandes eindringt, ein Gelehrter, der dem Gegenstand, den er behandelt, von ganzem Herzen zugetan ist. Seinem scharfen und geübten Forscherblick entgeht nichts, was für Land und Leute kennzeichnend ist. Nach dem Tode Steubs gab es wohl keinen Schriftsteller, der die beiden Alpenländer Tirol und Vorarlberg so oft und oft durchstreift hat wie Hörmann, keinen, der das Geschaute in einem so ruhigen, angenehmen und leicht lesbaren Stil und mit so liebevollem Verständnis zu schildern verstand wie der Direktor der Innsbrucker Universitätsbibliothek.

Welche Summe von Arbeit im "Tiroler Volksleben" Hörmanns steckt, davon wird sich wohl kaum ein Leser eine richtige Vorstellung machen können. Mehr als fünfzig Jahre war Hörmann mit dem Sammeln des Stoffes beschäftigt und wohl manchmal mag er gezweifelt haben, ob er mit seiner Arbeit je fertig werde. Bei der großen Fülle des Stoffes und bei der Verschiedenheit der Sitten, Bräuche und Lebensgewohnheiten in den einzelnen Tälern mußte sich Hörmann, wenn die ohnehin satten Bilder nicht verworren werden sollten, überaus knapp fassen. Dennoch zählt das Buch über 500 Seiten. Es zerfällt in drei Teile. Ein anderer hätte wohl drei Bände daraus gemacht. Der erste Teil behandelt das bäuerliche Fest- und Arbeitsjahr, der zweite das Familienleben, der dritte Teil einzelne Gestalten und Bilder aus dem Dorfleben. Daß Hörmann eine innige Liebe zum Tiroler Volksleben veranlaßte, dieses Buch zu schreiben, spürt man aus jeder Zeile. Wieviel Mal besser man nach dem Lesen dieses Werkes Tirol und die Tiroler versteht, läßt sich kaum sagen. Dabei nennt Hörmann sein "Tiroler Volksleben" bescheiden einen Beitrag zur deutschen Volks- und Sittenkunde. Wir können Hörmann nicht genug danken, daß er wenigstens im Buche noch gerettet hat, was zu retten war, daß er soviel Schönes und Poesievolles vor der gänzlichen Vergessenheit bewahrt und den künftigen Geschlechtern übermittelt hat.

