Wetterläuten und Wetterschießen.
Wenn in Tirol im Hochsommer die Leute auf dem Felde Korn schneiden und es macht über ihren Köpfen im Gewölke einen "Brummer", so mag es wohl sein, daß eine der Schnitterinnen sich mit der Schürze den Schweiß abwischt und aufschauend meint: "Hoi, unser Herrgott tut Korn führen!" und wenn gerade um dieselbe Zeit die Bäuerin am Herde Nocken kocht, so sagt sie gewiß zum kleinen Tunichtgut an ihrer Schürze: "Hörst, Seppele, die Engel Kegel scheiben!" In der Schweiz "rollt Gott Vater Brenta (flache Milchgefäße) über d'Kellerstiega", in Mittelkärnten "schüttet der Himmeltatte Korn in den Grant" (Getreidekasten), wahrend er im Mölltale "Heu über die Tennenbrücke führt". Schlägt der "Wetterstrahl" gar ein, so ist die "Tennenbrücke gebrochen".

Solche und ähnliche Äußerungen, die auf die altheidnische Vorstellung vom Donnerwagen Thor's und seinem niederschmetternden Streithammer Mjölnir (Zermalmer) zurückgehen, gebraucht indes das Volk gewöhnlich nur dann, wenn untertags ein harmloses vereinzeltes Donnern sich hören läßt. Ganz anders urteilt es vom eigentlichen Gewitter, ich meine von jenen durch wochenlange Schwüle gezeitigten, von zündenden Blitzen, orkanartigem Sturm, Schauer und Wolkenbrüchen begleiteten, meist nächtlichen "Hochwettern", die oft stundenlang über dem Tale lagern, die Nacht zum Tage erhellen, die stärksten Bäume entwurzeln und den Wildbach entfesseln, so daß der geängstigte Landmann glaubt, der jüngste Tag sei über die Gegend hereingebrochen. Man muß eine solche Gewitternacht in einem Hochtale mitgemacht haben, um die ganze Furchtbarkeit dieser Naturerscheinung zu begreifen.

Was Wunder, wenn der Bauer mit Bangen die pechschwarzen Wolkenballen an den Bergkämmen sich sammeln und dumpfrollend nahen sieht, besonders wenn sie aus einer Gegend kommen, die als böser Wetterwinkel verschrien ist. Daher findet man an vielen Orten, vorzüglich auf weithin schauenden Bergrücken, von denen die Wetter gern herziehen, Wetterkreuze und Wetterkirchen errichtet, welche die Gefahr abwenden sollen und die von Zeit zu Zeit neu eingeweiht werden müssen, damit sie ihre Kraft, nicht verlieren. Solche sind z. B. die St. Peter- und Paulskirche von Tall bei Schönna, die Oswald-Kapelle am Ifinger, die St. Vigilikirche über Marling, welche den betreffenden hochverehrten Wetterheiligen geweiht sind. Erstgenannte Heiligen, nämlich Peter und Paul, sind so berühmt, daß sie in früherer Zeit geradezu "Wetterherren" genannt und am 29. Juni, ihrem Gedenktage, durch feierlichen Umzug geehrt wurden. Auch as [lies: das] St. Helena-Kirchlein über St. Pankraz in Ulten und St. Kathrin' in der Scharten" bei Hafling gelten als wetterbannend. Die gleiche hohe Verehrung genießt St. Ursula auf dem heiligen Bühel von Platt im Pfeldersertal. Daher heißt es von ihr im Volksmund:

St. Ursula auf der Platt,
St. Kathrin in der Schart,
Und St. Vilg'n (Vigil) auf'n Joch
Halten alle Wetter auf
Und treiben die Hexen in's Loch.

Daraus kann man auch ersehen, wem man die Unwetter zu verdanken hat. Wem anders als den bösen Hexen, welche die Wolken zusammenschieben und den Schauer machen. Wers nicht glaubt, braucht nur einige Hagelbollen auseinander zu brechen, dann wird er im einen oder andern gewiß Hexenhaare finden. Das "Dietenheimer Moidele" hat mir selbst gesagt, daß sie einmal gesehen habe, wie auf dem Berge oben ein altes Weiblein in altmodischer Tracht Arbesen (Erbsen) aus einem Säcklein ausgestreut habe. Als sie die Alte anrief, war sie verschwunden. Kurze Zeit darauf fing es zu schauern an, daß es ein "wahres Elend" war.

