Maisernte - Türkenausbratschen.

Ende September oder anfangs Oktober, an vielen Orten auch später, je nach der wärmeren oder rauheren Lage des Tales und der Gunst der Witterung, wird der türkische Weizen (Mais), in Tirol gemeiniglich Türken genannt, eingeführt, und wer ein Freund der schönen Natur ist, freut sich darauf, denn die lang sich dehnenden, dürren, schmutziggelben Maisfelder geben der Gegend ein trostloses Aussehen, überdies kann man sich der Hoffnung überlassen, daß mit der Zeit seines Einbringens zugleich der orkanähnliche nerven-angreifende Südwind (Föhn), um diese Zeit nicht ohne Grund "Türkenreifer" genannt, allmählich sich "ausgeht" und jenen milden, molkenlosen Herbsttagen den Platz räumt, die diese Monate zu den schönsten des Jahres machen.

Mancher Kleinbauer freilich, besonders des armen Oberinntales, kann mit der Einheimsung nicht so lange warten. Seine "Alte" hat ihm nämlich bereits die unliebsame Meldung gemacht, daß kein Mehl mehr im Kasten sei, die Kinder aber schreien nach Brot. Er geht deshalb oft schon vor Michäli (29. Sept.) hinaus auf den Acker und späht, ob die "Bratschen" oder "Flitschen", die den Kolben umhüllen, anfangen gelb zu werden. Ist das der Fall, so holt er freudig seine Sichel, schneidet seine ersehnten Türkenerstlinge ab und zieht sie auf einem Karren nach Hause. Dort macht er sich gleich mit Weib und Kind daran, die Kolben "auszubratschen" und die Körner "abzuribbeln", welche dann auf Leintücher ausgebreitet und in der Sonne gedörrt werden, damit sie sobald als möglich zum Müller wandern können.

Wenn man zu dieser Zeit die Dörfer Oberinntals durchwandert, kann man an sonnigen Stellen oft ganze Reihen solcher mit Türkenkörnern belegten Tücher sehen. Allerdings geben diese halbreif abgenommenen Früchte, die wohl zusammenschrumpfen, aber nie völlig austrocknen, ein schlechtes Mehl, aber es ist doch besser als gar keines und als Hunger leiden.

Anders ist es bei wohlhabenden Bauern, welche die Zeit der Reife ruhig abwarten können, da sie gewöhnlich noch vorjährigen Vorrat im Speicher (Getreidekasten) liegen haben. Nur muß gesorgt werden, daß nicht unberufene Gäste mit der Einheimsung zuvorkommen. Das sind nämlich die Vögel, besonders die "Hätzen" oder "Gratschen" (Krähen), welche den reifenden Türken übel zurichten. Sie reißen die Kolben vom Stengel und lassen sie ganz oder halb von den Körnern entblößt liegen. Deshalb sieht man auf allen Äckern Vogelscheuchen von mannigfacher Gestalt. Oft behängt man eine Stange mit Tuchlappen, die vom Winde hin und her getrieben werden, oder steckt eine tote Krähe hinauf zum warnenden Beispiel für ihre Kameraden, oft verfertigt man einen Strohmann, zieht ihm Hemd, Hosen und Jacke an, setzt ihm einen alten Hut auf und gibt ihm mit einer Büchse die Stellung eines zielenden Jägers. Wo es angeht, setzt man die Schreckgestalt sogar durch Wasserkraft in Bewegung. Aber das freche Diebsgesindel hat nach einigen Tagen den ganzen Witz los und der alte Tanz geht von neuem an. Nicht selten trifft man in hohlen Bäumen einen förmlichen Speicher von Körnern, welche die schlauen Vögel für den Winter nach und nach angelegt haben.