Das Werk hat begreiflicherweise eine begeisterte Aufnahme gefunden. Karl von Thaler schrieb darüber in der "Neuen Freien Presse": "Man mag das Buch aufschlagen, wo man will, so ist es interessant; über welche Seite des Lebens in den Tiroler Bergen man sich unterrichten will, man findet die gewünschte Auskunft. Jedem, dem deutsches Volkstum am Herzen liegt, bietet das wertvolle Werk Hörmanns gleichzeitig Belehrung und gediegene Unterhaltung." Der Tiroler Geschichtsforscher Josef Zösmair nannte das Buch in den "Innsbrucker Nachrichten" ein prächtiges Geschenk für viele, die am urwüchsigen, unverfälscht und wahrheitsgetreu dargestellten Tiroler Volksleben, in das auch vielfach das vorarlbergische einbezogen ist, Gefallen finden. "Hörmanns Buch ist nicht nur ein Volksbuch im besten Sinne des Wortes, sondern auch eine Fundgrube für den gelehrten Forscher, der oft nur in Eile etwas Bestimmtes nachschlagen möchte. Möge die erste Auflage möglichst bald vergriffen sein." Albert von Trentini widmete dem "Tiroler Volksleben" Hörmanns ein Loblied in der Wiener "Zeit": "Das ist ein prächtiges Buch, eine kostbare Gabe. Jeder Tiroler, der es liest, muß Ludwig von Hörmann die Hand drücken und jeder Nichttiroler, der es liest, wird kaum weniger Freude daran haben. Es steht ja daraus etwas auf, wonach sich auch der eingefleischteste Modegeist und Großstädter und Sensationsfreund sehnt - etwas, wonach wir immer mehr Sehnsucht bekommen, je mehr und je endgültiger es verschwindet -, die Natur eines Volkes. Das Buch hat drei Teile: das Fest- und Arbeitsjahr, das Familienleben und Szenen aus dem Dorfleben. Und in welchem Teile man immer blättert, es ist überall lebendig, es ist nicht Papier, nicht Schriftstellerei, nicht Trachtenmuseum und nicht Ausstellung für Fremde - es ist Tirol, wie es lebte. Ja, wie es lebte - leider! Wenn es nur noch so lebte! Manches, vieles, - Ludwig von Hörmann kennt ja jeden Fleck und alte Gedenkmänner und Zeugen im Volke, und wenn er sagt: Das und jenes ist nicht so, es wird noch getan und getrieben, so darf man Gott sei Dank! es ihm glauben - aber das ganze Ineinandergreifen von Tag und Sitte und Nacht und Sitte und Jahreszeit und Sitte und Geburt und Heirat und Tod und Sitte, dies Räderwerk, in dem jeder Zahn eine eigene Bedeutung, einen versteckten Sinn und einen hübschen Spruch hatte, das ist wohl endgültig dahin. Und das ist die Wehmut, die das Buch wachweckt. Um so mehr freilich muß man dankbar sein, daß Hörmann all dies Wunderschöne, viel zu früh Verstorbene aus dem Grabe geholt hat, aus dem Grabe, darüber heute eine ganz andere Zeit rast. Es steht wieder auf; wenn man davon liest, prickelt es einem: Sehen möchte ich es, dabei sein möchte ich. Mir hat es der Großvater erzählt oder eine alte Amme; als Kind habe ich davor gezittert, als Junger es überall gesucht - nun finde ich es! Vielleicht läßt es sich erhalten, noch einmal einimpfen - es muß noch zu retten, es muß noch da sein! Es überkommt einen ein seltsam patriarchalisches Gefühl, wenn man dies Buch liest; wo immer man es liest, es steigen plötzlich tausend handelnde, natürliche Menschen in die Wiesen, in die Dörfer, in die Weiden, in den Wald, in die Berge. Es läutet, es pfeift, es schwegelt und singt. Und ein Gefühl, daß in dem Lande eine herrliche Kraft lebt - in versteckten Tälern noch ganz unberührt und ungeschwächt, und daß es einen gibt, der sie belauscht, behütet und mit ihr zu reden weiß! Wirklich, lieber als den besten Fremdenführer gebt jedem Reisenden, der Tirol durchwandert, dies Buch. Es steht vom Romantischen und von den verschiedenen Panoramen und von den guten Hotels und so weiter nichts drin, - aber von dem eine ganze Wucht, was den Reisenden dazu bringen könnte, pietätvoll durch das Land zu wallfahrten. Und unseren Kindern werden wir es erst recht geben: jedem in unverwüstlichem Deckel!"

Hörmanns "Tiroler Volksleben" ist ein Werk, das niemals überholt werden oder veralten kann. Es wird von Jahr zu Jahr wertvoller und unentbehrlicher; erst unsere Enkel werden es ganz zu würdigen verstehen, welch unerschöpfliche Fundgrube für das Volksleben und welch klassischen Schatz sie in diesem Buche besitzen. Es ist ein prächtiges und kostbares Buch geworden, ein Werk, das jede deutsche Familie erwerben sollte, das jeder, der einmal in Tirol war oder dorthin will, lesen soll. Der "Allgemeine Tiroler Anzeiger" schrieb 1912 über die Bedeutung Hörmanns: "Was er um die Erforschung des Tiroler Volkslebens getan, das kann nur der annähernd ermessen, der sein ,Tiroler Volksleben' gelesen und studiert hat. In diesem Buche allein liegt der stolzeste Wert, gelebt zu haben, aufgespeichert. Wohl sagen die rotgebundenen Bücher den Fremden und Suchenden, wo ein Wasser sich seinen Weg zum Tal ausfraß und wo man in Natureinsamkeiten die Sünde eines Judenhotels begangen hat. Aber zum Volke führen diese Bücher nicht, der Weg zum Volke geht abseits und einsam. Mühe fordert er und Ausdauer, offene Augen und Liebe. Die andern, die dies alles nicht haben, werden diesen Weg und das Volk nicht erreichen. Hörmann aber hat es vermocht und darum wird ihm auch die Nachwelt seinen Namen vom Vergessen retten. Er hat keine Mühe gescheut und die Ausdauer erhalten, die offenen Augen hat er von Gott mit in die Welt bekommen und hat dem Volke seine Liebe und Begeisterung entgegengebracht. Darum waren aber seine Wege auch gesegnet, und gingen zu reichen Ernten, nach denen gut und schön ruhen ist."


