Tod und Begräbnis.

"Horch das Zügenglöckl! Wer ist etwa g'storben?" ruft neugierig eine Bauerndirne der anderen zu und läßt in der Zerstreutheit fast die Salatschüssel fallen, die sie soeben aus dem Hausgarten zum Brunnen trägt. "Gewiß die alte Botenlies, die hat schon lang einen "Beggel" (Gebrechen)! meint die Angeredete. Aber nein, die kann's nicht sein; sie ist ein "armes Mensch" und das Glöcklein läutet noch immer bim - bam in feinen langgezogenen Tönen. Das muss schon "wer Besserer" sein. Weil die Person schlechterdings nicht herauszubringen ist, so überläßt die Kathl das Mittagsgemüse seinem Schicksal, die Zenz nimmt ihren nassen Besen über die Achsel und beide laufen nach der nahen Kirche zum Meßner, denn der muß es wissen. Dort kann man nebenbei in der Geschwindigkeit ein Vaterunser für die arme Seele beten, wie es der Brauch ist. - Wer hatte das gedacht! Der reiche Leitenbauer liegt seit heute Nacht "leichweis". Den "hitzigen Disel" 1) hat er gehabt, drum ist's so schnell gegangen. So lautet die Auskunft.

1) Im Unterinntal Dusel - Seuche, Nervenfieber, dann überhaupt jede Art von Krankheit, besonders von sogenannten "umhergehenden".

Ein Todesfall ist für ein Dorf, wo alle Einwohner in familienhaften Beziehungen zueinander stehen, immer ein wichtiges Ereignis, das viel von sich reden macht. Die Eigenschaften und Verhältnisse des Verstorbenen und alle näheren Umstände seines Todes werden eingehendst besprochen. Fast immer findet sich unter den Verwandten auch ein Abergläubischer, der mit wichtiger Miene versichert, er habe das Unglück vorausgewußt, da sich der Tote "angemeldet" habe, sei es nun durch dreimaliges Klopfen oder Öffnen der Tür, Sandwerfen ans Fenster während des abendlichen Heimgartens und dgl., natürlich meistens nachts; doch kommen derartige Anmeldungen auch bei Tage vor 2). Man kennt eine solche Unzahl von Todesvorbedeutungen, daß schon ihr oftmaliges Nichteintreffen das Gegenteil beweisen sollte. So z. B. wenn ein Hund heult oder die Habergeiß schreit, wenn man gelbe Flecken an den Fingern, sogenannte Totenmale, hat etc.

2) Über das sogenannte "zweite Gesicht", das man auch in manchen Gegenden Tirols kennt, und Einschlägiges, vergl. meine Abhandlung "Über tirolischen Bolkscharakter" in der "Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins. Jg. 1901.

Ohne geistlichen Beistand sterben, gilt bei dem gläubigen Landvolk als großes Unglück. Daher läßt man, sobald der Arzt erklärt, es könnte "auf die gabige (schlimme) Seiten" gehen, dem Kranken beizeiten die hl. Sakramente reichen und läuft bei nahender Todesgefahr eiligst um den Priester, und sei es noch so weit.
Das ist dann wahrlich keine Kleinigkeit für einen Seelsorger, wenn er oft mitten in der Nacht, bei Wind und Regen, Schnee und Eis auf einen der stundenweit entlegenen Berghöfe hinauf muß, um in der verpesteten Luft der Krankenstube bis zum Ende auszuharren und die "See!' auszusegnen". Wenn er mit dem Sakramente durch das Dorf schreitet, so sammeln sich die Einwohner jedes Hauses kniend vor der Haustür, erwarten da den Segen und wer gehen kann, folgt zum Hause des Kranken mit. Wenn es weiter hinausgeht über Wiesen und Felder oder durch Wald und über sonnige Hänge die Berghöhe hinauf, so wandert der Priester, nur gefolgt vom Meßner, einsam dahin, im Winter angeschauert von den eisigen Schneelüften, im Sommer angesungen von den Vögeln aller Stauden.