Ist nun der größte Teil des Türkens reif geworden, so nimmt der Bauer mit den Knechten und Mägden die scharfgewetzte Sichel zur Hand und geht hinaus auf das Feld. Während die Knechte die reifen Stengel abschneiden und zu Haufen zusammenwerfen, reißen die Dirnen die Kolben herab und legen sie ebenfalls wieder zu besonderen Häufchen. Abends holt man Roß und Wagen und ladet die Kolben auf. Dabei gibt man sich viele Mühe und lehnt Kolben an Kolben schön dicht aneinander im Wagen auf. Man tut dies, teils um mehr Platz zu gewinnen, teils um die Körner nicht abzustreifen. Die Stengel (Türkenstroh) werden zu großen Bündeln zusammengestellt und mit einem Strohseil gebunden. Diese "Pfaffen" werden im Unterinntale sogleich in den Stadel geführt, im Oberinntale hingegen läßt man sie den ganzen Winter über draußen und holt sie nach Bedarf. Wo Futtermangel ist, schneidet man sie zu "G'sot" und gibt sie den Pferden und Kühen, sonst aber verwendet man sie zu Streu. - Man leert nie den ganzen Acker auf einmal, sondern läßt stets die minder reifen Stengel stehen, auch führt man nicht mehr als drei Fuder an einem Tage ein, da man damit für ein paar Abende zum "Ausbratschen" genug hat.

Dieses "Ausbratschen" oder "Auslieschen" 1), das in der teilweisen Reinigung der Kolben oder Tschurtschen von der dürren Blätterhülle besteht, ist wegen den damit verknüpften ländlichen Belustigungen nicht ohne Interesse. Man nimmt diese Art Arbeit nachts in der Tenne vor. Tags vorher schickt man die Kinder in die Nachbarhäuser, um zu der Arbeit einzuladen, bei welcher man sich gegenseitig Aushilfe leistet. Die Hausbewohner fangen schon frühzeitig damit an, später kommen die Gäste, bei denen vor Allen die lustigen Burschen und Mädchen stark vertreten sind. Die benützen meistens diesen Anlaß zu einem schon vorher verabredeten Stelldichein mit ihren Liebsten und setzen sich auch ungeniert paarweise zusammen.

Um acht Uhr ist die Arbeit bereits in vollem Gange. Das Scheunentor ist dabei geschlossen, um Unberufene fernzuhalten, aber durch die Ritzen und Lücken der matt erleuchteten Tenne hört man die hin- und herfliegenden Scherzreden, unterbrochen von derben Witzen, denen schallendes Gelächter folgt, oder von Zeit zu Zeit ein klingendes Schnaderhüpfl, sodaß mancher draußen Vorübergehende stillsteht und dem ungewohnten Lärm lauscht. Die Leute, oft zwanzig und mehr an der Zahl, sitzen auf zwei parallel laufenden Bänken, welche durch lange, auf niedere Pflöcke gelegte Bretter gebildet werden. Die Kolben liegen hinter dem Rücken der Arbeiter in großen Haufen aufgeschichtet. Manchmal sitzt man auch im Kreise um die in der Mitte der Tenne befindlichen Kolben herum. Aus dem Heustocke ragen ein paar Heugabeln heraus, auf denen Laternen hängen, welche den Raum notdürftig erhellen. Die Arbeit selbst ist nicht gar so leicht, als man sich vorstellen möchte, und erfordert starke Hände und Aufmerksamkeit. Die Kolben werden nämlich der Reihe nach genommen, mit einem kühnen Riß ihrer dürren Umhüllung entledigt und nebenan gelegt. Die zwei stärksten "Witschen" läßt man daran, um mehrere Kolben zusammenzuknüpfen. Diese anstrengende Arbeit fällt dem sogenannten "Aufbinder" zu. Man teilt es gewöhnlich so ein, daß je vier "Ausbratscher" einem "Aufbinder" Arbeit geben. Letztere sitzen meist zuoberst in der Reihe der Arbeitenden und erhalten von den hin und her gehenden Kindern die ausgebratschten Kolben. An manchen Orten gehen sie auch selber während des Bindens in der Tenne auf und ab. Man wählt dazu starke Leute, denn ihr Geschäft ist, wie gesagt, äußerst ermüdend, obwohl es nur darin besteht, fünf bis sechs Kolben mit einem eigenen Knoten zusammenzuknüpfen.

