Thomastag und Weihnachtszelten.

Unter Zelten versteht man in Tirol jenes braunrindige mit gedörrten Birnschnitzen (Klozen), Nüssen, Feigen, Zibebn und dergleichen gefüllte Gebäck, welches unter den Bescherungen der fröhlichen und gnadenbringenden Weihnachtszeit nicht die kleinste Rolle spielt. Zwar das moderne Stadtleben hat in der Regel nur einen entarteten Sprossen aufzuweisen; auch bäckt man ihn selten mehr zu Hause, sondern kauft ihn lieber in der Zuckerbäckerei oder läßt sich einen starkgewürzten überzuckerten Boznerzelten kommen, der sich zum echten altbürgerlichen verhält, wie ein verzärteltes Stadtkind zu einem vierschrötigen, bocklederhosigen Passeirerbauern.

Anders ist es auf dem Lande.

Da steht der Weihnachtszelten noch in seiner urwüchsigen Kraft und ererbtem Ansehen und schließt sich mit den religiösen und weltlichen Gebräuchen, die sich an seine Zubereitung und Verschmausung knüpfen, innig an die Festfeier der heiligen Christzeit an. Schon der Tag und der ganze Vorgang des Backens weist auf die hohe Bedeutung und Wichtigkeit hin, die man ihm beilegt. Es gilt nämlich als alte Bauernregel, daß der Zelten am Vorabend des Thomastages (22. Dezember) gebacken werden muß.

Darauf freut sich jung und alt. Schon am Vormittag geht die Bäuerin zum Getreidekasten und holt eine tüchtige Schürze voll "Klozen", die sie auf den großen Eßtisch leert. Herum lagert sich nun alles, was Hände hat, und ist eifrig beschäftigt, die gedörrten Birnen, mit denen der Zelten gefüllt wird, kleinweis zu zerteilen. Bei dieser Arbeit geht es lustig her. Besonders die Dirnen müssen sich von den Burschen viel gefallen lassen, indem letztere sie mit der Frage quälen, wer ihnen den "Zelten anschneiden" dürfe. Nebst dem großen Familienzelten wird nämlich eine Anzahl kleinerer ausschließlich für die Dirnen gebacken, wozu jedoch an den meisten Orten der Bauer bloß den Teig hergibt, hingegen die Füllung von den Bescheerten selbst beigeschafft werden muß. Nur die Groß- und Kleindirn, denen das Geschäft des Teigknetens und Backens obliegt, erhalten den ganzen Zelten umsonst, den sogenannten "Kneter", der auch etwas größer als die übrigen Brote ist. Dafür müssen sie auch den Teig aus Roggenmehl wacker durchkneten, und dann heißt sie die sorgsame Hausfrau auf den Anger hinausgehen und mit den teigigen Armen die bereiften Bäume umschlingen, damit sie künftiges Jahr recht viel Früchte tragen, Ist nun der Zelten gefüllt, so wird er bekreuzigt und mit Weihwasser besprengt und dann in den ausgekehrten glühheißen Backofen geschoben. Während er nun drinnen über seine allmähliche Umwandlung nachgrübeln mag, will ich etwas vom Thomastag erzählen.

Dieser Tag ist nämlich nicht nur wegen des großen Schweinemarktes berühmt, der meist am Montag vor Thomas abgehalten wird, sondern auch wegen der vielen wunderlichen Volksgebräuche, die auf den Vorabend desselben fallen und zu dem Weihnachtszelten in ziemlich enger Beziehung stehen. Die meisten davon sind abergläubische Liebesorakel, welche von den Mädchen geübt werden, um den Namen oder Stand ihres künftigen Bräutigams zu erfahren. Dahin gehört das Bleigießen, von dem im nächsten Abschnitt gehandelt werden wird. Oder man schreibt Buchstaben auf einzelne Zettel und legt sie unter das Kopfkissen; welchen Buchstaben das Mädchen während der Nacht hervorzieht, mit dem beginnt der Name des künftigen Liebhabers. In dieser Nacht tritt man auch häufig die sogenannte "Bettstaffel". Dies geschieht so. Mädchen, die gerne heiraten möchten, stellen vor dem Schlafengehen einen Schemel vor's Bett und, nachdem sie sich vollständig entkleidet haben, sprechen sie:

Bettstaffel ich tret' dich,
Heiliger Thomas, ich bitt' dich,
Laß mich sehen den herzallerliebsten Mann
Diese heilige Nacht.

