Die Übergabe des "Heimatls".

Der Oberhuber Hans, der lustigste Bursch im Dorf, ist schon seit langer Zeit kaum mehr zu kennen. Er "red't nichts und deutet nichts", geht mißmutig an die Arbeit, kurz ist ein ganz anderer Mensch. Er weiß auch warum! Und die saubere Lise, die Tochter vom Holerbauern im oberen Dorf, die weiß es noch viel besser. Auch die Nachbarn wissen's, sonst würden sie nicht die Köpfe so bedeutungsvoll zusammenstecken, wenn das Mädel gesenkten Kopfes zur Kirche geht. Natürlich, wenn man sich einmal drei Jahre kennt, muß man entweder zusammen oder auseinander, sagt das Sprichwort, weiß der Himmel, was sonst "herauswachst". Der Hans und die Lise kennen sich aber - daß Gott erbarm - schon über sieben Jahre. Was Wunder, daß es den Hans denken macht und, wenn er noch vorigen Herbst lustig gesungen hat:

D' Haselnüssen sein zeitig,
Es klappern die Kern',
Und 's Diandl sagt no' nöt ja,
Möcht' narrisch grad wer'n.

so ist er jetzt stumm wie ein Fisch. Aber wenn der alte Vater im Tennen etwas zu "schaffen" (befehlen) hat, dann ist gewiß der Hans nicht gar weit und singt:

Vater, wenn (wann) gibst wer denn 's Hoamatl,
Vater, wenn tust mer's verschreib'n,
's Diandl wachst auf als wie's Groamatl, 1)
Ledig will's aa' nimmer bleib'n.

Aber der Vater hat dicke Ohren und er - weiß auch warum.

1) Grünmahd, zweites Gras.

Die Abtretung des "Heimatls" oder "Gütels" bildet einen der wichtigsten Abschnitte im bäuerlichen Familienleben. Es ist kein bloß äußerlicher Vorgang, wenigstens in der Regel nicht, sondern er bedeutet häufig die Änderung des ganzen bisherigen Hausstandes, vom Kühbuben angefangen bis zum Bauern, der bisher "Schaffer" im Hause war. Von der Stunde an, in welcher der Sohn das "Regiment" übernimmt, hat die Herrschaft des "Alten" und der "Alten" vollständig aufgehört und an ihre Stelle tritt die des jungen Bauern und gewöhnlich seines neuangetrauten oder anzutrauenden Weibes, denn Abtretung des Gutes und Hochzeit die hängen zusammen wie Rad und Wagen. "Übergeben - Nimmerleben" heißt das bäuerliche Sprichwort. Das weiß der Bauer zu gut schon von seinem Vater her, deshalb entschließt er sich so schwer zu diesem Schritte und zieht die heikle Sache so lange als möglich hinaus.

Aber endlich muß er doch daran.

Er fängt daher vorerst an, sich die Geschichte langsam zu überlegen und wenn er in den Anger geht, so wirft er öfter als sonst einen bedeutungsvollen Blick auf das "Zuhäusl" 2), das inmitten der Fruchtbäume steht und zuletzt seinen Vater beherbergt hat.

2) auch Ausnahmhäusl genannt.

Verlauten läßt er nichts, aber von den Nachbarn, bei denen er abends im Wirtshause sitzt, muß er manches Wort hören, das er sich hinter die Ohren schreibt.

"Ja was ist's denn, Klammer" - das ist sein Hausname - "Laß'st dir denn nit bald vom Bua die alten Eisen ab'r reißen? 1) Bist ja schon alt und schwach, daß d' kaum mehr 's Gatter derhebst. Mußt nit so geizig sein." Und so fort. Er lacht zwar zu solchen Stichelreden, innerlich wurmt es ihn aber doch. Kommt er dann zu seiner Alten, so sprechen die Beiden vor dem Einschlafen noch manch' ernstes Wörtchen, und die Mutter, die in die Herzensangelegenheit ihres Buben besser eingeweiht ist, als der Vater, meint auch, es wäre nun an der Zeit, den Handel in Richtigkeit zu bringen. Der Alte macht ein paar tiefe Schnaufer, die wie Seufzer aus der Brust kommen, dann legt er sich mit einem Ruck auf's andere Ohr.