Der ganze Vorgang des "Ausflitschens" gibt schon an und für sich Stoff genug zu munteren Spässen, deren Zielscheibe, wie sich von selbst versteht, vorzüglich die Verliebten sind. Wird z. B. ein Kolben gefunden, an dem einer oder zwei leinere angewachsen sind, die man "Zukindln" heißt, so wird dieser gewiß auf schlaue Weise dem betreffenden Mädchen in die Hände gespielt, was natürlich zu erneuten derben Witzen Anlaß gibt. Dazwischen werden Lieder gesungen. Schwänke und mit besonderer Vorliebe recht gruselige Geistergeschichten erzählt. Diese letzteren sind den Dirnen gar nicht zuwider, denn so voll Gruselns, wie sie sind, fürchten sie sich und getrauen sich um Alles in der Welt nicht allein nach Hause zu gehen, sondern müssen einen Begleiter, einen sogenannten "Grausknecht" haben, der sie sicher heimgeleitet. So geht die Arbeit, angefeuert durch das Schnapsfäßchen, welches von Zeit zu Zeit die Runde macht, rüstig vorwärts. Nicht selten hat der männliche Teil der Gesellschaft nebenbei die Pfeifen im Munde -- ein gefährliches Ding hier in nächster Nähe von Heu und Stroh! Der Bauer ist aber in diesem Punkte ganz unbegreiflich sorglos und wird selbst durch Schaden nicht klug.

Die schlechten oder abgebrochenen Kolben kommen als "Brocktürken" in einen eigenen Korb und werden dann an einem sonnigen Orte auf dem Boden oder auch im Ofen gedörrt oder man schenkt sie bei reichen Bauern den Armen. Die schönsten und größten Kolben kommen ebenfalls beiseite und werden als "Samtürken" für das kommende Jahr aufbewahrt. Vorerst aber sucht man aus ihrer Menge noch zwei der allerschönsten heraus und hängt sie als Zeichen des Dankes an die Arme des Christus-Bildes, das die Stubenecke ober dem Eßtisch ausfüllt. Besonders gern nimmt man dazu die selten vorkommenden roten Türkenkolben. Auch in den Kapellen an Wegen und Feldern sieht man oft deren an dem Querbalken des Kruzifixes hängen.

Das "Türken-Ausbratschen" dauert gewöhnlich bis gegen Mitternacht, wo der bestimmte Vorrat erschöpft ist. Dann wird, so gut es geht, Frucht und Hülle beiseite geräumt und die Hausfrau erscheint mit Obst und Schnaps zur Erquickung der Arbeiter. Arme Leute geben Milch und Kartoffeln. Nun beginnt erst die allgemeine Heiterkeit. Aus einer Ecke erklingt die Zither und bald dreht sich Paar um Paar im lärmenden Dreischritt. Helles Jauchzen und Gestrampfe der Tanzenden durchhallt den Raum und hält trotz des Staubes oft an, bis der Morgen durch die Lücken hereindämmert. Dann endlich macht man sich auf den Heimweg, wobei die Burschen ihre furchtsamen "Dirndln" begleiten. Wir wollen den glücklichen Pärchen nicht nachschauen, die oft sehr zärtlich werden. Wenigstens sagte mir einmal ein Pfarrer aus dem lebenslustigen Unterinntale, daß er die Zeit des Bergmahdes und des "Türkenbratschens" im Beichtstuhle recht wohl merke.

Am anderen Tage werden die Kolbenbüschel aufgehängt und zwar entweder unter das Dach oder auf dem Söller herum. Oft sind auch auf der sonnigsten Seite des Hauses eigene Gehänge dafür angebracht. Man biegt dabei die eine Hälfte der Kolbenbüschel nach rückwärts und die andere Hälfte, natürlich die schönere, nach vorn. An manchen Orten hat man gedeckte Dörrgehänge neben dem Hause, an anderen sieht man Vorrichtungen gleich riesigen, auf Pfählen stehenden Vogelkäfigen, aber mit festem Dache, in welche die Kolben zum völligen Austrocknen hineingegeben werden. Besonders hübsch nimmt es sich aus, wenn man durch ein stattliches Dorf wandert, dessen Häuser alle wie eingemauert in Türken erscheinen, in welche gelbe Wandverzierung oft ein Kreuz von roten Kolben ganz geschmackvoll eingefügt ist.

1) Auch Türkaustschillen von Tschille = Hülse, Schale (Vinschgau); T. ausmachen.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 160 - 166.