Um die Macht dieser Unholdinnen zu brechen, trifft der Bauer in den Alpen verschiedene Vorkehrungen 1). In Steiermark, vorzüglich im Luttenberger Bezirke, wo die schönen Weingelände liegen, wird meist geschossen, und zwar mit geweihtem Pulver. Es gibt da eigene Wettertürme. Ein solcher steht z. B. rechts am Weg zum Schöckl. Der Einzelbauer schießt vor feinem Hause mit Flinten in die Wetterwolken. Auch auf dem Kitzbüchler Hörn war das "Wetterschießen" früher im Schwange, ebenso noch gegenwärtig in der Scharnitz und in der Wildschönau. An ersterem Orte schießt man in ein Faß, an letzterem wird von einem hochgelegenen Bauernhofe, von dem man weit aussieht, wenn Gefahr droht, durch einen Böllerschuß das Zeichen zum Wetterlauten gegeben. In Tirol ist sonst fast allgemein das "Wetterläuten" üblich, das man als tiefeingewurzelten Landesbrauch bezeichnen kann. Man erinnere sich, welchen Sturm das Verbot dieses törichten Brauches durch die bayerische Regierung im Jahre 1809 hervorgerufen hat.

1) Vergl. meinen obengenannten Aufsatz "Wetterherren etc.", Seite 107 ff.

Sobald daher ein drohendes Hochwetter im Anzüge ist, mag es bei Tag oder bei Nacht sein, ertönt von Ort zu Ort das Wettergeläute, das den Priester und das Volk in die Kirche ruft. Der Priester in Chorhemd und Stola setzt das "Sanktissimum" aus und liest die vier Evangelien oder wenigstens ein kurzes Gebet, den "Wettersegen". Wenn man dem Geistlichen, während er den Segen gibt oder beim Hinausgehen, auf die Schuhe tritt, dann kann man die Hexen um den Turm herumfliegen sehen.

Nicht jeder Geistliche ist zum Wettersegnen gleich geeignet. Besonders sind die Franziskaner und Kapuziner als "wetterg'rechte" Leute geschätzt, d. h. als solche, die das Unwetter abzuwenden verstehen. In manchen Gegenden, z. B. in Unterinntal, wird nach dem abendlichen Ave-Maria-Zeichen nicht mehr wettergeläutet; gemeiniglich aber läutet man, so lange Gefahr vorhanden ist, und zwar muß, wenn es etwas helfen soll, in allen Dörfern zugleich geläutet werden. In den meisten Kirchen befindet sich eine eigene Wetterglocke, die gewöhnlich schon durch die Inschrift ihren Beruf offenbart. So stehe, sagt man, auf der Wetterglocke von St. Pauls:

Anna Maria heiß ich.
Alle Wetter weiß ich.
Alle Wetter vertreib ich,
In St. Pauls bleib ich. 2)

2) Vergl. meine "Wanderungen in Tirol und Vorarlberg". II. Bd. Seite 217.

Die vom berühmten Salzburger Glockengießer Gugg 1770 gegossene große Glocke in Bramberg im Oberpinzgau trägt am Kranze die Inschrift:

Die lobelich Pfarrersgemein
Ließ mich zum Opfer giesen,
Nie Himmels Kinigin
Fallet vor Gott zu Fiessen,
Wan Pliz und Dunner Knall
Der Schauer trohet an.
Gibt diesen Clan (Klang?) die Sterk,
Das ers vertreiben kann.

Ähnlich heißt es auf der berühmten Brixener Wetterglocke:

Ich weck' den Geist zur Schuldigkeit,
Ich sing' den Leib zur Ruh',
Ich tön' durch Licht und Wolkenstreit,
All' Übel fernen thu.

Manche dieser Wetterglocken genießen von Alters her einen großen Ruf. So die eben genannte alte große Glocke von Brixen im Tale, der "Brixener Stier" genannt, das "Hündl" auf der Salve, die "Itterer Katze", die "Heidin" in Alpach. Sehr berühmt ist auch der "Schwazer Besen", die majestätisch klingende, von Peter Löffler anno 1503 gegossene Schwazer Glocke. Darum heißt es im Volke:

Wenn der "Schwazer Besen" kehrt
Und der "Brixner Stier" plärrt
Und das "Salvenhündl" kallt (bellt),
Aft (dann) haben d'Wetter kan' G'walt.

Nicht minderen Ansehens erfreut sich die Wetterglocke von Oetz. Als sich ein Bauer einmal bei einem herannahenden Unwetter auf der Acherberger Alm befand und sich ängstigte, daß nun alles zu Grunde gehen werde, hörte er deutlich, wie eine Hexe zur anderen sagte: "Schuib, schuib" (schieb'), worauf die andere erwiderte: "I derschuib's numma (nimmer), der Ötzer Stier brüllt." Am meisten gefürchtet von den Hexen ist aber die uralte Hexenglocke von Wald in Ober-Pinzgau mit der rätselhaften, noch unentzifferten Inschrift:

† Grion. Habrg. Kl. Acla Ihs
Sohs. Les. Aars.