1) "Die alten Eisen herabreißen" ist eine in Tirol gebräuchliche Redensart für das "Gut übergeben" oder "verschreiben".

Am nächsten Morgen aber geht er in den Anger, wo das "Zuhäusl" steht, und kramt in dem alten, zerlatterten Gerümpel, das rings liegt, herum. Natürlich, wenn so lange niemand darin gehaust, wird so ein altes Bauwerk freilich schadhaft. Sonst ist es aber noch ganz wohnlich und braucht nur ausgeräumt und ein bißchen hergerichtet zu werden. Auch die Bank neben der Türe ist noch da, überschattet von den Zweigen des Birnbaumes, der sich über's Dach biegt. Ist er ja selber viele Jahre nicht mehr hineingekommen, das letzte Mal als sein alter Vater auf dem Sterbebett lag. Ein leichtes Frösteln überkommt ihn bei dem Gedanken, dann geht er wieder ins Haus zurück.

Der "Alten" ist beim Hennenfüttern das Herumkramen ihres Gespons im Anger nicht entgangen und sie hat während des Lockens der "Pullelen" (Küchlein) manchen Seitenblick auf's "Zuhäusl" geworfen. Der Hans ist ihr einziger Sohn und ihr Herzenskind. Sie weiß es auch so einzurichten, daß der "G'moan (Gemeinde)schreiber" heute abends in den Heimgart kommt und der ist gerade der Rechte. Der versteht die Sache und es braucht da keine weiteren "Spargamenteln" (Umständlichkeiten). Von nun an wird im Hause öfter über die Angelegenheit gesprochen, und es werden alle "Abmachungen" mündlich und gründlich erörtert, so daß der zur Entscheidung anberaumte Tag eigentlich schon alles in Ordnung findet. Gewöhnlich wählt man hiezu einen der Quartaltage, als Lichtmesse, Georgi, Jakobi, Galli oder sonst einen bessern Bauernfeiertag im Spätherbst, wo schon alles "eingebracht" ist. An diesem Tage nun versammeln sich alle, die bei der Angelegenheit zunächst beteiligt sind, die Eltern, nahe Verwandte, der künftige Besitzer selbst und wohl auch jüngere Söhne und Töchter, wenn solche da sind; ferner häufig der Gemeindevorsteher und zwei Zeugen, um die Richtigkeit des Vertrages zu verbürgen. Als Hauptperson betätigt sich der oben erwähnte Gemeindeschreiber, eine Art bäuerlichen Notars, der die "Schrift" ordnungsmäßig "aufsetzt". Daß die ganze ehrenwerte Gesellschaft nicht trocken sitzen bleibt, ist einleuchtend, daher sorgt die Hausmutter für ein paar Flaschen Schnaps und für einen schmalzigen Imbiß, wenn man es nicht vorzieht, die Versammlung ins Wirtshaus zu verlegen und beim perlenden Roten die wichtige Sache ins Reine zu bringen.

Die Stimmung bei dieser Übergabe ist natürlich nach den Umständen eine sehr verschiedene. Unter geregelten Verhältnissen geht es ruhig und gemütlich zu, besonders fröhlich, wenn der Sohn eine erwünschte, vorteilhafte Heirat in Aussicht hat und überhaupt mit dem "Alten" "gut auskommt". Es ist dies wohl gewöhnlich der Fall, da der älteste Sohn schon als zukünftiger Bauer erzogen wird. Der Vater läßt ihn im Haus und Feld, im Handel und Gewerbe, beim Kauf und Verkauf von Vieh etc. mehr schalten und walten, das ganze Gesinde betrachtet im Jungen schon viel früher den Besitzer, als er es rechtlich ist, und wer ihm schmeicheln will, nennt ihn bereits, seit er erwachsen ist, "Bauer". Das Normaljahr für die Übergabe eines Gutes ist das dreißigste, doch rückt dieser Zeitpunkt oft weit darüber hinaus, besonders wenn das Verhältnis des Sohnes zu den Eltern etwas gespannt ist. Im gewöhnlichen Falle, den wir im Auge haben, ist die Abtretung nicht viel mehr als ein äußerlicher Akt, der vorzüglich, wenn der Erbe einziger Sohn ist oder nicht gleich heiratet, im Hauswesen weiter nichts ändert. Aber nicht immer fällt der Apfel so hübsch nahe dem Stamm, oft hat der Sohn seinen eigenen Kopf, hängt sich an eine unpassende Liebschaft, deren Folgen zur Heirat drängen. Da bleibt dem Vater freilich nichts anderes übrig, als dem unbedachtsamen Stammhalter das Heimatl zu übergeben, aber er macht ein gar langes Gesicht dazu und der Bursche weiß auch nicht, soll er trotzig dreinblicken oder beschämt die Augen niederschlagen.