5. Hörmanns Wanderbücher

Wenn man die in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts erschienenen Bände von Amptors "Alpenfreund", einer längst eingegangenen Zeitschrift, durchblättert, findet man darin viele Aufsätze, Skizzen und Abhandlungen aus Ludwig von Hörmanns Feder, Schilderungen aus den Tälern und Bergen Tirols und Vorarlbergs. Schon damals, als noch lange keine Bahn durch den Arlberg fuhr, hatte er die beiden Länder nach allen Richtungen durchwandert, Hörmann war kein Bergsteiger, der es darauf abgesehen hatte, zahlreiche der höchsten Gipfel zu erstürmen. Das war in jener Zeit nicht so leicht wie heute, da es ja nur wenige Schutzhütten gab. Immerhin hat er manchen Aussichtsberg erstiegen.

Im Verlag der Gebrüder Kröner in Stuttgart ist das Prachtwerk "Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg" erschienen, geschildert von Ludwig von Hörmann, Hermann von Schmid, Ludwig Steub, Karl von Seyffertitz, Ignaz Zingerle, illustriert von Franz Defregger, Alois Gabel, Adolf Obermüller, Franz von Pausinger, Richard Püttner, Matthias Schmid, Gottfried Seelos, Josef Wopfner u. a. Von den zehn Abschnitten des großen Werkes entfallen nicht weniger als fünf, rund zwei Drittel des Umfanges, auf Ludwig von Hörmann. Er führt uns durch Innsbruck und seine Umgebung, allerdings zu einer Zeit, da die Hauptstadt Tirols erst 17 000 Einwohner zählte; er geleitet uns durch das Oberinntal, durch Zirl und die Scharnitz, durch Telfs und Außerfern, durch Silz und das Ötztal, er führt uns das Leben auf der Hochalm vor, schildert dann Imst und Landeck, Ladis und Finstermünz. Die Fahrt auf der Brennerbahn gibt Hörmann Gelegenheit, Betrachtungen über den Wandel und Wechsel der Zeiten im Verkehr über den Brenner anzustellen; nach einem Abstecher ins Stubai wandern wir mit ihm durch Matrei und Steinach auf den Brenner und weiter nach Gossensaß und Sterzing, Franzensfeste und Brixen, nach Klausen und zur Vogelweide, ins Grödnertal und auf die Seiser Alpe, nach Bozen und ins Eggental. Wir gelangen ins Pustertal, das Hörmann als das Interessanteste der südtirolischen Täler bezeichnet, in seine Hauptorte und Seitentäler, die Hörmann aus seinen zahlreichen Wanderungen genau so kennt wie alle übrigen Winkel Tirols. Bruneck und Taufers, Enneberg und Buchenstein, Toblach und das Ampezzanertal, Innichen und das Sextental, Lienz, das Isel-, Virgen- und Tauerntal, den Großvenediger, alle diese Ortschaften, Täler und Berge führt uns Hörmann in seinem Tiroler Wanderbuche in trefflich geschriebenen Bildern vor Augen.