Seltsam ist folgender Glaube der Oberinntaler. Wenn zu einem Sterbenden der Priester nicht kommen kann, so kann ersterer im Notfalle auch dem Krummschnabel, der fast überall in der kleinen Stube hängt, beichten, der ihm dann die Sünden abnimmt. Da die Meinung verbreitet ist, der Vogel nehme die leiblichen Krankheiten auf sich, so scheint man dies hier auch auf die geistigen auszudehnen und glaubt, er könne auch statt des Sünders zur Hölle fahren. Liegt ein Kranker in den "letzten Zügen", so sind gewöhnlich alle Angehörigen herum versammelt. Man ist ängstlich besorgt, daß ja die scheidende Seele nicht etwa trotz Beichte und Priestersegen dennoch dem Teufel in den Rachen fahre. Um die bösen Geister zu vertreiben, zündet man geweihte Kerzen, häufig die Taufkerze an. "Geahnelt" eine derselben, d. h. rinnt sie ab, dann stirbt der Mensch, sobald sie herabgebrannt ist. Auch pflegt man die Talglichter wechselseitig auszulöschen, um durch den Gestank den Teufel fern zu halten. Zum selben Zwecke hat man eigens geweihte, helltönende Glöckchen, sogenannte Antoniusglöckeln, auch Loretto- oder Silberglöckeln geheißen, die der Älteste der Anwesenden von Zeit zu Zeit läutet, um durch deren klaren Ton den schlimmen Feind zu verscheuchen. So weit man das Glöcklein hört, so weit müssen die bösen Geister fern bleiben.

Überhaupt herrscht eine gewisse fromme Rücksicht gegen den Sterbenden, wenn sie auch meist im Aberglauben ihre Wurzel hat. So setzt man ihm an vielen Orten ein geweihtes Käppchen auf's Haupt, ähnlich den Tonsurmützen der Priester, und gibt ihm eine Kerze oder ein "Ablaßkreuz" in die erkaltenden Hände. Die Weihe dieses Kreuzes geht nach der Volksmeinung bei dem erfolgten Tode verloren, da sie der Betreffende mitnimmt. Langer Todeskampf gilt bisweilen als schlimmes Vorzeichen, weil man glaubt, der oder die habe noch eine schwere Sünde auf dem Herzen, vorzüglich ungerechtes Gut, das nicht erstattet wurde, und deshalb könne die Seele nicht "ausfahren". Über dieses "Ausfahren" sind ganz eigene Begriffe verbreitet, so daß man fast versucht wäre, bei den Bauern den Glauben an eine körperliche Wesenheit der Seele vorauszusetzen, so bestimmt sind die Ausdrücke, welche sich auf die schwere und schmerzliche Trennung des Geistes vom Körper beziehen. Diese Vorstellung findet man oft in Bildern veranschaulicht, wo die Seele in Gestalt einer weißen Taube dem weitgeöffneten Munde entfährt. Daher die Bezeichnung "von Mund auf in den Himmel kommen", was besonders von Kindern oder auch von sehr frommen und mildtätigen Personen gesagt wird. Als günstige Todestage gelten die heiligen Zeiten des Jahres: Advent, Weihnachten u. s. w.; ebenso hält man es für vorteilhaft, nach einem Kinde aus der Verwandtschaft zu sterben, weil dieses den Weg zum Himmel bereite. Ungern hat man hingegen den Tod am Mittwoch in der Karwoche, weil da beim Begräbnis kein Geläute stattfindet.

Sobald der Tod eingetreten ist, wird in den meisten Gegenden Tirols die Leiche gewaschen, in reinliche frische Wäsche gehüllt und auf ein mit einem weißen Tuche überdecktes Brettergerüste, das sogenannte "Rechbrett" 1) gelegt. Daneben zündet man Wachskerzen an oder hängt eine Öllampe auf. Bei Reith im Unterinntal nimmt man, wenn jemand gestorben ist, einen geweihten Wachsstock, wickelt ihn ab und zieht ihn der Länge nach vom Fuße bis zum Kopfe des Toten auseinander. Ist das geschehen, so meint man fest und sicher, daß nun der Tod den Leichnam nicht mehr länger "recken" könne, sondern daß er ruhig tot bleibe. In Vinschgau werden die Fenster geöffnet, damit die Seele entfliehen könne, der Spiegel wird verhängt, die Uhr eingestellt, zum Zeichen, daß die irdische Herrlichkeit vorbei und das Leben des Betreffenden abgelaufen sei. Im ganzen Inntal wird die Leiche, wenn sie aufgebahrt ist, mit einem Tuch bis über den Kopf zugedeckt; in Dux zieht man derselben ein schönes Gewand an. An größeren Orten besorgt das Waschen, Anziehen und Aufbahren eine eigene Person, die sogenannte "Leichennahnerin" (Näherin). Dieselbe geht dann später von Haus zu Haus "Totenansagen". Im Sarntal geschieht dies durch Ansagweiber, "Totenrapen" genannt. Auf dem eigentlichen "Lande" jedoch tun dies Alles die Angehörigen.