Die Abmachungen, die im Kreise gepflogen werden, sind, so einfach sie dem Uneingeweihten auch scheinen mögen, doch nicht so schnell beendigt. Erstens gibt es einmal dem von seinem bisherigen Hausherrnamte abtretenden Elternpaar ein anständiges Ruhegehalt anzuweisen, wie sie ehemals der "Nähnl" und die "Nahndl" seligen Andenkens genossen, vielleicht etwas reichhaltiger, wenn das Gut inzwischen einen Aufschwung genommen hat. Die Alten ziehen also ins obenerwähnte "Zuhäusl", einen kleinen Seitenbau mit Kammern, Küche und Stall, der unweit des Haupthauses meist im Anger steht. Da er eine selbständige Wirtschaft erlaubt, so wird gewöhnlich eine Wiese, ein Acker, eine Kuh etc., kurz das Notwendigste dazu ausbedungen. Wo das nicht der Fall ist, erhalten Vater und Mutter eine eigens hiezu bestimmte Wohnung im Hause selber, die "Oberstube" oder schlechtweg die "Kammer" genannt. Das sogenannte "Stübele" ist ein Geschoß des Zuhauses. Den Lebensunterhalt hat der junge Bauer entweder in Naturerzeugnissen, welche nach ihrer inneren Beschaffenheit und Menge genau bestimmt werden, oder in Geld beizusteuern. Die erstere Art, in "Ausnahmen" zu geben, ist wohl die häufigere, da der Bauer wenig bares Geld besitzt, außer er betreibt nebenbei ein Gewerbe, wie z. B. der junge Aignerwirt in Fügen, der seiner Mutter die ansehnliche Jahrespension von 800 Kronen ausbezahlte. Oft sind die Alten noch fähig zu arbeiten und lassen sich in der Wirtschaft des Sohnes verwenden, wofür sie wie andere Taglöhner bezahlt werden. Im Oberinntal kommt es auch vor, besonders wenn das Heimatl hoch oben auf dem Berg liegt, daß sie ganz vom Hofe wegziehen und sich eine weniger entlegene "Herberig" (Herberge, Unterkunft) in einem größeren Dorfe suchen, welche sie zusamt den Lebensmitteln von den Gaben des Sohnes selbst bestreiten. Man nennt davon diese Lebensweise "selbsten".