Zur Eröffnung der Arlbergbahn erschien 1884 in der Bücherreihe "Europäische Wanderbilder" bei Orell-Füßli in Zürich das Bündchen "Durch den Arlberg". Wie die Bücher Steubs fanden auch die landschaftlichen Schilderungen Hörmanns nur wenig Beachtung. Einer Anregung des Landesverbandes für Fremdenverkehr in Vorarlberg verdanken die 1895 erschienenen "Wanderungen in Vorarlberg" ihre Entstehung. Sie wollen weder ein Reisehandbuch noch eine erschöpfende Landeskunde sein, sie haben nur den Zweck, den Leser auf die seltenen landschaftlichen Schönheiten Vorarlbergs durch die Beschreibung der wichtigsten Teile des Landes aufmerksam zu machen und zum Besuche einzuladen. Die Wanderungen Hörmanns erschienen 1895, ein halbes Jahrhundert nach Ludwig Steubs klassischen "Drei Sommern in Tirol". 1901 konnte Hörmann eine zweite, vermehrte Auflage der "Wanderungen in Vorarlberg" herausgeben. Die erste Ausgabe brachte 11, die zweite 23 abgerundete Schilderungen. Später hat Hörmann seine vorarlbergischen Schildereien um weitere vermehrt, so daß eine dritte Auflage über 30 Landschaftsbilder enthalten würde. Der Bregenzerwälder Karl Zacharias Lecher, der Herausgeber der Wiener "Presse", schrieb in einer Besprechung der "Wanderungen", daß das Vorarlberger Ländchen für die Innerösterreicher erst nach dem Durchbruch des großen Tunnels entdeckt wurde. Vordem war Vorarlberg an der Donau und an der Mur kaum besser bekannt als eine der abgelegenen Grenzprovinzen der alten Donaumonarchie. Ludwig von Hörmann war es, der in seinen "Wanderungen" den Lesern erzählte, daß am Bodensee und Rhein auf österreichischem Boden ein Stück Schweiz liege, mit all den eigenartigen Schönheiten einer schweizerischen Landschaft, ein gottbegnadeter Fleck Erde, der seinesgleichen nur am Züricher- und am Genfer See hat. Nach dem Urteile Dr. Heins im "Allgemeinen Literaturblatt" lesen sich Hörmanns "Wanderungen" wie anmutige und stimmungsvolle Erzählungen, "in welchen der Leser die herrlichen Eindrücke der schönen Alpenwelt mitgenießt, in welchen er Leid und Freud mit dem wandernden Verfasser teilt, der halb Poet und halb Gelehrter, stets die richtige Mitte zu halten weiß, um den Leser in die Schönheiten der Natur einzuführen, ihn aber auch mit den eigenartigen Völkerverhältnissen in diesem kleinen Lande vertraut zu machen. Ohne daß der Leser recht weiß, wie es geschehen ist, erhält er einen vollen Einblick in die geschichtliche Entwicklung des Volkslebens, in die geographischen Verhältnisse des Ländchens und auch in das industrielle Getriebe, das sich im breiten Rheintal und im Illtal eingenistet hat. Nicht bloß dem Volke, auch der Natur zollt Hörmann seine Beachtung und warmes Empfinden. Eine prächtige Schilderung dieser Art bietet der Abschnitt über das Gamperdonatal, in welchem Hörmann seine Überschreitung des verschneiten Sareiser Joches beschreibt. Lustig und humorvoll ist die Negenwanderung über Zürs nach Lech und Schröcken erzählt, und nur mit einem Gefühle herzlichen Bedauerns begleiten wir zum Schlüsse den Verfasser über Sibratsgfäll ins Kleine Walsertal. Dann müssen wir mit aufrichtiger Dankbarkeit für die genußreiche Führung Abschied vom lieben Verfasser nehmen, der ein außerordentlich feiner Beobachter der Natur ist." Welcher Wertschätzung Hörmanns "Wanderungen" sich in manchen Kreisen erfreuten, ist aus der Tatsache zu ersehen, daß der preußische Minister von Vosse, der jahrelang zu den Sommergästen in Schruns gehörte, einmal nach Innsbruck kam, um Ludwig von Hörmann eigens aufzusuchen und ihm Dank und Anerkennung für sein Buch auszusprechen.