1) Altdeutsch rê, d. i. Leiche, Bahre.

Der Aufputz geschieht nach dem Vermögen, doch werden, wenn der Verstorbene einer "Bruderschaft" angehörte, die "Monatsheiligen" (Bilder, welche er an den Monatssonntagen erhielt,) rund um ihn ausgelegt. Ein Gefäß mit Weihwasser und ein Buchsbaumzweig darinnen zum Besprengen fehlen nie. Liegt ein Jüngling oder eine Jungfrau auf der Bahre, so kommen alle ledigen Burschen oder Jungfrauen der Nachbarschaft zusammen und winden Kränze aus Wintergrün, Wacholder und Blumen, womit das Leichenbett ringsum geziert wird. Dafür bekommen sie vom Hausvater Käse, Butter oder Kaffee. Dies alles geschieht neben der Leiche. Vorzüglich ist man bemüht, Kinder, die "leichweis" liegen, freundlich herauszuputzen; es heißt dann: da oder dort "haben sie ein Engele im Haus" oder "die haben ein Engele kriegt". Früher malte man im Vinschgau sogar den Toten rote Backen, wie Spindler in seinem "Vogelhändler von Imst" erzählt. Ist es der Hausvater, der das Zeitliche gesegnet, so werden oder wurden wenigstens früher die Fässer im Keller und vorzüglich die Bienenstöcke von der Stelle gerückt, weil sonst die Brut zu Grunde geht oder ganz verfliegt. Während dieses im Hause vor sich geht, wurde der Todesfall beim Meßner angezeigt und dieser läutet das "Zügenglöckl", d. i. die kleinste Glocke, unter dreimaligem Absetzen. Nach dem abendlichen Avemarialäuten wird das "Zügenglöcklein" nicht mehr gezogen; für auswärtige Gemeindeglieder erklingt es mittags nach dem Gebetläuten. Manche "Bruderschaft" läßt es für ihre Mitglieder noch einmal eigens ziehen.

Die Leiche bleibt gesetzlich 48 Stunden "aufgerichtet". Während dieser Zeit gehen beständig Besucher aus und ein, denn nicht leicht jemand entzieht sich der Pflicht, dem Toten auf der Bahre "Weihbrunn zu geben" und ein paar Vaterunser zu beten, bei welcher Gelegenheit er vom Leichenwärter stets ein "Vergeltsgott" erhält und zum Begräbnis geladen wird mit der bestehenden Formel z. B. "Am Montag um halb 7 Uhr täten wir bitten". Nachts bleiben abwechselnd Verwandte und Bekannte im Leichenzimmer, da eigene Leichenwärter auf dem Lande nicht immer zu finden sind. An den meisten Orten, besonders im Oberinntal und Vinschgau, ist noch die "Totenwache" üblich, die neben der Leiche bei aufgehängtem Öllichte gehalten wird. Von Abend bis Mitternacht wird Rosenkranz gebetet; daneben trifft man hie und da die freilich etwas weltliche Sitte des "Vaterunserausspielens", d. h. zu wetten, wer länger mit ausgespreizten Armen beten könne. Punkt zwölf Uhr wird unter die Wachenden Schnaps und Milch verteilt, oder werden denselben hölzerne "Brenten" mit Schottenwasser zur Verfügung gestellt, woraus jeder nach Belieben schöpft. Man nennt das die "Saufa". Leider artete diese Sitte, die in erster Linie nur die Stärkung der Wachthabenden bezweckte, sehr häufig in ein rohes, der ernsten Lage wenig entsprechendes Treiben aus, weshalb sie auch an manchen Orten abgekommen ist. Man schmauchte Tabak, sang und betrank sich, als gälte es Fastnacht zu feiern.

Am nächsten Morgen wird die Leiche eingeschlagen. Unter das Haupt des Toten werden im Vinschgau "Hobelscheiten" gelegt, denn die Seele wohnt im Kopfe; an anderen Orten werden Sacktücher in den Sarg gegeben; der Spender glaubt sich, sobald sie verfault sind, vom Kopfweh befreit. Bereits am Tage vor dem Begräbnisse wird nach dem mittäglichen Glockenzeichen "Schiedung" geläutet. Bei Männern beginnt die größte Glocke, bei Weibern die kleinste, und so der Reihe nach, bis schließlich alle zusammenklingen.