Ist nun über die Versorgung der Eltern endgültig entschieden, so geht es an jene der Geschwister. Diese heißen dem auf dem Besitztum bleibenden Erben gegenüber die "Weichenden". Die Teilung geschieht gewöhnlich auf folgende Weise. Der älteste Sohn übernimmt das "Gut" gleichsam in Kauf um eine bestimmte Summe, die aber nie den Kaufwert erreicht. 1) Oft wird auch der Preis, um den es die "Alten" einst ankauften oder übernahmen, zum Maßstabe genommen. Auf dem Hofe lastende Schulden werden abgerechnet. Jedenfalls sieht man immer gewöhnlich darauf, den Stammsitz in keiner Weise zu schmälern und zu schädigen, 2) und wenn die Geldverhältnisse nicht glänzend stehen oder der junge Besitzer nicht durch eine reiche Braut Ersatz zu hoffen hat, beeinträchtigt man lieber die "Weichenden". Für diese wird der Übernahmsschilling in gleiche Teile geteilt, welche ihnen der Bruder auszuzahlen hat. Den Töchtern hat der Vater schon früher je einen "Kasten" machen lassen, den sich dieselben mit Leinwand und Bettzeug wohl anfüllten. Auch erhalten dieselben, wie dies in Unterinntal bei "größeren" Bauern häufig eintritt, für den Fall ihrer Verehelichung noch eine Kuh. Doch bleibt der Anteil der Geschwister vorerst gewöhnlich bei dem Hause liegen und der Bruder folgt ihnen nur die Zinsen aus. Oft ist es ausdrückliche Verpflichtung der "Weichenden", das Kapital gegen niedern Zins (3-3 ½ %) beim Gute zu lassen. Sie können sich nun bei fremden Leuten als Knechte und Dirnen verdingen, stehen sie aber auf gutem Fuße mit dem jungen Bauern und besonders mit der neuen Schwägerin, so bleiben sie in derselben Stellung auf dem Heimathofe, wenigstens solange die Eltern oder eines der Beiden noch leben. Nach dem Tode derselben fordern sie das Kapital und verlassen für immer die Heimat, wenn es nicht etwa ausbedungen wurde, wie dies nicht selten auf großen Höfen, besonders im Pustertale, der Fall ist, daß den Geschwistern für den Fall der Krankheit oder Dienstlosigkeit eine Kammer vorbehalten bleibt.

1) Wenn nicht zwingende Umstände dagegen eintreten, bekommt der Ubernehmer das Anwesen zum halben Preise und erhält demnach für sich allein ein so großes Erbe, als alle "Weichenden" zusammen.

2) Es zeigt sich hierin der scharfe Gegensatz zwischen dem mehr auf das Allgemeine Bedacht nehmenden Unterinntaler und dem für sich möglichste Selbständigkeit und gleiche Behandlung fordernden Oberinntaler. Daher im ersteren Gebiete die großen Güterbestände, im letzteren die Güterzerstückelung.

Diese Bestimmungen nebst allen denjenigen, welche besondere Orts- und Familienverhältnisse bedingen, läßt man also durch den Gemeindeschreiber oder Notar "schreiben" und durch Zeugen bekräftigen. Wo es der Brauch ist, wie z. B. im Vinschgau und Burggrafenamt, läßt man es dabei bewenden und übergibt das Gut oft durch eine Reihe von Geschlechtern hindurch nur "gütig" d. h. außergerichtlich, wohl vorzüglich deshalb, weil der Bauer die Gerichtskosten scheut. An andern Orten wird es bei Gericht angezeigt und muss allerwärts "verfacht" weiden, was man im Pustertal "aufrichten" nennt. Sehr häufig kommt es dabei vor, daß die Alten nicht den ganzen Vermögensstand angeben, indem sie entweder schon früher Bargelder unter die Kinder verteilen oder sich etwas zurückbehalten, was dann nach ihrem Tode denselben zu gute kommt.

Mit der gerichtlichen Eintragung ist nun der Sohn erklärter Besitzer und tritt entweder an seinem Hochzeitstage oder, wo das nicht stattfindet, an einem der sogenannten Bauernziele (Lichtmeß, Jakobi, Georgi, Galli), auch um Weihnachten oder im Herbste das Erbe an. Wo gegenseitige Liebe und Eintracht herrscht, ist die Änderung für einen Außenstehenden kaum bemerkbar. Die Alten werden noch immer sehr hoch geschätzt, ihr Rat wird häufig eingeholt und der "Nähndl" schaukelt vergnügt seine pausbackigen Enkel auf den Knien. Leider aber trifft man diese glückliche Eintracht sehr selten. Besonders gibt es zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter beständige Reibungen, da die ehemalige Hausfrau das "Schaffen" nicht lassen kann und die junge das "Bäuerin bin ich" in zu schroffer Weise geltend macht.