Diese altbewährte Wetterbannerin ist den Hexen so verhaßt, daß diese vor Wut ganze Stücke vom unteren Rande mit ihren Zähnen abgebissen haben, wie noch zu sehen ist. Das Gleiche erzählt man von der früher erwähnten "Heidin" in Alpach, die darum auch "Hexin" genannt wird.

Übrigens kommt es auf das Läuten als solches sehr viel an. Das Wetterläuten ist ein ganz anderes als das gewöhnliche. Im Eisaktale gibt man den sogenannten "Wetterstreich", d. h. man läßt die Glocke in drei Absätzen anschlagen. Während dieser drei Ruhepausen müssen die Hexen ersticken, und zwar um so sicherer, je länger man die Pausen macht. Noch besser ist es, wenn es gelingt, die Glocke zu "stellen", so daß sie fast überschlägt, denn in diesem Falle muß die Hexe den Atem so lange "verhalten", als die Glocke steht, und wenn dies zu lange dauert, platzt sie und fällt tot herab.

Daß zur rechten Zeit wettergeläutet wird, ist Sache des Meßners. Deshalb schaut die Gemeinde, daß sie einen Mann erhält, der rechtzeitig läutet und sich überhaupt mit dem Wetter gut auskennt. Er muß achtsam sein und selbst durch den Graus einer Wetternacht sich nicht abschrecken lassen, seiner Pflicht nachzukommen. Als Muster eines solchen pflichteifrigen Mannes kann der verstorbene Meßner von Ötz gelten, der manche Nacht sogar auf dem Friedhofe schlief, um bei drohendem Gewitter ja das Läuten nicht zu versäumen. Dafür erhält der Meßner im Herbst als Lohn von jedem Bauer das "Wetterkorn" oder "Läutkorn", auch "Wettergarbe" genannt, wenn es, wie in manchen Orten Unterinntals üblich, in natura gegeben wird. An größeren und wohlhabenden Ortschaften macht die "Läutgarb" ziemlich viel aus. So holt sich in Kirchberg im Brixental der Meßner, beziehungsweise Lehrer, mit der Kraxe von Haus zu Haus seine Roggengarbe ab und läßt dann das gesammelte Korn von seiner Tochter in einem Wägelchen heimführen. Im Pustertale gibt man dem Meßner 20 Staar (1/7 bayerische oder 1/2 Wiener Metzen) Gerste; im Oetztal erhält er abwechselnd einen Metzen Gerste und einen Metzen "Türken" (Mais) oder zwei Metzen von derselben Sorte; an anderen Orten, z. B. in Alpach, erhält er bei der "Läutkornsammlung" von den Bauern Milch, Butter, Käse, so viel als "der gute Wille ist", in der Wildschönau Brot als "Leutlaib".

Mit dem "Wetterläuten" und "Wettersegnen" sind indes die bäuerlichen Vorkehrungen gegen drohendes Gewitter nicht abgeschlossen. Während der Klang der Glocken durch das Rollen des Donners tönt, ist die Bäuerin nicht müßig gewesen. Sie hat auf dem Herde Glut entfacht und wirft nun in dieselbe Palmkätzchen und andere während der Zeit der Dreißigen gepflückte Weihekräuter. Auch von den am Karsamstag bei der Feuerweihe geraubten Kohlen werden, wie wir oben hörten, einige hineingeworfen. Im Unterinntal (Brixental) entzündet man die "Wetterkerze", ein schwarzes Wachskerzlein mit eingegossenem Muttergottesbild, kniet um sie herum und betet den sogenanten "kurzen schmerzhaften Rosenkranz", auch Holzknechtrosenkranz genannt. Im Pustertale machen die Kapuziner das sogenannte Kapuzinerpulver. Das wird, wenn ein Gewitter im Anzug ist, ebenfalls auf die Glut geschüttet. Der geweihte Rauch, der durch den Kamin steigt, beißt die Hexen in die Augen, so daß sie auf ihren Besen eiligst die Flucht ergreifen. Gegen den Schauer gibt es noch ganz besondere kirchliche Mittel, die in "Schauermessen", d. i. gesungenen Ämtern bestehen, bei denen die zu Lichtmeß geweihten Schauerkerzen während der Wandlung angezündet werden. Der Freitag nach Christi Himmelfahrt heißt daher der "Schauerfreitag".

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 121 - 127.
Frakur-OCR korrekturgelesen von Carsten Heinisch