Die Bestattung der Leiche geschieht stets in der Frühe, oft schon um 6 Uhr. Das Zeichen zum Beginn gibt eine der größeren Glocken, gewöhnlich die älteste. Sie begleitet dann mit ihrem Geläute den Zug und verkündet nach abermaligem Absetzen den Vorgang der Versenkung des Sarges. Will man das Begräbnis von allen Glocken begleitet haben, so muß man dies eigens zahlen. Die Ordnung des Zuges ist nach dem Talgebrauche verschieden. Die Klageleute gehen unmittelbar hinter dem Sarge, dann folgen die "Geladenen" und wer sonst noch mitgeht. Jungfrauen wird ein rotes Kreuz vorangetragen, doch das Gewöhnlichste ist ein Kreuz von Hollunder, das im Vinschgau in der Mitte mit blauen und roten Schleifen verziert wird. Im Obervinschgau knüpft sich an dasselbe nachstehender Gebrauch. Sobald die Nachricht vom Tode einer Person kund wird, beeilen sich die Knaben des Dorfes, ein jeder für sich ein Hollunderkreuz zu fertigen, schmucklos, wie es die Eile erlaubt. Wer nun als der Erste im Totenhause sein Kreuz darbringt, darf es der Leiche vorantragen, es einstweilen, bis ein anderes bereitet ist, auf das Grab stecken und dem "Totentrunke" beiwohnen. Im Oberinntal wird dem Sarg ein Sack mit Korn für den Meßner vorangetragen, an anderen Orten der sogenannte "Voraus". Zwei Dirnen, Mägde des Verstorbenen, ziehen sich dazu festlich an. Die eine trägt ein Star (Gefäß zum messen) oder einen Kübel mit Butterwecken, Eiern, Brot und Korn, die andere ebensolche, nur etwas weniger Eßwaren, und so schreiten beide dem Leichenzug "voraus". Wenn sie in der Kirche ankommen, so stellt die erste Magd den besseren Teil an einen Seitenaltar, das ist ein Geschenk für den geistlichen Herrn, die andere stellt ihren "Voraus" auf den ersten Stuhl in der Kirche als Geschenk für den Meßner. In manchen Gegenden bildet der Sarg mit den Trägern den Anfang des Zuges. Er ist mit einem schönen oder geringeren Bahrtuch überdeckt; obenauf liegt ein Buchskranz, unten wird an wenigen Orten Oberinntals etwas Lebendiges, meist ein Vogel in einem Käfig angehängt, damit der Teufel dem Toten nichts anhaben könne. In Dux und Oberzillertal wird die Bahre mit einem weißen "hardenen" (grobleinenen) Tuche verhüllt, welches sodann dem Totengräber als Geschenk übergeben wird. Junggesellen und Jungfrauen werden von Junggesellen getragen und erhalten einen Kranz von roten und weißen Rosen auf den Sarg, den allenfalls auch die "Bruderschaftstafeln" zieren. Gefallene Mädchen müssen des Kranzes entbehren. Männer und Frauen werden von Männern getragen. Die Träger haben Sträuße auf dem Hut. An größeren Orten, wo es eigene Totengräber von Handwerk gibt, sind dies meistens arme "Saufbrüder", die ihr Amt auf sehr rohe Weise ausüben. Den Sarg des Landesverteidigers schmücken Schützenhut und Stutzen; die Musikkapelle und, wo es angeht, ein Schützenkorps geht mit und gibt die üblichen drei Ehrensalven, d. h. "er oder ihm wird ins Grab geschossen". Hinter dem Sarg und dem Geistlichen folgt der lange Zug der Teilnehmenden, Männer, Weiber und Kinder, oft fast die ganze Gemeinde, mit brennenden Wachsstöcken und laut den Rosenkranz betend. Die Verwandten gehen als "Klageleute" in Trauer, die bei den Weibern in schwarzem Halstuch und schwarzer Schürze besteht. Die Kleidung der Männer bleibt unverändert, nur in Dux tragen die Kläger auch im Sommer Mäntel.