Wir haben nun die Abtretung des Heimatls, diesen wichtigen Abschnitt im Bauernleben in allgemeinen Umrissen gezeichnet, aber allerdings auch nur dies. Tal- und Ortsgebrauch und die jeweiligen Familienverhältnisse veranlassen in jedem einzelnen Fall Ausnahmen von der Regel, so daß dieser Gegenstand eigentlich unerschöpflich ist. Vor allem ist es nicht überall der älteste Sohn, sondern, wie z. B. in Leutasch und auch in manchen Gegenden Unterinntals, der jüngste, welcher herkömmlicherweise das Stammgut erbt. Sind bloß Töchter da, so wird für die älteste, wenn sie in die heiratsfähigen Jahre kommt, ein passender Bräutigam gesucht, wobei man darauf sieht, daß der erwählte Bauernsohn etwas Vermögen oder ein Stück Vieh mitbringt. An Freiern fehlt es wegen des "Heimatls" niemals, mag das Mädchen sein, wie es will. Wenn sie heiratet, erhält sie das Gut und der Ehemann "zieht auf den Hof auf". Man nennt diesen Vorgang "zui" (hinzu)- oder "einhi'heiraten", auch eine "Hoamatlkrax aufheiraten". Wenn das Weib Besitzerin ist, hat sie natürlich im Hause das große Wort und es kommt häufig vor, daß sie bei der späteren Heimatsabtretung ein jüngeres Kind, das ihr Herzblättchen ist, vorschiebt. Freilich entsteht da leicht Unfrieden. Aber auch freiwillig überläßt mancher sein Erbrecht einem Bruder oder einer Schwester. Es können dabei mannigfache Gründe obwalten. Der Betreffende geht z, B. lieber mit einem Handwerk in die Fremde oder wird schon als Bube wegen besonderen Talentes in die Stadt Studieren geschickt; er hat vielleicht keine Neigung zum Heiraten, ist blöde oder kränklich, während der jüngere Bruder das Herz eines reichen Mädchens erobert hat u. s. w. Der Verzichtende bekommt jedenfalls eine entsprechende Summe als Entschädigung. Schlechte Aufführung, besonders Unehrerbietigkeiten gegen die Eltern haben auch oft die Übergabe des Gutes an eines der andern Kinder zur Folge. In Südtirol, besonders im Burggrafenamte, trifft man auch ledige Bauern, die lieber, als sich mit einem kleinen Gute und großer Familie notdürftig "durchzufretten", eine ältliche "Häuserin" nehmen und mit dieser allein wirtschaften. In früherer Zeit, als man noch den Sohn vom Militär loskaufen konnte, geschah dies nur beim künftigen Gutserben, oft auch übergab man diesem schon zeitlich den Besitz, um dadurch seine Befreiung zu erwirken.

Ein Vater, der trotz der maßgebenden Umstände das Anwesen nicht übergibt, gilt als knauserig und heißt "Geizkragen". Um diesem unliebsamen Titel zu entgehen und doch die Herrschaft nicht aus den Händen zu verlieren, kommt es manchmal vor, daß ein pfiffiger Vater dem Sohn zum Schein ein Stück Feld, eine alte Scheune etc. gerichtlich verschreibt und ihn darauf heiraten läßt, auf dem Hofe aber doch tatsächlich Herr bleibt. 1) Daß dem jungen Ehepaare dann keine rosigen Tage blühen, läßt sich denken. Es ist eine schlimme Sache, wenn es die Talsitte will, daß der Sohn erst nach des Vaters Tode das Besitztum bekommt. Kein Wunder, wenn der "Bua und das Madl", die sich lieben, dieses Ereignis herbeiwünschen und die kindliche Liebe noch mit der Sehnsucht in Zwiespalt gerät. Im Oberinntal trifft man diese strenge Verfügung sehr häufig.

1) Es kommt aber auch vor, daß ein Vater das "Heimat!" seinem Sohn gerichtlich "verschreiben läßt", sich aber die Wirtschaftsführung - "an' G'walt" (eine Vollmacht) - für seine Lebensdauer oder so lange er will, vorbehält.