1897 faßte Hörmann seine "Wanderungen in Tirol" zu einem Bande zusammen, der in der Wagnerschen Universitätsbuchhandlung erschienen ist. Er hat darin absichtlich größtenteils solche Gebiete geschildert, die von anderen Schriftstellern, wie Steub, Noe, Zingerle, weniger berücksichtigt wurden. Auch die "Wanderungen in Tirol" von Ludwig von Hörmann gehören zum Besten und Wertvollsten, was über Tirol geschrieben wurde. Wer die Absicht hat, Wanderungen in Tirol und Vorarlberg auszuführen, der wird am besten tun, sich der Führung Ludwigs von Hörmann anzuvertrauen und den Pfaden zu folgen, die er schildert. Er führt uns in den Niederungen durch stattliche Dörfer, an üppig bestandenen Obstbaumwäldern und an wohlgepflegten Rebgärten vorbei und steigt mit uns durch Klausen neben den Burgtrümmern auf den beherrschenden Felskuppen empor in die Wiesengelände der Hochtäler und auf die saftigen Alpenmatten, wo die Pracht der Gletscherwelt uns nähertritt und gelegentlich immer wieder ein weiter Ausblick sich öffnet. Wie anregend Hörmann zu schildern versteht, wie anmutig er erzählt, wie er volkskundliche und kulturgeschichtliche Betrachtungen einzuflechten weiß, ohne auch nur einmal lehrhaft zu werden, wie liebenswürdig sein frischer Humor all das belebt und verbindet, das empfindet jeder Leser und das hebt seine Wanderbücher über die meisten Werke ähnlicher Art hoch empor.

In den "Mitteilungen des D. u, Ö. Alpenvereins" befaßte sich vor einigen Jahren ein alter, erfahrener Bergsteiger mit dem Thema "Alpinismus und alpine Literatur". Er führte aus, daß Steubs Schriften sachlich und literarisch hoch über dem Gros der heutigen Abhandlungen stehen und fährt dann fort: "Man blättre die Zeitschriften des Alpenvereins durch - Bände darf man zur Hand nehmen, bis man Herzerfreuendes findet, wie das zum Beispiel Ludwigs von Hörmann anspruchsloser und doch an Empfindung und Erfahrung so reicher Aufsatz ist "Über Damüls ins Laternsertal" in den Mitteilungen 1907. Das ist einfach und echt; darauf paßt Friedrich Theodor Vischers Wort:

"Trunknes Wiegen
Bleibe mir ferne.
Ohne zu fliegen
Find' ich die Sterne."

Wilhelm Heinrich Riehl hat einmal die Arbeit des Wanderns und Forschens mit dem Beruf eines Kavallerietrompeters verglichen. "Der Mann muß ein Virtuos im Reiten und zugleich im Blasen sein. Es gibt Volksforscher, die blasen vortrefflich, können aber das Reiten nicht vertragen; das sind die Stubengelehrten; es gibt andere, die reiten prächtig über Berg und Tal, haben aber das Blasen schlecht gelernt und kommen im Galoppieren aus dem Ton und Takt: das sind die Touristen." In Ludwig von Hörmann vereinigte sich beides in glücklichster Weise. Er war ein kunstgeübter Wanderer, ein Gelehrter mit einem reichen Schulsack voll Wissen und nie erlahmender Spannkraft, ein rastloser Beobachter. Jede seiner Schilderungen hat dauernden Wert, denn Hörmann verstand es, seine unmittelbaren Eindrücke durch einen geschichtlichen Hintergrund, durch kulturhistorische Ausblicke und durch seine Persönlichkeit Sinn, Vertiefung und Einheit zu geben. Die Wanderbücher sind, obwohl in Prosa geschrieben, durch und durch voll Poesie.