Eine eigentümliche Sitte herrscht im welschtirolischen Tesinotale [Tessin], wo die Leiche von eigenen Klageweibern begleitet wird. Unschuldige Kinder, d. h, solche, die noch nicht zur Beichte und Kommunion gegangen sind, erhalten, da man ihren Tod für kein trauriges Ereignis ansieht, ein weißes Bahrtuch, das mit roten Bändern und künstlichen Blumen so schön als möglich geziert wird. Der stattlichste Bursche der Verwandtschaft oder Nachbarschaft trägt den kleinen Sarg und der Zug bewegt sich unter Gebeten und Gesängen, welch' letztere oft ganz lustig klingen, dem Gottesacker zu. An der Schwelle desselben kniet der Träger einen Augenblick nieder. Bei jedem Leichenzuge ist es übrigens Vorschrift, daß derselbe dem gebräuchlichen "Totenwege" nachgehe; begibt man sich über die Felder, so geschieht ein Unglück. Auch soll derjenige, der einer Leiche begegnet, auf der rechten Seite ausweichen, sonst kommt der Zug nicht vorbei. Auf dem Friedhofe angelangt, wird nach den gewöhnlichen kirchlichen Zeremonien das Hollunderkreuz auf den Grabhügel gesteckt. Auch Kränze legt man darauf, besonders bei Kindern. Grünt im folgenden Jahre das Hollunderkreuz, was, nebenbei bemerkt, leicht eintreten kann, so gilt dies als sicheres Zeichen, daß der Begrabene selig ist. Dieses Kreuz führt übrigens den seltsamen Namen "Lebelang".

Das Herabschaffen von sehr hochgelegenen Bergdörfern und Berghöfen macht oft bedeutende Schwierigkeiten. Im Sommer wird der Tote in einen höchst einfachen Brettersarg gelegt und dieser an zwei Stangen befestigt, welche häufig durch zwei Querhölzer verbunden sind. Die zwei Stangen stehen etwa zwei Schuh vom Sarg der Länge nach nebeneinander hinaus, so daß ein Mann hinten und einer vorne tragen kann. Zwei andere Männer, nötigenfalls mit Steigeisen versehen, wechseln beim Tragen ab und so wird die Last zur fernen Pfarrkirche hinabbefördert; die Freunde folgen hinten nach. Auf dem Kirchhof wird der Sarg niedergestellt und dem Seelsorger gemeldet, daß ein Toter zur Einsegnung da sei. Im Winter geschieht die Überführung auf Schlitten; nicht selten aber ist der Zugang so verschneit oder über die beeisten Berglehnen so gefährlich, daß den Bewohnern eines solchen weltabgeschnittenen Ortes nichts Anderes übrig bleibt, als ihren Toten im Stadel (Scheune) oder im Unterdach einfrieren zu lassen und erst im Frühjahre, wenn die Wege gehbar sind, zur Kirche zu schaffen.

Nach der Bestattung, die mit einem allgemeinen Weihwassersprengen schließt, geht man in die Kirche, woselbst meist gleich die Seelenämter gelesen werden. Nach dem Gottesdienst findet in den meisten Gegenden ein sogenannter "Totentrunk" oder ein "Totenmahl", in Südtirol "Pitschen" genannt, statt. Die Verwandtschaft in ihrer düsteren Kleidung und alle übrigen Geladenen begeben sich ins Wirtshaus. Dort ist in der "schönen Stube" oder, wenn es gewünscht wird, im "Herrenstübele" eine lange Tafel für die Gäste gedeckt. In Vinschgau wurde ehemals bei armen Leuten bloß Wein verabreicht, dazu brachte sich jeder Gast sein flaches Brot (Vinschgerbrötl) nebst Alpenkäse in beliebiger Menge mit. Gewöhnlich bestreiten jedoch die ganze Bewirtung die Angehörigen des Verstorbenen. Wohlhabende Bauern lassen dabei gerne ihren Reichtum sehen und bewirten dabei das halbe Dorf reichlich mit Wein oder verschiedenen Speisen. Natürlich bekommen dabei auch die Armen ihren Teil. Aber selbst Unbemittelte geben ihren letzten Kreuzer hin, um nicht den Toten durch geringes "Traktement" zu verunehren. Da die gesamte Gesippschaft auf viele Stunden bei solcher Gelegenheit zusammenströmt - und die Bauernverwandtschaften reichen ins zehnte und zwölfte Glied, wo man immer noch "Vetter" und "Basl" ist - und alle Bekannten bei Vermeidung von Feindschaften geladen werden müssen, so kann man sich denken, daß die Kosten dieser Unsitte eine ziemliche Summe ausmachen. Während die Gesellschaft versammelt ist, erhebt sich einer der Männer und spricht den sogenannten "Totenreim", eine Art Leichenrede. In Vinschgau hält der Totengräber vor dem Beginne des Trunkes eine Ansprache. Zum Schlüsse wird meistens für das Seelenheil des Begrabenen gebetet. Damit ist die Reihe der Totengebräuche beschlossen. Der Verstorbene erhält noch ein eisernes oder hölzernes Kreuz auf das Grab und den jährlichen Grabesschmuck um Allerseelen. Die Trauerzeit ist nach der jeweiligen Talsitte von verschiedener Dauer.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 421 - 430.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Isabella Richrath, Oktober 2005.
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