Die Ausführung des Testamentes, sei es nun, daß der Vater und Besitzer früher oder spater stirbt, übernimmt das Gericht, vor welchem die "Handlung" (Verlassenschaftshandlung) stattfindet, und alle Punkte geregelt werden. Für die Bäuerin, wenn sie noch lebt, hat der Gatte stets vorgesorgt. Sie bleibt beim Gute, d. h. wenn sie will oder erhält eine bestimmte Summe ausbezahlt. Ist die Mutter Besitzerin, so sichert sie im Testamente dem überlebenden Manne ebenfalls den vollen Genuß des Besitzes auf Lebenszeit zu, selbst für den Fall der Wiederverheiratung, nur werden oft Vorbehalte zu Gunsten der Kinder aus erster Ehe gemacht.
Ist der älteste Sohn dann großjährig und das Vermögen bedeutend genug, so übergibt ihm wohl der Vater das mütterliche Gut und kauft sich ein neues Anwesen, das er mit Weib und Kindern bezieht. Eine vollständige Ausnahme mächt das Iseltal. Dort herrscht nämlich die altväterische Sitte, daß nicht nur die Geschwister, sondern auch die Vettern und Basen, kurz sämtliche Familienglieder zeitlebens im Hause bleiben. Alle stehen unter dem "Hausvater", gleichviel, ob dieser ledig oder verehelicht ist, und arbeiten für das Hauswesen ohne anderen Lohn als Nahrung und Kleidung und einen allenfallsigen Gnadenpfennig, den ihnen der Hausvater aus besonderer Barmherzigkeit für außerordentliche Arbeitsleistungen gibt.

Nun bleibt uns noch übrig der Güterzerstücklung zu gedenken, die in Südtirol, in manchen Gegenden des Vinschgaus, im Ötztal und obern Inntal, in Außerfern und auch in Vorarlberg gebräuchlich ist. Damit ist nicht jene Teilung gemeint, die naturgemäß dann eintritt, wenn ein reicher Bauer mehrere Güter und mehrere Kinder hat, sondern die Zersplitterung des Stammsitzes zum Behuf völliger Gleichstellung aller Erben. Dies geschieht selbstverständlich erst nach dem Tode des Besitzers. Der Älteste bekommt das "Anwesen". Dieses besteht aus dem Hause mit Baum- und Krautgarten sowie Waldteil. Die andern Grundstücke sind "walzend", jedes hat seine Katasternummer und ist einzeln verkäuflich, wenn sie abgesondert zugekauft, aber nicht mit dem Gute als solchem vereinigt wurden.1) Die Schätzung der einzelnen Stücke nehmen Unparteiische des Dorfes vor, welche sie nach Wert und Beschaffenheit zusammenstellen. So wird oft ein gutes und ein schlechtes verbunden, die weit entfernt voneinander liegen. Was nicht gerade ausgeht, muß mit Geld ausgeglichen werden. Dann wird es außergerichtlich verbucht und dann erst noch gerichtlich protokolliert. Bisweilen verkauft dann eines der Geschwister seinen Gutteil dem Besitzer des Hofes; indeß ist jeder stolz darauf, einen Fetzen Eigentum sein eigen nennen zu dürfen.

1) Schon in den siebziger Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts, mehr aber noch später, wurde von Seite der Behörde beim Zukauf selbst "walzender" Grundstücke deren "Konsolidierung" mit dem Hauptanwesen aufgetragen.

Leider wird durch diese Güterzerstücklung in den ohnedies nicht wohlhabenden Landstrichen die Armut nur vergrößert, da jeder auf seinen kleinen Besitz hin heiratet. Die traurigsten Folgen davon zeigen sich in manchen Gegenden Südtirols, wo diese Unsitte herrscht; da kommt es tatsächlich vor, daß vier Familien nur eine Stube zur Wohnung haben, die durch Kreidestriche in vier Teile geschieden ist.Damit ist aber auch Zank und Streit auf die Tagesordnung gesetzt.

Die tiefere Auffassung und das Ansehen des Hauses gehen dabei völlig verloren, während doch sonst die "Heimat" so hoch gehalten wird. "Von der Heimat gehen müssen" gilt in der Regel geradezu als Schande für die ganze Gemeinde und der letzte Besitzer, der sein Gut Schulden halber "aufschatzen" lassen mußte, bleibt als "Abgehauster" oder "Hüngerlebauer" samt seinen armen Kindern Jahre hindurch die Zielscheibe des Spottes und der Verachtung.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 411 - 421.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Isabella Richrath, Oktober 2005.
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