Franz Kranewitter, der bekannte Tiroler Dramatiker, hat den Alpenwanderer Hörmann in den folgenden Sätzen trefflich gekennzeichnet: "Als Schilderer der sogenannten toten Natur weiß er die Seele der Gegend zu erfassen wie wenige. In vollem Pleinair ziehen Wald und Feld, Gebirge und Ebene an uns vorüber und erzählen uns ihre tiefsten Geheimnisse. Von der tiefen Melancholie, die sie beim Herannahen des Winters erfaßt und von der hellen, jauchzenden Freude des Vorsommers, wenn tausend Blumenglöcklein das junge Glück des sprossenden Lebens verkünden, Bienen summen, Käfer schwirren und bunte Falter gaukeln über den Rain, der unter dem Kusse der Sonne erglüht wie die Wange eines jungen Mädchens unter dem Kusse des Bräutigams. Er erzählt von Licht und Farbe, von den Stimmen des Waldes und dem Rauschen der Wipfel, von dem Harfen einsamer Felsschluchten und dem seltsamen Locken waldverborgener Seen, so daß es uns völlig traumhaft zumute wird wie vor einem Böcklinschen Bilde. Innen- und Außenwelt, Menschenseele und Natur haben sich da auf das innigste vermählt, sind zu einer Schöpfung zusammengeflossen, die so heimelig und doch wieder so glanzvoll ist, daß der, welcher sie einmal genossen, voll davon ist bis ans Ende. Von Herzen kommt es und zum Herzen geht es; und wer eine Schilderung, wie die des Gnadenwaldes gelesen, wird mit der Liebe zu Hörmann in allen Stürmen des Lebens ein Fleckchen Frühling sein eigen nennen. Hier gibt er sich mehr als in seinen Gedichten als wahrhafter Poet voller Wärme des Gefühls und mit einer klingenden Seele."


6. Die übrigen Arbeiten Hörmanns

Auch die zahlreichen kleineren Arbeiten Hörmanns sind bedeutungsvoll. Hieher gehören vor allem seine in der Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins erschienenen Abhandlungen: "Über die Vorarlberger Volkstrachten", "Über die Wetterhexen und die Wetterfrauen in den Alpen", "Über den tirolisch-vorarlbergischen Weinbau" und besonders die Abhandlung "Über den tirolischen Volkscharakter."

Die Tracht ist in Tirol und Vorarlberg im Absterben begriffen. Die Zeiten, in denen man die ganze Bekleidung einschließlich der Beschuhung aus selbst erzeugtem oder gewonnenem Stoffe durch Gevatter Schneider und Schuster im Haus auf der "Stör" anfertigen ließ, sind vorüber. Der Bauer kauft sich seine Kleiderstoffe oder auch den fertigen Anzug häufig in der Stadt und die Frauen schaffen sich billige städtische Stoffe an, so daß viele Trachten nur noch bei besonderen Anlässen getragen werden, andere aber ganz verschwunden sind. Da die Trachten in Vorarlberg nur mehr im Bregenzerwald, im Walsertal und im Montafon sich erhalten haben und ihre Erhaltung durch verschiedene Umstände auch in diesen Gegenden in Frage gestellt ist, war es an der Zeit, den kommenden Geschlechtern zu übermitteln, wie unser Volk gekleidet war, bevor seine eigenartige Kleidung den Errungenschaften der neuesten Zeit zum Opfer gefallen war. Der 36. und 37. Band der Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins brachte Hörmanns Skizze über den tirolisch-vorarlbergischen Weinbau. Hörmann hat darin zum erstenmal eine zusammenhängende und genaue Besprechung der ganzen Art und des Verlaufes der Bearbeitung der Rebe, sowie der Gewinnung und Behandlung der Traube gegeben. Die Abhandlung ist auch für den leicht verständlich und lesenswert, der den Weinbau nicht aus eigener Ausübung kennt. Der Weinbau ist in Vorarlberg stark zurückgegangen, nur in Röthis haben sich die Weingärten teilweise erhalten, über kurz oder lang dürfte der vorarlbergische Weinbau ganz der Vergangenheit angehören.