Darauf muß sich das Mädchen lautlos zu Bette begeben und dann wird es in der Nacht den sehen, der folgendes Jahr zum Freien kommen wird. Dieses bewährte Mittelchen soll nur deshalb selten helfen, weil es kein Mädchen gibt, das sein Schnäbelchen so lange still halten kann, bis die Augen zufallen, besonders wenn es ein Verbot betrifft. - Wie nun der heilige Thomas zu seinem merkwürdigen Kuppleramte gekommen ist und welcher altgermanische Gott sich unter seiner christlichen Verkleidung verbirgt, wollen wir getrost den Mythologen überlassen, sicher ist nur, daß unser Weihnachtszelten nichts anderes, als ein christianisiertes heidnisches Opferbrot ist, ein Konvertit, der trotz der Einsegnungen seine alte Götzennatur nicht verleugnen kann. Es verraten ihr die mit ihm in Verbindung stehenden abergläubischen Liebesgebräuche, die offenbar ursprünglich auf eine mit Liebe und Fruchtbarkeit zusammenhängende germanische Gottheit, wahrscheinlich Fro (Freyr) Bezug hatten, sich aber nach dem Sturze des Heidentums in die neue Lehre herüberstahlen und unter der christlichen Firma des heiligen Thomas bis auf heute fortvererbten. Davon könnte ich noch mehr erzählen, wenn nicht unterdessen der Zelten verkohlen würde.

Unter dem Jubel der Kinder, die es kaum erwarten können, bis der verhärtete Sünder aus dem Feuerofen geholt wird, nimmt man nun das duftende Gebäck samt den kleinen Broten heraus und stellt ihn vorderhand auf die Hausbank zur Kühlung. Die Zelten für die Dirnen werden gleich verteilt; doch erhalten nur solche einen, die sich das Jahr hindurch nichts zu Schulden kommen ließen. Der Familienzelten aber wird in den Roggen gelegt, damit er frisch bleibe; denn da derselbe erst am heiligen Dreikönigentage angeschnitten werden darf, so liegt bis dort noch eine lange Frist, während welcher er sich noch verschiedenen Zeremonien unterwerfen muß. Er muß vor allem dreimal geräuchert werden. Dies geschieht an den drei sogenannten Rauchnächten, nämlich an den Vorabenden vom Weihnachtstage, Neujahr und Heiligen-Drei-König. An diesen Abenden wird bekanntlich in jedem Tiroler Bauernhause nach dem Avemarialäuten Stube und Kammer, Stall und Tennen, kurz jeder Winkel ausgeräuchert, um böse Einflüsse fern zu halten. Die heiligen Weihekräuter dazu sind schon, wie wir früher hörten, während des Sommers in den Dreißigen, das ist die Zeit von Maria Himmelfahrt bis Maria Geburt, gepflückt und sorgsam aufbewahrt worden. Der ganze Vorgang des "Räucherns" wird im nächsten Abschnitt eingehender vor Augen geführt werden. Bei diesem frommen Brauche darf der Weihnachtszelten nicht vergessen werden, sondern muß von allen Seiten beräuchert und von der Hausmutter mit dem Weihwasser besprengt und gesegnet werden.

Was weiter mit ihm geschieht und welch bedeutungsvolle Ereignisse sich an ihn knüpfen, so das "Zeltenanschneiden" und "Zeltennachtragen" am Stephans- und Dreikönigstag werden wir später bei Beschreibung dieser Feste hören. Vorderhand bleibt der Weihnachtszelten in der Roggentruhe verwahrt.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 224 - 228.