Eine außerordentlich inhaltsreiche Volks- und sittengeschichtliche Arbeit ist Hörmanns Abhandlung über den tirolischen Volkscharakter in der Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins 1901. Wie Hörmann darlegt, kann man streng genommen von einem tirolischen Volkscharakter ebensowenig sprechen als von einem tirolischen Bauernhause, einer tirolischen Tracht, einer tirolischen Mundart. Dazu fehlt die Einheitlichkeit des Stammes, die die Grundlage jedes Volkscharakters bildet. In Tirol sind drei Stämme, der bajuwarische oder bayerische, der schwäbisch-alemannische und der romanisch-italienische vertreten. Unbefangenen Blickes führt uns Hörmann von Tal zu Tal, um die Eigenart der Bevölkerung zu schildern. Auch diese Arbeit Hörmanns besteht fast nur auf eigener Beobachtung und auf langjährigem vertrautem Umgang mit dem Volke. Hörmann kommt zum Schlüsse, daß der Tiroler im Durchschnitt ein gut angelegter Charakter ist, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hat und den jeder lieb gewinnen wird, der in der rauhen Schale den guten Kern zu finden weiß.

Im Leben des Alpenbewohners spielen neben den "geistlichen Nothelfern" und "Feld- und Viehpatronen" auch die Wetterheiligen eine wichtige Rolle. Erkrankt ein Stück Vieh, so geht der Bauer, je nachdem es ein Pferd oder ein Rind oder ein Schwein ist, zum heiligen Leonhard, Stephan, Wendelin oder Antonius. Hat jemand Zahnweh, so hilft die heilige Apollonia, bei Halsweh der heilige Blasius, kurz für jede Not hat er seinen Spezialheiligen. Anders ist es mit den Wetterheiligen bestellt; diesen steht der Gebirgsbewohner nicht so vertraut gegenüber, er nennt sie deshalb auch nur die Wetterherren und Wetterfrauen. An der Person und am Kult dieser Wetterherren klebt viel mystisches Beiwerk, das bei der Einführung der christlichen Lehre aus dem germanischen Heidentum mit herübergenommen wurde. Nach ihrer Betätigung teilte sie Hörmann ein in vier Klassen. Die erste betrifft den Reif, die zweite Gewitter und Hagelschlag, die dritte den Regen und die vierte Wind und Sturm. Da sind vor allem die drei Eismänner Pankratius, Servatius und Bonifatius. Wichtige Wetterheilige sind Johannes, Peter und Paul und Oswald. Zu den Wetterherren und Wetterfrauen des Regens gehören die Heiligen Medardus, Margarete und Magdalena. Unbewußt ist das Leben unseres Volkes noch heute durch hundert und hundert Fäden mit dem Glauben und den Anschauungen dsr heidnischen Vorfahren verknüpft. Wie zahlreich und innig diese Beziehungen sind, das zeigt Hörmann in seiner schönen Arbeit über die Wetterherren und Wetterfrauen in den Alpen.

Mehrere Bücher hat Hörmann für den Druck bereitgestellt. Druckreif liegen vor ein Band Bauern- und Wetterregeln, ein Band seiner gesammelten Kriegslieder und ein Band geistliche Lieder. Die kleinen Schriften und gesammelten Aufsätze Hörmanns würden zwei Bände füllen. Die vier Bändchen der Marterlen sind vergriffen, die Sammlung der Haussprüche ist im Laufe der Jahrzehnte so umfangreich geworden, daß sie zwei Bände füllen. Es ist zu wünschen, daß die Werke Hörmanns bald in einer geeigneten Ausgabe erscheinen. Gerade seit dem Ende des Krieges haben die alpinen Vereine trotz der schweren wirtschaftlichen Verhältnisse einen großen Aufschwung genommen. Die Zahl der Mitglieder des D. u. Ö. Alpenvereins ist in kurzer Zeit von 70 000 auf mehr als 200 000 gestiegen. Es wäre eine schöne Aufgabe für einen tüchtigen Verleger, die gesammelten Werke Hörmanns in den Buchhandel zu bringen. Von den Hunderttausenden, die jährlich in den Alpen Erholung suchen, haben verhältnismäßig viele das Bedürfnis, sich auch mit dem alpinen Schrifttum zu befassen. Es ist anzunehmen, daß den Werken Hörmanns heute ein Erfolg beschieden sein müßte, denn aus ihnen weht dem Leser die gleiche frische und gesunde Alpenluft entgegen wie aus den Tälern Tirols und Vorarlbergs. Wer diese Länder kennenlernen will und nicht in der Lage ist, sie zu besuchen, der tut am besten, wenn er Hörmanns Bücher liest.

Das Lebenswerk Hörmanns zeugt für den unermüdlichen Fleiß dieses Forschers, Gelehrten und Dichters. Was ihn vor allem auszeichnet, das ist die unbedingte Verläßlichkeit als Schilderer des Tiroler Bauernlebens. Jedes seiner vielen Bücher ist das klare Spiegelbild des ganzen Volkes ohne Beschönigung, aber auch ohne Nörgelei. Wohl der beste Kenner des Volkslebens der Alpen, das er mehr als 60 Jahre lang mit liebevoller Sorgfalt studiert hat, bietet Hörmann in allen seinen Arbeiten Quellenwerke ersten Ranges. Aber nicht nur als Kulturhistoriker hat Hörmann sich einen hochgeachteten Platz in der deutschen Literatur geschaffen, er ist dazu ein gemütvoller Erzähler, der die Welt mit den Augen des Dichters sieht. Jede seiner Schilderungen, so wahr und realistisch sie ist, wird überstrahlt vom Glanz echter Poesie, die den Gestalten Licht und Farbe gibt. Schriftsteller von der Art Hörmanns sind heute nur noch selten. Wer hat heute Zeit, sich jahrzehntelang in ein kleines Gebiet zu vertiefen, wie Hörmann dies getan hat? Der Altmeister in der Schilderung Tirols und Vorarlbergs, Ludwig Steub, hat schon 1861 den Tiroler Dichtern zugerufen, sie mögen sich lieber der Prosa zuwenden und jene Schriften schreiben, nach denen die Wissenschaft schon so lange lechzt. "Ihr sprecht immer von den Wundern eures Landes, aber wie wenige sind beschäftigt, sie zu heben und sie darzustellen! In der Tat, hätte ich einen Rat zu geben, so würde ich nichts dringender empfehlen als die Landeskunde." Steub forderte eine Darstellung des sozialen und wirtschaftlichen Volkslebens, eine Schilderung Tirols nach Geschichte und Sage, nach seinen Denkmälern, nach seinem Volksleben im weitesten Sinne. Er erklärte, in den rechten Händen könnte so ein Meisterwerk entstehen, das dem Urheber mehr Anerkennung und Ehre einbringen würde, als hundert Schmerzenslieder um eine ungetreue Schöne oder ein Dutzend Dramen, die keine Intendanz auf die Bühne bringen will. Kein Schriftsteller und Forscher hat mehr für die Volks- und Landeskunde Tirols und Vorarlbergs geleistet als Ludwig von Hörmann. Er hat das von Steub gewünschte Meisterwerk in vollendeter Form geschaffen. Solange die Alpen ein Jungbrunnen unseres Volkes sind, solange im deutschen Volke die Liebe zu den Bergen und ihren Bewohnern lebendig bleibt, solange werden auch Ludwig von Hörmann und seine Schriften über Tirol und Vorarlberg nicht vergessen werden.

Quelle: "Dr. Ludwig von Hörmann †" von Dr. Hans Nagele, Bregenz. In: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Band 55, Jahrgang 1924. S. 117 -131.

Ludwig von Hörmann

Ludwig von Hörmann, Portraitfoto
aus: Ludwig von Hörmann, Leben und Werk, Hannelore Steixner-Keller,
masch. Dissertation, Innsbruck 1983, S. 294 c